L 7 AS 535/19

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7.
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 29 AS 173/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 535/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14 AS 73/20 R
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung

Urteil ist nicht rechtskräftig (Urteil BSG vom 14.12.2021).

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 23.01.2019 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat 1/3 der Kosten der Kläger in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger wenden sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von Sozialgeld in Bedarfsgemeinschaft mit ihrer Mutter aufgrund ihres Aufenthalts in einer temporären Bedarfsgemeinschaft mit ihrem Vater in den Monaten September 2014 und Oktober 2014.

Die 2000 geborene Klägerin und der 2003 geborene Kläger lebten im streitigen Zeitraum mit ihrer Mutter C T in einer Wohnung. Der Vater der Kläger V T lebte von den Klägern und ihrer Mutter getrennt. Die Eltern der Kläger sind seit 2012 geschieden und haben gemeinsam das Sorgerecht für die Kläger. Auch V T bezog im streitigen Zeitraum Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom Beklagten. Nach einer Vereinbarung der Eltern der Kläger hielten sich die Kläger jedes zweite Wochenende von Freitag bis Sonntag und zusätzlich während der Hälfte der Ferien bei ihrem Vater auf.

Mit Bescheid vom 07.04.2014 bewilligte der Beklagte den Klägern und ihrer Mutter in Bedarfsgemeinschaft für Mai 2014 bis Oktober 2014 Leistungen iHv insgesamt 1.192,76 EUR monatlich. Der Beklagte legte einen Gesamtbedarf iHv 1.746,76 EUR zugrunde (Kosten der Unterkunft und Heizung 658 EUR; Regelbedarf für die Mutter 391 EUR, Mehrbedarf für Alleinerziehende 140,76 EUR, Sozialgeld für die Klägerin 296 EUR, Sozialgeld für den Kläger 261 EUR). Er rechnete auf den Bedarf Kindergeld iHv 184 EUR bzw. 190 EUR sowie bei dem Kläger einen Unterhaltsvorschuss iHv 180 EUR an. Der Beklagte bewilligte der Klägerin Sozialgeld iHv 112 EUR und Unterkunftskosten iHv 219,34 EUR, der Kläger erhielt aufgrund anzurechnenden Einkommens nur Unterkunftskosten iHv 110,33 EUR.

Nachdem der Beklagte erfahren hatte, dass die Kläger regelmäßig beim Vater sind, teilten die Eltern der Kläger auf Anforderung durch den Beklagten mit, dass die Kläger sich im streitigen Zeitraum an folgenden Tagen beim Vater aufgehalten hatten (Beginn jeweils um 17:00 Uhr - Ende jeweils um 19:00 Uhr): 05.09.2014 bis 07.09.2014, 19.09.2014 bis 21.09.2014, 03.10.2014 bis 05.10.2014, 13.10.2014 bis 19.10.2014 (Herbstferien) und 31.10.2014 bis 02.11.2014.

Mit Bescheid vom 01.08.2014 hob der Beklagte den Bescheid vom 07.04.2014 gem. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X iVm § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II daraufhin für August 2014 bis Oktober 2014 teilweise auf. Die Kläger seien während des Besuchs beim Vater aus der Bedarfsgemeinschaft mit der Mutter "zu entfernen", weshalb auch der Mehrbedarf wegen Alleinerziehung entsprechend zu reduzieren sei. Ein Doppelbezug von Sozialgeld in beiden Bedarfsgemeinschaften sei nicht möglich. Im September 2014 reduzierte der Beklagte den anzuerkennenden Regelbedarf für die Kläger in Bedarfsgemeinschaft mit der Mutter auf 26/30 (256,53 EUR bzw. 226,20 EUR) und im Oktober 2014 auf 23/30 (226,93 EUR bzw. 200,10 EUR - insoweit mit einem Rundungsfehler zugunsten des Klägers). Der Klägerin erhielt aufgrund dieser Reduzierung im September 2014 Sozialgeld iHv 72,54 EUR und Unterkunftskosten iHv 190,09 EUR, der Kläger Unterkunftskosten iHv 46,30 EUR. Im Oktober 2014 erhielt die Klägerin Sozialgeld iHv 41,99 EUR und Unterkunftskosten iHv 160,84 EUR, der Kläger erhielt Unterkunftskosten iHv 3,50 EUR.

Mit Bescheid vom 11.08.2014 bewilligte der Beklagte den Klägern anteiliges Sozialgeld für die Dauer ihres Aufenthalts in der temporären Bedarfsgemeinschaft mit ihrem Vater von August 2014 bis Oktober 2014 (wobei der Beklagte zugunsten der Kläger für Oktober 2014 von acht Anwesenheitstagen bei dem Vater ausging).

Gegen den Bescheid vom 01.08.2014 legten die Kläger am 07.08.2014 Widerspruch ein. Die Kürzungen ihrer Leistungen in Bedarfsgemeinschaft mit der Mutter sei rechtswidrig.

Mit Bescheid vom 21.11.2014 änderte der Beklagte den Bescheid vom 01.08.2014 insoweit ab, als der Mutter der Kläger der volle Mehrbedarf wegen Alleinerziehung bewilligt wurde. Die den Klägern bewilligten Leistungen blieben unverändert.

Mit Bescheid vom 18.12.2014 wies der Beklagte den Widerspruch der Kläger zurück. Den Klägern stünden auch bei regelmäßigen Aufenthalten in zwei Bedarfsgemeinschaften monatlich insgesamt Leistungen nur für 30 Tage zu. Die Anzahl der Tage, an denen sie sich in temporärer Bedarfsgemeinschaft mit dem Vater befinden, seien daher bei den Leistungen in Bedarfsgemeinschaft mit der Mutter abzuziehen.

Am 16.01.2015 haben die Kläger gegen die Bescheide vom 01.08.2014 und 21.11.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.12.2014 Klage beim Sozialgericht Dortmund erhoben und die Aufhebung der "tageweisen Kürzung des Sozialgelds der Kinder beantragt". Der Aufenthalt in der temporären Bedarfsgemeinschaft mit dem Vater rechtfertige die Kürzung des Sozialgeldes in der Bedarfsgemeinschaft mit der Mutter nicht. Dadurch werde ihr Existenzminimum gefährdet, da unabhängig von ihrer Anwesenheit im Haushalt der Mutter Kosten für Strom, Hausrat, Bekleidung und Lebensmittel weiter anfielen. Daraus sei ihr Anspruch auf ungekürzte Regelleistung in der Hauptbedarfsgemeinschaft ungeachtet der anteiligen Regelleistung in der temporären Bedarfsgemeinschaft abzuleiten. Die Rechtsfigur der temporären Bedarfsgemeinschaft diene allein dazu, die Mehrbelastung des umgangsberechtigten Elternteils auszugleichen, womit eine Kürzung der Leistungen in der Hauptbedarfsgemeinschaft nicht zu vereinbaren sei. Nach der Rechtsprechung des BSG käme auch eine Aufteilung des Wohnbedarfs je nach Umfang des Aufenthalts bei dem einen oder anderen Elternteil nicht in Betracht. Aus dem Verbot einer anteiligen Reduzierung der Kosten für Unterkunft und Heizung während der Abwesenheit eines Kindes im Rahmen der Umgangskontakte folge auch das Verbot einer Aufteilung des Sozialgeldes.

Die Kläger haben beantragt,

den Bescheid vom 01.08.2014 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 21.11.2014 und des Widerspruchsbescheides vom 18.12.2014 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Nach der Rechtsprechung des BSG bestehe auch bei Kindern, die neben der Hauptbedarfsgemeinschaft in einer temporären Bedarfsgemeinschaft leben, lediglich ein Anspruch auf einen Regelbedarf für insgesamt 30 Tage.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 23.01.2019 die Klage abgewiesen und im Tenor die Berufung zugelassen. Die Zulassung der Berufung ist in der Niederschrift zum Verhandlungstermin am 23.01.2019 nicht enthalten. In den Entscheidungsgründen hat das Sozialgericht ausgeführt, die Berufung werde zugelassen, weil die Rechtsfrage, ob im Falle einer temporären Bedarfsgemeinschaft der Leistungsanspruch in der Hauptbedarfsgemeinschaft (vollständig) entfalle, klärungsbedürftig sei. Der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig, denn der Anspruch der Kläger auf Sozialgeld in der Bedarfsgemeinschaft mit der Mutter sei während der Bildung der temporären Bedarfsgemeinschaft mit dem umgangsberechtigten Vater zu reduzieren. Die Kläger könnten während der Zugehörigkeit zu der temporären Bedarfsgemeinschaft nicht gleichzeitig als Mitglieder in der Bedarfsgemeinschaft mit ihrer Mutter Leistungen beanspruchen. Zwar sei den Klägern zuzustimmen, dass auch an Tagen, an denen sie sich überwiegend bei ihrem Vater aufhalten, in der Bedarfsgemeinschaft mit der Mutter eine Vielzahl der aus der Regelleistung zu finanzierenden Bedarfe, zB für Hausrat und Bekleidung, weiter anfielen. Es sei jedoch nicht Aufgabe des SGB II, bis in jede Einzelheit für eine Verteilung der für das Existenzminimum der einzelnen Personen notwendigen Gelder zwischen allen Beteiligten zu sorgen. Der Gesetzgeber dürfe vielmehr typisierend davon ausgehen, dass Zuordnungsprobleme innerhalb familienhaften Beziehungen von den Betroffenen im Rahmen bestehender Bedarfsgemeinschaften gemeistert würden. Basierend auf dem Pauschalisierungsgedanken bestehe nach der Rechtsprechung des BSG ein Anspruch auf Sozialgeld bei regelmäßigen Aufenthalten in zwei Bedarfsgemeinschaften nur für insgesamt 30 Tage monatlich.

Gegen das ihnen am 25.02.2019 zugestellte Urteil haben die Kläger am 22.03.2019 Berufung eingelegt. Sie wiederholen ihren Vortrag aus dem erstinstanzlichen Verfahren.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Beklagte nach Hinweis des Senats darauf, dass mit dem Bescheid vom 01.08.2014 Leistungen für die Zukunft erst ab September 2014 aufgehoben werden können, den Bescheid vom 01.08.2014 insoweit aufgehoben, als das Sozialgeld der Kläger für August 2014 gekürzt worden ist.

Die Kläger beantragen,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 23.01.2019 zu ändern und die Bescheide vom 01.08.2014 und 21.11.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.12.2014 über das Teilanerkenntnis hinaus aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er nimmt auf die Ausführungen im Urteil des Sozialgerichts vom 23.01.2019 Bezug.

Auf den Hinweis des Vorsitzenden auf die fehlende Protokollierung der Zulassung der Berufung haben die Bevollmächtigten der Beteiligten übereinstimmend erklärt, die Zulassung der Berufung sei verkündet worden.

Der Vater V T hat im Berufungsverfahren die Klageerhebung durch die Mutter genehmigt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze, die mit dessen Einverständnis beigezogene Leistungsakte von V T und die beigezogenen Leistungsakten der Kläger, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Streitgegenstand des Berufungsverfahrens sind die Bescheide vom 01.08.2014 und 21.11.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.12.2014, mit denen der Beklagte die Leistungsbewilligung im Bescheid vom 07.04.2014 nach § 48 SGB X für September 2014 und Oktober 2014 teilweise aufhebt und der Berechnung des Anspruchs der Kläger in der Bedarfsgemeinschaft mit der Mutter anteilig gekürztes Sozialgeld zugrunde legt. Die Kläger verfolgen ihr Begehren zutreffend mit der Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Berufung ist statthaft. Das Sozialgericht hat die angesichts des Wertes des Streitgegenstands gem. § 144 Abs. 1 SGG zulassungsbedürftige Berufung wirksam zugelassen. Dem steht die negative Beweiskraft der Sitzungsniederschrift vom 23.01.2019 gem. §§ 122 SGG, 165 ZPO nicht entgegen. Allerdings handelt es sich bei der Verkündung der vollständigen Urteilsformel - einschließlich der Entscheidung über die Zulassung einer Berufung - um einen protokollierungspflichtigen Vorgang. Gem. § 132 Abs. 2 Satz 1 SGG wird das Urteil durch Verlesen der Urteilsformel verkündet. Gem. § 132 Abs. 1 Satz 2 SGG erfolgt die Verkündung grundsätzlich in dem Termin, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen wird. Gem. §§ 122 SGG, 160 Abs. 3 Nr. 6 und Nr. 7 ZPO sind im Protokoll die Entscheidungen des Gerichts und ihre Verkündung festzustellen. Ausgehend von der Sitzungsniederschrift und ihrer Beweiskraft ist damit davon auszugehen, dass die Zulassung der Berufung nicht zusammen mit der übrigen Urteilsformel verkündet worden ist, ungeachtet des Umstands, dass die Beteiligten dem Senat übereinstimmend erklärt haben, dass auch dies der Fall gewesen sei. Diese Erklärung ist zum Beweis der Verkündung bis zum Abschluss eines Protokollberichtigungsverfahrens (§§ 122 SGG, 164 ZPO) gem. § 165 ZPO unbeachtlich. Dennoch ist von einer wirksamen Berufungszulassung auszugehen. Denn für die Wirksamkeit einer Berufungszulassung ist es nicht erforderlich, diese in den Urteilstenor aufzunehmen und mit diesem zu verkünden. Das SGG schreibt nicht vor, in welcher Form und an welcher Stelle des Urteils die Zulassung einer an sich ausgeschlossenen Berufung auszusprechen ist. Jedenfalls muss die Zulassung sich eindeutig aus dem Urteil ergeben. Auch wenn es sich aus Zweckmäßigkeitsgründen anbietet, den Zulassungsausspruch in die Urteilsformel mit hineinzunehmen, ist dies für die Wirksamkeit einer Berufungszulassung nicht erforderlich (BSG Urteil vom 05.09.1958 - 9 RV 892/56; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl., § 144 Rn. 39 mwN). Der Senat hält es für geboten, diese Grundsätze auch anzuwenden, wenn - wie vorliegend - eine Aufnahme in den zu verkündenden Urteilstenor beabsichtigt war und allein aufgrund der negativen Beweiskraft des Protokolls unterstellt wird, dass die Verkündung unterblieben ist. Denn wenn eine Berufungszulassung auch allein in den Urteilsgründen erfolgen kann, gilt dies erst recht, wenn sogar eine Verkündung beabsichtigt gewesen ist. Vorliegend ergibt sich aus dem Urteil eindeutig, dass die Berufung zugelassen worden ist, denn das Sozialgericht hat diese nicht nur in der (nicht verkündeten) Urteilsformel ausgesprochen, sondern auch am Schluss der Entscheidungsgründe ausdrücklich begründet. Erforderlich für eine wirksame Berufungszulassung ist zusätzlich, dass sich aus dem Wortlaut des Urteils ergibt, dass das Gericht, nicht nur der Kammervorsitzende, die Zulassung der Berufung beschlossen hat (BSG Urteil vom 18.01.1990 - 4 RA 40/89). Diese Voraussetzung ist auch erfüllt, denn das Sozialgericht hat ausdrücklich ausgeführt, dass "die Kammer" die Berufung zugelassen hat.

Die minderjährigen Kläger haben gesetzlich vertreten durch ihre Mutter und mit der erforderlichen Genehmigung des Vaters (hierzu BSG Urteile vom 12.06.2013 - B 14 AS 50/12 R und vom 02.07.2009 - B 14 AS 54/08 R) wirksam Klage erhoben und sind als Inhaber der streitigen Individualansprüche (hierzu BSG Urteil vom 24.06.2020 - B 4 AS 9/20 R und vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R) und Adressanten der angefochtenen Aufhebungsentscheidung allein aktivlegitimiert.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Die Kläger sind durch die angefochtene Entscheidung nicht iSv § 54 Abs. 2 SGG beschwert. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Bescheide vom 01.08.2014 und 21.11.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.12.2014 sind rechtmäßig.

Die Bescheide sind formell rechtmäßig. Der Beklagte hat es zwar unterlassen, die Kläger vor Erlass des Bescheides vom 01.08.2014 nach § 24 SGB X anzuhören. Er kann sich insoweit nicht auf § 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X berufen, wonach von einer Anhörung abgesehen werden kann, wenn einkommensabhängige Leistungen den geänderten Verhältnissen angepasst werden sollen. Denn die Reduzierung der Leistungen der Kläger basiert nicht auf einer Einkommensänderung, sondern auf dem zeitweiligen Aufenthalt im Haushalt des Vaters. Die Anhörung ist jedoch wirksam im Widerspruchsverfahren gem. § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X nachgeholt worden. Eine Heilung des Anhörungsmangels durch die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens setzt voraus, dass der Ausgangsbescheid alle wesentlichen (Haupt-)Tatsachen, dh alle Tatsachen, die die Behörde ausgehend von ihrer materiell-rechtlichen Rechtsansicht berücksichtigen muss und kann, nennt (BSG Urteil vom 26.07.2016 - B 4 AS 47/15 R mwN). Dies ist vorliegend gegeben, denn der Bescheid vom 01.08.2014 nennt alle aus Sicht des Beklagten maßgeblichen Umstände, die für die Reduzierung der Leistungen ab August 2014 maßgeblich sind.

Die angefochtenen Bescheide sind materiell rechtmäßig.

Sie sind hinreichend bestimmt iSd § 33 Abs. 1 SGB X, weil der Beklagte den zurückgenommenen Bescheid, die von der Rücknahme betroffenen Zeiträume sowie die betroffenen Personen nennt und den Umfang der Rücknahme ausweist. Inhaltlich lässt sich auf der Grundlage der Berechnungsbögen der Bescheide vom 01.08.2014 und vom 21.11.2014 einerseits sowie des Bescheides vom 07.04.2014 andererseits der aufgrund des Aufenthaltes der Kläger beim Vater aufgehobene Leistungsanteil ermitteln.

Ermächtigungsgrundlage für die Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 07.04.2014 für September 2014 und Oktober 2014 ist § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II iVm § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt.

An den Tagen, an denen die Kläger wegen des Aufenthalts beim Vater Mitglied in einer temporären Bedarfsgemeinschaft mit diesem waren und deshalb einen anteiligen Anspruch auf Sozialgeld in Bedarfsgemeinschaft mit dem Vater hatten, ist in den Verhältnissen, die bei dem Erlass des Bescheides vom 07.04.2014 vorlagen, eine wesentliche Änderung eingetreten, denn an diesen Tagen ist in der Bedarfsgemeinschaft mit der Mutter von einem entsprechend reduzierten Regelbedarf der Kläger auszugehen.

Während des Aufenthalts der Kläger beim Vater an den von der Aufhebung umfassten Tagen hatten diese einen Anspruch auf Sozialgeld in Bedarfsgemeinschaft mit dem Vater gem. §§ 7 Abs. 2 Satz 1, 19 Abs. 1 Satz 2 SGB II. Danach erhalten auch Personen Leistungen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Eine temporäre Bedarfsgemeinschaft besteht für jeden Tag, an welchem sich das hilfebedürftige Kind länger als zwölf Stunden in dem anderweitigen Haushalt aufhält (BSG Urteile vom 12.06.2013 - B 14 AS 50/12 R und vom 02.09.2009 - B 14 AS 75/08 R). Der Vater war in den streitbefangenen Monaten erwerbsfähiger Leistungsberechtigter und die Kläger waren jeweils mehr als zwölf Stunden in dessen Haushalt untergebracht. Der Beklagte hat daher zu Recht den Klägern mit Bescheid vom 11.08.2014 für die Aufenthaltstage beim Vater Sozialgeld bewilligt. In den betroffenen Monaten waren die Kläger zudem an den Tagen, an denen sie sich bei ihrer erwerbsfähigen leistungsberechtigten Mutter befanden, gem. § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II in Bedarfsgemeinschaft mit dieser leistungsberechtigt.

Spiegelbildlich zum tageweisen (§ 41 Abs. 1 Satz 1 SGB II) Anspruch in der temporären Bedarfsgemeinschaft entfällt der Leistungsanspruch in der Hauptbedarfsgemeinschaft, hier also der Anspruch der Kläger in der Bedarfsgemeinschaft mit der Mutter. Einem Betroffenen steht auch bei regelmäßigen Aufenthalten in zwei Bedarfsgemeinschaften monatlich insgesamt nur ein Anspruch auf die Regelleistung für 30 Tage (§ 41 Abs. 1 SGB II) zu. Die Regelleistung deckt den Bedarf für den regelmäßigen Lebensunterhalt ab; insgesamt ergeben sich aber auch bei wechselnden Aufenthalten Ansprüche auf Regelleistungen für nicht mehr als 30 Tage. Für die Tage, an denen sich die betroffenen Kinder weniger als zwölf Stunden im Haushalt des einen Elternteils aufhalten, besteht daher dort kein Anspruch auf die Regelleistung (BSG Urteil vom 12.06.2013 - B 14 AS 50/12 R; LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 24.03.2015 - L 7 AS 1031/13).

Der Senat folgt dieser Rechtsprechung, da sie dem grundsätzlich abschließenden pauschalen Charakter der Regelleistung gerecht wird. Der Regelbedarf wird gem. § 20 Abs. 1 Satz 3 SGB II als monatlicher Pauschalbetrag berücksichtigt und deckt grundsätzlich alle Bedarfe ab, die zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums erforderlich sind. Eine Erhöhung der Regelleistung ist gesetzlich nicht vorgesehen, Sonderbedarfe stehen nur im Rahmen der gesetzlichen Mehrbedarfe (§ 21 SGB II) und der Bedarfe für Bildung und Teilhabe (§ 28 SGB II) zu (grundlegend BSG Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 14/06 R).

Allerdings können gegen die Kürzung der Leistungen in der Hauptbedarfsgemeinschaft auch erhebliche Einwände geltend gemacht werden. So ist bereits unklar, auf welcher gesetzlichen Grundlage der Anspruch in der Hauptbedarfsgemeinschaft wegfällt. Wie ausgeführt beruht der Anspruch auf Leistungen auch in der Hauptbedarfsgemeinschaft auf § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II, wonach Leistungen auch Personen erhalten, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Die Kläger hatten im streitbefangenen Zeitraum das 15. Lebensjahr noch nicht vollendet und waren deshalb nicht selbst gem. § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II anspruchsberechtigt. Sie lebten mit ihrer Mutter in den streitbefangenen Monaten durchgehend in einer Bedarfsgemeinschaft gem. § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II. Hiernach gehören zur Bedarfsgemeinschaft die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen bestreiten können. Die Kläger gehörten durchgehend dem Haushalt ihrer Mutter an, die tageweise Abwesenheit beim Vater ändert - ebenso wenig wie andere vorübergehende Abwesenheiten, zB für Urlaubs- oder Klassenfahrten, Besuche bei den Großeltern oder Freunden, Krankenhausaufenthalte o Ä - nichts daran (zur Unbeachtlichkeit kürzerer Abwesenheiten Leopold in: JurisPK § 7 SGB II Rn. 256; in diesem Sinne auch Dern/Fuchsloch, SGb 2017, 61 f). Daher steht der Mutter auch unstreitig der ungekürzte Mehrbedarf für Alleinerziehende zu (BSG Urteil vom 03.03.2009 - B 4 AS 50/07 R; abweichend zum hier nicht einschlägigen "Wechselmodell" BSG Urteil vom 11.07.2019 - B 14 AS 23/18 R). Der Mehrbedarf wegen Alleinerziehung setzt gem. § 21 Abs. 3 SGB II ein "Zusammenleben" mit den Kindern voraus, ohne dass ersichtlich ist, dass dieser Begriff sich wesentlich von der Haushaltsgemeinschaft iSd § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II unterscheidet.

Es ist auch fraglich, ob die Kürzung der Leistungen bei der Mutter mit Sinn und Zweck der temporären Bedarfsgemeinschaft vereinbar ist. Dieses Rechtsinstitut ist nach der Rechtsprechung des BSG "angesichts der besonderen Förderungspflicht des Staates nach Art. 6 Abs. 1 GG geboten" (BSG Urteile vom 12.06.2013 - B 14 AS 50/12 R und vom 02.07.2009 - B 14 AS 75/08 R). Der Gesetzgeber hat mit § 36 Abs. 1 Satz 3 SGB II eine Sonderregel für die örtliche Zuständigkeit eingefügt und die Rechtsfigur damit ausdrücklich in seinen Willen aufgenommen (BT-Drs. 17/3404 S. 114). Die intendierte Förderung der Kinder und des umgangsberechtigten Elternteils wird aber durchgreifend erschwert, wenn der Aufenthalt in der temporären Bedarfsgemeinschaft zur Kürzung des Sozialgeldes in der Hauptbedarfsgemeinschaft und damit faktisch zu einer Kürzung des Budgets führt, das dem die Kinder hauptverantwortlich betreuenden Elternteil zur Verfügung steht. Die Zuerkennung von Leistungen der Kinder in temporären Bedarfsgemeinschaften soll der Erleichterung des Umgangsrechts dienen, nicht dessen Blockade. Wird der Anspruch in der Hauptbedarfsgemeinschaft gleichzeitig gekürzt, ist die bezweckte Erleichterung der Realisierung des Umgangsrechts gefährdet, da dann ein finanzielles Interesse des hauptbetreuenden Elternteils besteht, einen mehr als zwölf Stunden umfassenden Umgang des anderen Elternteils zu verhindern. Nicht zuletzt besteht die Gefahr, dass auf die Kinder Druck ausgeübt wird, den Umgang zu reduzieren, um die Haushaltskasse des hauptsächlich betreuenden Elternteils zu schonen. Solche Folgen, die angesichts der häufig sehr konfliktbelasteten Trennungssituationen nicht nur theoretisch auftreten dürften, sind unter Beachtung des Kinderwohls möglichst zu vermeiden (so auch Dern/Fuchsloch, SGb 2017, 61 ff, die sich aus Kindeswohlperspektive für eine "Entzerrung der finanziellen Verantwortlichkeiten durch weitgehend voneinander unabhängige Ansprüche in beiden Haushalten" aussprechen).

Hinzu kommt, dass die betroffenen Kinder auch an den Tagen, an denen sie sich bei dem anderen Elternteil aufhalten, in ihrer Stammbedarfsgemeinschaft eine Vielzahl der aus der Regelleistung zu finanzierenden Bedarfe behalten (Kleidung, Haushaltsgeräte, Möbel, Grundgebühren für Kommunikationseinrichtungen etc). Eine Kürzung der Leistungen in der Hauptbedarfsgemeinschaft wäre daher plausibel allenfalls unter Abzug der Bedarfe, die in der Hauptbedarfsgemeinschaft weiterhin anfallen. Dies wäre jedoch mit dem Pauschalierungsgehalt der Regelleistung (§ 20 Abs. 1 Satz 3 SGB II) nicht vereinbar. Werden die Leistungen in der Hauptbedarfsgemeinschaft an den Abwesenheitstagen vollständig entzogen, entsteht in dieser mithin eine Bedarfsunterdeckung, die das Existenzminimum der Mitglieder der Hauptbedarfsgemeinschaft gefährdet. Diese entstehende Unterdeckung kann ihrerseits nicht über § 21 Abs. 6 SGB II aufgefangen werden, da es sich bei den regelmäßigen Aufwendungen für den Lebensbedarf der Kinder nicht um nicht vom Regelbedarf umfasste besondere Bedarfe iSd § 21 Abs. 1, Abs. 6 SGB II der Mutter handelt. Das auch zugunsten der Kinder entwickelte Rechtsinstitut der temporären Bedarfsgemeinschaft wirkt sich damit im Ergebnis zu deren Lasten aus, da in der Hauptbedarfsgemeinschaft nicht mehr ausreichende Mittel zur Verfügung stehen.

Abgesehen von dem grundsätzlich abschließenden Charakter der Höhe der Regelleistung lässt sich schließlich eine Erhöhung der den Kindern insgesamt zustehenden Leistungen gegenüber Personen, die nicht in einer Trennungssituation leben, nicht durchgreifend als Rechtfertigung für eine Aufhebung der Leistungen in der Hauptbedarfsgemeinschaft anführen. Denn bei getrennt lebenden Eltern, die hinsichtlich des Umgangs mit den Kindern das "Wechselmodell" praktizieren, ist anerkannt, dass eine Berücksichtigung eines Unterkunftsbedarfs in beiden Bedarfsgemeinschaften nicht daran scheitert, dass das sozialrechtliche Existenzminimum dadurch erhöht wird (BSG Urteil vom 11.07.2019 - B 14 AS 23/18 R).

Die geschilderten Unstimmigkeiten und Belastungen (hierzu auch Petzold, info also 2019, 56 ff) ließen sich dadurch vermeiden, dass anstelle der temporären Bedarfsgemeinschaft während des Aufenthalts beim getrennt lebenden Elternteil ein Mehrbedarf des umgangsberechtigten Elternteils (so zutreffend Dern/Fuchsloch, SGb 2017, 61 ff) hinsichtlich der Bedarfe anerkannt würde, die für die Kinder in der Hauptbedarfsgemeinschaft durch die Regelleistung abgedeckt werden ("Umgangsmehrbedarf", so Dern/Fuchsloch, SGb 2017, 61 ff; zur Anerkennung von Fahrkosten zur Ermöglichung des Umgangsrechts vgl. BSG Urteil vom 04.06.2014 - B 14 AS 30/13 R). Solange ein Anspruch der Kinder im Wege der temporären Bedarfsgemeinschaft anerkannt wird, ist eine Unabweisbarkeit des durch den zeitweiligen Aufenthalt in einem anderen Haushalt entstehenden Bedarfs iSd § 21 Abs. 6 SGB II jedoch nicht gegeben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und berücksichtigt das Obsiegen der Kläger für August 2014.

Der Senat hat die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der angesprochenen Rechtsfragen zugelassen.

Rechtskraft
Aus
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