Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
9
1. Instanz
SG Lübeck (SHS)
Aktenzeichen
S 37 SO 161/15
Datum
-
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 9 SO 39/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Wenn die Voraussetzungen für das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft erfüllt sind, ist auch das Einkommen des Lebensgefährten für die Berechnung des Anspruchs der Klägerin auf Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung und im Alter nach dem Vierten Kapitel des SGB XII mit zu berücksichtigen.
2. Die Annahme einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft kann vom ersten Tag des Zusammenlebens an gerechtfertigt sein.
3. Die Vermutungsregelung des § 7 Abs. 3a SGB II ist im Sozialhilferecht nicht anzuwenden.
2. Die Annahme einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft kann vom ersten Tag des Zusammenlebens an gerechtfertigt sein.
3. Die Vermutungsregelung des § 7 Abs. 3a SGB II ist im Sozialhilferecht nicht anzuwenden.
Der Antrag der Klägerin und Berufungsklägerin, ihr für das Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin , zu bewilligen, wird abgelehnt.
Gründe:
Die Klägerin begehrt die Gewährung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Berufungsverfahrens L 9 SO 39/17, mit dem sie sich gegen den klagabweisenden Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lübeck vom 23. Juni 2017 wendet. Sie begehrt die Aufhebung des angefochtenen Gerichtsbescheids und die Verurteilung des Beklagten, ihr Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuches, Zwölftes Buch (SGB XII), ohne Reduzierung und Berücksichtigung des Einkommens von Herrn H S zu gewähren. Streitig sind zwischen den Beteiligten Bescheide – z.T. auch im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X) – über die Änderung von Leistungen der Grundsicherung und insbesondere das Bestehen einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft zwischen der Klägerin und ihrem Mitbewohner S. Die Klägerin macht insbesondere geltend, ihr sei gemäß § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB XII Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren; das erzielte Einkommen von Herrn S dürfe nicht berücksichtigt werden. Der Beklagte habe ermessensfehlerhaft die Vermutungsregelung für das Bestehen einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft im Sinne einer eheähnlichen Gemeinschaft nach § 20 SGB XII angenommen. Diese Anrechnung habe zumindest für das erste Jahr ab dem Zusam-menziehen im November 2014 bis Ende November 2015 zu unterbleiben; denn die Frist des notwendigen einjährigen Zusammenlebens sei ignoriert worden. Insoweit sei die Regelung des § 7 Abs. 3 a Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II), zumindest analog anzuwenden.
Nach § 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) ist den Beteiligten eines sozialgerichtlichen Verfahrens Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn - neben weiteren Voraussetzungen - die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
Hinreichende Erfolgsaussicht ist dann anzunehmen, wenn das Gericht aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage den Rechtsstandpunkt des Antragstellers für zumindest vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist. Dabei dürfen die Anforderungen an die tatsächlichen und rechtlichen Erfolgsaussichten nicht überspannt werden (vgl. Geimer in: Zöller, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 114 Rn. 19 m.w.N.). Es ist zu berücksichtigen, dass das Prozesskostenhilfeverfahren den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bieten, sondern lediglich zugänglich machen will. Dem genügt § 114 Satz 1 ZPO dadurch, dass er die Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht erst bei sicherer, sondern bereits bei hinreichender Erfolgsaussicht vorsieht. Deren Feststellung soll mithin nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses anstelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das bedeutet andererseits zugleich, dass Prozesskostenhilfe verweigert werden darf, wenn der Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (vgl. Bundesverfassungsgericht – BVerfG –, Beschluss vom 13. März 1990 – 2 BvR 94/88 –, BVerfGE 81, 347; BSG, Urteil vom 17. Februar 1998 – B 13 RJ 83/97 R –, SozR 3 1500 § 62 Nr. 19).
Danach hat die Klägerin hier keinen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, weil es an einer hinreichenden Erfolgsaussicht für das Berufungsverfahren fehlt.
Das Sozialgericht hat die Auffassung vertreten, die Klage, soweit sie sich mit dem Anfechtungsantrag gegen die Berücksichtigung des Herrn S bei der Leistungsberechnung richte, sei als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) mangels ordnungsgemäßer Durchführung des gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 SGG vor Erhebung einer Anfechtungsklage obligatorischen Vorverfahrens bereits unzulässig, ohne dass es auf das Bestehen einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft zwischen der Klägerin und Herrn S ankomme. Der angefochtene Bescheid enthalte diesbezüglich keine Regelung, so dass bereits der hierauf abzielende Widerspruch unzulässig gewesen sei. Der Umstand des Zusammenlebens der Klägerin mit Herrn S sei vielmehr bereits mit vorhergehenden Änderungsbescheiden vom 6. November 2014, 19. November 2014 und 10. Dezember 2014 berücksichtigt worden. Der Regelungsgehalt des angefochtenen Bescheids vom 10. März 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Juni 2015 sowie des Änderungsbescheides vom 14. Juli 2015 beschränke sich dagegen auf die Abänderung der der Klägerin bewilligten Leistungen aufgrund ihres eigenen Einkommens sowie der Berücksichtigung von Fahrtkosten. Soweit der weitere Vortrag der Klägerin dahingehend verstanden werden solle, dass sie mit ihrer Klage außerdem eine gerichtliche Entscheidung bezüglich des gleichzeitig mit ihrem Widerspruch gestellten Überprüfungsantrags erreichen wolle, so sei die Klage insoweit ebenfalls unzulässig. Über den Überprüfungsantrag habe der Beklagte bis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht entschieden, so dass das Gericht gehindert sei, darüber zu befinden. Im Übrigen sei die Klage mangels Beschwer jedenfalls unbegründet.
Die Sachlage hat sich im Laufe des anhängigen Berufungsverfahrens wie folgt geändert: Der Beklagte hat den Antrag der Klägerin auf Überprüfung der Bescheide ab Oktober 2014 durch Bescheid vom 9. August 2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. Oktober 2017 abgelehnt. Dabei hat er sich unter Darlegung der tatsächlichen Verhältnisse zwischen der Klägerin und Herrn S im Wesentlichen darauf gestützt, dass die Klägerin in ihrer Begründung des Widerspruchs – in jenem Überprüfungsverfahren – das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft nicht bestreite. Jedoch solle dieses nach Auffassung der Klägerin frühestens nach einem einjährigen Zusammenleben Berücksichtigung finden. § 7 Abs. 3 a SGB II regele, dass ein wechselseitiger Wille, Verantwortung für einander zu tragen, und für einander einzustehen, erst vermutet werden könne, wenn Partner länger als ein Jahr zusammen lebten. Jene Vermutungsregelung für das Bestehen einer Verantwortung- und Einstehensgemeinschaft enthalte der ab dem 1. August 2006 durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende in § 7 Abs. 2 eingefügten Abs. 3 a. Eine derartige Regelung sei in SGB XII hingegen nicht vorhanden.
Ungeachtet dessen, ob und in wieweit ggf. der rechtlichen Einordnung, wie sie das Sozialgericht vorgenommen hat, zu folgen sein dürfte, lägen auch dann, wenn man – mit der Klägerin – jenem rechtlichen Ansatz nicht folgen würde, sondern von einer zulässigen Klage ausginge, die erforderlichen Erfolgsaussichten für das Berufungsverfahren nicht vor.
Bei der hier gebotenen summarischen Überprüfung spricht alles dafür, dass der Beklagte das Einkommen des Herrn S zu Recht in die Berechnung der Sozialleistungen an die Klägerin mit einbezogen hat. Gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB XII sind Einkommen und Vermögen des nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Le-benspartners sowie des Partners einer eheähnlichen oder Lebenspartnerschaft ähnlichen Gemeinschaft, die dessen notwendigen Lebensunterhalt nach § 27 a SGB XII übersteigen, zu berücksichtigen. Im Rahmen der Gesamtwürdigung aller Einzelumstände ist davon auszugehen, dass hier eine eheähnliche Lebensgemeinschaft vorliegt. Eine solche ist dann zu bejahen, wenn sie auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner für einander begründen, also über die Beziehungen in einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen (vgl. zur eheähnlichen Gemeinschaft BVerfG, Urteil vom 17. November 1992 – 1 Bvl. 8/87 –, Rn. 95 ff., juris). Auf eine derartige Lebensgemeinschaft wird anhand von Indizien geschlossen, die beispielsweise bei einer gemeinsamen Wohnung und einer besonderen Intensität der gelebten Partnerschaft vorliegen (vgl. Kirchhoff in: Hauck/Noftz/SGB, 10/17 Rn. 19 zu § 43 SGB XII). Es ist anhand objektiver vorliegender Tatsachen zu ermitteln, ob der Schluss auf eine innere Bindung im Sinne einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft gerechtfertigt ist (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 1. Oktober 2015 – L 7 SO 118/14 –,Rn. 52, juris).
In dem hier zu entscheidenden Fall lassen – wie auch der Beklagte im Einzelnen in den angefochtenen Bescheiden und den zwischenzeitlich ergangenen Bescheiden im Überprüfungsverfahren vom 9. August 2017 und Widerspruchsbescheid vom 23. Oktober 2017, auf deren Inhalt gemäß § 136 Abs. 3 SGG verwiesen wird, ausgeführt hat – objektiv vorliegende Tatsachen den Schluss auf eine Verantworts- und Einstehensgemeinschaft von Anfang an zu. Die Voraussetzungen liegen insbesondere im Hinblick auf die Dauerhaftigkeit und innere Beziehung vor. Die Klägerin und Herr S bewohnen gemeinsam eine Ein-Zimmer-Wohnung ohne räumliche Trennung von Wohnbereichen. Sie haben dabei das gemeinsame Leben auf relativ engem Raum in Kauf genommen und seither nicht aufgegeben. Die Ein-Zimmer-Wohnung lässt eine räumliche Trennung auch gar nicht zu. Eine solche wurde auch nicht durch zumindest getrennte Betten angestrebt; dabei ist das Bestehen einer sexuellen Beziehung nicht Voraussetzung für das Bestehen einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft. Für eine enge Beziehung zwischen den Mitbewohnern spricht zudem die Tatsache, dass persönliche Gegenstände der Klägerin und des Herrn S in gemeinsamen Schränken aufbewahrt werden. Die beengten Wohnverhältnisse in der kleinen Wohnung des Herrn S nehmen beide Bewohner in Kauf, weil durch das dortige Zusammenleben gewährleistet ist, dass man sich gegenseitig eine Stütze im Hinblick auf die beiderseitigen Erkrankungen sein kann. Das Wohnen in jener Wohngemeinschaft ist für die Klägerin, die bis November 2014 allein in einer größeren Wohnung gelebt hatte, insbesondere insofern auch eine Hilfe, um der Vereinsamung durch bei ihr wiederkehrende psychotische Episoden entgegenzuwirken. Umgekehrt unterstützt sie den schwerbehinderten Herrn S auch in der Haushaltsführung. Aufgrund der vorgenannten Gesamtumstände ist im Rahmen der Würdigung eine eheähnliche Lebensgemeinschaft auch nicht unter dem Aspekt zu verneinen, dass getrennte Konten ohne gegenseitige Vollmacht geführt werden. Zwar kann im umgekehrten Fall die Befugnis, über Einkommen und Vermögen des jeweils anderen Partners verfügen zu dürfen, als Indiz für eine derartige Beziehung herangezogen werden (vgl. BVerfG, a. a. O., Rn. 96). Getrennte Konten schließen jedoch eine enge Lebensgemeinschaft nicht aus; denn sie sind auch in ehelichen Beiziehungen anzutreffen (vgl. Apidopoulus in Adolf, SGB II; SGB XII, AsylbLG, 56. UPD 4/2018, § 20 Rn. 31).
Auch wenn die Dauer des Zusammenlebens ein wichtiges Indiz für eine eheähnliche Gemeinschaft ist, kann eine solche auch "vom ersten Tage an" vorliegen (Apidopoulus, a. a. O., Rn. 27). Maßgeblich ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Umstände zu klären, ob diese den Schluss auf eben eine solche eheähnliche Gemeinschaft zulassen (zu dem nicht abschließenden Kriterienkatalog dafür s. Apidopoulus, a. a. O., Rn. 30). Aufbauend auf den in der o. g. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts niedergelegten Grundlagen hat der 4. Senat des Bundessozialgerichts den Begriff der Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft mit Urteil vom 23. Au-gust 2012 – B 4 AS 34/12 R – (s. dortige Rn. 20 ff., juris) näher ausdifferenziert. Die Grundsätze der zum SGB II ergangenen Entscheidung sind auf die Rechtslage nach dem SGB XII zu übertragen, allerdings nur soweit sie sich nicht auf die im Sozialhilferecht nicht anzuwendende Vermutungsregelung des § 7 Abs. 3 a SGB II beziehen (Voelzke in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 20 SGB XII, Rn. 20).
Wie der Beklagte bereits zutreffend ausgeführt hat, enthält der ab dem 1. August 2006 durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende in § 7 SGB II eingefügte Absatz 3 a eine Vermutungsregelung für das Bestehen einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft. Eine derartige Regelung kennt das SGB XII hingegen nicht (Voelzke, a. a O., Rn. 6 ). Die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des § 7 Abs. 3 a SGB XII sind nicht gegeben; denn es kann insoweit nicht von einer vom Gesetzgeber unbeabsichtigten Regelungslücke gesprochen werden, wenn dieser in Kenntnis der nunmehr seit gut 12 Jahren insoweit bestehenden Differenzierung zwischen dem SGB II und dem SGB XII bis heute keine entsprechende Änderung auch im SGB XII vorgenommen hat (ebenfalls kritisch gegenüber der Übertragung der Grundsätze des § 7 Abs. 3 a SGB II auf das SGB XII Coseriu in: KSW, § 20 SGB XII Rn. 6). Hinzu kommt, dass in § 7 Abs. 3 a SGB II lediglich eine "Vermutungs"regelung verankert worden ist, die im Einzelfall auch unter der Geltung des SGB II bei der Gesamtwürdigung wiederlegt werden kann, und es sich insoweit nicht um eine generelle einjährige Frist zur "Verschonung" von der Heranziehung der Einkünfte eines Partners bei der Leistungsberechnung des Leistungsempfängers handelt. Überzeugende Argumente für die Annahme einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft "von Anfang an" liegen hier – wie bereits oben ausgeführt – im Falle der Klägerin gerade vor.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Gründe:
Die Klägerin begehrt die Gewährung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Berufungsverfahrens L 9 SO 39/17, mit dem sie sich gegen den klagabweisenden Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lübeck vom 23. Juni 2017 wendet. Sie begehrt die Aufhebung des angefochtenen Gerichtsbescheids und die Verurteilung des Beklagten, ihr Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuches, Zwölftes Buch (SGB XII), ohne Reduzierung und Berücksichtigung des Einkommens von Herrn H S zu gewähren. Streitig sind zwischen den Beteiligten Bescheide – z.T. auch im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X) – über die Änderung von Leistungen der Grundsicherung und insbesondere das Bestehen einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft zwischen der Klägerin und ihrem Mitbewohner S. Die Klägerin macht insbesondere geltend, ihr sei gemäß § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB XII Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren; das erzielte Einkommen von Herrn S dürfe nicht berücksichtigt werden. Der Beklagte habe ermessensfehlerhaft die Vermutungsregelung für das Bestehen einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft im Sinne einer eheähnlichen Gemeinschaft nach § 20 SGB XII angenommen. Diese Anrechnung habe zumindest für das erste Jahr ab dem Zusam-menziehen im November 2014 bis Ende November 2015 zu unterbleiben; denn die Frist des notwendigen einjährigen Zusammenlebens sei ignoriert worden. Insoweit sei die Regelung des § 7 Abs. 3 a Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II), zumindest analog anzuwenden.
Nach § 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) ist den Beteiligten eines sozialgerichtlichen Verfahrens Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn - neben weiteren Voraussetzungen - die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
Hinreichende Erfolgsaussicht ist dann anzunehmen, wenn das Gericht aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage den Rechtsstandpunkt des Antragstellers für zumindest vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist. Dabei dürfen die Anforderungen an die tatsächlichen und rechtlichen Erfolgsaussichten nicht überspannt werden (vgl. Geimer in: Zöller, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 114 Rn. 19 m.w.N.). Es ist zu berücksichtigen, dass das Prozesskostenhilfeverfahren den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bieten, sondern lediglich zugänglich machen will. Dem genügt § 114 Satz 1 ZPO dadurch, dass er die Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht erst bei sicherer, sondern bereits bei hinreichender Erfolgsaussicht vorsieht. Deren Feststellung soll mithin nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses anstelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das bedeutet andererseits zugleich, dass Prozesskostenhilfe verweigert werden darf, wenn der Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (vgl. Bundesverfassungsgericht – BVerfG –, Beschluss vom 13. März 1990 – 2 BvR 94/88 –, BVerfGE 81, 347; BSG, Urteil vom 17. Februar 1998 – B 13 RJ 83/97 R –, SozR 3 1500 § 62 Nr. 19).
Danach hat die Klägerin hier keinen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, weil es an einer hinreichenden Erfolgsaussicht für das Berufungsverfahren fehlt.
Das Sozialgericht hat die Auffassung vertreten, die Klage, soweit sie sich mit dem Anfechtungsantrag gegen die Berücksichtigung des Herrn S bei der Leistungsberechnung richte, sei als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) mangels ordnungsgemäßer Durchführung des gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 SGG vor Erhebung einer Anfechtungsklage obligatorischen Vorverfahrens bereits unzulässig, ohne dass es auf das Bestehen einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft zwischen der Klägerin und Herrn S ankomme. Der angefochtene Bescheid enthalte diesbezüglich keine Regelung, so dass bereits der hierauf abzielende Widerspruch unzulässig gewesen sei. Der Umstand des Zusammenlebens der Klägerin mit Herrn S sei vielmehr bereits mit vorhergehenden Änderungsbescheiden vom 6. November 2014, 19. November 2014 und 10. Dezember 2014 berücksichtigt worden. Der Regelungsgehalt des angefochtenen Bescheids vom 10. März 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Juni 2015 sowie des Änderungsbescheides vom 14. Juli 2015 beschränke sich dagegen auf die Abänderung der der Klägerin bewilligten Leistungen aufgrund ihres eigenen Einkommens sowie der Berücksichtigung von Fahrtkosten. Soweit der weitere Vortrag der Klägerin dahingehend verstanden werden solle, dass sie mit ihrer Klage außerdem eine gerichtliche Entscheidung bezüglich des gleichzeitig mit ihrem Widerspruch gestellten Überprüfungsantrags erreichen wolle, so sei die Klage insoweit ebenfalls unzulässig. Über den Überprüfungsantrag habe der Beklagte bis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht entschieden, so dass das Gericht gehindert sei, darüber zu befinden. Im Übrigen sei die Klage mangels Beschwer jedenfalls unbegründet.
Die Sachlage hat sich im Laufe des anhängigen Berufungsverfahrens wie folgt geändert: Der Beklagte hat den Antrag der Klägerin auf Überprüfung der Bescheide ab Oktober 2014 durch Bescheid vom 9. August 2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. Oktober 2017 abgelehnt. Dabei hat er sich unter Darlegung der tatsächlichen Verhältnisse zwischen der Klägerin und Herrn S im Wesentlichen darauf gestützt, dass die Klägerin in ihrer Begründung des Widerspruchs – in jenem Überprüfungsverfahren – das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft nicht bestreite. Jedoch solle dieses nach Auffassung der Klägerin frühestens nach einem einjährigen Zusammenleben Berücksichtigung finden. § 7 Abs. 3 a SGB II regele, dass ein wechselseitiger Wille, Verantwortung für einander zu tragen, und für einander einzustehen, erst vermutet werden könne, wenn Partner länger als ein Jahr zusammen lebten. Jene Vermutungsregelung für das Bestehen einer Verantwortung- und Einstehensgemeinschaft enthalte der ab dem 1. August 2006 durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende in § 7 Abs. 2 eingefügten Abs. 3 a. Eine derartige Regelung sei in SGB XII hingegen nicht vorhanden.
Ungeachtet dessen, ob und in wieweit ggf. der rechtlichen Einordnung, wie sie das Sozialgericht vorgenommen hat, zu folgen sein dürfte, lägen auch dann, wenn man – mit der Klägerin – jenem rechtlichen Ansatz nicht folgen würde, sondern von einer zulässigen Klage ausginge, die erforderlichen Erfolgsaussichten für das Berufungsverfahren nicht vor.
Bei der hier gebotenen summarischen Überprüfung spricht alles dafür, dass der Beklagte das Einkommen des Herrn S zu Recht in die Berechnung der Sozialleistungen an die Klägerin mit einbezogen hat. Gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB XII sind Einkommen und Vermögen des nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Le-benspartners sowie des Partners einer eheähnlichen oder Lebenspartnerschaft ähnlichen Gemeinschaft, die dessen notwendigen Lebensunterhalt nach § 27 a SGB XII übersteigen, zu berücksichtigen. Im Rahmen der Gesamtwürdigung aller Einzelumstände ist davon auszugehen, dass hier eine eheähnliche Lebensgemeinschaft vorliegt. Eine solche ist dann zu bejahen, wenn sie auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner für einander begründen, also über die Beziehungen in einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen (vgl. zur eheähnlichen Gemeinschaft BVerfG, Urteil vom 17. November 1992 – 1 Bvl. 8/87 –, Rn. 95 ff., juris). Auf eine derartige Lebensgemeinschaft wird anhand von Indizien geschlossen, die beispielsweise bei einer gemeinsamen Wohnung und einer besonderen Intensität der gelebten Partnerschaft vorliegen (vgl. Kirchhoff in: Hauck/Noftz/SGB, 10/17 Rn. 19 zu § 43 SGB XII). Es ist anhand objektiver vorliegender Tatsachen zu ermitteln, ob der Schluss auf eine innere Bindung im Sinne einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft gerechtfertigt ist (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 1. Oktober 2015 – L 7 SO 118/14 –,Rn. 52, juris).
In dem hier zu entscheidenden Fall lassen – wie auch der Beklagte im Einzelnen in den angefochtenen Bescheiden und den zwischenzeitlich ergangenen Bescheiden im Überprüfungsverfahren vom 9. August 2017 und Widerspruchsbescheid vom 23. Oktober 2017, auf deren Inhalt gemäß § 136 Abs. 3 SGG verwiesen wird, ausgeführt hat – objektiv vorliegende Tatsachen den Schluss auf eine Verantworts- und Einstehensgemeinschaft von Anfang an zu. Die Voraussetzungen liegen insbesondere im Hinblick auf die Dauerhaftigkeit und innere Beziehung vor. Die Klägerin und Herr S bewohnen gemeinsam eine Ein-Zimmer-Wohnung ohne räumliche Trennung von Wohnbereichen. Sie haben dabei das gemeinsame Leben auf relativ engem Raum in Kauf genommen und seither nicht aufgegeben. Die Ein-Zimmer-Wohnung lässt eine räumliche Trennung auch gar nicht zu. Eine solche wurde auch nicht durch zumindest getrennte Betten angestrebt; dabei ist das Bestehen einer sexuellen Beziehung nicht Voraussetzung für das Bestehen einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft. Für eine enge Beziehung zwischen den Mitbewohnern spricht zudem die Tatsache, dass persönliche Gegenstände der Klägerin und des Herrn S in gemeinsamen Schränken aufbewahrt werden. Die beengten Wohnverhältnisse in der kleinen Wohnung des Herrn S nehmen beide Bewohner in Kauf, weil durch das dortige Zusammenleben gewährleistet ist, dass man sich gegenseitig eine Stütze im Hinblick auf die beiderseitigen Erkrankungen sein kann. Das Wohnen in jener Wohngemeinschaft ist für die Klägerin, die bis November 2014 allein in einer größeren Wohnung gelebt hatte, insbesondere insofern auch eine Hilfe, um der Vereinsamung durch bei ihr wiederkehrende psychotische Episoden entgegenzuwirken. Umgekehrt unterstützt sie den schwerbehinderten Herrn S auch in der Haushaltsführung. Aufgrund der vorgenannten Gesamtumstände ist im Rahmen der Würdigung eine eheähnliche Lebensgemeinschaft auch nicht unter dem Aspekt zu verneinen, dass getrennte Konten ohne gegenseitige Vollmacht geführt werden. Zwar kann im umgekehrten Fall die Befugnis, über Einkommen und Vermögen des jeweils anderen Partners verfügen zu dürfen, als Indiz für eine derartige Beziehung herangezogen werden (vgl. BVerfG, a. a. O., Rn. 96). Getrennte Konten schließen jedoch eine enge Lebensgemeinschaft nicht aus; denn sie sind auch in ehelichen Beiziehungen anzutreffen (vgl. Apidopoulus in Adolf, SGB II; SGB XII, AsylbLG, 56. UPD 4/2018, § 20 Rn. 31).
Auch wenn die Dauer des Zusammenlebens ein wichtiges Indiz für eine eheähnliche Gemeinschaft ist, kann eine solche auch "vom ersten Tage an" vorliegen (Apidopoulus, a. a. O., Rn. 27). Maßgeblich ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Umstände zu klären, ob diese den Schluss auf eben eine solche eheähnliche Gemeinschaft zulassen (zu dem nicht abschließenden Kriterienkatalog dafür s. Apidopoulus, a. a. O., Rn. 30). Aufbauend auf den in der o. g. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts niedergelegten Grundlagen hat der 4. Senat des Bundessozialgerichts den Begriff der Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft mit Urteil vom 23. Au-gust 2012 – B 4 AS 34/12 R – (s. dortige Rn. 20 ff., juris) näher ausdifferenziert. Die Grundsätze der zum SGB II ergangenen Entscheidung sind auf die Rechtslage nach dem SGB XII zu übertragen, allerdings nur soweit sie sich nicht auf die im Sozialhilferecht nicht anzuwendende Vermutungsregelung des § 7 Abs. 3 a SGB II beziehen (Voelzke in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 20 SGB XII, Rn. 20).
Wie der Beklagte bereits zutreffend ausgeführt hat, enthält der ab dem 1. August 2006 durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende in § 7 SGB II eingefügte Absatz 3 a eine Vermutungsregelung für das Bestehen einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft. Eine derartige Regelung kennt das SGB XII hingegen nicht (Voelzke, a. a O., Rn. 6 ). Die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des § 7 Abs. 3 a SGB XII sind nicht gegeben; denn es kann insoweit nicht von einer vom Gesetzgeber unbeabsichtigten Regelungslücke gesprochen werden, wenn dieser in Kenntnis der nunmehr seit gut 12 Jahren insoweit bestehenden Differenzierung zwischen dem SGB II und dem SGB XII bis heute keine entsprechende Änderung auch im SGB XII vorgenommen hat (ebenfalls kritisch gegenüber der Übertragung der Grundsätze des § 7 Abs. 3 a SGB II auf das SGB XII Coseriu in: KSW, § 20 SGB XII Rn. 6). Hinzu kommt, dass in § 7 Abs. 3 a SGB II lediglich eine "Vermutungs"regelung verankert worden ist, die im Einzelfall auch unter der Geltung des SGB II bei der Gesamtwürdigung wiederlegt werden kann, und es sich insoweit nicht um eine generelle einjährige Frist zur "Verschonung" von der Heranziehung der Einkünfte eines Partners bei der Leistungsberechnung des Leistungsempfängers handelt. Überzeugende Argumente für die Annahme einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft "von Anfang an" liegen hier – wie bereits oben ausgeführt – im Falle der Klägerin gerade vor.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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