Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Chemnitz (FSS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 10 AS 1124/15
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AS 1175/18
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Im Unterschied zu dem "normalen" Krankengeld des § 44 SGB V beträgt das besondere Krankengeld nach § 44a SGB V (Krankengeld bei Spende von Organen oder Geweben) 100 % des ausgefallenen Arbeitsentgelts.
Die altruistische Haltung der Spender soll berücksichtigt und die Spender sollen nicht schlechter gestellt sein als ohne die Spende.
2. Das besondere Krankengeld gemäß § 44a SGB V ist daher einer Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gleichzustellen mit der Folge, daß dieses Krankengeld um den Freibetrag des § 11b Abs. 3 SGB II zu bereinigen ist.
Die altruistische Haltung der Spender soll berücksichtigt und die Spender sollen nicht schlechter gestellt sein als ohne die Spende.
2. Das besondere Krankengeld gemäß § 44a SGB V ist daher einer Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gleichzustellen mit der Folge, daß dieses Krankengeld um den Freibetrag des § 11b Abs. 3 SGB II zu bereinigen ist.
I. Der Beklagte wird unter Abänderung der Bescheide vom 15.01.2015, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.02.2015, verurteilt, das Krankengeld der Klägerin um den Freibetrag des § 11 b Abs. 3 SGB II zu bereinigen. II. Der Widerspruchsbescheid vom 06.07.2015 wird aufgehoben. III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. IV. Der Beklagte hat der Klägerin 2/3 der ihr notwendig entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Das Urteil betrifft die Verfahren S 10 AS 1124/15 und S 10 AS 2955/15, die mit Beschluss vom 17.01.2018 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und unter dem Aktenzeichen S 10 AS 1124/15 fortgeführt wurden.
Verfahren S 10 AS 1124/15:
Hier streiten die Beteiligten darum, ob das besondere Krankengeld aus § 44 a SGB V einem Erwerbseinkommen gleichzustellen und entsprechend zu bereinigen ist.
Die Klägerin hat nach einer Organspende Krankengeld gemäß § 44 a SGB V erhalten.
Mit streitigem Änderungsbescheid vom 15.01.2015 bewilligte der Beklagte Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.02.2014 bis 31.07.2014 unter Einrechnung dieses Einkommens und forderte mit Erstattungsbescheid vom 15.01.2015 aufgrund dieser neuen Einrechnung von der Klägerin für den Zeitraum 01.02.2014 bis 31.07.2014 einen Betrag von insgesamt 726,07 EUR zurück.
Der Widerspruchsbescheid vom 24.02.2015 weist den Widerspruch vom 20.01.2015 gegen jene beiden Bescheide als unbegründet zurück. Die Leistung für den Zeitraum Februar 2014 bis Juli 2014 sei zunächst vorläufig bewilligt worden. Mit der abschließenden Entscheidung sei ein geringerer Leistungsanspruch festgestellt worden. 726,07 EUR seien von der Klägerin zu erstatten.
In der Klageschrift vom 23.03.2015 verweist die Prozessbevollmächtigte der Klägerin darauf, das Krankengeld gemäß § 44 a SGB V sei einer Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gleichzustellen.
Demgegenüber verweist der Beklagte im Schriftsatz vom 27.04.2015 darauf, dass der Erwerbstätigenfreibetrag auf das Einkommen aus Erwerbstätigkeit beschränkt sei. Deshalb sei das Einkommen aus Krankengeld nicht um den zusätzlichen Erwerbstätigenfreibetrag nach § 11 b Abs. 3 SGB II (§ 30 SGB II alte Fassung) zu bereinigen.
Mit Schriftsatz vom 18.05.2015 verweist die Bevollmächtigte der Klägerin darauf, dass das besondere Krankengeld gemäß § 44 a SGB V in Höhe von 100 % des letzten Nettolohnes weitergezahlt wird.
Mit Schriftsatz vom 08.06.2015 verweist der Beklagte darauf, dass die streitige Forderung mit Bescheid vom 18.05.2015 erlassen wurde.
Verfahren S 10 AS 2955/15:
In diesem Verfahren ist streitig der Erlassbescheid vom 18.05.2015, mit dem die Forderung von 726,07 EUR aus dem Bescheid vom 15.01.2015 erlassen wurde. Die Einziehung jener Forderung wäre unbillig.
Im Widerspruch vom 27.05.2015 verweist die Bevollmächtigte der Klägerin darauf, dass der Betrag von 726,07 EUR Ergebnis einer Verrechnung sei. Die geltend gemachte Rückforderung sei höher als diejenige in dem Erlassbescheid, so dass die Klägerin weiterhin beschwert sei.
Der Beklagte hat mit Widerspruchsbescheid vom 06.07.2015 den Widerspruch als unzulässig verworfen. Für die Zeit vom 01.02.2014 bis 30.06.2014 sei ein um 949,37 EUR geringerer Leistungsanspruch festgestellt worden, für Monat Juli 2014 bestehe hingegen ein Anspruch auf Nachzahlung in Höhe von 223,30 EUR. Der daraus resultierende Betrag von 726,07 EUR sei mit Erstattungsbescheid vom 15.01.2015 festgesetzt und mit Bescheid vom 18.05.2015 erlassen worden. Der Bescheid vom 18.05.2015 wirke daher rein begünstigend. Eine Beschwer der Klägerin liege darin nicht.
Demgegenüber verweist die Bevollmächtigte der Klägerin in der Klageschrift vom 30.07.2015 darauf, dass auch der Teilbetrag von 223,30 EUR, der mit der Nachforderung verrechnet wurde, ebenfalls hätte erlassen werden müssen.
Mit Schriftsatz vom 07.10.2015 verwies der Beklagte darauf, dass die Klägerin im Juli 2014 nach dem Ende der Arbeitsunfähigkeit wieder Erwerbseinkommen erzielt habe. Dieses Einkommen sei niedriger gewesen als das bei der vorläufigen Bewilligung berücksichtigte Einkommen. Daraus habe sich der im Verhältnis zur vorläufigen Bewilligung höhere Leistungsanspruch der Klägerin für den Monat Juli 2014 ergeben. In der mündlichen Verhandlung zu beiden Verfahren am 26.10.2017 verwies der Vorsitzende zunächst darauf, dass das besondere Krankengeld gemäß § 44 a SGB V 100 % des ausgefallenen Arbeitsentgelts ersetzt. Daher sei dieses Krankengeld eher vergleichbar einer Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.
Überdies sei im Erlassbescheid vom 18.05.2015 kein Ermessen ausgeübt worden.
Der Vorsitzende führt weiter aus, dass sich seines Erachtens der Erlasswille des Beklagten auf die vollständige Erstattungsforderung in Höhe von 949,37 EUR bezog. Der Vorsitzende schlug daher vor, die beiden Verfahren vergleichsweise so zu beenden, dass der Beklagte an die Klägerin einen Betrag von 223,30 EUR auszahlt.
Zur Prüfung dieses Vergleichsvorschlages wurde die mündliche Verhandlung vertagt.
Mit Schriftsatz vom 30.11.2017 verwies der Beklagte darauf, dass der vorliegende Bezug von Krankengeld einem Erwerbseinkommen nicht gleichzustellen sei.
Das Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung in beiden Verfahren haben der Beklagte mit den beiden Schreiben vom 11.12.2017 und die Bevollmächtigte der Klägerin mit den beiden Schreiben vom 14.12.2017 erklärt.
Zum Verfahren S 10 AS 1124/15 beantragt die Bevollmächtigte der Klägerin (Klageschrift vom 23.03.2015):
1. Das beklagte Jobcenter wird verurteilt, der Klägerin unter Aufhebung seines Erstattungsbescheides vom 15.01.2015 und Abänderung des Änderungsbescheides vom 15.01.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.02.2015 (Aktenzeichen ) im Zeitraum 01.02.2014 bis 31.07.2014 Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe, insbesondere unter Einkommensbereinigung nach § 30 SGB II vom Krankengeld bei Spende von Organen gemäß § 44 a SGB V, zu bewilligen.
2. Das beklagte Jobcenter trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Der Beklagte beantragt
Klageabweisung (Schriftsatz vom 27.04.2015).
Zum Verfahren S 10 AS 2955/15 beantragt die Bevollmächtigte der Klägerin (Klageschrift vom 30.07.2015):
1. Das beklagte Jobcenter wird verurteilt, unter Abänderung des Bescheides vom 18.05.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.07.2015 (Aktenzeichen ) wegen Unbilligkeit auch den durch Verrechnung mit einer Nachzahlung (und damit erstatteten) Betrag in Höhe von 223,30 EUR zu erlassen und diesen Betrag wieder auszuzahlen.
2. Das beklagte Jobcenter trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Der Beklagte beantragt
Klageabweisung (Schriftsatz vom 25.08.2015).
Das Gericht hat die Akten der Beklagten beigezogen. Auf diese, die Prozessakten sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung wird zur Ergänzung des Tatbestandes verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klagen sind form- und fristgerecht erhoben und insgesamt zulässig.
Die Klage zum Erlassbescheid (S 10 AS 2955/15) ist insoweit begründet, als der streitige Widerspruchsbescheid vom 06.07.2015 aufzuheben war.
Gemäß § 44 SGB II dürfen die Träger von Leistungen nach dem SGB II Ansprüche erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre.
Gemäß Conradis im Kommentar von Münder zum SGB II, 6. Auflage 2017, Rdnr. 7 zu § 44 SGB II, handelt es sich hierbei um eine Ermessensentscheidung. Die Entscheidung muss daher die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist.
Weder im Erlassbescheid vom 18.05.2015 noch im Widerspruchsbescheid vom 06.07.2015 ist eine Ermessensausübung ersichtlich.
Dementsprechend war der Widerspruchsbescheid vom 06.07.2015 aufzuheben und war dem Beklagten die Möglichkeit zu eröffnen, in einem neuen Vorverfahren seine Ermessensgesichtspunkte festzuhalten. Von einer Ermessensreduzierung auf Null geht das Gericht zurzeit noch nicht aus. Dementsprechend war eine Abänderung der Erlassentscheidungen des Beklagten auf den Erlass von weiteren 223,30 EUR wie beantragt nicht vorzunehmen und die Klage insoweit abzuweisen.
Zum Verfahrens S 10 AS 1124/15 hält das Gericht die Klage für begründet. Das besondere Krankengeld nach § 44 a SGB V ist nach Ansicht des Gerichts einem Erwerbseinkommen gleichzustellen.
Gemäß § 44 a Satz 1 SGB V haben Spender von Organen oder Geweben Anspruch auf Krankengeld, wenn eine im Rahmen des Transplantationsgesetzes erfolgende Spende von Organen oder Geweben an Versicherte sie arbeitsunfähig macht.
Gemäß § 44 a Satz 2 SGB V wird dieses Krankengeld den Spendern von der Krankenkasse des Empfängers in Höhe des vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit regelmäßig erzielten Nettoarbeitsentgelts oder -arbeitseinkommens bis zur Höhe des Betrages der kalendertäglichen Beitragsbemessungsgrenze geleistet.
Gemäß Brandts im Kasseler Kommentar zum SGB V, Rdnr. 2 zu § 44 a SGB V soll durch das Krankengeld gemäß § 44 a SGB V der Einsatz des Spenders von Organen und Geweben für die Solidargemeinschaft und damit seine altruistische Haltung berücksichtigt werden (BT-Drucksache 17/9773, S. 53).
Brandts (a. a. O., Rdnr. 22) verweist auch darauf, dass die Empfänger von Krankengeld gemäß § 44 a SGB V gegenüber denjenigen von Krankengeld nach § 44 SGB V deutlich privilegiert sind, da das allgemeine Krankengeld höchstens 70 % des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts oder -einkommens beträgt. Durch diese Regelung soll der Ausnahmesituation und dem Einsatz für die Solidargemeinschaft im Gemeinwohlinteresse besonders Rechnung getragen werden (BT-Drucksache 17/9773, S. 53).
Nach Ansicht des Gerichts hat die "100 %-Privilegierung" des § 44 a Satz 2 SGB V das Ziel, Organspender wegen ihrer Organspende nicht schlechter zu stellen als ohne Organspende. Die Organspender sollen wegen der Organspende keine Nachteile erfahren.
Im vorliegenden Fall ist die Klägerin daher zur Vermeidung finanzieller Nachteile wegen ihrer Organspende so zu stellen, als wäre die Organspende nicht erfolgt. Ohne die Organspende hätte die Klägerin ihr Erwerbseinkommen weiterhin erzielt und wäre von diesem Einkommen auch der Erwerbstätigenfreibetrag aus § 11 b Abs. 3 SGB II abgezogen worden.
Nach dem Sinn und Zweck des § 44 a Satz 2 SGB V ist daher nach Ansicht des Gerichts von dem Krankengeld, das die Klägerin wegen ihrer Organspende bezogen hat, der Erwerbstätigenfreibetrag abzuziehen. Das Einkommen aus dem Krankengeld nach § 44 a SGB V der Klägerin ist entsprechend zu bereinigen.
Der Klage war daher wie unter I. tenoriert stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Das Urteil betrifft die Verfahren S 10 AS 1124/15 und S 10 AS 2955/15, die mit Beschluss vom 17.01.2018 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und unter dem Aktenzeichen S 10 AS 1124/15 fortgeführt wurden.
Verfahren S 10 AS 1124/15:
Hier streiten die Beteiligten darum, ob das besondere Krankengeld aus § 44 a SGB V einem Erwerbseinkommen gleichzustellen und entsprechend zu bereinigen ist.
Die Klägerin hat nach einer Organspende Krankengeld gemäß § 44 a SGB V erhalten.
Mit streitigem Änderungsbescheid vom 15.01.2015 bewilligte der Beklagte Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.02.2014 bis 31.07.2014 unter Einrechnung dieses Einkommens und forderte mit Erstattungsbescheid vom 15.01.2015 aufgrund dieser neuen Einrechnung von der Klägerin für den Zeitraum 01.02.2014 bis 31.07.2014 einen Betrag von insgesamt 726,07 EUR zurück.
Der Widerspruchsbescheid vom 24.02.2015 weist den Widerspruch vom 20.01.2015 gegen jene beiden Bescheide als unbegründet zurück. Die Leistung für den Zeitraum Februar 2014 bis Juli 2014 sei zunächst vorläufig bewilligt worden. Mit der abschließenden Entscheidung sei ein geringerer Leistungsanspruch festgestellt worden. 726,07 EUR seien von der Klägerin zu erstatten.
In der Klageschrift vom 23.03.2015 verweist die Prozessbevollmächtigte der Klägerin darauf, das Krankengeld gemäß § 44 a SGB V sei einer Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gleichzustellen.
Demgegenüber verweist der Beklagte im Schriftsatz vom 27.04.2015 darauf, dass der Erwerbstätigenfreibetrag auf das Einkommen aus Erwerbstätigkeit beschränkt sei. Deshalb sei das Einkommen aus Krankengeld nicht um den zusätzlichen Erwerbstätigenfreibetrag nach § 11 b Abs. 3 SGB II (§ 30 SGB II alte Fassung) zu bereinigen.
Mit Schriftsatz vom 18.05.2015 verweist die Bevollmächtigte der Klägerin darauf, dass das besondere Krankengeld gemäß § 44 a SGB V in Höhe von 100 % des letzten Nettolohnes weitergezahlt wird.
Mit Schriftsatz vom 08.06.2015 verweist der Beklagte darauf, dass die streitige Forderung mit Bescheid vom 18.05.2015 erlassen wurde.
Verfahren S 10 AS 2955/15:
In diesem Verfahren ist streitig der Erlassbescheid vom 18.05.2015, mit dem die Forderung von 726,07 EUR aus dem Bescheid vom 15.01.2015 erlassen wurde. Die Einziehung jener Forderung wäre unbillig.
Im Widerspruch vom 27.05.2015 verweist die Bevollmächtigte der Klägerin darauf, dass der Betrag von 726,07 EUR Ergebnis einer Verrechnung sei. Die geltend gemachte Rückforderung sei höher als diejenige in dem Erlassbescheid, so dass die Klägerin weiterhin beschwert sei.
Der Beklagte hat mit Widerspruchsbescheid vom 06.07.2015 den Widerspruch als unzulässig verworfen. Für die Zeit vom 01.02.2014 bis 30.06.2014 sei ein um 949,37 EUR geringerer Leistungsanspruch festgestellt worden, für Monat Juli 2014 bestehe hingegen ein Anspruch auf Nachzahlung in Höhe von 223,30 EUR. Der daraus resultierende Betrag von 726,07 EUR sei mit Erstattungsbescheid vom 15.01.2015 festgesetzt und mit Bescheid vom 18.05.2015 erlassen worden. Der Bescheid vom 18.05.2015 wirke daher rein begünstigend. Eine Beschwer der Klägerin liege darin nicht.
Demgegenüber verweist die Bevollmächtigte der Klägerin in der Klageschrift vom 30.07.2015 darauf, dass auch der Teilbetrag von 223,30 EUR, der mit der Nachforderung verrechnet wurde, ebenfalls hätte erlassen werden müssen.
Mit Schriftsatz vom 07.10.2015 verwies der Beklagte darauf, dass die Klägerin im Juli 2014 nach dem Ende der Arbeitsunfähigkeit wieder Erwerbseinkommen erzielt habe. Dieses Einkommen sei niedriger gewesen als das bei der vorläufigen Bewilligung berücksichtigte Einkommen. Daraus habe sich der im Verhältnis zur vorläufigen Bewilligung höhere Leistungsanspruch der Klägerin für den Monat Juli 2014 ergeben. In der mündlichen Verhandlung zu beiden Verfahren am 26.10.2017 verwies der Vorsitzende zunächst darauf, dass das besondere Krankengeld gemäß § 44 a SGB V 100 % des ausgefallenen Arbeitsentgelts ersetzt. Daher sei dieses Krankengeld eher vergleichbar einer Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.
Überdies sei im Erlassbescheid vom 18.05.2015 kein Ermessen ausgeübt worden.
Der Vorsitzende führt weiter aus, dass sich seines Erachtens der Erlasswille des Beklagten auf die vollständige Erstattungsforderung in Höhe von 949,37 EUR bezog. Der Vorsitzende schlug daher vor, die beiden Verfahren vergleichsweise so zu beenden, dass der Beklagte an die Klägerin einen Betrag von 223,30 EUR auszahlt.
Zur Prüfung dieses Vergleichsvorschlages wurde die mündliche Verhandlung vertagt.
Mit Schriftsatz vom 30.11.2017 verwies der Beklagte darauf, dass der vorliegende Bezug von Krankengeld einem Erwerbseinkommen nicht gleichzustellen sei.
Das Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung in beiden Verfahren haben der Beklagte mit den beiden Schreiben vom 11.12.2017 und die Bevollmächtigte der Klägerin mit den beiden Schreiben vom 14.12.2017 erklärt.
Zum Verfahren S 10 AS 1124/15 beantragt die Bevollmächtigte der Klägerin (Klageschrift vom 23.03.2015):
1. Das beklagte Jobcenter wird verurteilt, der Klägerin unter Aufhebung seines Erstattungsbescheides vom 15.01.2015 und Abänderung des Änderungsbescheides vom 15.01.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.02.2015 (Aktenzeichen ) im Zeitraum 01.02.2014 bis 31.07.2014 Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe, insbesondere unter Einkommensbereinigung nach § 30 SGB II vom Krankengeld bei Spende von Organen gemäß § 44 a SGB V, zu bewilligen.
2. Das beklagte Jobcenter trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Der Beklagte beantragt
Klageabweisung (Schriftsatz vom 27.04.2015).
Zum Verfahren S 10 AS 2955/15 beantragt die Bevollmächtigte der Klägerin (Klageschrift vom 30.07.2015):
1. Das beklagte Jobcenter wird verurteilt, unter Abänderung des Bescheides vom 18.05.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.07.2015 (Aktenzeichen ) wegen Unbilligkeit auch den durch Verrechnung mit einer Nachzahlung (und damit erstatteten) Betrag in Höhe von 223,30 EUR zu erlassen und diesen Betrag wieder auszuzahlen.
2. Das beklagte Jobcenter trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Der Beklagte beantragt
Klageabweisung (Schriftsatz vom 25.08.2015).
Das Gericht hat die Akten der Beklagten beigezogen. Auf diese, die Prozessakten sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung wird zur Ergänzung des Tatbestandes verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klagen sind form- und fristgerecht erhoben und insgesamt zulässig.
Die Klage zum Erlassbescheid (S 10 AS 2955/15) ist insoweit begründet, als der streitige Widerspruchsbescheid vom 06.07.2015 aufzuheben war.
Gemäß § 44 SGB II dürfen die Träger von Leistungen nach dem SGB II Ansprüche erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre.
Gemäß Conradis im Kommentar von Münder zum SGB II, 6. Auflage 2017, Rdnr. 7 zu § 44 SGB II, handelt es sich hierbei um eine Ermessensentscheidung. Die Entscheidung muss daher die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist.
Weder im Erlassbescheid vom 18.05.2015 noch im Widerspruchsbescheid vom 06.07.2015 ist eine Ermessensausübung ersichtlich.
Dementsprechend war der Widerspruchsbescheid vom 06.07.2015 aufzuheben und war dem Beklagten die Möglichkeit zu eröffnen, in einem neuen Vorverfahren seine Ermessensgesichtspunkte festzuhalten. Von einer Ermessensreduzierung auf Null geht das Gericht zurzeit noch nicht aus. Dementsprechend war eine Abänderung der Erlassentscheidungen des Beklagten auf den Erlass von weiteren 223,30 EUR wie beantragt nicht vorzunehmen und die Klage insoweit abzuweisen.
Zum Verfahrens S 10 AS 1124/15 hält das Gericht die Klage für begründet. Das besondere Krankengeld nach § 44 a SGB V ist nach Ansicht des Gerichts einem Erwerbseinkommen gleichzustellen.
Gemäß § 44 a Satz 1 SGB V haben Spender von Organen oder Geweben Anspruch auf Krankengeld, wenn eine im Rahmen des Transplantationsgesetzes erfolgende Spende von Organen oder Geweben an Versicherte sie arbeitsunfähig macht.
Gemäß § 44 a Satz 2 SGB V wird dieses Krankengeld den Spendern von der Krankenkasse des Empfängers in Höhe des vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit regelmäßig erzielten Nettoarbeitsentgelts oder -arbeitseinkommens bis zur Höhe des Betrages der kalendertäglichen Beitragsbemessungsgrenze geleistet.
Gemäß Brandts im Kasseler Kommentar zum SGB V, Rdnr. 2 zu § 44 a SGB V soll durch das Krankengeld gemäß § 44 a SGB V der Einsatz des Spenders von Organen und Geweben für die Solidargemeinschaft und damit seine altruistische Haltung berücksichtigt werden (BT-Drucksache 17/9773, S. 53).
Brandts (a. a. O., Rdnr. 22) verweist auch darauf, dass die Empfänger von Krankengeld gemäß § 44 a SGB V gegenüber denjenigen von Krankengeld nach § 44 SGB V deutlich privilegiert sind, da das allgemeine Krankengeld höchstens 70 % des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts oder -einkommens beträgt. Durch diese Regelung soll der Ausnahmesituation und dem Einsatz für die Solidargemeinschaft im Gemeinwohlinteresse besonders Rechnung getragen werden (BT-Drucksache 17/9773, S. 53).
Nach Ansicht des Gerichts hat die "100 %-Privilegierung" des § 44 a Satz 2 SGB V das Ziel, Organspender wegen ihrer Organspende nicht schlechter zu stellen als ohne Organspende. Die Organspender sollen wegen der Organspende keine Nachteile erfahren.
Im vorliegenden Fall ist die Klägerin daher zur Vermeidung finanzieller Nachteile wegen ihrer Organspende so zu stellen, als wäre die Organspende nicht erfolgt. Ohne die Organspende hätte die Klägerin ihr Erwerbseinkommen weiterhin erzielt und wäre von diesem Einkommen auch der Erwerbstätigenfreibetrag aus § 11 b Abs. 3 SGB II abgezogen worden.
Nach dem Sinn und Zweck des § 44 a Satz 2 SGB V ist daher nach Ansicht des Gerichts von dem Krankengeld, das die Klägerin wegen ihrer Organspende bezogen hat, der Erwerbstätigenfreibetrag abzuziehen. Das Einkommen aus dem Krankengeld nach § 44 a SGB V der Klägerin ist entsprechend zu bereinigen.
Der Klage war daher wie unter I. tenoriert stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Login
FSS
Saved