S 4 KR 2398/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 4 KR 2398/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Ein Anspruch auf Krankengeld besteht auch während eines Urlaubs innerhalb der Europäischen Union, sofern Arbeitsun-fähigkeit besteht und bescheinigt ist (Anschluss an SG Würz-burg, Urteil vom 13.12.2016 – S 6 KR 511/16 –, juris).

2. Ist das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit des Versicherten unstreitig festgestellt, so bleibt für eine Ermessensentscheidung der Krankenkasse hinsichtlich einer Zustimmung zu dem Auslandsaufenthalt nach § 16 Abs. 4 SGB V kein Raum mehr (Anschluss an Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 27. August 2015 – L 5 KR 292/14 –, ju-ris).

3. Eine Ermessensausübung nach § 16 Abs. 4 SGB V ist unter anderem fehlerhaft, wenn wesentliche Aspekte nicht in die Abwägung mit einbezogen worden sind (hier: kein Eingehen auf die möglichen Vorteile eines Erholungsurlaubs mit der Familie; keine Auseinandersetzung mit dem Umstand, dass der Urlaub bereits vor Eintritt der Erkrankung gebucht war; kein Eingehen auf die möglichen Gesundheitsgefahren, wenn die Familie des – psychisch erkrankten – Versicherten den Jahresurlaub ohne den Versicherten antritt).

4. Bei der Frage, ob einer Behörde Kosten nach § 192 SGG auferlegt werden, ist der Behörde das Wissen eines rechtskundigen Terminvertreters zuzurechnen. Vertritt auch der Terminvertreter die Auffassung, dass wesentliche Ermessenfehler vorliegen, und wird dennoch vollumfänglich an dem Antrag auf Klageabweisung festgehalten, können der Beklagten nach § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG Verschuldenskosten auferlegt werden.



Vermerk: Die Entscheidung ist rechtskräftig.
1. Der Bescheid der Beklagten vom 26.05.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.07.2017 wird aufgehoben. 2. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klä-gers zu erstatten. 3. Der Beklagten werden Verschuldenskosten in Höhe von 500,- EUR auferlegt.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Krankengeld während einer Ur-laubsreise ins Ausland im Streit.

Der am ... geborene Kläger ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Er befand sich ab dem 18.04.2017 bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit in regelmäßiger psychiatrisch-psychotherapeutischer Behandlung bei Dr. H. in H. mit einem jeweili-gen Abstand zwischen den Terminen von ca. 4 Wochen. Außerdem war er im Zwei-Wochen-Rhythmus bei einer Psychotherapeutin in Behandlung.

Am 17.05.2017 fragte der Kläger telefonisch bei der Beklagten nach, ob er über Pfingsten nach Spanien in ein Ferienhaus fliegen könne, da die Reise schon lange gebucht sei. Sein behandelnder Arzt habe der Reise zugestimmt. Eine Behandlung bei der Psychotherapeutin war während der geplanten Urlaubsreise weder geplant noch möglich, weil diese ebenfalls in den Pfingstferien verreisen wollte.

Der Kläger erhielt am Telefon die Antwort, dass er ein Attest vorlegen möge, wäh-rend des Auslandsaufenthalts jedoch kein Krankengeld gezahlt werden könne.

Der Kläger legte eine Bescheinigung des Dr. H. vom 23.05.2017 vor, wonach er aus fachpsychiatrisch-psychotherapeutischer Sicht reisefähig sei. Der Kläger wies in dem Begleitschreiben darauf hin, dass er wegen der Unterbrechung des Kranken-geldbezugs bezahlten Urlaub nehmen werde. Insoweit bat der Kläger um weitere Informationen zu den Modalitäten der Weitergewährung von Krankengeld.

Mit Schreiben vom 26.05.2017 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass für die Zeit seiner Urlaubsabwesenheit vom 05.06. bis 15.06.2017 im Ausland der Anspruch auf Krankengeld ruhe. Für die Wiedergewährung von Krankengeld sei es erforderlich, dass der Kläger sich am 16.06.2017 eine erneute Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellen lasse.

Mit E-Mail vom 02.06.2017 widersprach der Kläger der Weigerung der Beklagten, während seiner Auslandsreise Krankengeld zu zahlen. Er mache Erholungsurlaub in einem EU-Land und Dr. H. habe die Unbedenklichkeit aus medizinischer Sicht attes-tiert. Eine Sitzung bei seiner Therapeutin sei in dieser Zeit (Pfingstferien) ohnehin nicht geplant gewesen. Der Urlaub zusammen mit seiner Familie sei für sein Wohl mit Sicherheit unendlich viel wertvoller, als alleine zuhause zu sein.

Mit Schreiben vom 02.06.2017, bei der Beklagten eingegangen am 06.06.2017, be-kräftigte der Kläger seinen Widerspruch. Die Aussage vom 26.05.2017, dass der Urlaub in Spanien dem Grunde nach akzeptiert werde, aber kein Krankengeld ge-zahlt werden könne, stehe im Widerspruch zu einer anderen E-Mail an seinen Ar-beitgeber, in der es heiße, dass der Auslandsreise wegen einer fehlenden adäqua-ten Behandlungsmöglichkeit im Ausland nicht zugestimmt werden könne. Er gehe davon aus, dass die ihm gegenüber getätigte Aussage zutreffe, dass der Urlaub an sich akzeptiert sei. Der Widerspruch richte sich daher gegen die Aussetzung der Krankengeldzahlung während dieser Zeit. Er verweise auf § 16 Abs. 4 SGB V, wo-nach der Anspruch auf Krankengeld nicht ruhe, solange sich Versicherte nach Ein-tritt der Arbeitsunfähigkeit mit Zustimmung der Krankenkasse im Ausland aufhielten.

Die Beklagte holte daraufhin eine Stellungnahme bei Dr. P. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ein. Dieser vertrat die Auffassung, dass er-hebliche Bedenken gegen eine Unterbrechung der Therapie bestünden. Die Ar-beitsunfähigkeit sei wegen einer mittelgradigen depressiven Episode und Somatisie-rungsstörung attestiert worden. Auch wenn der Facharzt attestiert habe, dass der Kläger reisefähig sei, könne sich die psychische Störung durch die Reise, die damit verbundenen Umstellungen und die Vielzahl neuer Reize und Eindrücke durchaus verschlechtern. Die in Aussicht gestellte positive Auswirkung auf die Rekonvales-zenz sei nicht gesichert. Zu empfehlen sei, die Reise nach Abschluss der Behand-lung im Rahmen einer Erholungsreise nach psychischer Stabilisierung arbeitsfähig anzutreten.

Mit Schreiben vom 08.06.2017 teilte die Deutsche Rentenversicherung (DRV) der Beklagten mit, dass sie aufgrund Antrags vom 24.05.2017 eine stationäre Leistung zur medizinischen Rehabilitation über eine Dauer von fünf Wochen in der Reha-Klinik am Park ... aufgrund der Hauptdiagnose F 32.1 [mittelgradige depressive Epi-sode nach ICD-10] bewilligt habe.

Der vom Kläger aufrecht erhaltene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 03.07.2017 unter Berufung auf die Stellungnahme des Dr. P. zurückgewiesen. Auch wenn der behandelnde Arzt keine Einwände gegen eine Auslandsreise gel-tend gemacht habe, stelle diese dennoch ein gesundheitliches Risiko dar.

Der Bevollmächtigte des Klägers hat deswegen am 18.07.2017 beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) Klage erhoben. Vorliegend sei § 16 Abs. 4 SGB V als Ausnahme zu dem Grundsatz des § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V einschlägig, wonach der An-spruch auf Leistungen während eines Aufenthalts des Versicherten im Ausland ru-he. Ein Ruhen des Leistungsanspruchs rechtfertige sich insoweit vor dem Hinter-grund der schwierigen Feststellung einer Arbeitsunfähigkeit im Ausland. Deswegen bedürfe es der Rückausnahme nach Abs. 4 der Vorschrift für den Fall, dass solche Schwierigkeiten nicht zu erwarten seien, weil der Auslandsaufenthalt mit Zustim-mung der Krankenkasse erfolge und die Arbeitsunfähigkeit nicht erst im Ausland eintrete (mit Hinweis auf Harig in BeckOK Sozialrecht zu § 16 Randnr. 32). Die Be-klagte stützte die Ablehnung auf die unzutreffende Annahme, die vorliegende psy-chische Erkrankung könne sich durch die Vielzahl neuer Reize und Eindrücke durchaus verschlechtern und eine positive Auswirkung auf die Rekonvaleszenz sei nicht gesichert. Darauf komme es jedoch nach Sinn und Zweck der Vorschrift nicht an. Nach dem Gesetzeszweck solle nur eine ungerechtfertigte Inanspruchnahme von Krankengeld in den Fällen verhindert werden, in denen die Arbeitsunfähigkeit im Ausland nicht oder unter erschwerten Bedingen festgestellt werden könne. Sei die bestehende Arbeitsunfähigkeit des Versicherten dagegen unstreitig festgestellt, so bleibe für eine Ermessensentscheidung kein Raum bzw. das Ermessen sei dann auf Null reduziert (mit Hinweis auf LSG Nordrhein-Westfalen vom 27.08.2015 - L 5 KR 292/14 Randnr. 28 juris; SG Cottbus, Gerichtsbescheid vom 26.04.2016 - S 18 KR 157/13). Abgesehen hiervon treffe auch die Auffassung der Beklagten nicht zu, die Urlaubsreise habe keine positiven Auswirkungen auf die Genesung. Der Kläger lei-de an einem Burnout-Syndrom durch langjährige berufliche Überlastung, wobei ge-rade die neuen Reize und Eindrücke einer Urlaubsreise die Genesung förderten und unterstützten. Des Weiteren habe die Beklagte auch bei ihrer Entscheidung die zwi-schenstaatlichen Rechtsvorschriften bei einem Urlaubsaufenthalt in einem EU-Mittelstaat nicht beachtet (mit Hinweis auf SG Würzburg vom 13.12.2016 - S 6 KR 511/16).

Der Kläger beantragt zuletzt,

den Bescheid vom 26.05.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.07.2017 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig. Das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit auch im Zeitraum vom 05.06.2017 bis zum 15.06.2017 werde nicht bestritten. Vorliegend sei jedoch nach der Stellungnahme des MDK keine Zu-stimmung zu der Urlaubsreise nach Spanien möglich gewesen, da die Reise die Möglichkeit einer Verschlechterung der Erkrankung des Klägers mit sich gebracht habe. Entgegen der Auffassung des Klägervertreters sei die Zustimmung zu der Ur-laubsreise auch dann zu versagen, wenn die erfolgreiche Behandlung der Arbeits-unfähigkeit im Ausland nicht gewährleistet sei und hierdurch die Gefahr einer länge-ren AU-Dauer bestehe (mit Hinweis auf Krauskopf, Soziale Kranken- und Pflegever-sicherung, Randnr. 32 zu § 16 SGB V). Bei Auftreten einer akuten Krise der psychi-schen Erkrankung des Klägers in Spanien wäre eine adäquate Behandlung in der fremden Sprache nicht möglich gewesen. Dies wäre anders zu beurteilen, wenn der Kläger beispielsweise wegen eines Arm- oder Beinbruchs arbeitsunfähig gewesen wäre. Bei einer psychischen Erkrankung sei jedoch das Gespräch mit dem Thera-peuten der Hauptbestandteil der Behandlung.

Nach Hinweis der Kammer auf die Entscheidung LSG Essen, Urteil vom 27.08.2015 (Az: L 5 KR 292/14) hat die Beklagte ergänzend vorgetragen, dass der vorliegende Sachverhalt einen anderen Fall betreffe. In dem der Entscheidung des LSG Essen zugrunde liegenden Fall sei keine Therapie unterbrochen worden, sondern erst nach der Therapie die Reise angetreten worden. Der Kläger im vorliegenden Fall habe sich jedoch in laufender Therapie befunden, auch wenn sich seine Therapeutin zum Zeitpunkt der Reise selbst in Urlaub befanden habe. Im Fall einer laufenden Thera-pie könne jedenfalls nach Auffassung der Beklagten das Ermessen keinesfalls auf Null reduziert sein.

Im Übrigen hat die Beklagte mitgeteilt, dass das streitgegenständliche Krankengeld im vorliegenden Verfahren sich auf 981,20 EUR (kalendertäglich 89,20 EUR) belaufe.

Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten und die Akten des SG Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der grundsätzliche Anspruch auf Krankengeld wegen Arbeitsunfähigkeit des Klä-gers im streitgegenständlichen Zeitraum vom 05.06. bis 15.06.2017 nach § 44 SGB V ist zwischen den Beteiligten zu Recht nicht im Streit, da eine in Deutschland lü-ckenlos ärztlich bescheinigte Arbeitsunfähigkeit des Dr. H. vorliegt. Entsprechend § 136 Abs. 3 SGG wird insoweit auf die vorausgehende Krankengeldbewilligung Be-zug genommen.

Entgegen der Auffassung der Beklagten liegt während der Auslandsabwesenheit des Klägers vom 05.06. bis 15.06.2017 auch kein Ruhenstatbestand nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 SGB V vor, so dass die entgegenstehenden Bescheide der Beklagten auf die Anfechtungsklage des Klägers aufzuheben sind, wodurch der Anspruch auf Gewährung von Krankengeld im streitgegenständlichen Zeitraum wieder auflebt.

Nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 SGB V ruht der Leistungsanspruch eines Versicherten, so-lange er sich im Ausland aufhält, und zwar auch dann, wenn er dort während eines vorübergehenden Aufenthalts erkrankt. Das Ruhen tritt nach § 16 Abs. 4 SGB V nicht ein, solange sich Versicherte nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit mit Zustim-mung der Krankenkasse im Ausland aufhalten. Die Entscheidung über die Zustim-mung liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Krankenkasse (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 27. August 2015 – L 5 KR 292/14 –, Rn. 26, juris).

Die Beklagte hat jedoch übersehen, dass die grundsätzliche Ruhensvorschrift des § 16 Abs. 1 SGB V für Urlaube im EU-Ausland durch supranationale Vorschriften ver-drängt wird. Die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 regelt sowohl Sachleistungen, als auch Geldleistungen. Bezüglich der Geldleistungen sieht Artikel 21 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 ausdrücklich vor, dass ein Versicherter, der sich in einem ande-ren als dem zuständigen Mitgliedsstaat aufhält, Anspruch auf Geldleistungen hat, die vom zuständigen Träger nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften erbracht werden. Geldleistungen sind demnach frei zugänglich, während Sachleistungen der Genehmigung unterliegen können. Nach Artikel 7 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 dürfen Geldleistungen, die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mit-gliedstaaten oder nach dieser Verordnung zu zahlen sind, nicht aufgrund der Tatsa-che gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, dass der Berechtigte oder seine Familienangehörigen in einem anderen als dem Mitgliedstaat wohnt bzw. wohnen, in dem der zur Zahlung verpflichtete Träger sei-nen Sitz hat. Denn es ist innerhalb der Gemeinschaft grundsätzlich nicht gerechtfer-tigt, Ansprüche der sozialen Sicherheit vom Wohnort der betreffenden Person ab-hängig zu machen (Erwägungsgrund 16 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004). Auch soll den Versicherten in Bezug auf Leistungen bei Krankheit, Leistungen bei Mutter-schaft und gleichgestellten Leistungen bei Vaterschaft den Versicherten sowie ihren Familienangehörigen, die in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat woh-nen oder sich dort aufhalten, Schutz gewährt werden (Erwägungsgrund 20 der Ver-ordnung (EG) Nr. 883/2004). Die in Artikel 27 Abs. 8 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 geregelte Gleichwertigkeit von Bescheinigungen innerhalb der Europäi-schen Union würde keinen rechten Sinn machen, wenn zwar die Gleichwertigkeit von nationalen Stellen anerkannt, der Anspruch aber mit Verweis auf das Ausland generell ablehnt werden würde. Daher ist Ausland im Sinne von § 16 Abs. 1 SGB V so auszulegen, dass damit lediglich der Bereich außerhalb der Europäischen Union gemeint ist. Deshalb ruhten die Leistungsansprüche des Klägers nicht während sei-nes vorübergehenden Aufenthaltes in Spanien. Mangels Ruhens bedurfte es auch keiner Zustimmung der Beklagten nach § 16 Abs. 4 SGB V (SG Würzburg, Urteil vom 13. Dezember 2016 – S 6 KR 511/16 –, Rn. 14, juris).

Nach dem Gesetzeszweck soll zudem nur eine ungerechtfertigte Inanspruchnahme von Krankengeld in den Fällen verhindert werden, in denen die Arbeitsunfähigkeit im Ausland nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen festgestellt werden kann. Ist - wie vorliegend - bestehende Arbeitsunfähigkeit des Versicherten unstreitig festge-stellt, so bleibt für eine Ermessensentscheidung kein Raum mehr. Dieses ist auf Null reduziert, weil bei deren Feststellung keinerlei praktische Schwierigkeiten bestehen (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 27. August 2015 – L 5 KR 292/14 –, juris). Da die Beklagte dies nicht gesehen und sich dennoch ei-nes Ermessens berühmt hat, wären die Ruhensbescheide der Beklagten zudem auch aus diesem Gesichtspunkt aufzuheben.

Selbst nach der grundsätzlichen Rechtsauffassung der Beklagten, die sich auch in den Fällen einer unstreitigen durchgängig bescheinigten Arbeitsunfähigkeit und ei-nem Urlaub in der EU eine medizinische Prüfungsmöglichkeit und eine Ermes-senentscheidung zugesteht, lag jedoch eine fehlerhafte Ermessensausübung vor. Nach dem Zweck der Ermächtigung sind insbesondere von Bedeutung, welche Zwecke mit dem Auslandsaufenthalt verfolgt werden, ob eine Rückkehr ins Inland möglich und zumutbar ist (Interessen der Versicherten), mit welchen Mitteln und wel-chem Grad von Sicherheit die AU festgestellt werden kann und mit welchen Aus-sichten die AU im Inland besser bzw schneller beseitigt werden könnte. Die Ermes-sensentscheidung der Beklagten ist nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar. Das Gericht darf bei der Ermessensüberprüfung nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle des Verwaltungsermessens setzen. Bei der Überprüfung der eigentlichen Er-messensentscheidung findet nur eine Rechtskontrolle, keine Zweckmäßigkeitsüber-prüfung statt. Das Gericht überprüft lediglich, ob Ermessensfehler vorliegt und ob der Kläger durch den Ermessensfehler beschwert ist. Für die Rechtskontrolle durch das Gericht ist die Begründung des Bescheides und des Widerspruchsbescheides wesentlich. Dass von dem Ermessen fehlerfrei Gebrauch gemacht worden ist, muss sich aus ihr ergeben; sie muss die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Verwaltung ausgegangen ist. Die Berücksichtigung und Angabe der Besonderheiten des Einzelfalls kennzeichnet eine ordnungsgemäße Ermessensausübung. Zu den Ermessenfehlern zählen Ermessensnichtgebrauch, Ermessensunterschreitung, Er-messensüberschreitung und Ermessensfehlgebrauch. Ein Ermessensfehlgebrauch liegt vor, wenn die Behörde ein unsachliches Motiv oder einen sachfremden Zweck verfolgt, ferner wenn sie nicht alle maßgebenden Ermessensgesichtspunkte in die Entscheidung einbezogen oder wenn sie die abzuwägenden Gesichtspunkte fehler-haft gewichtet oder einen unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt zugrunde gelegt hat (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Juli 2015 – L 11 KR 1257/15 –, Rn. 35, juris mit Hinweis u. a. auf BSG 9.11.10, B 2 U 10/10 R).

Vorliegend vertritt die Beklagte gestützt auf die Einschätzung des Dr. P. vom MDK die Auffassung, dass eine Auslandsreise insbesondere wegen der psychischen Er-krankung des Klägers ein vermeidbares und zu vermeidendes Risiko dargestellt ha-be. In den maßgeblichen Gründen des Widerspruchsbescheides vom 03.07.2017 wird auf das Risiko einer Unterbrechung der Therapie abgestellt, was bereits des-wegen ermessensfehlerhaft ist, weil vom 05.06. bis zum 15.06.2017 wegen zeitglei-chen Urlaubs der Therapeutin eine Behandlung nicht beabsichtigt und im Übrigen auch kein turnusmäßiger Besuch bei Dr. H. geplant war.

Sofern weiter auf die Gefahren einer Auslandsreise (nötige Umstellungen der Ge-wohnheiten, Vielzahl neuer Reize und Eindrücke) abgestellt wird, fehlt jegliche Ab-wägung mit den möglichen Vorteilen eines kurzen Erholungsurlaubs des Klägers mit seiner Familie (zu diesem wesentlichen Aspekt der Ermessensausübung bei der Beurteilung von Auslandsaufenthalten ausführlich SG Leipzig, Urteil vom 17. März 2015 – S 8 KR 334/13 –, Rn. 27 f., juris). Insbesondere aufgrund der Bescheinigung des Dr. H. hatte die Beklagte auch konkrete Veranlassung, hierzu konkrete Erwä-gungen anzustellen. Warum hier nach Aktenlage allgemeine Erwägungen über die-jenigen des behandelnden Arztes gestellt wurden, lässt sich aus den wenigen ein-schlägigen Sätzen in dem angegriffenen Widerspruchsbescheid - der Ausgangsbe-scheid vom 26.05.2017 enthält keinerlei Ermessenserwägungen - nicht schlüssig entnehmen.

Auch der Umstand, dass der Pfingsturlaub des Klägers bereits gebucht war, bevor die Arbeitsunfähigkeit eingetreten ist, wurde von der Beklagten nicht berücksichtigt.

Grob ermessensfehlerhaft ist zudem zur Überzeugung der Kammer, dass die Be-klagte es bei dem damals psychisch erkrankten Kläger als vorzugswürdig ansieht, dass dieser die Pfingstferienzeit zuhause alleine und ohne seine Familie verbringen sollte. Sofern die Beklagte auf das mögliche Risiko einer Auslandsreise hinweist, hätte nach Auffassung der Kammer das Risiko des Daheimbleibens ohne die in die Pfingstferien fahrende Familie - also die Trennung von der Familie in einem Zustand der psychischen Erkrankung - zumindest als Abwägungselement bei der Ermes-sensentscheidung der Beklagten Berücksichtigung finden müssen. Dass dies bis zuletzt nicht geschehen ist, begründet einen wesentlichen Ermessensfehler, der nach § 54 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 SGG zur Aufhebung der Ruhensbescheide führt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Darüber hinaus hat die Kammer der Beklagten nach § 192 SGG Verschuldenskos-ten in Höhe von 500,- EUR auferlegt. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht im Urteil oder, wenn das Verfahren anders beendet wird, durch Beschluss einem Beteiligten ganz oder teilweise die Kosten auferlegen, die dadurch verursacht werden, dass der Beteiligte den Rechtsstreit fortführt, obwohl ihm vom Vorsitzenden die Missbräuch-lichkeit der Rechtsverfolgung oder -Verteidigung dargelegt worden und er auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei Fortführung des Rechtsstreits hingewiesen worden ist. Dem Beteiligten steht gleich sein Vertreter oder Bevollmächtigter. Als verursachter Kostenbetrag gilt dabei mindestens der Betrag nach § 184 Abs. 2 SGG für die jeweilige Instanz (§ 192 Abs. 1 Satz 2 und 3 SGG).

Das unzureichend ausgeübte Ermessen, das nach Ansicht der Kammer auch ohne besondere Rechtskenntnisse offenkundig ist, wurde in der mündlichen Verhandlung vom 20.02.2018 mit den Beteiligten umfassend erörtert. Hierbei vertrat auch der Be-klagtenvertreter im Termin die Auffassung, dass wesentliche Ermessensfehler vor-liegen. Die Kammer sieht daher ein rechtsmissbräuchliches Festhalten der Beklag-ten an ihrem Antrag auf Klageabweisung nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGG. Das Wissen des rechtskundigen Bevollmächtigten ist der Beklagten nach § 192 Abs. 1 Satz 2 SGG zuzurechnen.

Der Beklagtenvertreter ist auch auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei Fort-führung des Rechtsstreits hingewiesen worden, und hat dennoch den Antrag auf Klageabweisung gestellt. Gleichwohl hat der Beklagtenvertreter ohne neue Argu-mente seine Rechtsverteidigung weiter aufrecht erhalten und auf einem Urteil be-harrt.

Die Kammer hat in Ausübung des ihr zustehenden Ermessens unter Würdigung aller Umstände Verschuldenskosten in Höhe von 500,- EUR gegen die Beklagte festgesetzt. Dabei hat sie sich zunächst an § 192 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 184 Abs. 2 SGG orien-tiert, wonach als verursachter Kostenbeitrag in Verfahren vor den Sozialgerichten mindestens ein Betrag von 150,- EUR gilt. Liegen die Kosten tatsächlich aber wesent-lich höher als dieser Mindestbetrag, kann das Gericht die Kosten schätzen (vgl. Leit-herer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 12. Aufl. 2017, § 192 Rn. 14 m.w.N.). So war es hier. Ausgehend von dem Arbeitsaufwand der Kammer, der nach dem Hinweis auf die Rechtsmissbräuchlichkeit des Klageabweisungsbegehrens erfolgte, und ausgehend von ca. 300,- EUR Kosten je Richterarbeitsstunde, bewegen sich die festgesetzten 500,- EUR am unteren Rande dessen, was angesichts des Pro-zessverhaltens der Beklagten angemessen ist (vgl. SG Heilbronn, Urteil vom 23. Ju-ni 2016 – S 15 AS 133/16 –, Rn. 30, juris).
Rechtskraft
Aus
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