L 4 AS 328/19

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 22 AS 1950/13
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 AS 328/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 28. Oktober 2019 abgeändert und der Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 18. Oktober 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Mai 2013 verurteilt, dem Kläger für die Erstausstattung mit Bett, Lattenrost und Matratze in einer Länge von 2,20 m sowie einer Bettdecke mit einer Länge von 2,20 m einen Betrag von 424,50 EUR zu gewähren. 2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. 3. Der Beklagte hat dem Kläger die Hälfte seiner notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. 4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Berücksichtigung eines Mehrbedarfs aufgrund seiner Körpergröße und macht Aufwendungen für die Ausstattung mit Schuhen und mit einem Bett in Übergröße nebst Zubehör geltend.

Der 1994 geborene Kläger lebte bis Ende Januar 2013 zusammen mit seiner Mutter. Beide standen in (ergänzendem) Leistungsbezug nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Mit Datum vom 20. September 2012 stellte die Mutter des Klägers für beide einen Weiterbewilligungsantrag für die Zeit ab dem 1. Oktober 2012. Mit Bescheid vom 9. Oktober 2012 bewilligte der Beklagte vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum von Oktober 2012 bis März 2013.

Mit Schreiben vom 11. Oktober 2012 beantragte die Mutter des Klägers für diesen rückwirkend ab Januar 2011 einen Mehrbedarf wegen der Mehrkosten für Bett, Matratze, Bettwäsche sowie Schuhe in Übergrößen. Mit Bescheid vom 18. Oktober 2012 lehnte der Beklagte diesen Antrag ab. Die Größe des Klägers begründe nach dem Gesetz keinen Mehrbedarf.

Mit Schreiben vom 16. November 2012 erhob die Mutter des Klägers für diesen Widerspruch gegen den Bescheid vom 18. Oktober 2012. Der Kläger benötige ein Bett in Übergröße von 2,20 m Länge. Bei einer Körpergröße von 1,97 m könne er sich in einem normalen Bett von 2,00 m Länge nicht mehr ausstrecken. Erforderlich sei auch das Zubehör in Form von Lattenrost, Matratze und Bettwäsche. Diese Dinge müssten in Übergrößen im Internet oder teurer in Spezialgeschäften beschafft werden. Insgesamt sei die Anschaffung deutlich teurer als übliche Größen. Weiterhin trage der Kläger Schuhe in Größe 48. Übliche Schuhgeschäfte führten Schuhe nur bis Größe 46. Dadurch würden für die Beschaffung ebenfalls erhebliche Mehrkosten anfallen.

Mit Bescheid vom 15. Mai 2013 erteilte der Beklagte eine abschließende Bewilligung für den Zeitraum vom 1. Oktober 2012 bis zum 31. März 2013. Der Kläger wurde in der Bedarfsgemeinschaft bis zum 31. Januar 2013 berücksichtigt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 30. Mai 2013 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Ein Mehrbedarf gemäß § 21 Abs. 6 SGB II könne nicht anerkannt werden. Es handele sich nicht um laufende Bedarfe, sondern um Einmalanschaffungen. Auch als Erstausstattung im Sinne von § 24 Abs. 3 SGB II könne der Bedarf nicht anerkannt werden.

Der Kläger hat dagegen am 28. Juni 2013 Klage erhoben. Laufende Mehrbedarfe für ihn seien aufgrund seines Größenwachstums bereits im Alter von 16 Jahren entstanden.

Der Beklagte hat im Verfahren mitgeteilt, dass für den Kläger in seiner eigenen Bedarfsgemeinschaft ab dem 1. Februar 2013 weder ein Bett in Übergrößen noch sonstige Erstausstattung bewilligt worden sei. Auch ein Mehrbedarf für Kleidungsübergrößen sei in der Zeit ab dem 1. Februar 2013 nicht bewilligt oder geltend gemacht worden.

Mit Gerichtsbescheid vom 28. Oktober 2019 – nach Anhörung – hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Aus § 21 Abs. 6 SGB II, der die Berücksichtigung eines unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen besonderen Bedarfs vorsehe, ergebe sich kein Anspruch auf die Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für die Ausstattung mit Schuhen oder einem Bett in Übergrößen. Der Mehrbedarf sei unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt sei und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweiche. Aus der Begründung des Gesetzentwurfs zur Einführung des § 21 Abs. 6 SGB II (Bundestags-Drucksache 17/1465, S. 9) ergebe sich bereits, dass der Gesetzgeber den Mehrbedarf grundsätzlich nicht für Bekleidung und Schuhe in Übergrößen vorgesehen habe. Auch habe das Sächsische Landessozialgericht (Urteil vom 21.12.2017 – L 7 AS 1806/13) im Hinblick auf einen Kläger mit Schuhgröße 50 zutreffend einen Mehrbedarf verneint, weil ein Sachverständigengutachten, das eine bundesweite Marktbeobachtung betreffend das Jahr 2013 zugrunde gelegt habe, nur geringe monatliche Mehrkosten aufgezeigt habe. Ein Bett in Übergröße könne einen Mehrbedarf im Sinne des § 21 Abs. 6 SGB II nicht darstellen, weil es kein laufender Bedarf sei, sondern nur im Abstand von vielen Jahren anzuschaffen sei. Die Kosten für die Anschaffung eines Betts in Übergröße nebst Zubehör seien auch nicht gemäß § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II im Rahmen der Erstausstattung mit Wohnungseinrichtung als Zuschuss gesondert zu übernehmen. Im Rahmen des § 24 Abs. 3 SGB II sei die Zugehörigkeit eines Gegenstands zu einer Erstausstattung von einer Ersatzbeschaffung zu unterscheiden. Um eine Ersatzbeschaffung, die nicht zu einer Zuschussleistung führt, handele es sich aber dann, wenn zuvor ein Gegenstand vorhanden gewesen sei, der den betreffenden Bedarf (hier: Schlafstätte) einmal gedeckt habe, inzwischen z.B. wegen Abnutzung, bei Kindern und Jugendlichen auch wegen Wachstums, seinen Zweck nicht mehr erfüllen könne.

Der Kläger hat am 20. November 2019 Berufung eingelegt und sein Begehren wiederholt. Zudem hat er die Ergebnisse seiner Recherchen zu den Kosten der geltend gemachten Bedarfe vorgelegt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 28. Oktober 2019 aufzuheben sowie den Beklagten zu verurteilen, unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide einen einmaligen Mehrbedarf in Form einer Erstausstattung für ein komplettes Bett in Übergröße und den regelmäßig wiederkehrenden Bedarf für zwei Paar Schuhe pro Saison in Übergrößen anzuerkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung.

Mit Beschluss vom 29. Januar 2020 hat das Gericht das Verfahren nach § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf den Berichterstatter zur Entscheidung mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen.

Das Gericht hat am 9. Juli 2020 über die Berufung mündlich verhandelt. Auf das Sitzungsprotokoll wird verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Prozessakte und die Verwaltungsakte des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung des Senats waren.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte durch den Berichterstatter und die ehrenamtlichen Richter entscheiden, da der Senat das Verfahren nach § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) übertragen hatte.

Die zulässige Berufung hat teilweise Erfolg. Soweit das Sozialgericht einen Mehrbedarf wegen der Anschaffung von Schuhen in Übergröße abgelehnt hat, ist dies rechtlich nicht zu beanstanden. Das hat das Sozialgericht zutreffend begründet und der Senat verweist auf den angefochtenen Gerichtsbescheid nach § 153 Abs. 2 SGG.

Die angefochtenen Bescheide des Beklagten vom 18. Oktober 2012 und 30. Mai 2013 sind aber rechtswidrig, soweit es um einen Mehrbedarf wegen des Bettes nebst Zubehör in Überlänge geht. Der Kläger hat insoweit einen Anspruch auf Erstausstattungsbedarf nach § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II. Diese Vorschrift, die auch einzelne Gegenstände erfasst (vgl. BSG, Urt. vom 23.5.2013 – B 4 AS 79/12 R), deckt die Erstausstattung mit Bedarfsgegenständen ab, die nach den herrschenden Lebensgewohnheiten auch unter Berücksichtigung einfachster Verhältnisse zur Standardausstattung gehören (von Boetticher, in: LPK-SGB II, 6. Aufl. 2017, § 24 Rn. 25). Hinsichtlich einer Wohnungsausstattung gehört dazu zweifellos ein Bett. Der Anspruch auf Erstausstattung ist bedarfsbezogen zu verstehen, also kommt es entscheidend darauf an, ob der Anspruch bereits durch vorhandene Gegenstände abgedeckt ist (vgl. BSG, Urt. vom 19.9.2008 – B 14 AS 64/07 R). Das ist hier nach Überzeugung des Senats nicht der Fall gewesen. Denn ein Bett im Normalmaß von 2,00 m Länge deckt nicht den Bedarf eines Menschen von 1,97 m Körperlänge nach einer vernünftigen Schlafstätte ab; vielmehr ist es zu kurz, um ein entspanntes und unterstütztes Liegen zu ermöglichen. Dabei bedarf es keiner Festlegung, ab welcher Körpergröße ein Bedarf an Überlänge entsteht – jedenfalls bei einer Körpergröße von 1,97 m ist das ohne Weiteres festzustellen. Die Anschaffung eines Bettes in Überlange ist damit kein bloßer Ersatzbedarf, der nicht als Erstausstattung angesehen werden könnte, sondern gleicht viel eher dem Übergang vom Kinderbett zum Jugend- bzw. Erwachsenenbett, der nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts einen Erstausstattungsbedarf auslöst (BSG, Urt. vom 23.5.2013, a.a.O.). Erstmals in seinem Leben benötigt der Kläger ein seiner Körpergröße angepasstes größeres Bett. Es ist zwar eine Schlafstätte wie das vorhandene Bett, jenes kann den damit zu deckenden Bedarf aber nicht einmal teilweise, sondern eben gerade gar nicht mehr decken.

Der Erstausstattungsbedarf umfasst Bett, Lattenrost, Matratze und Bettdecke. Hinsichtlich der Höhe des Bedarfs orientiert sich der Senat an den von dem Kläger zuletzt angeführten Beträgen (Bett mit Lattenrost 219,50 Euro; Matratze 115,- Euro; Bettdecke 90,- Euro), die der vom Senat vorbereitend durchgeführten Internetrecherche entsprechen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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