Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Nürnberg (FSB)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
5
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 AY 137/20
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 AY 117/20
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Höhe von Leistungen nach § 3 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) für den Zeitraum von 01.01.2018 bis 31.08.2018.
Der 1996 geborene Kläger (Kl.) ist afghanischer Staatsangehöriger. Er wohnt in der städtischen Asylbewerberunterkunft (Gemeinschaftsunterkunft) A-Stadt und bezieht seit 01.12.2017 Leistungen nach § 3 AsylbLG in Höhe von jeweils 320,14 EUR (unter Berücksichtigung von Sachleistungen), seit 01.09.2018 Leistungen nach § 2 AsylbLG (vgl. Bl. 53 der Akten der Beklagten).
Mit Weiterbewilligungsbescheid vom 24.07.2019 bewilligte die Beklagte dem Kläger Leistungen nach § 2 AsylbLG in Höhe von monatlich 364,65 EUR für die Monate August bis Oktober 2019 (Bl. 74 der Akten der Beklagten).
Mit Änderungsbescheid vom 25.09.2019 (Bl. 76 der Akten der Beklagten) teilte die Beklagte d. Kl. mit, die Höhe der laufenden Leistungen werde ab 01.10.2019 "bis zum Ende des laufenden Bewilligungszeitraums neu berechnet". Aufgrund des "geänderten AsylbLG, Bundesgesetzblatt Nr. 31, S. 1290 ff v. 20.08.2019) werde die Höhe der Leistungen ab 01.10.2019 neu festgesetzt. Die genaue Zusammensetzung sei dem beiliegenden Berechnungsbogen zu entnehmen. Der Bescheid hebe "alle vorhergehenden Bescheide über die Höhe der Gewährung von Leistungen nach dem AsylbLG auf, soweit sie sich auf gleicher Zeiträume beziehen (§ 48 Abs. 1 SGB X i. V. m. § 9 Abs. 4 AsylbLG)". Ab 01.10. 2019 betrage der Anspruch 322,65 EUR.
Mit Schreiben vom 17.10.2019 legte der Bevollmächtigte d. Kl. Widerspruch gegen den Bescheid vom 25.09.2019 ein. Darüber hinaus beantragte der Bevollmächtigte d. Kl. die Überprüfung der bestehenden Bewilligungsentscheidungen über Leistungen nach § 3 AsylbLG für den Zeitraum ab 01.01.2018. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Regelung des § 3 AsylbLG a.F. beruhten "vom 01.01.2017 bis zum 31.08.2019" weder auf einer ordnungsgemäßen Berechnungsgrundlage noch sei der Bedarf gedeckt worden. Die Leistungen seien seit 2016 entgegen der Regelung in § 3 Abs. 5 AsylbLG nicht neu festgesetzt worden, obwohl die Einkommens-und Verbrauchsstichprobe (EVS) von 2013 vorliege und der Regelbedarf nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) demzufolge bereits zum 01.01.2017 angepasst worden sei. Dieser Bedarf habe - parallel zur Neufestsetzung der Regelbedarfe nach dem SGB XII - für Zeiträume ab 01.01.2017 durch ein gesondertes Gesetzgebungsverfahren umgesetzt werden sollen. Ein entsprechender Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes (BT-Drs.18/9985, 18/10351) sei jedoch an der fehlenden Zustimmung des Bundesrats gescheitert. Gemäß § 3 Abs. 4 AsylbLG sei der Wert der Grundleistungen jeweils zum 1. Januar eines Jahres entsprechend der Veränderungsrate nach § 28a SGB XII in Verbindung mit der Verordnung nach § 40 Satz 1 Nr. 1 SGB XII fortzuschreiben und die sich daraus ergebende Höhe im Bundesgesetzblatt (BGBl.) zu veröffentlichen. Die Höhe des Geldbetrags ergebe sich nach § 3 Abs. 4 AsylbLG unmittelbar aus der Veränderungsrate nach § 28a SGB XII in Verbindung mit der jeweiligen Fortschreibungsverordnung selbst, ohne dass es eines Umsetzungsaktes bedürfe. Der Wert der fortzuschreibenden Grundleistungen ergebe sich bereits mit der Veröffentlichung der maßgeblichen Fortschreibungsverordnung (nach dem SGB XII). Dementsprechend bestimme sich die Veränderungsrate für den Wert der Grundleistungen für 2017 nach der Regelbedarfs-Fortschreibungsverordnung 2016, da es für 2017 keine Fortschreibungsverordnung gegeben habe; die Erhöhung für 2017 habe nach der nach der Regelbedarfs-Fortschreibungsverordnung 2016 um 1,24 % zu erfolgen. Für das Jahr 2018. Für 2018 habe die Erhöhung nach der nach der Regelbedarfs-Fortschreibungsverordnung 2018 um 1,63 % zu erfolgen. Für 2019 habe die Erhöhung nach der nach der Regelbedarfs-Fortschreibungsverordnung 2019 um 2,02 % zu erfolgen. Damit ergäben sich Leistungssätze von monatlich 358 EUR für 2017, von monatlich 364 EUR für 2018 und von monatlich 371 EUR für 2019.
Mit Bescheid vom 22.10.2019 (Bl. 83 der Akten der Beklagten) lehnte die Beklagte den Überprüfungsantrag hinsichtlich der Leistungsbescheide vom 30.11.2017, 11.04.2018 und 11.07.2018 ab. Zur Begründung führte die Beklagte aus, die Umsetzung der EVS 2013, die seit 2015 veröffentlicht sei, sei - anders als im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und im SGB XII - im AsylbLG entgegen § 3 Abs. 5 AsylbLG nicht erfolgt.
Dagegen erhob der Bevollmächtigte d. Kl. mit Schreiben vom 15.11.2019 am 16.11.2019 Widerspruch; zur Begründung des Widerspruchs wiederholte der Bevollmächtigte d. Kl. die Ausführungen vom 17.10.2019 betreffend § 3 AsylbLG.
Die Regierung von M. wies mit Widerspruchsbescheid vom 09.04.2020 (Bl. 13 der Gerichtsakten) den Widerspruch d. Kl. zurück. In der Begründung des Widerspruchsbescheides wurde ausgeführt, die Umsetzung der EVS 2013, die seit 2015 veröffentlicht sei, sei - anders als im SGB II und im SGB XII - im AsylbLG entgegen § 3 Abs. 5 AsylbLG nicht erfolgt. Somit fehle es an einer Fortschreibung der Beträge durch das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMAS). Auch in der Kommentarliteratur werde die Auffassung vertreten, dass mangels Erhöhung der Sätze durch eine Gesetzesänderung die Sätze von 2016 - vorläufig - weitergälten (vgl. Birk in Bieritz-Harder/Conradis/Thie, Lehr- und Praxiskommentar SGB XII, 12. Auflage 2018, § 3 AsylbLG Rn 26). Es sei allein Aufgabe des BMAS im Rahmen seiner nach § 3 Abs. 4 AsylbLG eingeräumten legislativen Kompetenz, die Höhe der Geldbeträge zu bestimmen (Sozialgericht Hamburg, Beschluss vom 08.07.2019 - S 28 AY 48/19 ER -). Es sei nicht Aufgabe der Verwaltung, ohne gesetzliche Vorgaben die Höhe der Geldbeträge nach § Abs. 5 AsylbLG selbst festzulegen. Erst mit der Einführung des § 3a AsylbLG durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes vom 13.08.2019 (BGBl. I, S. 1290) sei eine Anpassung der Leistungssätze ab 01.09.2019 erfolgt.
Der Bevollmächtigte d. Kl. hat mit Telefax vom 23.04.2020, das an diesem Tag beim Sozialgericht Nürnberg eingegangen ist, Klage erhoben; auch die Klagebegründung enthält inhaltlich im Wesentlichen die Ausführungen vom 17.10.2019.
D. Kl. beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Änderungsbescheides vom 22.10.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Regierung von M. vom 09.04.2020 zu verpflichten, d. Kl. im Grundleistungsbezug gem. § 3 AsylbLG im Zeitraum vom 01.01.2018 bis zum 31.08.2018 fortgeschriebene Leistungen in Höhe von monatlich 364,00 EUR abzüglich der durch Sachleistungen gedeckten Bedarfe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat unter dem 08.05.2020 ablehnend Stellung genommen.
Die Beteiligten habe sich übereinstimmend mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.
Das Gericht hat die Beklagtenakten beigezogen; sie waren Gegenstand des Verfahrens. Das Gericht hat d. Kl. Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 12.06.2020 bewilligt. Vorgelegen hat auch die Gerichtsakte im Verfahren S 5 AY 59/20 (Untätigkeitsklage).
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
Der Überprüfungsbescheid der Beklagten vom 22.10.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.04.2020 hält einer gerichtlichen Überprüfung stand.
D. Kl. hat für den streitigen Zeitraum (Januar 2018 bis August 2018) keinen Anspruch auf Auszahlung von Leistungen nach § 3 AsylbLG a.F. (a.F. = in der Fassung des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.03.2016 [BGBl. I, S. 390]) von mehr als 320,14 EUR. Dieser Betrag ergibt sich aus § 3 Abs. 1 Satz 8 Nr.1 AsylbLG (135,00 EUR für den notwendigen persönlichen Bedarf) und § 3 Abs. 2 Satz 2 AsylbLG (219,00 EUR für den notwendigen Bedarf) abzüglich der Aufwendungen für "Wohnen, Energie, Strom" in Höhe von 33,86 EUR.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf höhere Leistungen, auch im Hinblick darauf, dass es das BMAS bisher versäumt hat, die sich nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG a.F. ergebenden Geldbeträge entsprechend der Veränderungsrate nach § 28a SGB XII in Verbindung mit der Verordnung nach § 40 Satz 1 Nr. 1 SGB XII gemäß § 3 Abs. 4 Satz 1 AsylbLG seit dem 01.01.2017 fortzuschreiben.
Das Gericht vermag sich - ebenso wie das Sozialgericht Hamburg, Beschluss vom 08.07.2019 - S 28 AY 48/19 ER -, juris - der vom Kl. vertretenen Rechtsauffassung (die auch das Sozialgericht Stade, Urteil vom 13.11.2018 - S 19 AY 15/18 -, das LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23.05.2019 - L 8 AY 49/18 - Rdnr. 20ff, juris; das Sozialgericht Bremen, Beschluss vom 15.04.2019 - S 40 AY 23/19 ER - Rdnr. 18ff, juris vertreten, wonach sich ein solcher Anspruch auf Leistungsanpassung/Dynamisierung direkt aus dem Gesetz ergebe), nicht anzuschließen.
Zwar enthält die in § 3 Abs. 4 Satz 1 AsylbLG genannte Regelung eine eindeutige Verpflichtung, die Leistungen entsprechend der Veränderungsrate nach dem SGB XII anzupassen. Diese Verpflichtung richtet sich aber allein gegen die Bundesregierung bzw. das BMAS, soweit dieses jeweils spätestens bis zum 01. November eines Kalenderjahres die Höhe der Bedarfe, die für das folgende Kalenderjahr maßgebend sind, im Bundesgesetzblatt bekannt zu geben hat (vgl. § 3 Abs. 4 Satz 3 AsylbLG a.F.). Die Fortschreibung der Regelbedarfe dient dabei der Dynamisierung der Leistungen, damit ein jahrelanges statistisches Festhalten an nicht mehr realitätsgerechten Festsetzungen ende (vgl. Wahrendorf, SGB XII/AsylbLG, Kommentar, 6. Auflage 2018, § 3 AsylbLG, Rdnr. 67). Zwar hat es das BMAS entgegen dieser gesetzlichen Verpflichtung unterlassen, die Leistungen nach dem AsylbLG seit dem 01.01. 017 entsprechend anzupassen, weil der Bundesrat in seiner 952.Sitzung am 16.12.2016 dem am 01.12.2016 vom Deutschen Bundestag verabschiedeten Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes (BT-Drs. 18/9985), mit dem die Höhe der Geldbeträge für die Zeit ab 01.01.2017 festgesetzt werden sollten, nicht zugestimmt hat (vgl. BR-Drs. 713/16[B]). In Ermangelung einer gesetzlichen Neufestsetzung konnte daher aus rechtlichen Gründen für die Zeit ab 01.01.2017 eine Fortschreibung nach § 3 Abs. 4 AsylbLG a.F. durch die Bundesregierung nicht erfolgen und ist erst durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes vom 13.08.2019 (BGBl. I, S. 1290) mit Wirkung ab 01.09.2019 erfolgt.
Im Hinblick auf das vom Gesetzgeber in § 3 Abs. 4 AsylbLG so ausgestaltete Verfahren der Fortschreibung hält sich das Gericht aber weder für berechtigt, die Geldbeträge nach dem AsylbLG der Höhe nach selbst zu bestimmen noch die zuständige Behörde zu deren Anwendung zu verpflichten. Denn dies ist allein Aufgabe des BMAS im Rahmen seiner ihm durch § 3 Abs. 4 AsylbLG a.F. eröffneten normsetzenden Kompetenz und nicht Aufgabe der mit der Durchführung des AsylbLG betrauten Behörden, die sich an dem (ebenfalls) verfassungsrechtlich verankerten Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zu orientieren haben - und damit auch nicht Aufgabe der für die Verwaltungskontrolle der das AsylbLG vollziehenden Behörden zuständigen Sozialgerichte (ebenso: Hohm in: ZfSH/SGB 2019, 68, 72). Die vom Gericht vertretene Auffassung wird bestätigt durch die Gesetzesmaterialien zum Dritten Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes vom 13.08.2019 (BGBl. I, S. 1290); vgl. insb. die Stellungnahme des Deutschen Anwaltsverbandes vom 29.05.2019, Ausschussdrucksache 19(11)363, S. 72 f.; darin heißt es u.a.: "Nachzahlungen für die Jahre 2017 und 2018 sind jedoch seitens des Gesetzgebers nicht vorgesehen. Dies sieht jedenfalls die Sozialgerichtsbarkeit offenkundig anders, Die sozialgerichtlichen Entscheidungen er-rechnen die Nachzahlungsansprüche unmittelbar aus den in § 3 Abs. 4 AsylbLG verpflichtenden Regelungen zur Fortschreibung des Regelsatzes auf der Grundlage der Veränderungsrate nach § 28a SGB XII in Verbindung mit der jeweils maßgeblichen Regel-bedarfsstufen-Fortschreibungsverordnungen (so SG Stade, Urteil vom 13.11.2018 - S 19 AY 15/18 -; SG Stade, Beschl. v. 6.3.2019 - S 19 AY 1/19 -; LSG Nds-Brem, Beschl. vom 1.11.2018 - L 8 AY 37/18 B ER -; , siehe auch: PKH-Beschl. des LSG NRW v. 11.7.2017 - L 20 AY 4/17 B - und LSG Nds-Brem, Beschl. v. 2.11.2017 - L 8 AY 22/17 B - zur Höhe der Grundleistungen). Für das Gericht steht somit - auf der Grundlage der Gesetzesbegründung - fest, dass der Gesetzgeber die Problematik gesehen, aber für den Zeitraum von 01.01.2017 bis 31.08.2019 bewusst von einer Erhöhung der Grundleistungen abgesehen hat.
Im Gegenteil ergibt sich aus dem Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes (BT-Drs. 19/10052 - B. Lösung), dass der Gesetzgeber für in Gemeinschaftsunterkünften untergebrachte Leistungsbezieher keine Erhöhung wollte; dort heißt es: "Dabei wird im AsylbLG wegen der abweichenden Bedarfslage eine gesonderte Bedarfsstufe für die Unterbringung in Sammelunterkünften geschaffen. Die Anteile für Strom und Wohnungsinstandhaltungskosten (Abteilung 4) werden aus den Bedarfssätzen für den notwendigen Bedarf im AsylbLG ausgegliedert, da diese Leistungen im AsylbLG von den Leistungsbehörden - wie der Hausrat - als Sachleistungen erbracht werden. Hierdurch liegt der Gesamtbetrag aus notwendigem und notwendigem persönlichem Bedarf, im Falle einer vollständigen Bedarfsdeckung durch Geldleistungen, im Durchschnitt unter den bisherigen, seit dem Jahr 2016 unveränderten Werten".
Damit war es dem Gericht nicht möglich, dem Überprüfungsantrag bzw. dem Antrag auf höhere Leistungen d. in einer Gemeinschaftsunterkunft lebenden Kl. zu entsprechen; die Klage war daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Das Gericht hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache die Berufung zugelassen gem. § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Höhe von Leistungen nach § 3 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) für den Zeitraum von 01.01.2018 bis 31.08.2018.
Der 1996 geborene Kläger (Kl.) ist afghanischer Staatsangehöriger. Er wohnt in der städtischen Asylbewerberunterkunft (Gemeinschaftsunterkunft) A-Stadt und bezieht seit 01.12.2017 Leistungen nach § 3 AsylbLG in Höhe von jeweils 320,14 EUR (unter Berücksichtigung von Sachleistungen), seit 01.09.2018 Leistungen nach § 2 AsylbLG (vgl. Bl. 53 der Akten der Beklagten).
Mit Weiterbewilligungsbescheid vom 24.07.2019 bewilligte die Beklagte dem Kläger Leistungen nach § 2 AsylbLG in Höhe von monatlich 364,65 EUR für die Monate August bis Oktober 2019 (Bl. 74 der Akten der Beklagten).
Mit Änderungsbescheid vom 25.09.2019 (Bl. 76 der Akten der Beklagten) teilte die Beklagte d. Kl. mit, die Höhe der laufenden Leistungen werde ab 01.10.2019 "bis zum Ende des laufenden Bewilligungszeitraums neu berechnet". Aufgrund des "geänderten AsylbLG, Bundesgesetzblatt Nr. 31, S. 1290 ff v. 20.08.2019) werde die Höhe der Leistungen ab 01.10.2019 neu festgesetzt. Die genaue Zusammensetzung sei dem beiliegenden Berechnungsbogen zu entnehmen. Der Bescheid hebe "alle vorhergehenden Bescheide über die Höhe der Gewährung von Leistungen nach dem AsylbLG auf, soweit sie sich auf gleicher Zeiträume beziehen (§ 48 Abs. 1 SGB X i. V. m. § 9 Abs. 4 AsylbLG)". Ab 01.10. 2019 betrage der Anspruch 322,65 EUR.
Mit Schreiben vom 17.10.2019 legte der Bevollmächtigte d. Kl. Widerspruch gegen den Bescheid vom 25.09.2019 ein. Darüber hinaus beantragte der Bevollmächtigte d. Kl. die Überprüfung der bestehenden Bewilligungsentscheidungen über Leistungen nach § 3 AsylbLG für den Zeitraum ab 01.01.2018. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Regelung des § 3 AsylbLG a.F. beruhten "vom 01.01.2017 bis zum 31.08.2019" weder auf einer ordnungsgemäßen Berechnungsgrundlage noch sei der Bedarf gedeckt worden. Die Leistungen seien seit 2016 entgegen der Regelung in § 3 Abs. 5 AsylbLG nicht neu festgesetzt worden, obwohl die Einkommens-und Verbrauchsstichprobe (EVS) von 2013 vorliege und der Regelbedarf nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) demzufolge bereits zum 01.01.2017 angepasst worden sei. Dieser Bedarf habe - parallel zur Neufestsetzung der Regelbedarfe nach dem SGB XII - für Zeiträume ab 01.01.2017 durch ein gesondertes Gesetzgebungsverfahren umgesetzt werden sollen. Ein entsprechender Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes (BT-Drs.18/9985, 18/10351) sei jedoch an der fehlenden Zustimmung des Bundesrats gescheitert. Gemäß § 3 Abs. 4 AsylbLG sei der Wert der Grundleistungen jeweils zum 1. Januar eines Jahres entsprechend der Veränderungsrate nach § 28a SGB XII in Verbindung mit der Verordnung nach § 40 Satz 1 Nr. 1 SGB XII fortzuschreiben und die sich daraus ergebende Höhe im Bundesgesetzblatt (BGBl.) zu veröffentlichen. Die Höhe des Geldbetrags ergebe sich nach § 3 Abs. 4 AsylbLG unmittelbar aus der Veränderungsrate nach § 28a SGB XII in Verbindung mit der jeweiligen Fortschreibungsverordnung selbst, ohne dass es eines Umsetzungsaktes bedürfe. Der Wert der fortzuschreibenden Grundleistungen ergebe sich bereits mit der Veröffentlichung der maßgeblichen Fortschreibungsverordnung (nach dem SGB XII). Dementsprechend bestimme sich die Veränderungsrate für den Wert der Grundleistungen für 2017 nach der Regelbedarfs-Fortschreibungsverordnung 2016, da es für 2017 keine Fortschreibungsverordnung gegeben habe; die Erhöhung für 2017 habe nach der nach der Regelbedarfs-Fortschreibungsverordnung 2016 um 1,24 % zu erfolgen. Für das Jahr 2018. Für 2018 habe die Erhöhung nach der nach der Regelbedarfs-Fortschreibungsverordnung 2018 um 1,63 % zu erfolgen. Für 2019 habe die Erhöhung nach der nach der Regelbedarfs-Fortschreibungsverordnung 2019 um 2,02 % zu erfolgen. Damit ergäben sich Leistungssätze von monatlich 358 EUR für 2017, von monatlich 364 EUR für 2018 und von monatlich 371 EUR für 2019.
Mit Bescheid vom 22.10.2019 (Bl. 83 der Akten der Beklagten) lehnte die Beklagte den Überprüfungsantrag hinsichtlich der Leistungsbescheide vom 30.11.2017, 11.04.2018 und 11.07.2018 ab. Zur Begründung führte die Beklagte aus, die Umsetzung der EVS 2013, die seit 2015 veröffentlicht sei, sei - anders als im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und im SGB XII - im AsylbLG entgegen § 3 Abs. 5 AsylbLG nicht erfolgt.
Dagegen erhob der Bevollmächtigte d. Kl. mit Schreiben vom 15.11.2019 am 16.11.2019 Widerspruch; zur Begründung des Widerspruchs wiederholte der Bevollmächtigte d. Kl. die Ausführungen vom 17.10.2019 betreffend § 3 AsylbLG.
Die Regierung von M. wies mit Widerspruchsbescheid vom 09.04.2020 (Bl. 13 der Gerichtsakten) den Widerspruch d. Kl. zurück. In der Begründung des Widerspruchsbescheides wurde ausgeführt, die Umsetzung der EVS 2013, die seit 2015 veröffentlicht sei, sei - anders als im SGB II und im SGB XII - im AsylbLG entgegen § 3 Abs. 5 AsylbLG nicht erfolgt. Somit fehle es an einer Fortschreibung der Beträge durch das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMAS). Auch in der Kommentarliteratur werde die Auffassung vertreten, dass mangels Erhöhung der Sätze durch eine Gesetzesänderung die Sätze von 2016 - vorläufig - weitergälten (vgl. Birk in Bieritz-Harder/Conradis/Thie, Lehr- und Praxiskommentar SGB XII, 12. Auflage 2018, § 3 AsylbLG Rn 26). Es sei allein Aufgabe des BMAS im Rahmen seiner nach § 3 Abs. 4 AsylbLG eingeräumten legislativen Kompetenz, die Höhe der Geldbeträge zu bestimmen (Sozialgericht Hamburg, Beschluss vom 08.07.2019 - S 28 AY 48/19 ER -). Es sei nicht Aufgabe der Verwaltung, ohne gesetzliche Vorgaben die Höhe der Geldbeträge nach § Abs. 5 AsylbLG selbst festzulegen. Erst mit der Einführung des § 3a AsylbLG durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes vom 13.08.2019 (BGBl. I, S. 1290) sei eine Anpassung der Leistungssätze ab 01.09.2019 erfolgt.
Der Bevollmächtigte d. Kl. hat mit Telefax vom 23.04.2020, das an diesem Tag beim Sozialgericht Nürnberg eingegangen ist, Klage erhoben; auch die Klagebegründung enthält inhaltlich im Wesentlichen die Ausführungen vom 17.10.2019.
D. Kl. beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Änderungsbescheides vom 22.10.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Regierung von M. vom 09.04.2020 zu verpflichten, d. Kl. im Grundleistungsbezug gem. § 3 AsylbLG im Zeitraum vom 01.01.2018 bis zum 31.08.2018 fortgeschriebene Leistungen in Höhe von monatlich 364,00 EUR abzüglich der durch Sachleistungen gedeckten Bedarfe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat unter dem 08.05.2020 ablehnend Stellung genommen.
Die Beteiligten habe sich übereinstimmend mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.
Das Gericht hat die Beklagtenakten beigezogen; sie waren Gegenstand des Verfahrens. Das Gericht hat d. Kl. Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 12.06.2020 bewilligt. Vorgelegen hat auch die Gerichtsakte im Verfahren S 5 AY 59/20 (Untätigkeitsklage).
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
Der Überprüfungsbescheid der Beklagten vom 22.10.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.04.2020 hält einer gerichtlichen Überprüfung stand.
D. Kl. hat für den streitigen Zeitraum (Januar 2018 bis August 2018) keinen Anspruch auf Auszahlung von Leistungen nach § 3 AsylbLG a.F. (a.F. = in der Fassung des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.03.2016 [BGBl. I, S. 390]) von mehr als 320,14 EUR. Dieser Betrag ergibt sich aus § 3 Abs. 1 Satz 8 Nr.1 AsylbLG (135,00 EUR für den notwendigen persönlichen Bedarf) und § 3 Abs. 2 Satz 2 AsylbLG (219,00 EUR für den notwendigen Bedarf) abzüglich der Aufwendungen für "Wohnen, Energie, Strom" in Höhe von 33,86 EUR.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf höhere Leistungen, auch im Hinblick darauf, dass es das BMAS bisher versäumt hat, die sich nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG a.F. ergebenden Geldbeträge entsprechend der Veränderungsrate nach § 28a SGB XII in Verbindung mit der Verordnung nach § 40 Satz 1 Nr. 1 SGB XII gemäß § 3 Abs. 4 Satz 1 AsylbLG seit dem 01.01.2017 fortzuschreiben.
Das Gericht vermag sich - ebenso wie das Sozialgericht Hamburg, Beschluss vom 08.07.2019 - S 28 AY 48/19 ER -, juris - der vom Kl. vertretenen Rechtsauffassung (die auch das Sozialgericht Stade, Urteil vom 13.11.2018 - S 19 AY 15/18 -, das LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23.05.2019 - L 8 AY 49/18 - Rdnr. 20ff, juris; das Sozialgericht Bremen, Beschluss vom 15.04.2019 - S 40 AY 23/19 ER - Rdnr. 18ff, juris vertreten, wonach sich ein solcher Anspruch auf Leistungsanpassung/Dynamisierung direkt aus dem Gesetz ergebe), nicht anzuschließen.
Zwar enthält die in § 3 Abs. 4 Satz 1 AsylbLG genannte Regelung eine eindeutige Verpflichtung, die Leistungen entsprechend der Veränderungsrate nach dem SGB XII anzupassen. Diese Verpflichtung richtet sich aber allein gegen die Bundesregierung bzw. das BMAS, soweit dieses jeweils spätestens bis zum 01. November eines Kalenderjahres die Höhe der Bedarfe, die für das folgende Kalenderjahr maßgebend sind, im Bundesgesetzblatt bekannt zu geben hat (vgl. § 3 Abs. 4 Satz 3 AsylbLG a.F.). Die Fortschreibung der Regelbedarfe dient dabei der Dynamisierung der Leistungen, damit ein jahrelanges statistisches Festhalten an nicht mehr realitätsgerechten Festsetzungen ende (vgl. Wahrendorf, SGB XII/AsylbLG, Kommentar, 6. Auflage 2018, § 3 AsylbLG, Rdnr. 67). Zwar hat es das BMAS entgegen dieser gesetzlichen Verpflichtung unterlassen, die Leistungen nach dem AsylbLG seit dem 01.01. 017 entsprechend anzupassen, weil der Bundesrat in seiner 952.Sitzung am 16.12.2016 dem am 01.12.2016 vom Deutschen Bundestag verabschiedeten Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes (BT-Drs. 18/9985), mit dem die Höhe der Geldbeträge für die Zeit ab 01.01.2017 festgesetzt werden sollten, nicht zugestimmt hat (vgl. BR-Drs. 713/16[B]). In Ermangelung einer gesetzlichen Neufestsetzung konnte daher aus rechtlichen Gründen für die Zeit ab 01.01.2017 eine Fortschreibung nach § 3 Abs. 4 AsylbLG a.F. durch die Bundesregierung nicht erfolgen und ist erst durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes vom 13.08.2019 (BGBl. I, S. 1290) mit Wirkung ab 01.09.2019 erfolgt.
Im Hinblick auf das vom Gesetzgeber in § 3 Abs. 4 AsylbLG so ausgestaltete Verfahren der Fortschreibung hält sich das Gericht aber weder für berechtigt, die Geldbeträge nach dem AsylbLG der Höhe nach selbst zu bestimmen noch die zuständige Behörde zu deren Anwendung zu verpflichten. Denn dies ist allein Aufgabe des BMAS im Rahmen seiner ihm durch § 3 Abs. 4 AsylbLG a.F. eröffneten normsetzenden Kompetenz und nicht Aufgabe der mit der Durchführung des AsylbLG betrauten Behörden, die sich an dem (ebenfalls) verfassungsrechtlich verankerten Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zu orientieren haben - und damit auch nicht Aufgabe der für die Verwaltungskontrolle der das AsylbLG vollziehenden Behörden zuständigen Sozialgerichte (ebenso: Hohm in: ZfSH/SGB 2019, 68, 72). Die vom Gericht vertretene Auffassung wird bestätigt durch die Gesetzesmaterialien zum Dritten Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes vom 13.08.2019 (BGBl. I, S. 1290); vgl. insb. die Stellungnahme des Deutschen Anwaltsverbandes vom 29.05.2019, Ausschussdrucksache 19(11)363, S. 72 f.; darin heißt es u.a.: "Nachzahlungen für die Jahre 2017 und 2018 sind jedoch seitens des Gesetzgebers nicht vorgesehen. Dies sieht jedenfalls die Sozialgerichtsbarkeit offenkundig anders, Die sozialgerichtlichen Entscheidungen er-rechnen die Nachzahlungsansprüche unmittelbar aus den in § 3 Abs. 4 AsylbLG verpflichtenden Regelungen zur Fortschreibung des Regelsatzes auf der Grundlage der Veränderungsrate nach § 28a SGB XII in Verbindung mit der jeweils maßgeblichen Regel-bedarfsstufen-Fortschreibungsverordnungen (so SG Stade, Urteil vom 13.11.2018 - S 19 AY 15/18 -; SG Stade, Beschl. v. 6.3.2019 - S 19 AY 1/19 -; LSG Nds-Brem, Beschl. vom 1.11.2018 - L 8 AY 37/18 B ER -; , siehe auch: PKH-Beschl. des LSG NRW v. 11.7.2017 - L 20 AY 4/17 B - und LSG Nds-Brem, Beschl. v. 2.11.2017 - L 8 AY 22/17 B - zur Höhe der Grundleistungen). Für das Gericht steht somit - auf der Grundlage der Gesetzesbegründung - fest, dass der Gesetzgeber die Problematik gesehen, aber für den Zeitraum von 01.01.2017 bis 31.08.2019 bewusst von einer Erhöhung der Grundleistungen abgesehen hat.
Im Gegenteil ergibt sich aus dem Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes (BT-Drs. 19/10052 - B. Lösung), dass der Gesetzgeber für in Gemeinschaftsunterkünften untergebrachte Leistungsbezieher keine Erhöhung wollte; dort heißt es: "Dabei wird im AsylbLG wegen der abweichenden Bedarfslage eine gesonderte Bedarfsstufe für die Unterbringung in Sammelunterkünften geschaffen. Die Anteile für Strom und Wohnungsinstandhaltungskosten (Abteilung 4) werden aus den Bedarfssätzen für den notwendigen Bedarf im AsylbLG ausgegliedert, da diese Leistungen im AsylbLG von den Leistungsbehörden - wie der Hausrat - als Sachleistungen erbracht werden. Hierdurch liegt der Gesamtbetrag aus notwendigem und notwendigem persönlichem Bedarf, im Falle einer vollständigen Bedarfsdeckung durch Geldleistungen, im Durchschnitt unter den bisherigen, seit dem Jahr 2016 unveränderten Werten".
Damit war es dem Gericht nicht möglich, dem Überprüfungsantrag bzw. dem Antrag auf höhere Leistungen d. in einer Gemeinschaftsunterkunft lebenden Kl. zu entsprechen; die Klage war daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Das Gericht hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache die Berufung zugelassen gem. § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
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