Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 18 AS 446/15
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 5 AS 674/18 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 6. Juli 2018 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Beklagte begehrt die Zulassung der Berufung gegen ein Urteil, mit dem das Sozialgericht (SG) Magdeburg eine Sanktion wegen eines Meldeversäumnisses aufgehoben hat.
Die 1976 geborene Klägerin bezog Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Grundsicherung für Arbeitsuchende – SGB II) vom Beklagten. Mit Schreiben vom 7. Juni 2013 forderte der Beklagte sie auf, sich am 18. Juni 2013 um 13:40 Uhr bei ihm einzufinden, um ihr zur Verbesserung ihrer Eingliederungsaussichten das Projekt "IdA – Integration durch Austausch" vorzustellen. In dem Schreiben wurde ausgeführt: "Es werden zu diesem Gespräch ein Projektverantwortlicher und ein Mitarbeiter des Jobcenters anwesend sein. Gern können Sie auch Freunde/Bekannte die Interesse am Projekt haben/haben könnten mitbringen." Weiter hieß es in dem Schreiben: "Sollten Sie am Meldetermin arbeitsunfähig erkrankt sein, melden Sie sich umgehend bei Ihrem zuständigen Fallmanager-Integration und weisen Sie Ihre Krankheit mittels Krankenschein nach. Melden Sie sich persönlich ebenfalls umgehend am ersten Tag Ihrer Genesung beim zuständigen Fallmanager-Integration." Im Schreiben wurde auf eine beigefügte Rechtsfolgenbelehrung verwiesen.
Die Klägerin nahm den Termin nicht wahr. Als der Beklagte sie daraufhin wegen einer Sanktion nach § 32 SGB II anhörte, teilte sie, vertreten durch das Sozialberatungszentrum H. e.V., mit, dass sie am 18. Juni an einer leichten Lungenentzündung erkrankt gewesen sei. Sie sei in der Zeit vom 17. bis zum 28. Juni krankgeschrieben gewesen. Am 17. Juni habe sie den Beklagten telefonisch über die Erkrankung informiert, am 21. Juni habe sie ihm eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung geschickt. Daraufhin hörte der Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 5. Juli 2013 erneut an und verwies darauf, dass sie im Falle einer Erkrankung verpflichtet gewesen sei, sich am ersten Tag der Genesung persönlich bei ihrem Fallmanager zu melden. Da die Klägerin eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit bis zum 28. Juni vorgelegt habe und der 29. Juni ein Samstag gewesen sei, hätte sie am 1. Juli persönlich vorsprechen müssen.
Mit Bescheid vom 26. August 2013 stellte der Beklagte den Eintritt einer Minderung der SGB II-Leistungen um 10 % des maßgebenden Regelbedarfs für die Zeit vom 1. September bis 30. November 2013 fest. Den dagegen gerichteten Widerspruch der Klägerin wies er mit Widerspruchsbescheid vom 20. Januar 2015 zurück.
Am 20. Februar 2015 hat die Klägerin Klage erhoben. Mit Urteil vom 6. Juli 2018 hat das SG M. den Bescheid vom 26. August 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Januar 2015 aufgehoben. Die Voraussetzungen einer Minderung nach § 32 Abs. 1 Satz 1 SGB II lägen nicht vor, weil der Beklagte die Fortwirkung der Meldeaufforderung über die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin hinaus gemäß § 59 SGB II in Verbindung mit § 309 Abs. 3 Satz 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (Arbeitsförderung – SGB III) nicht in rechtmäßiger Weise angeordnet habe. Eine solche Fortwirkung setze voraus, dass nicht nur der Zweck der eigentlichen Meldeaufforderung, sondern auch der Zweck der Fortwirkung zumindest stichwortartig benannt werde (mit Verweis auf SG Mainz, Urteil vom 17. August 2012 – S 17 AS 450/12 –, juris Rn. 24). Dies gelte insbesondere, wenn der Zweck der Fortwirkung nicht derselbe sein könne wie bei der eigentlichen Meldeaufforderung. So liege es hier. Denn es erscheine ausgeschlossen, dass der Beklagte der Klägerin das geplante Projekt auch am ersten Tag ihrer Arbeitsfähigkeit hätte vorstellen können. Davon sei die Kammer schon deshalb überzeugt, weil bei realistischer Betrachtung nicht zu erwarten sei, dass an jedem Tag ein Projektverantwortlicher beim Beklagten anwesend sei, um abzuwarten, ob die Klägerin wieder arbeitsfähig ist. Deshalb sei vorliegend unklar geblieben, warum der Beklagte die Fortwirkung angeordnet habe. Somit sei die Meldeaufforderung nicht hinreichend bestimmt gewesen. Die Berufung hat das SG nicht zugelassen.
Das Urteil ist dem Beklagten selbst am 13. Juli 2018 und seinen erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten am 20. August 2018 zugestellt worden. Am 19. September 2018 hat der Beklagte beim Landessozialgericht (LSG) Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung eingelegt.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber nicht begründet.
1.
Die Beschwerde ist gem. § 145 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Das SG hat die Berufung nicht zugelassen. Sie bedarf aber der Zulassung, weil der Wert des Beschwerdegegenstands 750 EUR nicht übersteigt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) und sie auch nicht wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Die streitgegenständlichen Bescheide stellen eine Anspruchsminderung um 10 % des maßgeblichen Regelbedarfs (382 EUR) für einen Zeitraum von drei Monaten fest. Im Streit stehen also Leistungen in Höhe von insgesamt 114,60 EUR.
Die Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist sie am 19. September 2018 form- und fristgerecht erhoben worden (§ 145 Abs. 1 Satz 2 SGG). Die Beschwerdefrist von einem Monat ist erst mit Zustellung des Urteils an die erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des Beklagten am 20. August 2018 in Gang gesetzt worden. Die vorherige Zustellung unmittelbar an den Beklagten selbst war unwirksam. Die Prozessbevollmächtigten hatten sich durch einen Schriftsatz vom 1. Februar 2018 für den Beklagten legitimiert und sind auch im weiteren Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens für ihn aufgetreten. Ist aber ein Prozessbevollmächtigter bestellt, so sind gemäß § 73 Abs. 6 Satz 6 SGG Zustellungen an ihn zu richten. Zustellungen unmittelbar an den Beteiligten sind in einem solchen Fall wirkungslos (vgl. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 73 Rn. 69 m.w.N.); sie setzen insbesondere die Rechtsmittelfrist gegen eine Entscheidung nicht in Gang (vgl. Straßfeld, in: Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 73 Rn. 150).
2.
Die Beschwerde ist aber unbegründet. Das SG hat die Berufung zu Recht nicht zugelassen. Es liegt kein Zulassungsgrund i.S.v. § 144 Abs. 2 SGG vor.
a.
Der Zulassungsgrund des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG ist nicht gegeben, da die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat. Grundsätzliche Bedeutung liegt vor, wenn die Sache eine bisher nicht geklärte, aber klärungsbedürftige und -fähige Rechtsfrage aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, a.a.O., § 144 Rn. 28). Klärungsbedürftigkeit ist zu verneinen, wenn sich die Rechtsfrage unmittelbar aus dem Gesetz beantworten lässt oder nur eine Anwendung schon entwickelter höchstrichterlicher Rechtssätze auf den Einzelfall darstellt. Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage nur, wenn sie konkret für die Lösung des Falles erheblich ist.
Solche ungeklärten Rechtsfragen wirft der Rechtsstreit nicht auf.
In Rechtsprechung und Schrifttum besteht Einigkeit, dass bei einer Meldeaufforderung erkennbar sein muss, dass die Meldung einem der in § 309 Abs. 2 SGB III genannten Zwecke dienen soll (vgl. nur LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 11. Oktober 2005 – L 2 AL 124/04 –, juris Rn. 27). Grundsätzlich wird verlangt, dass die Meldeaufforderung den Meldezweck zumindest stichwortartig benennt (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. Februar 2005 – L 8 AL 4106/03 –, juris Rn. 19; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21. Juli 2011 – L 14 AS 999/11 B ER –, juris Rn. 6; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12. September 2013 – L 7 AS 177/13 B –, juris Rn. 9; Winkler, in: Gagel, SGB II/SGB III, § 309 SGB III Rn. 27 (Stand: Oktober 2014); Scholz, in: Mutschler/Schmidt-De Caluwe/Coseriu, SGB III, 6. Auflage 2017, § 309 Rn. 14; Düe, in: Brand, SGB III, 8. Auflage 2018, § 309 Rn. 14; Voelzke, in: Hauck/Noftz, SGB III, § 309 Rn. 23b (Stand: Juni 2018); Harks, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 2. Auflage 2019, § 309 Rn. 23; vgl. auch Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 29. April 2015 – B 14 AS 19/14 R –, juris Rn. 32: "stichwortartige Konkretisierung [ ] im Regelfall ausreichend").
Für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits kommt es nicht darauf an, ob die Fortwirkung einer Meldeaufforderung nach § 309 Abs. 3 Satz 3 SGB III stets voraussetzt, dass nicht nur der Zweck der eigentlichen Meldeaufforderung, sondern auch der ihres Fortwirkens zumindest stichwortartig benannt wird. Gegen diese vom SG angenommene Anforderung spricht allerdings, dass mit der Anordnung des Fortwirkens grundsätzlich keine Änderung des Meldezwecks einhergeht (a.A.: SG Mainz, a.a.O.). Das folgt schon aus dem vom Gesetzgeber verwendeten Begriff der Fortwirkung: Die Behörde setzt nicht neben eine zu einem bestimmten Zweck erfolgte Meldeaufforderung eine weitere, eigenständige, die potentiell einem anderen Zweck dient. Vielmehr lässt sie die ursprüngliche Meldeaufforderung aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung und der Missbrauchsbekämpfung (vgl. BT-Drs. 15/1515, S. 100) über eine etwaige Arbeitsunfähigkeit des Adressaten hinaus fortwirken.
Darauf kommt es vorliegend jedoch wegen der vom SG zutreffend herausgestellten Besonderheiten des Falles nicht an. Die Aufforderung, am 18. Juni 2013 um 13:40 Uhr beim Beklagten zu erscheinen, sollte ausweislich des Einladungsschreibens dazu dienen, ein Gespräch mit dem Projektverantwortlichen und einem Mitarbeiter des Projekts "IdA – Integration durch Austausch" zu führen. Es erscheint aber fernliegend, dass ein solches Gespräch auch dann noch hätte stattfinden können, wenn die Klägerin zu einem nicht im Voraus absehbaren späteren Zeitpunkt nach ihrer Genesung ohne vorherige Terminvereinbarung beim Beklagten erschienen wäre. Damit war aus ihrer Empfängersicht nicht erkennbar, welchem Zweck eine spätere Vorsprache dienen sollte, so dass es insoweit an einer rechtmäßigen Meldeaufforderung fehlte.
b.
Es besteht auch keine Divergenz zu einer Entscheidung des LSG, des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts (§ 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG). Divergenz in diesem Sinne meint einen Widerspruch im Rechtssatz, nämlich das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Urteilen zu Grunde gelegt worden sind. Eine Abweichung liegt nicht schon dann vor, wenn ein Urteil nicht den Kriterien entspricht, die die genannten Gerichte aufgestellt haben, sondern erst, wenn das SG diesen Kriterien widersprochen, also andere Maßstäbe entwickelt hat (vgl. BSG, Beschluss vom 8. Dezember 2008 – B 12 R 37/07 B –, juris Rn. 8). Das Urteil des SG muss auf dieser Abweichung beruhen, d.h. die angefochtene Entscheidung hätte bei Zugrundelegung des Rechtssatzes, von dem abgewichen worden ist, anders ausfallen müssen. Für eine solche Divergenz ist nichts ersichtlich. Sie besteht insbesondere nicht im Hinblick auf das vom Beklagten erstinstanzlich angeführte Urteil des BSG vom 9. November 2010 (B 4 AS 27/10 R, juris). Dort wird lediglich unter Verweis auf die Gesetzesmaterialien ausgeführt, die Anordnung des Fortwirkens einer Meldeaufforderung solle das Meldeverfahren für die Arbeitsverwaltung und die Leistungsberechtigten vereinfachen, Missbrauchsmöglichkeiten einschränken und der Arbeitsverwaltung die mit erheblichem Verwaltungsaufwand verbundene erneute Meldung des Arbeitslosen ersparen, wenn sie auf Grund einer Arbeitsunfähigkeit gleichzeitig einen wichtigen Grund für das Nichterscheinen zum Meldetermin annimmt (a.a.O., Rn. 31).
c.
Schließlich ist die Berufung auch nicht wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG). Das Vorliegen eines Verfahrensmangels ist nach der eindeutigen gesetzlichen Vorgabe nur zu prüfen, wenn er vom Beschwerdeführer geltend gemacht wird. Daran fehlt es.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 Abs. 1 SGG.
4.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG). Damit wird das Urteil des SG rechtskräftig (§ 145 Abs. 4 Satz 4 SGG).
Gründe:
I.
Der Beklagte begehrt die Zulassung der Berufung gegen ein Urteil, mit dem das Sozialgericht (SG) Magdeburg eine Sanktion wegen eines Meldeversäumnisses aufgehoben hat.
Die 1976 geborene Klägerin bezog Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Grundsicherung für Arbeitsuchende – SGB II) vom Beklagten. Mit Schreiben vom 7. Juni 2013 forderte der Beklagte sie auf, sich am 18. Juni 2013 um 13:40 Uhr bei ihm einzufinden, um ihr zur Verbesserung ihrer Eingliederungsaussichten das Projekt "IdA – Integration durch Austausch" vorzustellen. In dem Schreiben wurde ausgeführt: "Es werden zu diesem Gespräch ein Projektverantwortlicher und ein Mitarbeiter des Jobcenters anwesend sein. Gern können Sie auch Freunde/Bekannte die Interesse am Projekt haben/haben könnten mitbringen." Weiter hieß es in dem Schreiben: "Sollten Sie am Meldetermin arbeitsunfähig erkrankt sein, melden Sie sich umgehend bei Ihrem zuständigen Fallmanager-Integration und weisen Sie Ihre Krankheit mittels Krankenschein nach. Melden Sie sich persönlich ebenfalls umgehend am ersten Tag Ihrer Genesung beim zuständigen Fallmanager-Integration." Im Schreiben wurde auf eine beigefügte Rechtsfolgenbelehrung verwiesen.
Die Klägerin nahm den Termin nicht wahr. Als der Beklagte sie daraufhin wegen einer Sanktion nach § 32 SGB II anhörte, teilte sie, vertreten durch das Sozialberatungszentrum H. e.V., mit, dass sie am 18. Juni an einer leichten Lungenentzündung erkrankt gewesen sei. Sie sei in der Zeit vom 17. bis zum 28. Juni krankgeschrieben gewesen. Am 17. Juni habe sie den Beklagten telefonisch über die Erkrankung informiert, am 21. Juni habe sie ihm eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung geschickt. Daraufhin hörte der Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 5. Juli 2013 erneut an und verwies darauf, dass sie im Falle einer Erkrankung verpflichtet gewesen sei, sich am ersten Tag der Genesung persönlich bei ihrem Fallmanager zu melden. Da die Klägerin eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit bis zum 28. Juni vorgelegt habe und der 29. Juni ein Samstag gewesen sei, hätte sie am 1. Juli persönlich vorsprechen müssen.
Mit Bescheid vom 26. August 2013 stellte der Beklagte den Eintritt einer Minderung der SGB II-Leistungen um 10 % des maßgebenden Regelbedarfs für die Zeit vom 1. September bis 30. November 2013 fest. Den dagegen gerichteten Widerspruch der Klägerin wies er mit Widerspruchsbescheid vom 20. Januar 2015 zurück.
Am 20. Februar 2015 hat die Klägerin Klage erhoben. Mit Urteil vom 6. Juli 2018 hat das SG M. den Bescheid vom 26. August 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Januar 2015 aufgehoben. Die Voraussetzungen einer Minderung nach § 32 Abs. 1 Satz 1 SGB II lägen nicht vor, weil der Beklagte die Fortwirkung der Meldeaufforderung über die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin hinaus gemäß § 59 SGB II in Verbindung mit § 309 Abs. 3 Satz 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (Arbeitsförderung – SGB III) nicht in rechtmäßiger Weise angeordnet habe. Eine solche Fortwirkung setze voraus, dass nicht nur der Zweck der eigentlichen Meldeaufforderung, sondern auch der Zweck der Fortwirkung zumindest stichwortartig benannt werde (mit Verweis auf SG Mainz, Urteil vom 17. August 2012 – S 17 AS 450/12 –, juris Rn. 24). Dies gelte insbesondere, wenn der Zweck der Fortwirkung nicht derselbe sein könne wie bei der eigentlichen Meldeaufforderung. So liege es hier. Denn es erscheine ausgeschlossen, dass der Beklagte der Klägerin das geplante Projekt auch am ersten Tag ihrer Arbeitsfähigkeit hätte vorstellen können. Davon sei die Kammer schon deshalb überzeugt, weil bei realistischer Betrachtung nicht zu erwarten sei, dass an jedem Tag ein Projektverantwortlicher beim Beklagten anwesend sei, um abzuwarten, ob die Klägerin wieder arbeitsfähig ist. Deshalb sei vorliegend unklar geblieben, warum der Beklagte die Fortwirkung angeordnet habe. Somit sei die Meldeaufforderung nicht hinreichend bestimmt gewesen. Die Berufung hat das SG nicht zugelassen.
Das Urteil ist dem Beklagten selbst am 13. Juli 2018 und seinen erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten am 20. August 2018 zugestellt worden. Am 19. September 2018 hat der Beklagte beim Landessozialgericht (LSG) Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung eingelegt.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber nicht begründet.
1.
Die Beschwerde ist gem. § 145 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Das SG hat die Berufung nicht zugelassen. Sie bedarf aber der Zulassung, weil der Wert des Beschwerdegegenstands 750 EUR nicht übersteigt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) und sie auch nicht wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Die streitgegenständlichen Bescheide stellen eine Anspruchsminderung um 10 % des maßgeblichen Regelbedarfs (382 EUR) für einen Zeitraum von drei Monaten fest. Im Streit stehen also Leistungen in Höhe von insgesamt 114,60 EUR.
Die Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist sie am 19. September 2018 form- und fristgerecht erhoben worden (§ 145 Abs. 1 Satz 2 SGG). Die Beschwerdefrist von einem Monat ist erst mit Zustellung des Urteils an die erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des Beklagten am 20. August 2018 in Gang gesetzt worden. Die vorherige Zustellung unmittelbar an den Beklagten selbst war unwirksam. Die Prozessbevollmächtigten hatten sich durch einen Schriftsatz vom 1. Februar 2018 für den Beklagten legitimiert und sind auch im weiteren Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens für ihn aufgetreten. Ist aber ein Prozessbevollmächtigter bestellt, so sind gemäß § 73 Abs. 6 Satz 6 SGG Zustellungen an ihn zu richten. Zustellungen unmittelbar an den Beteiligten sind in einem solchen Fall wirkungslos (vgl. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017, § 73 Rn. 69 m.w.N.); sie setzen insbesondere die Rechtsmittelfrist gegen eine Entscheidung nicht in Gang (vgl. Straßfeld, in: Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 73 Rn. 150).
2.
Die Beschwerde ist aber unbegründet. Das SG hat die Berufung zu Recht nicht zugelassen. Es liegt kein Zulassungsgrund i.S.v. § 144 Abs. 2 SGG vor.
a.
Der Zulassungsgrund des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG ist nicht gegeben, da die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat. Grundsätzliche Bedeutung liegt vor, wenn die Sache eine bisher nicht geklärte, aber klärungsbedürftige und -fähige Rechtsfrage aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, a.a.O., § 144 Rn. 28). Klärungsbedürftigkeit ist zu verneinen, wenn sich die Rechtsfrage unmittelbar aus dem Gesetz beantworten lässt oder nur eine Anwendung schon entwickelter höchstrichterlicher Rechtssätze auf den Einzelfall darstellt. Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage nur, wenn sie konkret für die Lösung des Falles erheblich ist.
Solche ungeklärten Rechtsfragen wirft der Rechtsstreit nicht auf.
In Rechtsprechung und Schrifttum besteht Einigkeit, dass bei einer Meldeaufforderung erkennbar sein muss, dass die Meldung einem der in § 309 Abs. 2 SGB III genannten Zwecke dienen soll (vgl. nur LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 11. Oktober 2005 – L 2 AL 124/04 –, juris Rn. 27). Grundsätzlich wird verlangt, dass die Meldeaufforderung den Meldezweck zumindest stichwortartig benennt (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. Februar 2005 – L 8 AL 4106/03 –, juris Rn. 19; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21. Juli 2011 – L 14 AS 999/11 B ER –, juris Rn. 6; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12. September 2013 – L 7 AS 177/13 B –, juris Rn. 9; Winkler, in: Gagel, SGB II/SGB III, § 309 SGB III Rn. 27 (Stand: Oktober 2014); Scholz, in: Mutschler/Schmidt-De Caluwe/Coseriu, SGB III, 6. Auflage 2017, § 309 Rn. 14; Düe, in: Brand, SGB III, 8. Auflage 2018, § 309 Rn. 14; Voelzke, in: Hauck/Noftz, SGB III, § 309 Rn. 23b (Stand: Juni 2018); Harks, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 2. Auflage 2019, § 309 Rn. 23; vgl. auch Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 29. April 2015 – B 14 AS 19/14 R –, juris Rn. 32: "stichwortartige Konkretisierung [ ] im Regelfall ausreichend").
Für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits kommt es nicht darauf an, ob die Fortwirkung einer Meldeaufforderung nach § 309 Abs. 3 Satz 3 SGB III stets voraussetzt, dass nicht nur der Zweck der eigentlichen Meldeaufforderung, sondern auch der ihres Fortwirkens zumindest stichwortartig benannt wird. Gegen diese vom SG angenommene Anforderung spricht allerdings, dass mit der Anordnung des Fortwirkens grundsätzlich keine Änderung des Meldezwecks einhergeht (a.A.: SG Mainz, a.a.O.). Das folgt schon aus dem vom Gesetzgeber verwendeten Begriff der Fortwirkung: Die Behörde setzt nicht neben eine zu einem bestimmten Zweck erfolgte Meldeaufforderung eine weitere, eigenständige, die potentiell einem anderen Zweck dient. Vielmehr lässt sie die ursprüngliche Meldeaufforderung aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung und der Missbrauchsbekämpfung (vgl. BT-Drs. 15/1515, S. 100) über eine etwaige Arbeitsunfähigkeit des Adressaten hinaus fortwirken.
Darauf kommt es vorliegend jedoch wegen der vom SG zutreffend herausgestellten Besonderheiten des Falles nicht an. Die Aufforderung, am 18. Juni 2013 um 13:40 Uhr beim Beklagten zu erscheinen, sollte ausweislich des Einladungsschreibens dazu dienen, ein Gespräch mit dem Projektverantwortlichen und einem Mitarbeiter des Projekts "IdA – Integration durch Austausch" zu führen. Es erscheint aber fernliegend, dass ein solches Gespräch auch dann noch hätte stattfinden können, wenn die Klägerin zu einem nicht im Voraus absehbaren späteren Zeitpunkt nach ihrer Genesung ohne vorherige Terminvereinbarung beim Beklagten erschienen wäre. Damit war aus ihrer Empfängersicht nicht erkennbar, welchem Zweck eine spätere Vorsprache dienen sollte, so dass es insoweit an einer rechtmäßigen Meldeaufforderung fehlte.
b.
Es besteht auch keine Divergenz zu einer Entscheidung des LSG, des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts (§ 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG). Divergenz in diesem Sinne meint einen Widerspruch im Rechtssatz, nämlich das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Urteilen zu Grunde gelegt worden sind. Eine Abweichung liegt nicht schon dann vor, wenn ein Urteil nicht den Kriterien entspricht, die die genannten Gerichte aufgestellt haben, sondern erst, wenn das SG diesen Kriterien widersprochen, also andere Maßstäbe entwickelt hat (vgl. BSG, Beschluss vom 8. Dezember 2008 – B 12 R 37/07 B –, juris Rn. 8). Das Urteil des SG muss auf dieser Abweichung beruhen, d.h. die angefochtene Entscheidung hätte bei Zugrundelegung des Rechtssatzes, von dem abgewichen worden ist, anders ausfallen müssen. Für eine solche Divergenz ist nichts ersichtlich. Sie besteht insbesondere nicht im Hinblick auf das vom Beklagten erstinstanzlich angeführte Urteil des BSG vom 9. November 2010 (B 4 AS 27/10 R, juris). Dort wird lediglich unter Verweis auf die Gesetzesmaterialien ausgeführt, die Anordnung des Fortwirkens einer Meldeaufforderung solle das Meldeverfahren für die Arbeitsverwaltung und die Leistungsberechtigten vereinfachen, Missbrauchsmöglichkeiten einschränken und der Arbeitsverwaltung die mit erheblichem Verwaltungsaufwand verbundene erneute Meldung des Arbeitslosen ersparen, wenn sie auf Grund einer Arbeitsunfähigkeit gleichzeitig einen wichtigen Grund für das Nichterscheinen zum Meldetermin annimmt (a.a.O., Rn. 31).
c.
Schließlich ist die Berufung auch nicht wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG). Das Vorliegen eines Verfahrensmangels ist nach der eindeutigen gesetzlichen Vorgabe nur zu prüfen, wenn er vom Beschwerdeführer geltend gemacht wird. Daran fehlt es.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 Abs. 1 SGG.
4.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG). Damit wird das Urteil des SG rechtskräftig (§ 145 Abs. 4 Satz 4 SGG).
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