L 4 SO 120/18

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
4
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 12 SO 53/17
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 SO 120/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 8 SO 15/20 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
§ 23 Abs. 3 Sätze 5 und 6 SGB XII sind dahingehend verfassungskonform auszulegen, dass die Härtefallregelung jeden während des tatsächlichen Aufenthalts entstehenden Bedarfsfall der Leistungen nach dem Dritten und Fünften Kapitel erfassen muss. Auch bei nicht befristeten besonderen Bedarfslagen und damit für die tatsächliche Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet sind existenzsichernde Sozialleistungen zu gewähren; werden darüber hinaus andere Bedarfe als die nach Absatz 3 Satz 5 typisierend vorgesehenen geltend gemacht und liegen sie tatsächlich vor, sind auch diese in verfassungskonformer Auslegung des Satzes 6 für die Zeit des tatsächlichen Aufenthalts längstens bis zur vollziehbaren Ausreisepflicht zu decken. Der Unterschied zu Leistungen nach dem Dritten Kapitel besteht mithin darin, dass die bedürftige Person von dem pauschalierten Leistungsmodell des Dritten Kapitels auf die Anmeldung des individuellen Bedarfs insbesondere im Bereich der soziokulturellen Existenz verwiesen wird und im Falle der fehlenden Darlegung des Bedarfes auch nicht von der Pauschalierung profitieren kann.
I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 18. April 2018 wie folgt abgeändert: Der Bescheid vom 10. November 2016, geändert durch die Bescheide vom 16. und 17. März 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. März 2017 wird über das angenommene Teilanerkenntnis hinaus aufgehoben, soweit Überbrückungsleistungen für alle Kläger für den Zeitraum vom 1. März 2017 bis einschließlich 14. März 2017 abgelehnt wurden. Der Beklagte wird verurteilt, den Klägern Überbrückungsleistungen nach Maßgabe der Entscheidungsgründe zur Auslegung von § 23 Abs. 3 Sätze 5 und 6 SGB XII für den Zeitraum vom 1. März 2017 bis einschließlich 14. März 2017 zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

II. Die außergerichtlichen Kosten der Kläger hat der Beklagte in erster Instanz vollständig, in der Berufungsinstanz zu ¼ zu tragen.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist im Anschluss an ein erstinstanzlich in der mündlichen Verhandlung vom Beklagten abgegebenes und den Klägern angenommenes Teilanerkenntnis die Gewährung von Leistungen nach dem Dritten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe (SGB XII) allein noch für die Zeit vom 1. Februar 2017 bis 31. März 2017 im Streit.

Der 1992 geborene Kläger zu 1), die 1994 geborene Klägerin zu 2), der 2014 in A-Stadt geborene Kläger zu 3) und der 2016 geborene Kläger zu 4) sind bulgarische Staatsangehörige. Die Kläger zu 3) und 4) sind die gemeinsamen Kinder der Kläger zu 1) und 2). Der Kläger zu 1) und die Klägerin zu 2) sind seit dem 1. März 2017 miteinander verheiratet. Sie wohnten jedenfalls bis 31. März 2017 in der F-Straße in FX-Stadt.

Der Kläger zu 1) ist im April 2012 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist, um im elterlichen Betrieb eines Schrotthandels mitzuarbeiten. Im Juni 2012 reiste die Klägerin zu 2) aus Bulgarien in die Bundesrepublik Deutschland ein. In der Zeit vom 8. Dezember 2015 bis 21. April 2016 war der Kläger zu 1) bei der Fa. G. Service GmbH in A-Stadt geringfügig beschäftigt. Ihm wurde nach seinen unwidersprochen gebliebenen Angaben betriebsbedingt gekündigt.

Am 13. Juni 2016 beantragte der Kläger zu 1) für sich und zunächst für die Klägerin zu 2) und den Kläger zu 3) Arbeitslosengeld II. Mit Bescheid vom 27. Oktober 2016 bewilligte das Jobcenter für den Zeitraum bis 20. Oktober 2016 Leistungen. Der Bescheid enthielt die Ankündigung, über den Anspruch des zwischenzeitlich geborenen Klägers zu 4) für September 2016 neu zu entscheiden. Für Oktober 2016 wurden Leistungen bewilligt.

Die Kläger beantragten am 8. November 2016 mittels Formularantrag beim Beklagten Leistungen zur Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII.

Der Kläger zu 1) meldete am 4. Januar 2017 ein Gewerbe in Gestalt eines "Schrotthandels auf Bestellung (ohne Lagerung unter der Betriebsstättenanschrift)" beim Magistrat der Stadt F-Stadt an. Er zeigte am 12. Januar 2017 dem Regierungspräsidium Kassel die gewerbliche Sammlung von Altmetallen gemäß § 18 Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) an. Im Januar und Februar 2017 hatte er keine Einnahmen aus selbstständiger Tätigkeit. Ausweislich einer im Berufungsverfahren vorgelegten Belegübersicht der Fa. Rohstoffgroßhandel H. GmbH (Bl. 183 d.A.) gab es im März 2017 Gutschriften für Schrottlieferungen i.H.v. 192,46 EUR (15. März 2017), 191,13 EUR (17. März 2017) und 194,05 EUR (23. März 2017). Der Kläger quittierte den Erhalt des letztgenannten Betrages. Im April 2017 standen Einnahmen i.H.v. 304,24 EUR Ausgaben i.H.v. 90,08 EUR gegenüber.

Mit Bescheid vom 27. Januar 2017 des Hessischen Amtes für Versorgung und Soziales Kassel wurde den Klägern zu 1) und zu 2) Elterngeld vom 1. Oktober 2016 bis 28. Februar 2017 in Höhe von 375 EUR und vom 1. März 2017 bis 30. September 2017 in Höhe von 300 EUR bewilligt. Kindergeld wurde für den Kläger zu 3) im streitgegenständlichen Zeitraum laufend bewilligt und gezahlt; mit Bescheid der Familienkasse Hessen vom 21. April 2017 wurde die Bewilligung rückwirkend ab März 2017 aufgehoben, da die Kläger unbekannt verzogen seien. Ebenfalls mit Bescheid vom 21. April 2017 lehnte die Familienkasse den Kindergeldantrag bezüglich des Klägers zu 4) ab, da die Klägerin zu 2) keine Angaben zu einem Auslandsaufenthalt des Klägers zu 4) gemacht habe.

Weitere Einnahmen oder anzurechnendes Vermögen hatten die Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum nicht. Insoweit nimmt der Senat Bezug auf die Feststellungen des Beklagten im Bescheid vom 16. März 2017 (Bl. 186 der Verwaltungsakte der Beklagten).

Den Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 10. November 2016 ab. Die Kläger seien nicht anspruchsberechtigt. Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergebe, hätten nach § 23 Abs. 2 SGB XII keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Die Kläger zu 1) und 2) seien zudem erwerbsfähig und auch von daher bereits nach § 21 SGB XII von Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII ausgeschlossen. Insoweit bilde der Begriff der Erwerbsfähigkeit ein wesentliches Abgrenzungskriterium zwischen den Leistungssystemen des Sozialgesetzbuches Zweites Buch Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) und des SGB XII, wobei der Beklagte hierzu auf einen Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 22. Mai 2015 Bezug nahm.

Hierauf machten die Kläger mit Eingang beim Sozialgericht Kassel vom 17. November 2016 unter dem Az. S 12 SO 38/16 ER durch ihre Prozessbevollmächtigte u.a. unter Hinweis auf diese Rechtsprechung die beantragte Leistungsgewährung im einstweiligen Rechtsschutz geltend.

Gleichzeitigen legten sie mit Schriftsatz vom selben Tag gegen den Bescheid vom 10. November 2016 beim Beklagten Widerspruch ein.

Mit rechtskräftigem Beschluss vom 16. Dezember 2016 wurde der Beklagte im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet, den Klägern vorläufig unter dem Vorbehalt der Rückforderung für die Zeit vom Antragseingang am 17. November 2016 bis 31. März 2017, längstens jedoch bis zur Entscheidung des Hauptsacheverfahrens hinsichtlich des Widerspruchs der Kläger gegen den Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 10. November 2016, im Umfang der jeweiligen Regelleistungen Hilfe zum Lebensunterhalt in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Der Beklagte bewilligte den Klägern vorläufig in Umsetzung des Beschlusses vom 16. Dezember 2016 mit Bescheid vom 28. Dezember 2016 "Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII ab 17. November 2016 bis 31. März 2017", längstens jedoch bis zur Entscheidung des Hauptsacheverfahrens hinsichtlich des Ablehnungsbescheides vom 10. November 2016." Die Leistungsgewährung umfasste dabei jeweils in voller Höhe sowohl den jeweiligen Regelbedarf als auch die Kosten der Unterkunft.

Der Beklagte hob mit Änderungsbescheid vom 25. Januar 2017 den Ausführungsbescheid vom 28. Dezember 2016 unter Verweis auf § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X), mit Wirkung ab 1. Februar 2017 wieder auf und bewilligte den Klägern vom 1. Februar 2017 bis 28. Februar 2017 unter Anrechnung von Kindergeld und Elterngeld Überbrückungsleistungen gemäß § 23 Abs. 3 SGB XII in Höhe von allein noch 241,03 EUR.

Gegen den Bescheid vom 25. Januar 2017 legten die Kläger am 1. Februar 2017 Widerspruch ein. Mit diesem und unter Verweis auf den Bescheid vom 28. Dezember 2016 machten die Kläger die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gelten und kündigten bei Nichteinhaltung einen erneuten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung an. Mit Widerspruchsbescheid vom 2. Februar 2017 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Gleichzeitig ordnete er die sofortige Vollziehung der Entscheidung nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) an. Hierauf erhoben die Kläger am 3. Februar 2017 unter dem Az. S 12 SO 17/17 beim Sozialgericht in Kassel in der Hauptsache Klage und beantragten gleichzeitig unter dem Az. S 12 SO 8/17 ER erneut den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der sie die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs sowie der Hauptsacheklage geltend machten, nachdem der Beklagte die sofortige Vollziehung des insoweit angefochtenen Bescheides vom 25. Januar 2017 mit dem auf den Widerspruch erteilten Widerspruchsbescheid vom 2. Februar 2017 angeordnet habe. Mit Beschluss vom 21. Februar 2017 stellte das Sozialgericht im Verfahren S 12 SO 8/17 ER die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage der Kläger gegen den Bescheid des Beklagten vom 25. Januar 2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 2. Februar 2017 mit der Folge wieder her, dass der Beklagte auf der Grundlage des Kammerbeschlusses vom 16. Dezember 2016 verpflichtet bleibe, den Klägern vorläufig unter dem Vorbehalt der Rückforderung für die Zeit vom 17. November 2016 bis 31. März 2017, längstens jedoch bis zur Entscheidung des Hauptsacheverfahrens hinsichtlich des Widerspruchs der Kläger gegen den Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 10. November 2016, im Umfang der jeweiligen Regelleistungen Hilfe zum Lebensunterhalt in Form des Regelbedarfs nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Der Beklagte beantragte, den Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 16. Dezember 2016 - S 12 SO 38/16 ER - abzuändern und die vorläufige Leistungspflicht des Beklagten in Anpassung an die seit 1. Januar 2017 geltende Rechtslage auf die in § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII geregelte, einmalige Überbrückungsleistung zu beschränken, wobei dieses Abänderungsverfahren unter dem Az. S 12 SO 13/17 ER geführt wurde. Erst am 21. März 2017 erhob der Beklagte Beschwerde gegen den Beschluss vom 21. Februar 2017 - S 12 SO 8/17 ER. Mit Beschluss vom 22. März 2017 lehnte dann das Sozialgericht in der Sache S 12 SO 13/17 ER den Antrag des Beklagten ab, den rechtskräftigen Beschluss der Kammer vom 16. Dezember 2016 abzuändern. Auf die unter dem Az. L 4 SO 54/17 B ER geführte Beschwerde des Beklagten hob der Senat mit Beschluss vom 4. April 2017 den Beschluss des Sozialgerichts vom 21. Februar 2017 auf und wies den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners und Beklagten vom 25. Januar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Februar 2017 zurück. Gegen den Beschluss der Kammer vom 22. März 2017 in der Sache S 12 SO 13/17 ER hat der Beklagte keine Beschwerde mehr eingelegt. Mit Gerichtsbescheid vom 5. Mai 2017 wurde schließlich in der Sache S 12 SO 17/17 der Bescheid vom 25. Januar 2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 2. Februar 2017 aufgehoben. Der Beklagte habe mit dortigen Bescheiden rechtswidrig in die Rechtskraft des Beschlusses der Kammer vom 16. Dezember 2016 - S 12 SO 38/16 ER - eingegriffen, der o.a. Abänderungsantrag, der ohnehin auch allein in die Zukunft hätte gerichtet gewesen sein können, sei zwischenzeitlich ebenfalls mit Beschluss vom 22. März 2017 rechtskräftig abgelehnt worden.

Mit Bescheid vom 16. März 2017 (Bl. 186 der Verwaltungsakte 03/129866, gelber Hefter) gewährte der Beklagte den Klägern Überbrückungsleistungen für den Monat Februar 2017 in Höhe von 433,03 EUR. Unter dem Vorbehalt der Rückforderung bewilligte der Beklagte in Umsetzung des Beschlusses des Sozialgerichts vom 16. Dezember 2016 – S 12 SO 38/16 ER – weitere 633,52 EUR für diesen Monat (Bescheid vom 26. April 2017, Bl. 258, der Verwaltungsakte 03/129866, gelber Hefter).

Mit Bescheid vom 17. März 2017 (Bl. 190 f. der Verwaltungsakte 03/129866, gelber Hefter) berechnete der Beklagte unter Bezugnahme auf ein laufendes Widerspruchsverfahren die Leistungsbewilligung für die Monate November 2016 bis Januar 2017 und bewilligte den Klägern Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII in Höhe von insgesamt 494,93 EUR (November 2016), 1060,55 EUR (Dezember 2016) und 1066, 55 EUR (Januar 2017).

Mit Widerspruchsbescheid vom 22. März 2017 hat der Beklagte den Widerspruch der Kläger gegen den o.a. Ablehnungsbescheid vom 10. November 2016 in Gestalt des Bescheides vom 17. März 2017 zurückgewiesen. Nach der Rechtsprechung des Landessozialgerichts (Hinweis auf Senatsbeschluss vom 22. Mai 2015 – L 4 SO 31/15 B ER –) bilde der Begriff der Erwerbsfähigkeit das Abgrenzungskriterium zwischen den Leistungssystemen SGB II und SGB XII. Aus diesem Grund bestehe keine Anspruchsberechtigung nach dem Dritten Kapitel SGB XII. Es seien lediglich mit gesondertem Bescheid Überbrückungsleistungen zu gewähren gewesen. Dieser Bescheid sei gesondert angefochten worden und Gegenstand der Klage S 12 SO 17/17.

Die Kläger stellten am 24. April 2017 beim Jobcenter einen Antrag auf Arbeitslosengeld II. Rückwirkend ab 1. April 2017 wurden den Klägern wieder Leistungen nach dem SGB II bewilligt (Bescheid vom 31. Mai 2017, Bl. 144 ff. der beigezogenen Verwaltungsakten des Jobcenters).

Die gegen den Bescheid vom 10. November 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. März 2017 gerichtete Klage ist am 21. April 2017 bei dem Sozialgericht Kassel eingegangen.

Die Kläger haben vorgetragen, sie hätten einen Anspruch auf Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII. Hierzu haben sie zur bis zum 29. Dezember 2016 geltenden Rechtslage hinsichtlich des ursprünglich beantragten Leistungszeitraums vorgetragen. Außerdem hätten sie einen Anspruch aus der Härtefallregelung nach § 23 Abs. 3 SGB XII. Der Härtefall ergebe sich daraus, dass die Kläger im April 2017 ein Daueraufenthaltsrecht begründen könnten. Ab dem 19. März 2017 sei der Antragsteller als freizügigkeitsberechtigter Selbständiger anzusehen. Insoweit werde die Beiladung des Jobcenters angeregt.

Der Beklagte hat vorgetragen, dass mit Bescheid vom 17. März 2017 versehentlich eine endgültige Leistungsbewilligung vorgenommen worden sei. Insofern sei die Klage unbegründet. Für den Zeitraum ab Februar 2017 bestehe lediglich ein Anspruch auf eine einmalige Überbrückungsleistung nach § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII, eine besondere Härte nach Satz 4 der Regelung sei nicht gegeben.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht hat die Beklagtenvertreterin erklärt, den Klägern Sozialhilfeleistungen entsprechend dem gerichtlichen Beschluss vom 16. Dezember 2016 bisher vom 17. November 2016 bis 31. März 2017 bewilligt zu haben. Dabei habe es sich bis 31. Januar 2017 um eine endgültige Leistungsgewährung gehandelt. Diese Leistungen werde der Beklagte unabhängig vom Ausgang des vorliegenden Rechtsstreites auch für den Zeitraum bis 31. Januar 2017 nicht mehr zurückfordern. Darüber hinaus hat sich die Beklagtenvertreterin für den Beklagten auf richterlichen Hinweis und die o.a. Rechtsprechung des BSG ohne Anerkennung einer Rechtspflicht bereit erklärt, den Klägern entsprechende Sozialhilfeleistungen auch noch für den Zeitraum vom 1. November 2016 bis 16. November 2016 zu gewähren. Die Kläger haben hierauf dieses Teilanerkenntnis insgesamt angenommen und den Rechtsstreit, den Zeitraum vom 1. November 2016 bis 31. Januar 2017 betreffend, in der Hauptsache für erledigt erklärt. Gleichzeitig haben sie den Rechtsstreit, die Zeit vom 1. Februar 2017 bis 31. März 2017 betreffend, fortgeführt.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 18. April 2018 den Bescheid vom 10. November 2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22. März 2017 über das angenommene Teilanerkenntnis des Beklagten hinaus aufgehoben und den Beklagten verurteilt, den Klägern im gesetzlichen Umfang Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII auch noch für die Zeit vom 1. Februar bis 31. März 2017 zu gewähren. Es hat die Berufung zugelassen. Die zulässige Klage sei auch begründet. Die angefochtenen Bescheide seien über das angenommene Teilanerkenntnis hinaus rechtswidrig. Der Beklagte sei verpflichtet, den Klägern über das angenommene Teilanerkenntnis hinaus im gesetzlichen Umfang Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII auch noch für die Zeit vom 1. Februar bis zum 31. März 2017 endgültig zu gewähren. Zwar seien auch nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII Ausländer, die kein Aufenthaltsrecht hätten oder bei denen sich das Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe und die, wie die Kläger, im streitig verbliebenen Zeitraum, keinen Anspruch nach dem SGB II hätten, ebenfalls von den näher bezeichneten Leistungen des SGB XII ausgeschlossen. Diesen Ausländer würden insoweit dann nach § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII bis zur Ausreise, längstens jedoch für einen Zeitraum von einem Monat, einmalig innerhalb von zwei Jahren nur eingeschränkte Hilfen gewährt, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken (Überbrückungsleistungen), wobei die Überbrückungsleistungen in § 23 Abs. 3 Satz 5 SGB XII näher bezeichnet seien. Soweit dies im Einzelfall besondere Umstände erforderten, würden dann aber gemäß § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII Leistungsberechtigten nach Satz 3, zu denen auch die Kläger gehörten, zur Überwindung einer besonderen Härte auch andere Leistungen im Sinne von Absatz 1 gewährt; ebenso seien Leistungen über einen Zeitraum von einem Monat hinaus zu erbringen, soweit dies im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten sei. Eine solche zeitlich befristete Bedarfslage habe hier zur Überzeugung der Kammer vorgelegen, nachdem die Erlangung eines Daueraufenthaltsrechtes der Kläger zum 1. April 2017 unmittelbar bevorgestanden habe und die zuständige Ausländerbehörde des Beklagten zuvor nach Aktenlage zu keinem Zeitpunkt - weder vor noch nach der Gesetzesänderung - auch nur ansatzweise den Versuch unternommen hatte, ein Verfahren zur Feststellung des Verlusts des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU einzuleiten. Da der hier streitige Anspruch der Kläger mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ebenfalls unstreitig noch vor der am 29. Dezember 2016 in Kraft getretenen Gesetzesänderung entstanden gewesen sei, lägen bei verfassungskonformer Auslegung besondere Umstände und insoweit dann auch eine Härte im Sinne des § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII vor, die den streitigen Anspruch der Kläger im ausgeurteilten Umfang über die o.a. einstweilige Anordnung der Kammer hinaus auch endgültig begründe. Mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Artikel 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip des Artikels 20 Abs. 1 GG sei ein durch den Wortlaut des § 23 SGB XII a. F. nicht vorgegebener vollständiger Ausschluss vom Zugang zu jeglichen existenzsichernden Leistungen für die von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II a. F. erfassten Personen sowohl im SGB II als auch im SGB XII nicht zu vereinbaren und einen solchen Ausschluss – ungeachtet der Ausgestaltung der Ansprüche im Detail – sehe auch nicht das auf die Rechtsprechung des BSG reagierende Gesetz vom 22. Dezember 2016 vor. Ein Gesetz, das einem Unionsbürger, der sich nicht verboten im Bundesgebiet aufhalte, jegliche existenzsichernden Leistungen versagen würde, wäre möglicherweise mit dem GG nicht vereinbar. Die hiergegen erhobenen Einwände griffen vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auch nach Auffassung der Kammer nicht durch.

Das Urteil ist der Beklagten am 13. Juni 2018 zugestellt worden.

Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten ist am 10. Juli 2018 bei dem Hessischen Landessozialgericht eingegangen.

Der Beklagte trägt vor, die Kläger hielten sich nicht bereits seit fünf Jahren ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet auf. Demzufolge hätten sie nur Anspruch auf so genannte Überbrückungsleistungen, welche Ihnen mit den angegriffenen Bescheiden gewährt worden seien. Der Rechtsauffassung des Sozialgerichts sei die geänderte Rechtslage entgegenzuhalten. Die gesetzliche Änderung sei gerade durch die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 3. Dezember 2015 – B 4 AS 44/15 – veranlasst gewesen.

Zum Hinweis des Berichterstatters zur Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung von § 23 Abs. 3 SGB XII vertritt der Beklagte die Rechtsauffassung, dass sich bereits aus dem Gesetzestext ergebe, dass Überbrückungsleistungen auf die Dauer von einem Monat beschränkt seien, es sei denn, es liege ein Härtefall vor. Anhaltspunkte, die zur Feststellung eines Härtefalls führen könnten, seien nicht ersichtlich.

Der Beklagte beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 18. April 2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Kläger tragen vor, der Kläger zu 1) habe erst ab 15. März 2017 Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit erzielt. Der Kläger zu 4) leide an einer Schuppenflechte und müsse jeweils auf Rezept eine Fertigspritze "stelara" mit entsprechender Zuzahlung erwerben. Die Kläger verweisen insoweit auf eine Aufstellung der Ärztin (Bl. 182 d.A.).

Sie sind der Rechtsauffassung, das Bundessozialgericht habe in seinem Urteil vom 30. August 2017 – B 14 AS 31/16 R – in Ansehung der Gesetzesänderung vom 29. Dezember 2016 bestätigt, dass EU-Bürger, die sich faktisch in Deutschland aufhielten, nicht von existenzsichernden Leistungen ausgeschlossen werden dürften. Der Verweis auf eine Rückkehr ins Heimatland komme aus verfassungsrechtlicher Perspektive nicht in Betracht.

Den Klägern komme Vertrauensschutz zugute. Ihnen seien nach der alten Rechtslage Leistungen über das Datum der Gesetzesänderung hinaus bewilligt worden; erst im Nachhinein sei versucht worden, dies wieder rückgängig zu machen. Auch dies begründe eine besondere Härte nach § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII. Auch der Umstand, dass seitens der Ausländerbehörde knapp 5 Jahre lang trotz Kenntnis der Inanspruchnahme von existenzsichernden Leistungen keine Verlustverstellung getroffen worden sei und der Kläger zu 1) immer wieder bemüht gewesen sei, einer selbstständigen oder nicht selbständigen Tätigkeit nachzugehen, führe zu einem Härtefall.

Die Beteiligten haben mit Schreiben jeweils vom 18. März 2020 einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Verwaltungsakten des Beklagten (2 Bände) und der Akte des Jobcenters (1 Hefter) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte nach § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten dieser Verfahrensweise zugestimmt haben.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist statthaft, da sie vom Sozialgericht zugelassen wurde; offen bleiben kann daher, ob die Berufung aufgrund der von den Klägern angeführten Einkommenssituation ohnehin ohne Zulassung statthaft gewesen wäre.

Sie ist teilweise begründet, da die Klage zulässig (dazu I.) ist. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist sie aber nur teilweise begründet (siehe II.).

I. Die Klage ist zulässig. Über Leistungen zur Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel für die Monate Februar 2017 und März 2017 wurde noch nicht bestandskräftig entschieden. Bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides vom 22. März 2017 sind einige Verwaltungsakte erlassen worden, die meist nur vorläufige Leistungsbewilligungen in Umsetzung von Beschlüssen im einstweiligen Rechtsschutz betreffen. Soweit dort auch endgültige Regelungen getroffen wurden, beziehen sich diese auf vorhergehende Zeiträume (vgl. den Bescheid vom 17. März 2017 sowie das Protokoll der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung Bl. 124 d.A.). Bereits erstinstanzlich hat der Beklagte insoweit ein Teilanerkenntnis abgegeben. Der Bescheid vom 16. März 2017 regelt zwar endgültig Überbrückungsleistungen für den Monat Februar 2017, ist aber nach § 86 SGG Gegenstand des dem hiesigen Verfahren zugrundeliegenden Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 10. November 2016 geworden, worauf im Bescheid auch zutreffend hingewiesen wurde. Dem steht nicht entgegen, dass der Bescheid als Änderungsbescheid zum Bescheid vom 25. Januar 2017 bezeichnet wurde. Ob ein Bescheid Gegenstand eines bestimmten Widerspruchsverfahrens wird, ist objektiv nach dem Regelungsgehalt der Bescheide und dem zugrundeliegenden Rechtsverhältnis zu bestimmen (vgl. Schmidt in: Meyer-Ladewig u.a., SGG, 12. Aufl. 2017, § 86 Rn. 3). Eine möglicherweise fehlerhafte Zuordnung der Streitgegenstände nach der Begründung des Widerspruchsbescheids vom 22. März 2017 durch den Beklagten hindert die Zulässigkeit der Klage nicht, zumal über alle Streitgegenstände Widerspruchsverfahren durchgeführt wurden und auch der Widerspruchsbescheid vom 2. Februar 2017 nicht bestandskräftig geworden ist. Gegen eine Einbeziehung in das letztgenannte Widerspruchsverfahren bezüglich des Bescheides vom 25. Januar 2017 spricht, dass das dortige Widerspruchsverfahren zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides bereits durch Widerspruchsbescheid vom 2. Februar 2017 abgeschlossen war (insoweit überzeugend gegen die Einbeziehung nach Erlass des Widerspruchsbescheides Schmidt in: Meyer-Ladewig u.a., SGG, 12. Aufl. 2017, § 86 Rn. 2a). Auch im sozialgerichtlichen Gerichtsbescheid vom 5. Mai 2017 – S 12 SO 17/17 – über die Klage gegen den Bescheid vom 25. Januar 2017 ist das Sozialgericht konsequent nicht davon ausgegangen, dass der Bescheid vom 16. März 2017 Streitgegenstand des dortigen Verfahrens geworden ist. Daher steht auch die Rechtskraft dieses Gerichtsbescheids der hiesigen Einbeziehung nicht entgegen. Zudem ist es hinsichtlich des geregelten Rechtsverhältnisses naheliegender, von einer Teilabhilfe im Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 10. November 2016 als endgültige Regelung eines Rechtsverhältnisses auszugehen, als von einer Abänderung einer vorläufigen Teilaufhebung, die zu diesem Zeitpunkt noch Gegenstand zweier Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes war. Der Bescheid vom 26. April 2017 schließlich änderte allein den vorläufigen Bescheid zur Leistungsgewährung zur Umsetzung des Beschlusses des Sozialgerichts Kassel vom 16. Dezember 2016 S 12 SO 38/16 ER –, der gerade unter dem Vorbehalt des Ergebnisses des hiesigen Rechtsstreits steht.

II. Die Klage ist nur teilweise begründet.

Die Kläger haben keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach den §§ 27 ff. SGB XII, da sie hiervon nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII und § 21 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ausgeschlossen sind (siehe II.1. und II.3.). Der Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII ist jedenfalls in der vorliegenden Fallkonstellation verfassungskonform, da die Kläger einen Anspruch auf Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 SGB XII als Minus (dazu II.2.a) haben, wobei die Rechtsfolgen des § 23 Abs. 3 Sätze 3 bis 6 SGB XII vor dem Hintergrund des Leistungsausschlusses § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII einer verfassungskonformen Auslegung bedürfen und auch zugänglich sind (dazu II.2.b).

1. Die Kläger sind für den Zeitraum bis einschließlich 14. März 2017 nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII (für den nachfolgenden Zeitraum siehe II.3.) vom Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach den §§ 27 ff. SGB XII ausgeschlossen.

Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ist Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach diesem Buch zu leisten. Im Übrigen kann Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist (§ 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII). Nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII erhalten Ausländer und ihre Familienangehörigen keine Leistungen nach Absatz 1 oder nach dem Vierten Kapitel, wenn

1. sie weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbständige noch auf Grund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU (FreizügG/EU) freizügigkeitsberechtigt sind, für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts, 2. sie kein Aufenthaltsrecht haben oder sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, 3. sie ihr Aufenthaltsrecht allein oder neben einem Aufenthaltsrecht nach Nummer 2 aus Artikel 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl. L 141 vom 27.5.2011, S. 1), die durch die Verordnung (EU) 2016/589 (ABl. L 107 vom 22.4.2016, S. 1) geändert worden ist (VO (EU) 492/2011), ableiten oder 4. sie eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen.

Die Kläger haben sich im Inland aufgehalten. Für eine Auslandsabwesenheit, wie im Bescheid vom 21. April 2017 der Familienkasse angedeutet, gibt es keinerlei Indizien.

Zutreffend ist der Beklagte davon ausgegangen, dass sich der Kläger zu 1) nach dem Ende der geringfügigen Beschäftigung nach § 2 Abs. 3 FreizügG/EU nur noch sechs Monate auf die Nachwirkungen seines Arbeitnehmerstatus berufen konnte.

Ein Aufenthaltsrecht bestand für ihn bis 15. März 2017 auch nicht als Selbständiger nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU. Die aufenthaltsrechtsbegründenden Tatbestandsmerkmale des FreizügG/EU sind wegen dessen unionsrechtlicher Grundlage deckungsgleich mit den entsprechenden Merkmalen des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und der Freizügigkeits- oder Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG auszulegen (vgl. BSG, Urteil vom 12. September 2018 – B 14 AS 18/17 R –, juris Rn. 19). Mit der selbstständigen Tätigkeit ist die Erwerbstätigkeit gemeint, die nicht als Beschäftigung, sondern selbstständig durch einen Niedergelassenen i.S.d. Art. 49 AEUV ausgeübt wird. Dies setzt eine tatsächlich ausgeübte wirtschaftliche Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung im Aufnahmestaat auf unbestimmte Zeit voraus und einen gewissen Grad an der daraus folgenden wirtschaftlichen Integration (Dienelt, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 2 FreizügG/EU Rn. 81 m.w.N.). Hinsichtlich des Beginns der Niederlassung reicht allein ein formaler Akt, wie etwa eine Registrierung, nicht aus (EuGH, Urteil vom 25. Juli 1991 – Rs. C-221/89 – Factortame, Slg. 1991 I-3905, Tz. 20 f.; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. September 2016 – L 32 AS 1688/16 B ER – juris, Rn. 50 m.w.N.). Über eine gewerberechtliche und eine kreislaufwirtschaftliche Anzeige hinaus im Januar 2017 entfaltete der Kläger zu 1) jedenfalls vor dem 15. März 2017 keine Aktivitäten, aus denen auf eine tatsächlich ausgeübte Tätigkeit und eine hiesige wirtschaftliche Integration als Selbstständiger geschlossen werden kann; insbesondere hatte er vor dem 15. März 2017 keinerlei Einnahmen (zum nachfolgenden Zeitraum siehe unten II.3.).

Andere Aufenthaltsrechte der Kläger sind nicht ersichtlich.

Den Klägern stand insbesondere auch kein Gleichbehandlungsanspruch beim Zugang zu Sozialleistungen aus Art. 10 VO (EU) 492/2011 zu, der sich im Wege des Anwendungsvorrangs gegen den Leistungsausschluss durchsetzen könnte (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Vorabentscheidungsersuchen vom 14. Februar 2019 – L 19 AS 1104/18 –, juris). Die Kläger zu 3) und 4) haben weder zu Zeiten der Arbeitnehmereigenschaft des Klägers zu 1) noch im streitgegenständlichen Zeitraum am allgemeinen Unterricht teilgenommen, so dass weder ihnen aufgrund dieses Umstandes noch den Klägern zu 1) und 2) als die tatsächliche Sorge Ausübenden ein entsprechendes Recht zukommt.

Die Kläger können auch nicht von der Rückausnahme des Leistungsausschlusses nach § 23 Abs. 3 Satz 7 SGB XII profitieren. Hiernach erhalten abweichend von Satz 1 Nummer 2 und 3 Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach Absatz 1 Satz 1 und 2, wenn sie sich seit mindestens fünf Jahren ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Der Kläger zu 1) ist im April 2012 eingereist, so dass frühestens ab April 2017 die Leistungsberechtigung hierauf gestützt werden könnte.

2. a) Die Kläger haben nur einen Anspruch auf Überbrückungsleistungen aus § 23 Abs. 3 Sätze 3 bis 6 SGB XII, allerdings entgegen der Auffassung des Beklagten nicht nur für den Monat Februar 2017, sondern auch für den Zeitraum vom 1. bis 14. März 2017.

Gemäß § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII werden hilfebedürftigen Ausländern, die § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII n.F. unterfallen, bis zur Ausreise, längstens jedoch für einen Zeitraum von einem Monat, einmalig innerhalb von zwei Jahren nur eingeschränkte Hilfen gewährt, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken (Überbrückungsleistungen); die Zweijahresfrist beginnt mit dem Erhalt der Überbrückungsleistungen nach Satz 3. Gemäß § 23 Abs. 3 Satz 5 SGB XII umfassen die Überbrückungsleistungen (1.) Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Ernährung sowie Körper- und Gesundheitspflege, (2.) Leistungen zur Deckung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung in angemessener Höhe, einschließlich der Bedarfe nach § 35 Absatz 4 und § 30 Absatz 7 SGB XII, (3.) die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen und (4.) Leistungen nach § 50 Nummer 1 bis 3 SGB XII (Hilfen bei Schwangerschaft und Mutterschaft). Gemäß § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII werden, soweit dies im Einzelfall besondere Umstände erfordern, Leistungsberechtigten nach Satz 3 zur Überwindung einer besonderen Härte andere Leistungen im Sinne von Absatz 1 gewährt; ebenso sind Leistungen über einen Zeitraum von einem Monat hinaus zu erbringen, soweit dies im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten ist.

Zutreffend ist der Beklagte, wie die Bewilligung für Februar 2017 zeigt, davon ausgegangen, dass vom Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auch Überbrückungsleistungen umfasst werden. Eines gesonderten oder neuerlichen Antrags bedarf es nicht, da Überbrückungsleistungen auch ein Minus gegenüber den Leistungen nach dem Dritten Kapitel darstellen (siehe bereits Senatsbeschluss vom 20. Juni 2017 L 4 SO 70/17 B ER -, juris Rn. 13 und 15; wie hier: LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11. Juli 2019 – L 15 SO 181/18, juris Rn. 62; Beschluss vom 2. Februar 2018 – L 26 AS 24/18 B ER –, juris Rn. 8; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. Mai 2019 L 20 AY 15/19 B ER –, juris Rn. 43; Siefert in: Schlegel/Voelzke, jurisPK SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 23 Rn. 100 f., 115; im Ergebnis auch (im Verhältnis zum Antrag auf Arbeitslosengeld II) LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28. März 2018 – L 7 AS 115/18 B ER –, juris; (zum Antrag auf Eingliederungshilfe) LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 29. November 2018 – L 8 SO 134/18 B ER –, juris; prozessrechtlich differenzierend (zwar Aliud, aber Leistung i.S.d. § 75 Abs. 5 SGG) LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28. Januar 2018 – L 7 AS 2299/17 B –, juris, Rn. 15; a.A.: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 7. November 2019 – L 7 SO 934/19 –, juris, Rn. 25; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. Februar 2017, L 23 SO 30/17 B ER, Rn. 46; a.A. zum hier nicht zu prüfenden Verhältnis zum Antrag auf Arbeitslosengeld II: Hessisches LSG, Beschluss vom 27. März 2019 – L 7 AS 27/19 B –, juris Rn. 15; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 18. April 2017 - L 13 AS 113/17 B ER -, Rn. 30, beide m.w.N.).

Dies folgt bereits aus dem Wortlaut. Im Gegensatz zu Leistungen nach § 23 Abs. 3a SGB XII normiert § 23 Abs. 3 SGB XII kein Antragserfordernis, das im Sozialhilferecht der ausdrücklichen Normierung bedarf, da sonst der Kenntnisgrundsatz gilt (vgl. § 18 Abs. 1 SGB XII). Wortlaut und Systematik der geregelten Rechtsfolge zeigen, dass der Gesetzgeber davon ausging, als Überbrückungsleistungen insbesondere in § 23 Abs. 1 Satz 5 Nr. 1 und Nr. 2 SGB XII wesentliche Bedarfe zur Sicherung des Lebensunterhalts decken zu müssen, insoweit hat er ein Minus zu den Leistungen nach dem Dritten Kapitel geregelt. Soweit in § 23 Abs. 1 Satz 5 Nr. 1 und Nr. 2 SGB XII Leistungen nach dem Fünften Kapitel eröffnet werden, gilt ebenfalls der Kenntnisgrundsatz. Hätte der Gesetzgeber ein antragsabhängiges Aliud für die besondere Lebenssituation einer konkreten Ausreisevorbereitung regeln wollen, so hätte es sich zudem aufgedrängt, diese Leistungen im Achten Kapitel zu regeln.

Soweit die Gegenauffassung teilweise unter Bezugnahme auf BT-Drs. 18/10211, S. 16 f. darauf hinweist, dass § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII eine Einzelfallprüfung erfordert, wie lange konkret Überbrückungsleistungen bis zu einer Ausreise zu gewähren sind und diese gesonderte Prüfung zunächst dem Sozialhilfeträger obliegt (Bayerisches LSG, Beschluss vom 2. August 2017 – L 8 SO 130/17 B ER –, juris Rn. 64; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13.02.2017 – L 23 SO 30/17 B ER –, juris Rn. 46; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 18. April 2017 – L 13 AS 113/17 B ER –, juris Rn. 30), übersieht sie, dass dies keine Besonderheit des § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII ist. Wie bereits erwähnt, sind nur Bedarfe zu prüfen, die ohnehin nach dem Dritten oder Fünften Kapitel zu gewähren wären. Die Entstehungsgeschichte spricht mithin nicht gegen die hiesige Auslegung.

Auch der Hinweis der Gegenauffassung, dass es sich bei dem Anspruch auf Überbrückungsleistungen prozessual um einen abtrennbaren Streitgegenstand handelt, vermag nichts zur Beantwortung der Frage beizutragen, ob ein Antrag erforderlich ist und wie ein Leistungsbegehren nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz auszulegen ist (vgl. zu dieser Abgrenzung auch Siefert in: Schlegel/Voelzke, jurisPK SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 23 Rn. 101 einerseits und 115 andererseits).

Die Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII sind erfüllt. Der Tatbestand setzt nur voraus, dass die Person vom Leistungsausschluss erfasst und bedürftig ist (Senatsbeschlüsse vom 20. Juni 2017 – L 4 SO 70/17 B ER –, juris Rn. 15 und - L 4 SO 79/17 B ER -, juris Rn. 10).

Die Kläger sind jedenfalls bis zum Ablauf des 14. März 2017 bedürftig. Ihnen sind im Februar 2017 allein Elterngeld i.H.v. 375 EUR und Kindergeldleistungen für den Kläger zu 3) i.H.v. 192 EUR zugeflossen. Dem steht mindestens (siehe unten II.2.b)bb)(3)) ein Bedarf von Überbrückungsleistungen i.H.v. 925,03 EUR gegenüber (vgl. die Berechnung im Bescheid vom 16. März 2017, die sich der Senat zu eigen macht). Vom 1. bis einschließlich 14. März 2017 ist den Klägern am 3. März 2017 ausweislich des vorgelegten Kontoauszuges Elterngeld i.H.v. 300 EUR zugeflossen. Mit hinreichender Gewissheit kann ein Zahlungseingang des Kindergeldes für März 2017 vor dem 15. März 2017 ausgeschlossen werden, da ein solcher nicht dokumentiert ist und in den Vormonaten das Kindergeld nie vor dem 21. des jeweiligen Monats gutgeschrieben wurde. Zudem wurde die Bewilligung mit Bescheid der Familienkasse Hessen vom 21. April 2017 rückwirkend ab März 2017 aufgehoben. Im Übrigen fehlt es nach Überzeugung des Senats nach Würdigung der beigezogenen Akten des Beklagten und des Jobcenters sowie der ergänzend im Berufungsverfahren eingegangenen Unterlagen des Klägers zu 1) an Einkommen und Vermögen.

Eine Bedarfsdeckung über Sozialleistungen des Herkunftsstaates scheidet aus. Nach Art. 70 Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO (EG) 883/2004) ist für Existenzsicherungsleistungen, die auch das Risiko der Arbeitslosigkeit abdecken, aufgrund des Wohnsitzes die Bundesrepublik Deutschland der zuständige Staat. Soweit Sozialhilfeleistungen vergleichbar denen des Dritten Kapitels des SGB XII in Betracht kommen, die nach Art. 3 Abs. 5 VO (EG) 883/2004 nicht der europäischen Sozialrechtskoordinierung unterliegen, ist ein Leistungsexportanspruch des bulgarischen Rechts nicht erkennbar. Die monatliche soziale Beihilfe (Месечни социални помощи) nach dem Sozialhilfegesetz (Закон за социално подпомагане) setzt einen "langzeitigen oder dauerhaften Wohnsitz" in Bulgarien voraus (siehe https://www.missoc.org Datenbank zu Mindestsicherung Bulgarien; vgl. auch https://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=1103&langId=de&intPageId=4439).

Über die o.g. Tatbestandsvoraussetzungen des § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII hinaus ist kein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des Ausreisewillens oder der Bekundung eines solchen Ausreisewillens zu fordern (siehe die o.g. Senatsbeschlüsse vom 20. Juni 2017 a.a.O.; wie hier LSG Hamburg, Beschluss vom 21. Februar 2018 – L 4 SO 10/18 B ER –; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11. Juli 2019 – L 15 SO 181/18 –, juris Rn. 61 f.; Beschluss vom 20. Juni 2017 – L 15 SO 104/17 B ER –; Siefert in: Schlegel/Voelzke, jurisPK SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 23 Rn. 100 und 100.1; a.A.: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 7. November 2019 – L 7 SO 934/19 –, juris, Rn. 49; Bayerisches LSG, Beschluss vom 24.04.2017 - L 8 SO 77/17 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. Februar 2017 – L 23 SO 30/17 B ER –). Allein aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber mit den Leistungsausschlüssen auf eine Ausreise hinwirken und mit den Überbrückungsleistungen "den Lebensunterhalt bis zur Ausreise" "sichern" will (vgl. BT-Drs. 18/10211, S. 14 und 16) kann ein derartiges ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal nicht tragen, weil es der gesetzgeberischen Intention widerspräche, in der Rechtsfolge den Personenkreis so zu stellen wie nach § 1a AsylbLG (BT-Drs. 18/10211, S. 16). Dort kommt es auch nicht auf einen Ausreisewillen an. Zudem kann dem Gesetzgeber gerade wegen der beabsichtigten Parallele zu § 1a AsylbLG unterstellt werden, er wolle einen wesentlichen Teil des Adressatenkreises der Leistungsausschlüsse nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII in verfassungswidriger Weise gänzlich von existenzsichernden Leistungen ausschließen.

b) Der Ausschluss von Leistungen nach dem Dritten Kapitel und die Beschränkung auf Überbrückungsleistungen ist verfassungskonform, wenn die Härtefallregelung und die Rechtsfolge hinsichtlich der Leistungsdauer und Leistungshöhe in § 23 Abs. 3 Sätze 5 und 6 SGB XII verfassungskonform ausgelegt werden.

aa) Zwar kann die Beschränkung auf Überbrückungsleistungen nicht von vornherein mit der Erwägung gerechtfertigt werden, es werde lediglich ein Verstoß gegen die Selbsthilfeobliegenheit in Gestalt der Ausreise sanktioniert (so aber wohl BR-Drs. 587/16, S. 8; vgl. zu dieser Argumentation und ihrer Kritik ausf. SG Darmstadt, Beschluss vom 14. Januar 2020 – S 17 SO 191/19 ER –, juris Rn. 538 ff., 601 m.w.N.). Nach wohl einhelliger Ansicht unterfallen auch materiell nicht aufenthaltsberechtigte Ausländerinnen und Ausländer dem menschenrechtlich definierten Gewährleistungsbereich des Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG (BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134 (159 ff. Rn. 63, 67); BSG, Urteil vom 20. Januar 2016 – B 14 AS 35/15 R – Rn. 42; Kirchhof, NZS 2015, 1 (4)). Wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 5. November 2019 – 1 BvL 7/16 – zu den Sanktionsnormen des SGB II verdeutlicht hat, können Mitwirkungspflichten mit einer auch zur Unterdeckung des Existenzminimums führenden Leistungsabsenkung sanktioniert werden, wenn die Mitwirkungspflichten gerade dazu dienen, die existenzielle Bedürftigkeit zu vermeiden oder zu überwinden (BVerfG a.a.O. Rn. 131). Jedoch ist bereits der Kreis legitimer Zwecke der Auferlegung von Mitwirkungs- oder Unterlassungspflichten und ihrer Sanktionierung eng zu ziehen (zum Folgenden BVerfG, Urteil vom 5. November 2019 – 1 BvL 7/16 –, juris Rn. 121, 123 ff., 130 f.). Die Verpflichtung zur Sicherung des Existenzminimums ist auch zur Erreichung anderweitiger Ziele, insbesondere migrationspolitischer Ziele, nicht zu relativieren (vgl. BVerfGE a.a.O. Rn 120; E 132, 134 (173 Rn. 95)). Eine Anspruchseinschränkung kann die Anforderungen aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG nur dann wahren, wenn sie nicht darauf ausgerichtet ist, repressiv Fehlverhalten zu ahnden, sondern darauf, dass Mitwirkungspflichten erfüllt werden, die gerade dazu dienen, die existenzielle Bedürftigkeit zu vermeiden oder zu überwinden (BVerfG a.a.O. Rn. 131). Darüber hinaus begrenzt der vom Bundesverfassungsgericht herausgearbeitete strenge Verhältnismäßigkeitsmaßstab (BVerfG a.a.O., Rn. 129 ff.) mittelbar den Kreis von sanktionierbaren Unterlassungs- oder Handlungspflichten. Leistungsminderungen sind nur verhältnismäßig, wenn die Leistungsminderung unter Berücksichtigung ihrer Eignung zur Erreichung dieses Zwecks und als mildestes, gleich geeignetes Mittel in einem angemessenen Verhältnis zur Belastung der Betroffenen steht. Das setzt voraus, dass es den Betroffenen tatsächlich möglich ist, die Minderung staatlicher Leistungen durch eigenes zumutbares Verhalten abzuwenden und die existenzsichernde Leistung wiederzuerlangen. Die Anforderungen aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG sind daher nur gewahrt, wenn die zur Deckung des gesamten existenznotwendigen Bedarfs erforderlichen Leistungen für Bedürftige jedenfalls bereitstehen und es in ihrer eigenen Verantwortung liegt, in zumutbarer Weise die Voraussetzungen dafür zu schaffen, die Leistung auch nach einer Minderung wieder zu erhalten (BVerfG a.a.O. Rn. 133). Eine Ausreise führte jedoch dazu, dass hierdurch die ursprünglich berechtigte Person den räumlichen Gewährleistungsbereich von Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG und den Anwendungsbereich des SGB XII verlässt; mithin ginge durch diese vermeintliche Mitwirkungshandlung der Anspruch gerade unter. Es handelt sich bei der Durchsetzung einer Selbsthilfeobliegenheit durch Ausreise nach alledem nicht um einen am Maßstab von Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG legitimen Zweck. Zugleich würde ein so konstruierter Sozialhilfeanspruch seinen verfassungsrechtlichen Zweck der Existenzsicherung vollständig verfehlen (vgl. bereits BVerwG, Beschluss vom 20. Oktober 1988 – 5 B 48/88 –, juris Rn. 2). Ungeachtet der Frage der Rechtfertigung von Unterdeckungen durch Sanktionen am Maßstab der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts fügt sich ein Verständnis der Ausreise als Selbsthilfe auch nicht in die hergebrachte Dogmatik von Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG ein. Der gesetzliche Leistungsanspruch muss so ausgestaltet sein, dass er stets den gesamten existenznotwendigen Bedarf jedes individuellen Grundrechtsträgers deckt (BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010 – 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09BVerfGE 125, 175 (224); BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11BVerfGE 132, 134, 160 Rn. 65 mwN.); dies ist gleichbedeutend mit "in jedem Fall" und "zu jeder Zeit" (BVerfGE 132, 134 (172 Rn. 94)). Die bloße Heimkehrmöglichkeit bei tatsächlichem Inlandsaufenthalt ist für die Geltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ohne Bedeutung (Siefert, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 23 SGB XII Rn. 99; Schreiber, Soziales Recht 2018, 181 (190 f.)), da das Grundrecht während des Inlandsaufenthalts "stets" seine Wirkung entfaltet. Auch hierbei ist zu berücksichtigen, dass eine Sicherung über existenzsichernde Sozialleistungen der Republik Bulgarien während des Aufenthalts in der Bundesrepublik ausscheidet und auch nicht unmittelbar im Falle einer Ausreise sichergestellt wäre, wenn Voraussetzung ein "langzeitiger oder dauerhafter Wohnsitz" in Bulgarien" ist (s.o.). Selbst wenn man den legitimen Zweck und eine Eignung unterstellen würde, ist nicht erkennbar, dass § 23 Abs. 3 SGB XII die Anforderungen aus BVerfG, Urteil vom 5. November 2019 – 1 BvL 7/16 –, juris Rn. 134, 167, 169, 199 f. an tragfähige Erkenntnisse zur Prüfung der Erforderlichkeit und Zumutbarkeit einer solchen Sanktion zur Durchsetzung einer Selbsthilfeobliegenheit erfüllt (vgl. zum Parallelproblem bei § 1a AsylbLG: Senatsbeschluss vom 26. Februar 2020 L 4 AY 14/19 B ER –, juris Rn. 39 ff.). Insofern hat eine verfassungskonforme Auslegung zu beachten, dass § 23 Abs. 3 SGB XII nicht als Sanktionsnorm zur Durchsetzung einer Selbsthilfeobliegenheit zur Ausreise zu rechtfertigen ist, die als Rechtsfolge zu einer echten Bedarfsunterdeckung führt.

bb) (1) Allerdings sind dem Gesetzgeber im Rahmen des Ausgestaltungsspielraums bei der Normierung des Anspruchs und der Rechtsfolge der Gewährleistung des Existenzminimums bedarfsbezogene Differenzierungen gestattet: Falls der Gesetzgeber bei der Festlegung des menschenwürdigen Existenzminimums die Besonderheiten bestimmter Personengruppen berücksichtigen will, darf er bei der konkreten Ausgestaltung existenzsichernder Leistungen zwar nicht pauschal nach dem Aufenthaltsstatus differenzieren; eine Differenzierung ist aber möglich, sofern deren Bedarf an existenznotwendigen Leistungen von dem anderer Bedürftiger signifikant abweicht und dies folgerichtig in einem inhaltlich transparenten Verfahren anhand des tatsächlichen Bedarfs gerade dieser Gruppe belegt werden kann (BVerfGE 132, 134 (164 Rn. 73)). Lassen sich tatsächlich spezifische Minderbedarfe bei einem nur kurzfristigen, nicht auf Dauer angelegten Aufenthalt feststellen, und will der Gesetzgeber die existenznotwendigen Leistungen für eine Personengruppe deshalb gesondert bestimmen, muss er sicherstellen, dass die gesetzliche Umschreibung dieser Gruppe hinreichend zuverlässig tatsächlich nur diejenigen erfasst, die sich regelmäßig nur kurzfristig in Deutschland aufhalten; dies lässt sich zu Beginn des Aufenthalts nur anhand einer Prognose beurteilen (BVerfGE 132, 134 (164 f. Rn. 75)). Eine Beschränkung auf ein durch etwaige Minderbedarfe für Kurzaufenthalte geprägtes Existenzminimum ist unabhängig vom jeweiligen Aufenthaltsstatus und ohne Rücksicht auf die Berechtigung einer ursprünglich gegenteiligen Prognose jedenfalls dann nicht mehr gerechtfertigt, wenn der tatsächliche Aufenthalt die Spanne eines Kurzaufenthalts deutlich überschritten hat. Für diese Fälle ist ein zeitnaher, an den Gründen des unterschiedlichen Bedarfs orientierter Übergang von den existenzsichernden Leistungen für Kurzaufenthalte zu den Normalfällen im Gesetz vorzusehen (BVerfGE 132, 134 (164 f. Rn. 76)).

Bei dieser bedarfsbezogenen Ausgestaltung hat er zu beachten, dass der verfassungsrechtlich garantierte Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums sich auf die unbedingt erforderlichen Mittel als einheitliche Gewährleistung zur Sicherung sowohl der physischen Existenz als auch zur Sicherung eines Mindestmaßes an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben erstreckt (vgl. BVerfGE 125, 175 (223); 132, 134 (172 Rn. 94); 137, 34 (72 Rn. 75); 142, 353 (370 Rn. 37)). Dass dem Gesetzgeber in der Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse in soziokultureller Hinsicht ein weiterer Spielraum zukommt als in der Bewertung dessen, was Menschen zur Sicherung ihrer physischen Existenz benötigen (vgl. BVerfGE 125, 175 (225); 132, 134 (161 Rn. 67)), trägt der höheren Wandelbarkeit der soziokulturellen Lebensbedingungen Rechnung, relativiert aber nicht den einheitlichen Schutz. Die Anforderungen des Grundgesetzes, tatsächlich für eine menschenwürdige Existenz Sorge zu tragen, dürfen im Ergebnis nicht verfehlt werden (BVerfGE 142, 353 (371 Rn. 38) m.w.N.). Leistungsminderungen lassen sich insbesondere nicht unter Verweis darauf rechtfertigen, entzogen würden lediglich Leistungen für soziale Teilhabe und es verbleibe ein "Kernbereich" (BVerfG, Urteil vom 5. November 2019 – 1 BvL 7/16 –, juris Rn. 157). Aus dem Grundrecht auf die Unantastbarkeit der Menschenwürde in Art. 1 Abs. 1 GG folgt, dass sich der verfassungsrechtlich in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG garantierte Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums als einheitliche Gewährleistung auch auf Mittel zur Sicherung eines Mindestmaßes an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben erstreckt (BVerfG a.a.O. Rn. 157). Der Gesetzgeber kann auch weder für einen internen Ausgleich noch zur Rechtfertigung einer Leistungsminderung auf die Summen verweisen, die in der pauschalen Berechnung der Grundsicherungsleistungen für die soziokulturellen Bedarfe veranschlagt werden, denn die physische und soziokulturelle Existenz werden durch Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG einheitlich geschützt (BVerfG a.a.O. Rn. 119).

(2) Diesen Anforderungen an die gesetzliche Ausgestaltung des bedarfsdeckenden Anspruchs ist im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung der Härtefallklausel und der Rechtsfolge von § 23 Abs. 3 Sätze 5 und 6 SGB XII Rechnung zu tragen.

Zwar bestehen gewichtige Zweifel daran, dass die Personengruppen, die den Leistungsausschlüssen des § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII unterfallen und nach § 23 Abs. 3 Sätze 5 und 6 anspruchsberechtigt sind, die eingangs dieses Abschnitts unter bb) (1) genannten Besonderheiten in ihrer Bedarfssituation aufweisen. Insbesondere bei den Leistungsausschlüssen der § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 2. Var SGB XII und § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 Var. SGB XII handelt es sich um Personen mit einem materiellen Aufenthaltsrecht, das von einem Bezug existenzsichernder Leistungen unberührt bleibt. Die dortigen Personenkreise sind dadurch gekennzeichnet, dass sie Voraussetzungen erfüllen, die stets eine positive Prognose zur (Arbeitsmarkt-)Integration begründen, nämlich im Falle der Nr. 2 2. Var. die Tatbestandsvoraussetzungen des § 2 Abs. 1a FreizügG/EU (vgl. dazu auch aus unionsrechtlicher Perspektive: EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts vom 12- März 2009, Rs. C-22/08 und C-23/08, Slg. 2009, I-4585, Vatsouras und Koupatanze, juris Rn. 51 ff., 63) oder aber aufgrund vorheriger Erwerbstätigkeit und in das Bildungssystem integrierter Kinder hier sozial integriert sind. Es wäre offensichtlich fehlsam, diesem Personenkreis einen geminderten Bedarf wegen einer bevorstehenden Ausreise zu unterstellen. Zudem bestehen Zweifel daran, ob der Gesetzgeber bedarfsbezogen differenzieren wollte. So lässt er das sog. soziokulturelle Existenzminimum grundsätzlich vollständig ungedeckt und eröffnet nur über § 23 Abs. 3 Satz 6 1. Hs. SGB XII ausnahmsweise die Möglichkeit, Bedarfe der sozialen Teilhabe zu decken.

Eine verfassungskonforme Auslegung im Sinne der erstinstanzlichen Entscheidung, wonach nach einer gewissen Verfestigung des Aufenthalts Leistungen nach dem Dritten Kapitel zu gewähren sind, ist aus methodischen Gründen nicht möglich. Wortlaut, Systematik und gesetzgeberischer Wille stehen einem solchen Auslegungsergebnis entgegen. Nach der Entwurfsbegründung soll eine Verfestigung des Aufenthalts beim hier betroffenen Personenkreis (BT-Drs. 18/10211, S. 14) erst nach fünf Jahren des Aufenthalts anzuerkennen sein, weshalb die Regelung des § 23 Abs. 3 Satz 7 SGB XII geschaffen wurde. Auch im Anwendungsbereich des AsylbLG hat sich der Gesetzgeber mit 18 Monaten in § 2 AsylbLG für die Regelung einer Frist entschieden, ab wann Leistungen in Höhe des Dritten Kapitels zu gewähren sind. Über diesen klaren Befund kann sich eine Auslegung nicht hinwegsetzen, wobei an dieser Stelle nicht zu entscheiden ist, wie die Wertungswidersprüche zwischen den genannten Regelungen aufzulösen sind.

Gleichwohl sieht der Senat im vorliegenden Fall die Möglichkeit zu einer verfassungskonformen Auslegung, ohne gegen die Gesetzesbindung und die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung (dazu insbes. BVerfGE 149, 126; BVerfG, Beschluss vom 26. November 2018 – 1 BvR 318/17, juris Rn. 29 ff.) zu verstoßen. Zum einen erscheint es speziell beim Personenkreis des § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 1. Var. SGB XII, dem auch die Kläger unterfallen, nämlich bei Personen ohne materielles Aufenthaltsrecht, die Prognose nicht von vornherein ausgeschlossen, dass im Einzelfall wegen einer zumindest ungesicherten Perspektive des Verbleibs in der Bundesrepublik Deutschland bestimmte Bedarfe nicht mehr anfallen. Dies rechtfertigt jedenfalls verfassungsrechtlich die abweichende Normsystematik, für diesen Personenkreis nicht in jedem Fall Pauschalleistungen wie nach dem Dritten Kapitel vorzusehen. Der Gesetzgeber ist nämlich nicht von vornherein auf ein bestimmtes Modell der Ausgestaltung von Ansprüchen als Pauschalen oder nach Einzelbedarfen mit Ausnahme- oder Härtefallregelungen festgelegt (ähnl. BVerfG, Beschluss vom 4. Dezember 2019 – 1 BvL 4/16 –, juris Rn. 18 f.). Zum anderen finden sich im Gesetzgebungsverfahren Hinweise darauf, dass sowohl die Regelung der Leistungshöhe des § 23 Abs. 3 Satz 5 SGB XII als auch die Härtefallklausel des § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII darauf abzielen, Verfassungskonformität herzustellen. So hat die Bundesregierung ausweislich des Gesetzentwurfs gerade in Ansehung der verfassungsrechtlichen Argumentation des Bundessozialgerichts (siehe dazu BR-Drs. 587/16, S. 5) die Regelung geschaffen. Obwohl das Hauptziel des Entwurfs die Dämpfung der Mehrbelastung der Kommunen war und deshalb die Leistungsausschlüsse ausgeweitet wurden, haben die Entwurfsverfasser doch mit § 23 Abs. 3 SGB XII die Grundkonzeption der Lösung des Bundessozialgerichts anerkannt, dass ein vollständiger Leistungsausschluss verfassungswidrig wäre, wofür auch der Hinweis im Entwurf auf § 1a AsylbLG spricht (BR-Drs. 589/16 und BT-Drs. 18/10211, S. 16, s.o.). Auch das Bundesverfassungsgericht sieht in § 23 Abs. 3 Sätze 6 und 7 SGB XII für die Verfassungskonformität der Gesamtregelung des § 23 Abs. 3 SGB XII bedeutsame Vorschriften (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 2020 – 1 BvL 1/20 –, juris Rn 18 f.). Vor diesem Hintergrund stehen die gleichermaßen suggestiv engen wie unbestimmten Formulierungen des § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII ("besondere Umstände", "besondere Härte" "im Einzelfall") nicht einer am Maßstab von Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG ausgerichteten, weiten Auslegung entgegen. Auch gebietet das Ziel der Regelung, im Einzelfall Verfassungskonformität sicherzustellen, eine Kombination aller Teilregelungen des § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII. Die Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung stehen daher nicht einer Auslegung entgegen, nach Lage des Einzelfalls über einen Monat hinaus Leistungen zur Sicherung auch des soziokulturellen Existenzminimums zu gewähren (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 29. November 2018 – L 8 SO 134/18 B ER –, juris Rn. 26; im Erg. teilweise auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11. Juli 2019 – L 15 SO 181/18 -, juris; krit. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 27. November 2019 – L 7 SO 3873/19 ER-B – juris Rn. 27).

Am o.g. Maßstab sind § 23 Abs. 3 Sätze 5 und 6 SGB XII daher wie folgt verfassungskonform auszulegen: Die Härtefallregelung muss jeden während des tatsächlichen Aufenthalts entstehenden Bedarfsfall der Leistungen nach dem Dritten und Fünften Kapitel erfassen. Auch bei nicht befristeten besonderen Bedarfslagen und damit für die tatsächliche Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet sind existenzsichernde Sozialleistungen zu gewähren; werden darüber hinaus andere Bedarfe als die nach Absatz 3 Satz 5 typisierend vorgesehenen geltend gemacht und liegen sie tatsächlich vor, sind auch diese in verfassungskonformer Auslegung des Satzes 6 für die Zeit des tatsächlichen Aufenthalts (Siefert, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, § 23 Rn. 108) bis zur vollziehbaren Ausreisepflicht (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG i.V.m. § 23 Abs. 2 SGB XII) zu decken (hinsichtlich der Dauer: LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11. Juli 2019 L 15 SO 181/18 –, juris Rn. 69). Der Unterschied zu Leistungen nach dem Dritten Kapitel besteht mithin darin, dass die bedürftige Person von dem pauschalierten Leistungsmodell des Dritten Kapitels auf die Anmeldung des individuellen Bedarfs insbesondere im Bereich der soziokulturellen Existenz verwiesen wird und im Falle der fehlenden Darlegung des Bedarfes auch nicht von der Pauschalierung profitieren kann (vgl. zur Parallelproblematik bei § 1a AsylbLG auch Senatsbeschluss vom 26. Februar 2020 – L 4 AY 14/19 B ER).

(3) Hiernach sind den Klägern also nicht nur Überbrückungsleistungen für den Februar 2017, sondern auch für den 1. bis einschließlich 14. März 2017 Leistungen nach § 23 Abs. 3 Sätze 5 und 6 SGB XII dem Grunde nach zu gewähren. Da ein Anspruch der Höhe nach auf der Grundlage der o.g., vom Senat festgestellten Einkommens- und Vermögenssituation in jedem Fall besteht, konnte sich der Senat auf ein Grundurteil beschränken, wobei der Beklagte die nachfolgenden Ausführungen zur Rechtslage bei der Umsetzung bzw. Aufrechnung mit erbrachten Leistungen zu beachten hat. Soweit der Kläger zu 1) geltend macht, Ausgaben für die zuzahlungspflichtige Fertigspritze "stelara" zu haben, geht der Senat nach der Begründung des Bescheides vom 16. März 2017 davon aus, dass der Beklagte den Gesundheitsbedarf nach der Abteilung 6 nicht herausgerechnet hat. Zuzahlungen für Arzneimittel sind darin grundsätzlich enthalten (vgl. Schwabe, ZfF 2017, 1 (14)), daher scheidet eine weitergehende Kostenübernahme bei Zuzahlungen auch auf anderer sozialhilferechtlicher Grundlage grundsätzlich aus, denn die über die Begrenzungen des Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) hinausgehenden Kosten sind, da der Umfang der Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung und des Sozialhilfeträgers im Rahmen der Hilfe bei Krankheit inhalts- und deckungsgleich ist, nicht als Hilfe bei Krankheit von dem Beklagten zu übernehmen (Söhngen, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 48 SGB XII Rn. 33 ff.; § 52 Rn. 12 ff.; vgl. zu einzelnen Leistungen BSG, Urteil vom 15. November 2012 – B 8 SO 6/11 R –, BSGE 112, 188-195, SozR 4-3500 § 49 Nr. 1; SG Karlsruhe, Urteil vom 16. April 2015 – S 1 SO 1636/14 –, juris Rn. 31; zu denkbaren, hier nicht einschlägigen Ausnahmen vgl. Senatsbeschluss vom 21. Januar 2020 – L 4 SO 88/19 B –). Auch für den Zeitraum vom 1. bis einschließlich 14. März 2017 besteht ein Anspruch auf Leistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 5 Nr. 1 und 2 SGB XII. Weitergehende Bedarfe über die in § 23 Abs. 3 Satz 5 Nr. 1 und 2 SGB XII wurden seitens der Kläger nicht glaubhaft gemacht. Bei der Berechnung für März 2017 ist das Einkommen des Klägers zu 1), dass er in der zweiten Monatshälfte erzielt hat, sowie ein möglicherweise in diesem Zeitraum gezahltes Kindergeld für den Kläger zu 3) nicht zu berücksichtigen. So geht der Gesetzgeber in § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII selbst auch von der Möglichkeit einer Abweichung vom Grundsatz der monatsweisen Bewilligung aus, wie die Formulierung "längstens" ein Monat zeigt. Zudem liegen die Zuflüsse außerhalb des Zeitraums, auf den § 23 Abs. 3 SGB XII und das SGB XII überhaupt anwendbar sind, was sich auch auf die Einkommensberücksichtigung bezieht (dazu sogleich 3). Schließlich ist ein Doppelbezug von Leistungen nach dem SGB II und SGB XII für den Monat März 2017 ausgeschlossen (dazu sogleich 4.), sodass auch unter diesem Gesichtspunkt eine Anrechnung des Einkommens unangemessen wäre.

3. Für den Zeitraum ab 15. März 2017 sind die Kläger von Leistungen nach dem SGB XII nach § 21 Satz 1 SGB XII ausgeschlossen, da der Kläger zu 1) aufgrund eines Aufenthaltsrechts als Selbständiger dem Grunde nach dem SGB II leistungsberechtigt ist; die übrigen Kläger sind als seine Familienangehörigen leistungsberechtigt, nachdem die Klägerin zu 2) und der Kläger zu 1) am 1. März 2017 heirateten. Die Leistungsausschlüsse des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II greifen aufgrund dieses Aufenthaltsrechts nicht.

Wie bereits ausgeführt setzt die selbstständige Tätigkeit durch einen Niedergelassenen i.S.d. Art. 49 AEUV die tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat auf unbestimmte Zeit voraus. Dabei sind an die feste Einrichtung keine strengen Anforderungen zu stellen; sie beschreibt als Berufsdomizil (stRspr., z.B. EuGH, Urteil vom 30. November 1995 – Rs. C-55/94 – Gebhard, NJW 1996, 597, Tz. 25, 28; siehe auch oben I.1.) lediglich die Möglichkeit, in stabiler und kontinuierlicher Weise am Wirtschaftsleben eines anderen Mitgliedstaats teilzunehmen (Streinz/Müller-Graff, AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 49 Rn. 18 m.w.N.) und ist in hohem Maße durch die Anforderungen der Tätigkeit geprägt. Da der Kläger zu 1) seinen Schrotthandel ausdrücklich als "Schrotthandel auf Bestellung (ohne Lagerung unter der Betriebsstättenanschrift)" gegründet hat, setzt dieser für die feste Einrichtung kein Lager voraus. Insoweit ist die gegenüber dem Jobcenter angegebene Nutzung eines Fahrzeugs und eines Telefons als Betriebsinfrastruktur hinreichend. Auch von der Dauerhaftigkeit der auf unbestimmte Zeit ausgeübten Tätigkeit ist der Senat überzeugt; dieses Kriterium dient der Abgrenzung zur Dienstleistungsfreiheit. Insoweit ist ausschlaggebend, dass der zu diesem Zeitpunkt seit fast fünf Jahren in Deutschland ansässige Kläger zu 1) ab Jahresbeginn 2017 hier auch die Gründung des Unternehmens betrieb und nicht von Bulgarien aus hier Handel treiben möchte. Die Dauerhaftigkeit folgt ex post auch durch die in den nächsten Monaten fortdauernde Geschäftsbeziehung mit der Fa. Rohstoffgroßhandel H. GmbH, die in den Akten des Jobcenters belegt ist. Da bloße Vorbereitungshandlungen nicht hinreichend sind (s.o.) hat der Kläger zu 1) die tatsächliche Ausübung einer niedergelassenen selbständigen Tätigkeit zur Überzeugung des Senats am 15. März 2017 mit der ersten entgeltlichen Lieferung an die Fa. Rohstoffgroßhandel H. GmbH begonnen.

4. Weder musste das Jobcenter zum hiesigen Rechtsstreit beigeladen werden noch war der Beklagte für den Zeitraum ab 15. März 2017 als erstangegangener Träger nach § 43 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil – (SGB I) zu verurteilen. Der Antrag vom 8. November 2016 kann für den Monat März 2017 nicht als Antrag auf Leistungen nach dem SGB II ausgelegt werden. Zwar geht auch der Senat davon aus, dass grundsätzlich ein Antrag auf Sozialhilfeleistungen als Antrag auf Arbeitslosengeld II auszulegen ist und umgekehrt, wenn die Voraussetzungen nach dem jeweils anderen Leistungssystem gegeben sind und insoweit die Kenntnisnahme des Antrages durch die Behörde der jeweils anderen Behörde zuzurechnen ist (BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 – B 4 AS 44/15 R – juris Rn. 39 m.w.N.). Eine solche Auslegung gerät allerdings dann an die Grenzen des Empfängerhorizonts, wenn zum maßgeblichen Zeitpunkt keiner Behörde auslegungsleitende Umstände zu Kenntnis gelangen, die auf die Auslegung als Antrag auf die andere Leistung hindeuten können. Hier hat der Kläger zu 1) den Antrag gerade darauf gestützt, dass er nach dem Ende der Aufrechterhaltung des Arbeitnehmerstatus keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld II habe. Der Beklagte hatte im März 2017 hingegen keine Informationen über die beabsichtigte Unternehmensgründung. Da der Antrag nach § 37 SGB II materielle Anspruchsvoraussetzung ist, muss eine Behörde zumindest einen Anlass für weitere Ermittlungen haben, dass es sich um einen Antrag nach dem SGB II handeln könnte. Hier ist der Beklagte als örtlicher Sozialhilfeträger hinsichtlich des Vorliegens des Leistungsausschlusses des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II von einem im November 2016 feststehenden Sachverhalt ausgegangen und konnte von der Unternehmensgründung und der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit als Umstände, die allein in der Sphäre des Klägers lagen, keine Kenntnis erlangen. Auch das Jobcenter hatte zu diesem Zeitpunkt keine zurechenbare Kenntnis. Der Empfängerhorizont schließt damit eine Auslegung als Antrag auf Arbeitslosengeld II aus.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen; beim Bundessozialgericht sind bereits zwei Revisionen zur Notwendigkeit und Reichweite der verfassungskonformen Auslegung von § 23 Abs. 3 Sätze 5 und 6 SGB XII anhängig, wobei die Landessozialgerichte zu gegensätzlichen Ergebnissen gekommen sind (Revisionen gegen: LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11. Juli 2019 – L 15 SO 181/18 – und LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 7. November 2019 – L 7 SO 934/19 –, juris). Zudem lassen die beiden Kammerbeschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Februar 2020 1 BvR 1246/19 – und vom 26. Februar 2020 – 1 BvL 1/20 – verfassungsrechtlichen Klärungsbedarf insbesondere hinsichtlich der Möglichkeit und Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung der § 23 Abs. 3 Sätze 5 und 6 SGB XII erkennen.
Rechtskraft
Aus
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