Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
47
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 47 KR 1602/19 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Lehrer und Erzieher, auch an Förderschulen, können nicht zur regelmäßigen Medikamentenabgabe verpflichtet werden. Die allgemeine Hilfepflicht in Notfällen kann jedoch auch die Abgabe von Notfallmedikamenten, die nicht der Anwendung durch medizinische Fachkräften vorbehalten sind, umfassen, Ist Lehrern und Erziehern die Abgabe einer Bedarfsmedikation nach Absprache mit den Sorgeberechtigten oder den behandelnden Ärzten zumutbar, besteht kein Anspruch auf Häusliche Krankenpflege während des Schulbesuchs allein zur Medikamentenabgabe bei Eintritt eines Notfalls. (Hier Zumutbarkeit der Anwendung durch Betreuungspersonen bejaht für ein krampflösendes Medikament zur Anwendung in der Mundhöhle.)
I. Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz wird abgelehnt.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten über die Versorgung der Antragstellerin mit häuslicher Krankenpflege als spezielle Krankenbeobachtung durch eine medizinische Fachkraft während des täglichen Schulbesuchs. Die am 6. Dezember 2010 geborene und bei der Antragsgegnerin gesetzlich krankenversicherte Antragstellerin leidet an einer angeborenen Leukodystrophie vom Typ eines Morbus Canavan (ICD-10 E75.2) mit Epilepsie. Zur Anfallprävention wurde ihr Sultiam (Ospolot 50 mg) verordnet. Die Antragstellerin besucht die Förderschule in H ... Wegen täglich mehrfacher Absencen verordnete die behandelnde Kinderärztin, I. P., am 17. September 2018 spezielle Krankenbeobachtung im Umfang von täglich acht Stunden im Familienhaushalt und in der Schule zur Epilepsiebeobachtung und Versorgung bei Anfällen. Der von der Antragsgegnerin hinzugezogene MDK verneinte in einer Stellungnahme vom 8. Oktober 2018 die Notwendigkeit spezieller Krankenbeobachtung. Berichten der Klinik C. vom 17. August 2018 und des Klinikums D. vom 23. August 2018 (Bl. 12 der SG-Akte) zufolge seien seit der Einstellung auf das Antiepileptikum keine Anfälle mehr aufgetreten. Bei selbstlimitierenden fokalen Anfällen seien keine lebensbedrohlichen Situationen zu erwarten. Die allgemeine Beaufsichtigung des Kindes sei ausreichend. Mit Bescheid vom 15. Oktober 2018 lehnte die Antragstellerin daraufhin eine Kostenübernahme über den 28. Oktober 2018 hinaus ab. Mit am 8. November 2018 eingegangenem Schreiben vom 4. November 2018 erhob die Mutter der Antragstellerin hiergegen Widerspruch. Die Antragstellerin sei auf die Krankenpflege angewiesen, um im Falle eines epileptischen Anfalls Notfallmedikamente zu verabreichen und Zusatznahrung zu verabreichen. Zudem verschlimmerten sich zunehmend die Demenz, die Beeinträchtigung des Schluckens und Sprechens, die Harninkontinenz und die Koordinationseinschränkungen. In einem beigefügten Schreiben vom 5. November 2018 (Bl. 74 f. der SG-Akte) teilt die Kinderärztin der Antragstellerin mit, aktuell stehe der Gewichtsverlust trotz hochkalorischer Zusatzernährung im Vordergrund, außerdem die Absencenepilepsie, wobei sich bei möglichen Krampfanfällen die Verabreichung einer Notfallmedikation in kürzester Zeit erforderlich mache, sowie der zunehmende Orientierungsverlust. Eine Betreuung und Begleitung sei erforderlich, um der Antragstellerin den Schulbesuch zu ermöglichen, solange das noch möglich sei. Gegenüber dem MDK erklärte die Kinderärztin in einem Fragebogen vom 23. November 2018, dass die Anfallsfrequenz für die Krankenbeobachtung nicht Ausschlag gebend sei. Es gehe auch nicht nur um den Krampfanfall, sondern um zunehmende Demenz, Orientierungsverlust, Schmerzreduktion und dergleichen. Auf die Frage nach dem letztmaligen Status epilepticus machte die Ärztin keine Angaben; im Anfallsprotokoll für Oktober 2018 waren keine Anfälle dokumentiert. Der erneut hinzugezogene MDK hielt nach Auswertung des Berichts des Klinikums D. vom 23. August 2018 (Bl. 12 der SG-Akte), der Angaben der Kinderärztin (Bl. 74 f. der SG-Akte), des Pflegegutachtens vom 20. März 2019 (Bl. 51 ff. der SG-Akte) und des Rehabilitationsentlassungsberichts der Klinik B. über den Aufenthalt vom 10. Januar bis 7. Februar 2019 (Bl. 15 ff. der SG-Akte) in einer Stellungnahme vom 4. April 2019 an seinem ablehnenden Votum fest. Nach Reduzierung der antiepileptischen Medikation wegen des Gewichtsverlustes seien verstärkt Absencen eingetreten, aber keine komplizierten Krampfanfälle bzw. Status epilepticus; Notfallmedikamente hätten nicht verabreicht werden müssen. Die Antragsgegnerin wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 9. Mai 2019, gestützt auf die Stellungnahmen des MDK zurück. Die hiergegen am 16. Mai 2019 erhobene Klage im Hauptsacheverfahren ist unter dem Aktenzeichen S 47 KR 1676/19 beim SG Dresden anhängig. Am 30. April 2019 beantragte die Antragstellerin, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Gewährung häuslicher Krankenpflege durch eine medizinische Fachkraft während des Schulbesuchs an fünf Tagen pro Woche zu verpflichten. Zur Begründung verweisen die Bevollmächtigten der Antragstellerin auf die zunehmende Demenz mit Orientierungsverlust, den Gewichtsverlust mit Notwendigkeit der Ernährung über eine PEG-Sonde sowie die Gefahr lebensbedrohender Krampfanfälle. Die Lehrer der Förderschule seien nicht in der Lage, bei lebensbedrohlichen Zuständen die gebotene medizinische Notfallversorgung durchzuführen und die Ernährung der Antragstellerin zu überwachen. Ende Mai 2019 wurde die Antragstellerin im Klinikum D. mit einer PEG-Sonde zur ergänzenden bzw. kalorisch überwiegenden Sondenernährung versorgt (stationär vom 20. bis 24. Mai 2019, Bericht Bl. 86 ff. der SG-Akte). Die Bevollmächtigten der Antragstellerin haben eine Erklärung der Mutter der Antragstellerin vom 19. Juni 2019 vorgelegt, wonach sie den täglichen Schulaufenthalt der Antragstellerin auf vier Stunden verkürzen müsse, um die Antragstellerin mittags mit Nahrung zu versorgen, denn dies übernehme kein Betreuer in der Schule. Die Antragsgegnerin beantragt die Ablehnung des Antrags. Die Unterstützung bei der Ernährung sei der Grundpflege und nicht der häuslichen Krankenpflege zuzurechnen. Hierfür beziehe die Antragstellerin bereits Pflegegeld nach Pflegegrad 4, die Antragstellerin könne insoweit die Umstellung auf Kombileistungen beantragen. Auch die allgemeine Krankenbeobachtung sei keine Leistung der häuslichen Krankenpflege. Der im Hinblick auf einen derzeit ruhenden Antrag auf Eingliederungshilfe mit Beschluss vom 7. Mai 2019 als Träger der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII beigeladene Landkreis S. sieht keine Leistungspflicht zur Deckung von Bedarfen, welche die Hinzuziehung einer medizinischen Fachkraft erforderlich machen. Über die Gewährung einer Assistenz für nicht-krankenpflegerische Verrichtungen könne nach einer Hospitation zur Bedarfsfeststellung im neuen Schuljahr entschieden werden. Das Gericht hat eine gutachterliche Stellungnahme bei Chefarzt Dr. med. D. vom 17. Juni 2019 zur Notwendigkeit einer ständigen Überwachung wegen der Epilepsieerkrankung auf Grundlage des stationären Rehabilitationsaufenthalts in der Klinik B. vom 10. Januar bis 7. Februar 2019 eingeholt, wegen deren Inhalts auf Bl. 90 ff. der SG-Akte verwiesen wird. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Schriftsätze der Beteiligten einschließlich der Anlagen und die beigezogenen Verwaltungsakten der Antragsgegnerin und des Beigeladenen Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ist zulässig, aber unbegründet. Gemäß § 86b Absatz 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt gemäß § 86b Absatz 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Absatz 2 ZPO voraus, dass der Antragsteller glaubhaft macht, dass ihm ein materielles Recht zusteht, für das er einstweiligen Rechtsschutz beantragen kann (Anordnungsanspruch), und dass wesentliche Nachteile drohen, die nach den Umständen des Einzelfalles unter Abwägung der widerstreitenden Interessen ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache als unzumutbar erscheinen lassen (Anordnungsgrund). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Gewährung häuslicher Krankenpflege in der durch die ärztliche Verordnung vom 17. September 2018 konkretisierten Form – als spezielle Krankenbeobachtung täglich acht Stunden – sind auch in dem vom Antrag umfassten reduzierten Umfang (fünfmal wöchentlich) nicht glaubhaft gemacht. Nach § 37 Absatz 2 Satz 1 SGB V erhalten Versicherte in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, unter anderem in Schulen, als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist. Der Gemeinsame Bundesausschuss beschreibt in Nummer 24 des Leistungsverzeichnisses (LV) zur Häusliche Krankenpflege-Richtlinie (HKP-RL) den Leistungsumfang der speziellen Krankenbeobachtung als kontinuierliche Beobachtung und Intervention mit den notwendigen medizinisch-pflegerischen Maßnahmen sowie Dokumentation der Vitalfunktionen wie Puls, Blutdruck, Temperatur, Haut, Schleimhaut. Die Voraussetzungen für die Verordnungsfähigkeit der Leistung hat er dahin gehend konkretisiert, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit sofortige pflegerische/ärztliche Intervention bei lebensbedrohlichen Situationen täglich erforderlich sein muss und nur die genauen Zeitpunkte und das genaue Ausmaß nicht im Voraus bestimmt werden können oder – hier nicht einschlägig – dass wegen akuter Verschlechterung des Krankheitsverlaufs die Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit festzustellen ist; dabei setzt die spezielle Krankenbeobachtung die permanente Anwesenheit der Pflegekraft über den gesamten Versorgungszeitraum voraus; sie umfasst auch die dauernde Erreichbarkeit der Ärztin oder des Arztes und die laufende Information der Ärztin oder des Arztes über Veränderungen der Vitalzeichen. Der Gemeinsame Bundesausschuss ist allerdings nicht befugt, den in § 37 SGB V grundsätzlich offen formulierten gesetzlich Leistungsumfang einzuschränken und medizinisch notwendige Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege vom Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung auszunehmen (vgl. BSG, Urteil vom 17. März 2005 – B 3 KR 35/04 R –; BSG, Urteil vom 10. November 2005 – B 3 KR 38/04 R –). Dies bedeutet beispielsweise, dass ein Anspruch auf spezielle Krankenbeobachtung auch bestehen kann, wenn die vom Gemeinsamen Bundesausschuss vorausgesetzten lebensbedrohlichen Zustände nicht täglich auftreten, sondern nur die Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens ständig vorliegt und deshalb eine permanente Überwachung der Vitalfunktionen erforderlich ist. Dies ändert indessen nichts daran, dass eine ständige Überwachung als häusliche Krankenpflege nur gewährt werden kann, wenn der Gesundheitszustand des Versicherten entsprechend dem in der gesetzlichen Krankenversicherung abgesicherten Risiko die Notwendigkeit spezifisch medizinischer Leistungen durch einschlägig qualifizierte Fachkräfte – in Abgrenzung zu pflegerischer Betreuung, Alltagsassistenz oder allgemeiner Krankenbeobachtung – erforderlich macht. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Das Gericht stützt sich dabei auf die Einschätzung in der gutachterlichen Stellungnahme von Chefarzt Dr. med. D. vom 17. Juni 2019, der auf Grund der Beobachtung der Antragstellerin während des stationären Aufenthaltes der Antragstellerin in der Klinik B. vom 10. Januar bis 7. Februar 2019 die Notwendigkeit ständiger Überwachung durch eine medizinische Fachkraft zur Abwendung von lebensgefährlichen Risiken auf Grund der Epilepsieerkrankung verneint hat. Das Gericht ist sich bewusst, dass die Grundlage dieser Einschätzung ein inzwischen fünf Monate zurückliegender Reha-Aufenthalt ist. Andererseits verfügt der Sachverständige auf Grund seiner Expertise als Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin mit Schwerpunkt Neuropädiatrie über ausreichend Fachwissen, um auch Aussagen über den prognostischen Krankheitsverlauf machen zu können, die über das Ende des stationären Aufenthalts hinausreichen. Die Anregung einer vorgezogenen Wiedervorstellung der Antragstellerin beim MDK bringt zum Ausdruck, dass er bei seiner Einschätzung das Fortschreiten der Erkrankung bereits berücksichtigt hat. Die Einschätzung Dr. med. D.s wird bestätigt durch den aktuellen Entlassungsbericht des Klinikum D. über den stationären Aufenthalt vom 20. bis 24. Mai 2019 zum Anlegen einer PEG-Sonde. Der Anamnese zufolge hat die Mutter der Antragstellerin dort angegeben, dass die Antragstellerin ca. drei- bis viermal täglich bis zu 30 Sekunden dauernde Absencen durchmache, während derer sie nicht ansprechbar sei. Zudem hat die Mutter berichtet, dass sie wöchentlich bemerke, dass die Antragstellerin nachts aus dem Bett gefallen und am Folgetag vermehrt abgeschlagen und müde sei, was die Mutter– ohne dass sie zur näheren Beschreibung der Anfallscharakteristik im Stande sei – als größere Anfälle interpretiere. Nebenwirkungen der Antiepilepsiemedikation würden nicht bemerkt. Dies fügt sich in die Einschätzung des Sachverständigen Dr. med. D. ein, wonach es sich bei den Anfällen der Antragstellerin um einfach-fokale Anfälle ohne Eintritt lebensbedrohlicher Zustände handelt. Der Annahme der Mutter der Antragstellerin, die Antragstellerin erleide nachts größere Anfälle, könnte durch eine nächtliche Epilepsieüberwachung nachgegangen werden; dabei wäre auch ein apparatives Monitoring zu denken (Hilfsmittelverzeichnis Nr. 21.46.01.0xxx, Überwachungsgeräte mit Bettsensor für Epilepsiekranke). Eine solche nächtliche Überwachung ist jedoch nicht streitgegenständlich. Auch die von der Kinderärztin I. P. mit den Erklärungen vom 5. und vom 23. November 2018 nachgereichte Erläuterung der Verordnung häuslicher Krankenpflege, widerspricht nicht der Einschätzung Dr. med. D.s. Die Ärztin hat wie Dr. med. D. lediglich eine Absencenepilepsie beschrieben, die als solche keine Notwendigkeit der Dauerüberwachung begründet. Im Übrigen hat sie die Betreuungsbedürftigkeit der Antragstellerin auf Grund der zunehmenden Demenz mit Orientierungsverlustes in den Vordergrund gestellt und daraus zutreffend den Schluss gezogen, dass der Pflegegrad der Antragstellerin von seinerzeit 2 erhöht werden müsse. Dies unterstreicht jedoch nur den gesteigerten Grundpflegebedarf, nicht den Bedarf nach häuslicher Krankenpflege. Das Gericht sieht sich auch nicht veranlasst, einen neueren Bericht der Kinderärztin anzufordern. Es ist gemäß § 920 Absatz 2 ZPO in Verbindung mit § 86b Absatz 2 Satz 4 SGG Sache der Bevollmächtigten der Antragstellerin, das Bestehen eines Anordnungsanspruchs glaubhaft zu machen. Die Pflicht des Gerichts zur Amtsermittlung ist im Antragsverfahren insoweit eingeschränkt. Hier haben die Bevollmächtigten der Antragstellerin noch nicht einmal selbst substantiiert dargelegt, dass der Gesundheitszustand der Antragstellerin sich seit dem Reha-Aufenthalt in der Klinik B. hinsichtlich des Anfallsleidens so wesentlich geändert hätte, dass es einer neuropädiatrischen Neubewertung des Anfallsrisikos bedürfte. Dem knapp sechs Wochen alten Bericht über den stationären Aufenthalt im Klinikum D. vom 20. bis 24. Mai 2019 lassen sich keine Anhaltspunkte für eine solche Verschlechterung entnehmen. Es besteht damit auch keine Rechtfertigung, ohne sachliche Veranlassung auf die bloße abstrakte Möglichkeit einer Änderung hin weiter zu ermitteln. Die Notwendigkeit einer lückenlosen Überwachung durch eine medizinische Fachkraft während des Schulaufenthaltes lässt sich auch nicht mit der vorsorglichen Verschreibung eines Epilepsienotfallmedikaments durch die Kinderärztin begründen. Es trifft zu, dass Lehrer und Erzieher auch an Förderschulen nicht zur regelmäßigen Medikamentenabgabe verpflichtet werden können. Auch sie trifft jedoch die allgemeine Hilfepflicht in Notfällen (§ 323c StGB). Für die Lehrer und Erzieher der Antragstellerin gilt in dieser Hinsicht nichts anderes als für Lehrer und Erzieher anderer Schüler, die beispielsweise an Allergien, Asthma, Diabetes oder Epilepsie erkrankt sind. Die Hilfepflicht kann auch die Abgabe eines Notfallmedikaments umfassen, dessen Anwendung keiner medizinischen Ausbildung bedarf. Gerade Schulen für Kinder mit besonderem Förderbedarf, der oft im Zusammenhang mit schweren Erkrankungen steht, müssen sich auf solche Situationen durch Fortbildungsmaßnahmen sowie Absprachen mit den Sorgeberechtigten der betreffenden Kinder einstellen. Eine ununterbrochene individuelle Begleitung jedes gesundheitlich gefährdeten Kindes durch eine medizinische Fachkraft allein wegen der abstrakten Gefahr eines Notfalles, kann kein Gesundheitssystem leisten. Das verordnete Notfallmedikament Midazolam (Biccolam 5 mg Spritze) zur Anwendung bei einem Krampfanfall wird nicht perkutan angewandt, sondern ist zur Anwendung in der Mundhöhle bestimmt. Die von der Europäischen Arzneimittelagentur veröffentlichten Fachinformationen (https://www.ema.europa.eu/en/documents/product-information/buccolam-epar-product-information de.pdf) sehen ausdrücklich eine Anwendung durch Eltern und Betreuungspersonen vor. Es handelt sich demnach um eine Bedarfsmedikation, die von medizinischen Laien angewandt werden kann und nicht speziell ausgebildeten Fachkräften vorbehalten ist. Dies kann den Lehrern und Erziehern der Förderschule nach Absprache mit der Mutter oder der Kinderärztin der Antragstellerin zugemutet werden. Eine wesentliche Änderung des Gesundheitszustandes, die einen Anspruch als möglich erscheinen lässt, ist nicht durch die zwischenzeitliche Anlage einer PEG-Sonde und die zusätzliche Ernährung über die Sonde eingetreten. Die Versorgung der Sonde selbst mit dem Wechsel der Schutzauflage bei PEG, der Kontrolle der Fixierung und Durchgängigkeit, einschließlich Reinigung der Sonde, der Desinfektion der Wunde, ggf. Wundversorgung und Anwendung ärztlich verordneter Medikamente ist eine eigenständige Leistung der häuslichen Krankenpflege (Nummer 27 LV HKP-RL). Sie begründet aber nicht die Notwendigkeit einer täglich mehrstündigen Überwachung im Sinne der streitgegenständlichen speziellen Krankenbeobachtung während des Schulaufenthaltes. Die Ernährung der Antragstellerin mittels der Sonde kann dagegen schon nicht als Leistung der häuslichen Krankenpflege beansprucht werden. Die Ernährung – auch von Sondennahrung – ist als grundpflegerische Leistung mit der streitgegenständlichen Krankenbeobachtung weder der Art nach identisch, noch begründet sie einen Bedarf für die beantragte täglich mehrstündige Krankenbeobachtung in der Schule. Sie ist eine Leistung der Grundpflege. Der ernährungsbedingte Hilfebedarf wird bereits durch die Zuerkennung des Pflegegrades 4 abgebildet. Die Antragstellerin bezieht hierfür bereits Pflegegeld. § 37 Absatz 2 Satz 6 SGB V schließt auf Grund dieser Abgrenzung der Leistungssysteme eine Übernahme dieser Leistungen sogar als satzungsmäßige Annexleistung zu Verrichtungen der Hauskrankenpflege aus dem Leistungsumfang ausdrücklich aus. Die Antragsgegnerin hat in Anerkennung des ernährungsbedingten (Grund )Pflegebedarfs mehrfach angeregt, die Pflegeleistungen auf eine Kombination mit Sachleistungen umzustellen, damit ein Pflegedienst die Ernährung mittels PEG-Sonde übernimmt. Es ist deshalb nicht gerechtfertigt, es der Ablehnung der speziellen Krankenbeobachtung anzulasten, dass die Antragstellerin bereits mittags von der Schule abgeholt wird, damit die Mutter ihr zu Hause die Sondennahrung verabreicht. Die Kostenentscheidung beruht auf § 183 Satz 1 und § 193 Absatz 1 SGG.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten über die Versorgung der Antragstellerin mit häuslicher Krankenpflege als spezielle Krankenbeobachtung durch eine medizinische Fachkraft während des täglichen Schulbesuchs. Die am 6. Dezember 2010 geborene und bei der Antragsgegnerin gesetzlich krankenversicherte Antragstellerin leidet an einer angeborenen Leukodystrophie vom Typ eines Morbus Canavan (ICD-10 E75.2) mit Epilepsie. Zur Anfallprävention wurde ihr Sultiam (Ospolot 50 mg) verordnet. Die Antragstellerin besucht die Förderschule in H ... Wegen täglich mehrfacher Absencen verordnete die behandelnde Kinderärztin, I. P., am 17. September 2018 spezielle Krankenbeobachtung im Umfang von täglich acht Stunden im Familienhaushalt und in der Schule zur Epilepsiebeobachtung und Versorgung bei Anfällen. Der von der Antragsgegnerin hinzugezogene MDK verneinte in einer Stellungnahme vom 8. Oktober 2018 die Notwendigkeit spezieller Krankenbeobachtung. Berichten der Klinik C. vom 17. August 2018 und des Klinikums D. vom 23. August 2018 (Bl. 12 der SG-Akte) zufolge seien seit der Einstellung auf das Antiepileptikum keine Anfälle mehr aufgetreten. Bei selbstlimitierenden fokalen Anfällen seien keine lebensbedrohlichen Situationen zu erwarten. Die allgemeine Beaufsichtigung des Kindes sei ausreichend. Mit Bescheid vom 15. Oktober 2018 lehnte die Antragstellerin daraufhin eine Kostenübernahme über den 28. Oktober 2018 hinaus ab. Mit am 8. November 2018 eingegangenem Schreiben vom 4. November 2018 erhob die Mutter der Antragstellerin hiergegen Widerspruch. Die Antragstellerin sei auf die Krankenpflege angewiesen, um im Falle eines epileptischen Anfalls Notfallmedikamente zu verabreichen und Zusatznahrung zu verabreichen. Zudem verschlimmerten sich zunehmend die Demenz, die Beeinträchtigung des Schluckens und Sprechens, die Harninkontinenz und die Koordinationseinschränkungen. In einem beigefügten Schreiben vom 5. November 2018 (Bl. 74 f. der SG-Akte) teilt die Kinderärztin der Antragstellerin mit, aktuell stehe der Gewichtsverlust trotz hochkalorischer Zusatzernährung im Vordergrund, außerdem die Absencenepilepsie, wobei sich bei möglichen Krampfanfällen die Verabreichung einer Notfallmedikation in kürzester Zeit erforderlich mache, sowie der zunehmende Orientierungsverlust. Eine Betreuung und Begleitung sei erforderlich, um der Antragstellerin den Schulbesuch zu ermöglichen, solange das noch möglich sei. Gegenüber dem MDK erklärte die Kinderärztin in einem Fragebogen vom 23. November 2018, dass die Anfallsfrequenz für die Krankenbeobachtung nicht Ausschlag gebend sei. Es gehe auch nicht nur um den Krampfanfall, sondern um zunehmende Demenz, Orientierungsverlust, Schmerzreduktion und dergleichen. Auf die Frage nach dem letztmaligen Status epilepticus machte die Ärztin keine Angaben; im Anfallsprotokoll für Oktober 2018 waren keine Anfälle dokumentiert. Der erneut hinzugezogene MDK hielt nach Auswertung des Berichts des Klinikums D. vom 23. August 2018 (Bl. 12 der SG-Akte), der Angaben der Kinderärztin (Bl. 74 f. der SG-Akte), des Pflegegutachtens vom 20. März 2019 (Bl. 51 ff. der SG-Akte) und des Rehabilitationsentlassungsberichts der Klinik B. über den Aufenthalt vom 10. Januar bis 7. Februar 2019 (Bl. 15 ff. der SG-Akte) in einer Stellungnahme vom 4. April 2019 an seinem ablehnenden Votum fest. Nach Reduzierung der antiepileptischen Medikation wegen des Gewichtsverlustes seien verstärkt Absencen eingetreten, aber keine komplizierten Krampfanfälle bzw. Status epilepticus; Notfallmedikamente hätten nicht verabreicht werden müssen. Die Antragsgegnerin wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 9. Mai 2019, gestützt auf die Stellungnahmen des MDK zurück. Die hiergegen am 16. Mai 2019 erhobene Klage im Hauptsacheverfahren ist unter dem Aktenzeichen S 47 KR 1676/19 beim SG Dresden anhängig. Am 30. April 2019 beantragte die Antragstellerin, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Gewährung häuslicher Krankenpflege durch eine medizinische Fachkraft während des Schulbesuchs an fünf Tagen pro Woche zu verpflichten. Zur Begründung verweisen die Bevollmächtigten der Antragstellerin auf die zunehmende Demenz mit Orientierungsverlust, den Gewichtsverlust mit Notwendigkeit der Ernährung über eine PEG-Sonde sowie die Gefahr lebensbedrohender Krampfanfälle. Die Lehrer der Förderschule seien nicht in der Lage, bei lebensbedrohlichen Zuständen die gebotene medizinische Notfallversorgung durchzuführen und die Ernährung der Antragstellerin zu überwachen. Ende Mai 2019 wurde die Antragstellerin im Klinikum D. mit einer PEG-Sonde zur ergänzenden bzw. kalorisch überwiegenden Sondenernährung versorgt (stationär vom 20. bis 24. Mai 2019, Bericht Bl. 86 ff. der SG-Akte). Die Bevollmächtigten der Antragstellerin haben eine Erklärung der Mutter der Antragstellerin vom 19. Juni 2019 vorgelegt, wonach sie den täglichen Schulaufenthalt der Antragstellerin auf vier Stunden verkürzen müsse, um die Antragstellerin mittags mit Nahrung zu versorgen, denn dies übernehme kein Betreuer in der Schule. Die Antragsgegnerin beantragt die Ablehnung des Antrags. Die Unterstützung bei der Ernährung sei der Grundpflege und nicht der häuslichen Krankenpflege zuzurechnen. Hierfür beziehe die Antragstellerin bereits Pflegegeld nach Pflegegrad 4, die Antragstellerin könne insoweit die Umstellung auf Kombileistungen beantragen. Auch die allgemeine Krankenbeobachtung sei keine Leistung der häuslichen Krankenpflege. Der im Hinblick auf einen derzeit ruhenden Antrag auf Eingliederungshilfe mit Beschluss vom 7. Mai 2019 als Träger der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII beigeladene Landkreis S. sieht keine Leistungspflicht zur Deckung von Bedarfen, welche die Hinzuziehung einer medizinischen Fachkraft erforderlich machen. Über die Gewährung einer Assistenz für nicht-krankenpflegerische Verrichtungen könne nach einer Hospitation zur Bedarfsfeststellung im neuen Schuljahr entschieden werden. Das Gericht hat eine gutachterliche Stellungnahme bei Chefarzt Dr. med. D. vom 17. Juni 2019 zur Notwendigkeit einer ständigen Überwachung wegen der Epilepsieerkrankung auf Grundlage des stationären Rehabilitationsaufenthalts in der Klinik B. vom 10. Januar bis 7. Februar 2019 eingeholt, wegen deren Inhalts auf Bl. 90 ff. der SG-Akte verwiesen wird. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Schriftsätze der Beteiligten einschließlich der Anlagen und die beigezogenen Verwaltungsakten der Antragsgegnerin und des Beigeladenen Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ist zulässig, aber unbegründet. Gemäß § 86b Absatz 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt gemäß § 86b Absatz 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Absatz 2 ZPO voraus, dass der Antragsteller glaubhaft macht, dass ihm ein materielles Recht zusteht, für das er einstweiligen Rechtsschutz beantragen kann (Anordnungsanspruch), und dass wesentliche Nachteile drohen, die nach den Umständen des Einzelfalles unter Abwägung der widerstreitenden Interessen ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache als unzumutbar erscheinen lassen (Anordnungsgrund). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Gewährung häuslicher Krankenpflege in der durch die ärztliche Verordnung vom 17. September 2018 konkretisierten Form – als spezielle Krankenbeobachtung täglich acht Stunden – sind auch in dem vom Antrag umfassten reduzierten Umfang (fünfmal wöchentlich) nicht glaubhaft gemacht. Nach § 37 Absatz 2 Satz 1 SGB V erhalten Versicherte in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, unter anderem in Schulen, als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist. Der Gemeinsame Bundesausschuss beschreibt in Nummer 24 des Leistungsverzeichnisses (LV) zur Häusliche Krankenpflege-Richtlinie (HKP-RL) den Leistungsumfang der speziellen Krankenbeobachtung als kontinuierliche Beobachtung und Intervention mit den notwendigen medizinisch-pflegerischen Maßnahmen sowie Dokumentation der Vitalfunktionen wie Puls, Blutdruck, Temperatur, Haut, Schleimhaut. Die Voraussetzungen für die Verordnungsfähigkeit der Leistung hat er dahin gehend konkretisiert, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit sofortige pflegerische/ärztliche Intervention bei lebensbedrohlichen Situationen täglich erforderlich sein muss und nur die genauen Zeitpunkte und das genaue Ausmaß nicht im Voraus bestimmt werden können oder – hier nicht einschlägig – dass wegen akuter Verschlechterung des Krankheitsverlaufs die Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit festzustellen ist; dabei setzt die spezielle Krankenbeobachtung die permanente Anwesenheit der Pflegekraft über den gesamten Versorgungszeitraum voraus; sie umfasst auch die dauernde Erreichbarkeit der Ärztin oder des Arztes und die laufende Information der Ärztin oder des Arztes über Veränderungen der Vitalzeichen. Der Gemeinsame Bundesausschuss ist allerdings nicht befugt, den in § 37 SGB V grundsätzlich offen formulierten gesetzlich Leistungsumfang einzuschränken und medizinisch notwendige Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege vom Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung auszunehmen (vgl. BSG, Urteil vom 17. März 2005 – B 3 KR 35/04 R –; BSG, Urteil vom 10. November 2005 – B 3 KR 38/04 R –). Dies bedeutet beispielsweise, dass ein Anspruch auf spezielle Krankenbeobachtung auch bestehen kann, wenn die vom Gemeinsamen Bundesausschuss vorausgesetzten lebensbedrohlichen Zustände nicht täglich auftreten, sondern nur die Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens ständig vorliegt und deshalb eine permanente Überwachung der Vitalfunktionen erforderlich ist. Dies ändert indessen nichts daran, dass eine ständige Überwachung als häusliche Krankenpflege nur gewährt werden kann, wenn der Gesundheitszustand des Versicherten entsprechend dem in der gesetzlichen Krankenversicherung abgesicherten Risiko die Notwendigkeit spezifisch medizinischer Leistungen durch einschlägig qualifizierte Fachkräfte – in Abgrenzung zu pflegerischer Betreuung, Alltagsassistenz oder allgemeiner Krankenbeobachtung – erforderlich macht. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Das Gericht stützt sich dabei auf die Einschätzung in der gutachterlichen Stellungnahme von Chefarzt Dr. med. D. vom 17. Juni 2019, der auf Grund der Beobachtung der Antragstellerin während des stationären Aufenthaltes der Antragstellerin in der Klinik B. vom 10. Januar bis 7. Februar 2019 die Notwendigkeit ständiger Überwachung durch eine medizinische Fachkraft zur Abwendung von lebensgefährlichen Risiken auf Grund der Epilepsieerkrankung verneint hat. Das Gericht ist sich bewusst, dass die Grundlage dieser Einschätzung ein inzwischen fünf Monate zurückliegender Reha-Aufenthalt ist. Andererseits verfügt der Sachverständige auf Grund seiner Expertise als Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin mit Schwerpunkt Neuropädiatrie über ausreichend Fachwissen, um auch Aussagen über den prognostischen Krankheitsverlauf machen zu können, die über das Ende des stationären Aufenthalts hinausreichen. Die Anregung einer vorgezogenen Wiedervorstellung der Antragstellerin beim MDK bringt zum Ausdruck, dass er bei seiner Einschätzung das Fortschreiten der Erkrankung bereits berücksichtigt hat. Die Einschätzung Dr. med. D.s wird bestätigt durch den aktuellen Entlassungsbericht des Klinikum D. über den stationären Aufenthalt vom 20. bis 24. Mai 2019 zum Anlegen einer PEG-Sonde. Der Anamnese zufolge hat die Mutter der Antragstellerin dort angegeben, dass die Antragstellerin ca. drei- bis viermal täglich bis zu 30 Sekunden dauernde Absencen durchmache, während derer sie nicht ansprechbar sei. Zudem hat die Mutter berichtet, dass sie wöchentlich bemerke, dass die Antragstellerin nachts aus dem Bett gefallen und am Folgetag vermehrt abgeschlagen und müde sei, was die Mutter– ohne dass sie zur näheren Beschreibung der Anfallscharakteristik im Stande sei – als größere Anfälle interpretiere. Nebenwirkungen der Antiepilepsiemedikation würden nicht bemerkt. Dies fügt sich in die Einschätzung des Sachverständigen Dr. med. D. ein, wonach es sich bei den Anfällen der Antragstellerin um einfach-fokale Anfälle ohne Eintritt lebensbedrohlicher Zustände handelt. Der Annahme der Mutter der Antragstellerin, die Antragstellerin erleide nachts größere Anfälle, könnte durch eine nächtliche Epilepsieüberwachung nachgegangen werden; dabei wäre auch ein apparatives Monitoring zu denken (Hilfsmittelverzeichnis Nr. 21.46.01.0xxx, Überwachungsgeräte mit Bettsensor für Epilepsiekranke). Eine solche nächtliche Überwachung ist jedoch nicht streitgegenständlich. Auch die von der Kinderärztin I. P. mit den Erklärungen vom 5. und vom 23. November 2018 nachgereichte Erläuterung der Verordnung häuslicher Krankenpflege, widerspricht nicht der Einschätzung Dr. med. D.s. Die Ärztin hat wie Dr. med. D. lediglich eine Absencenepilepsie beschrieben, die als solche keine Notwendigkeit der Dauerüberwachung begründet. Im Übrigen hat sie die Betreuungsbedürftigkeit der Antragstellerin auf Grund der zunehmenden Demenz mit Orientierungsverlustes in den Vordergrund gestellt und daraus zutreffend den Schluss gezogen, dass der Pflegegrad der Antragstellerin von seinerzeit 2 erhöht werden müsse. Dies unterstreicht jedoch nur den gesteigerten Grundpflegebedarf, nicht den Bedarf nach häuslicher Krankenpflege. Das Gericht sieht sich auch nicht veranlasst, einen neueren Bericht der Kinderärztin anzufordern. Es ist gemäß § 920 Absatz 2 ZPO in Verbindung mit § 86b Absatz 2 Satz 4 SGG Sache der Bevollmächtigten der Antragstellerin, das Bestehen eines Anordnungsanspruchs glaubhaft zu machen. Die Pflicht des Gerichts zur Amtsermittlung ist im Antragsverfahren insoweit eingeschränkt. Hier haben die Bevollmächtigten der Antragstellerin noch nicht einmal selbst substantiiert dargelegt, dass der Gesundheitszustand der Antragstellerin sich seit dem Reha-Aufenthalt in der Klinik B. hinsichtlich des Anfallsleidens so wesentlich geändert hätte, dass es einer neuropädiatrischen Neubewertung des Anfallsrisikos bedürfte. Dem knapp sechs Wochen alten Bericht über den stationären Aufenthalt im Klinikum D. vom 20. bis 24. Mai 2019 lassen sich keine Anhaltspunkte für eine solche Verschlechterung entnehmen. Es besteht damit auch keine Rechtfertigung, ohne sachliche Veranlassung auf die bloße abstrakte Möglichkeit einer Änderung hin weiter zu ermitteln. Die Notwendigkeit einer lückenlosen Überwachung durch eine medizinische Fachkraft während des Schulaufenthaltes lässt sich auch nicht mit der vorsorglichen Verschreibung eines Epilepsienotfallmedikaments durch die Kinderärztin begründen. Es trifft zu, dass Lehrer und Erzieher auch an Förderschulen nicht zur regelmäßigen Medikamentenabgabe verpflichtet werden können. Auch sie trifft jedoch die allgemeine Hilfepflicht in Notfällen (§ 323c StGB). Für die Lehrer und Erzieher der Antragstellerin gilt in dieser Hinsicht nichts anderes als für Lehrer und Erzieher anderer Schüler, die beispielsweise an Allergien, Asthma, Diabetes oder Epilepsie erkrankt sind. Die Hilfepflicht kann auch die Abgabe eines Notfallmedikaments umfassen, dessen Anwendung keiner medizinischen Ausbildung bedarf. Gerade Schulen für Kinder mit besonderem Förderbedarf, der oft im Zusammenhang mit schweren Erkrankungen steht, müssen sich auf solche Situationen durch Fortbildungsmaßnahmen sowie Absprachen mit den Sorgeberechtigten der betreffenden Kinder einstellen. Eine ununterbrochene individuelle Begleitung jedes gesundheitlich gefährdeten Kindes durch eine medizinische Fachkraft allein wegen der abstrakten Gefahr eines Notfalles, kann kein Gesundheitssystem leisten. Das verordnete Notfallmedikament Midazolam (Biccolam 5 mg Spritze) zur Anwendung bei einem Krampfanfall wird nicht perkutan angewandt, sondern ist zur Anwendung in der Mundhöhle bestimmt. Die von der Europäischen Arzneimittelagentur veröffentlichten Fachinformationen (https://www.ema.europa.eu/en/documents/product-information/buccolam-epar-product-information de.pdf) sehen ausdrücklich eine Anwendung durch Eltern und Betreuungspersonen vor. Es handelt sich demnach um eine Bedarfsmedikation, die von medizinischen Laien angewandt werden kann und nicht speziell ausgebildeten Fachkräften vorbehalten ist. Dies kann den Lehrern und Erziehern der Förderschule nach Absprache mit der Mutter oder der Kinderärztin der Antragstellerin zugemutet werden. Eine wesentliche Änderung des Gesundheitszustandes, die einen Anspruch als möglich erscheinen lässt, ist nicht durch die zwischenzeitliche Anlage einer PEG-Sonde und die zusätzliche Ernährung über die Sonde eingetreten. Die Versorgung der Sonde selbst mit dem Wechsel der Schutzauflage bei PEG, der Kontrolle der Fixierung und Durchgängigkeit, einschließlich Reinigung der Sonde, der Desinfektion der Wunde, ggf. Wundversorgung und Anwendung ärztlich verordneter Medikamente ist eine eigenständige Leistung der häuslichen Krankenpflege (Nummer 27 LV HKP-RL). Sie begründet aber nicht die Notwendigkeit einer täglich mehrstündigen Überwachung im Sinne der streitgegenständlichen speziellen Krankenbeobachtung während des Schulaufenthaltes. Die Ernährung der Antragstellerin mittels der Sonde kann dagegen schon nicht als Leistung der häuslichen Krankenpflege beansprucht werden. Die Ernährung – auch von Sondennahrung – ist als grundpflegerische Leistung mit der streitgegenständlichen Krankenbeobachtung weder der Art nach identisch, noch begründet sie einen Bedarf für die beantragte täglich mehrstündige Krankenbeobachtung in der Schule. Sie ist eine Leistung der Grundpflege. Der ernährungsbedingte Hilfebedarf wird bereits durch die Zuerkennung des Pflegegrades 4 abgebildet. Die Antragstellerin bezieht hierfür bereits Pflegegeld. § 37 Absatz 2 Satz 6 SGB V schließt auf Grund dieser Abgrenzung der Leistungssysteme eine Übernahme dieser Leistungen sogar als satzungsmäßige Annexleistung zu Verrichtungen der Hauskrankenpflege aus dem Leistungsumfang ausdrücklich aus. Die Antragsgegnerin hat in Anerkennung des ernährungsbedingten (Grund )Pflegebedarfs mehrfach angeregt, die Pflegeleistungen auf eine Kombination mit Sachleistungen umzustellen, damit ein Pflegedienst die Ernährung mittels PEG-Sonde übernimmt. Es ist deshalb nicht gerechtfertigt, es der Ablehnung der speziellen Krankenbeobachtung anzulasten, dass die Antragstellerin bereits mittags von der Schule abgeholt wird, damit die Mutter ihr zu Hause die Sondennahrung verabreicht. Die Kostenentscheidung beruht auf § 183 Satz 1 und § 193 Absatz 1 SGG.
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