S 41 U 240/02

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
41
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 41 U 240/02
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin alle Aufwendungen, die jene aus Anlass des Ereignisses vom 16.07.2001 getragen hat, im Rahmen der für die Beklagte geltenden Vorschriften zu erstatten. 2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Erstattung der Kosten von Leistungen, die die Klägerin der Frau R. P. (im Folgenden Versicherte) nach einem Sturz während einer nachstationären Krankenhausbehandlung erbracht hat.

Die Versicherte, die Mitglied der Beklagten ist, befand sich am 16.07.2001 zur nachstationären Behandlung im Klinikum A., als sie im Wartezimmer der Klinik von einer sich öffnenden Tür getroffen wurde und zu Boden stürzte. Sie erlitt eine vordere Beckenringfraktur rechts und eine Thoraxprellung. Deswegen gewährte die Klägerin stationäre Behandlung und Hilfsmittel. Mit Schreiben vom 25.09.2001 und vom 01.10.2001 forderte sie die hierfür entstandenen Kosten in Höhe von EUR 11.917,64 von der Beklagten zurück.

Am 27.06.2002 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie trägt vor, dass bei nachstationärer Behandlung – anders als bei teilstationärer Behandlung – kein Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung bestehe.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihr alle Aufwendungen, die die Klägerin aus Anlass des Ereignisses vom 16.07.2001 getragen hat, im Rahmen der für die Beklagte geltenden Vorschriften zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie führt aus, die Versicherte sei in die Organisation des Krankenhauses eingegliedert gewesen. Die nachstationäre Behandlung falle unter § 2 Abs. 1 Nr. 15a SGB VII. Nachstationäre und sonstige Krankenhausbehandlungen seien wegen § 39 SGB V gleich zu behandeln. Anderenfalls ergebe sich ein Wertungswiderspruch zur Behandlung der seit dem 01.07.2001 unter Unfallversicherungsschutz stehenden ambulanten Rehabilitationsleistungen. Wegen der fehlenden Harmonisierung von § 2 SGB VII und § 39 SGB V bestehe eine Gesetzeslücke, die durch Einbeziehung der nachstationären Behandlung, deren Unfallrisiko mit dem der ambulanten Rehabilitation vergleichbar sei, in den Versicherungsschutz zu schließen sei.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Prozessakte und der Verwaltungsakten der Klägerin und der Beklagten. Diese haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin kann von der Beklagten gemäß § 105 Abs. 1 S. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) die Erstattung ihrer Aufwendungen aus Anlass des Ereignisses vom 16.07.2001 verlangen.

Hat ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 102 Abs. 1 vorliegen, so ist nach § 105 Abs. 1 S. 1 SGB X der zuständige oder zuständig gewesene Leistungsträger erstattungspflichtig, soweit dieser nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat.

1. Die Klägerin hat mit der Gewährung von stationärer Behandlung und Hilfsmitteln Sozialleistungen im Sinne des § 11 S. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) erbracht, ohne zuständiger Leistungsträger gewesen zu sein. Der Leistungsträger ist unzuständig, wenn die Leistung nach der materiellen Rechtslage ohne Rechtsgrund erfolgte (BSG, Urt. vom 20.04.1988, Az. 3/8 RK 6/86, BSGE 63, 134, 138; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 105 SGB X Rn. 1). Die Leistung an die Versicherte erfolgte ohne Rechtsgrund, denn es lag kein Arbeitsunfall im Sinne des § 8 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) vor. Gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Der Aufenthalt im Krankenhaus zur nachstationären Behandlung ist keine versicherte Tätigkeit. Insbesondere besteht kein Versicherungsschutz gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 15 a) SGB VII. Die Vorschrift ist weder unmittelbar (a.) noch entsprechend (b.) anwendbar.

a. Die nachstationäre Behandlung fällt nicht in den unmittelbaren Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1 Nr. 15 a) SGB VII. Die Regelung bestimmt, dass Personen, die auf Kosten einer Krankenkasse oder eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung oder einer landwirtschaftlichen Alterskasse stationäre oder teilstationäre Behandlung oder stationäre, teilstationäre oder ambulante Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erhalten, kraft Gesetzes versichert sind.

Die Versicherte hat weder Leistungen zur medizinischen Rehabilitation noch stationäre Behandlung erhalten. Die nachstationäre Behandlung fällt auch nicht unter den Begriff der teilstationären Behandlung (so auch Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 2 Rn. 29.7; KassKomm-Ricke, § 2 SGB VII Rn. 83; Schmitt, SGB VII, 2. Aufl. 2004, § 2 Rn. 105; Hauck-Riebel, SGB VII, K § 2 Rn. 225; Kater/Leube, SGB VII, 1997, § 2 Rn. 355; Lauterbach-Schwerdtfeger, Unfallversicherung. SGB VII, § 2 Rn. 535; Brackmann-Wiester, SGB VII, § 2 Rn. 722). Was unter einer teilstationären Behandlung zu verstehen ist, ist dem Recht des jeweiligen Leistungsträgers zu entnehmen (KassKomm-Ricke, § 2 SGB VII, Rn. 82b). Das zeigt sich daran, dass in § 2 Abs. 1 Nr. 15 a) SGB VII eine Verweisung auf das Recht der gesetzlichen Unfallversicherung, wie sie in der entsprechenden Regelung des § 539 Abs. 1 Nr. 17 a) Reichsversicherungsordnung (RVO) noch enthalten war (dort § 559 RVO), weggefallen ist.

Aus dem hier einschlägigen Recht der gesetzlichen Krankenversicherung ergibt sich, dass die nachstationäre Behandlung von der teilstationären zu unterscheiden ist. In § 39 Abs. 1 S. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) ist geregelt, dass die Krankenhausbehandlung vollstationär, teilstationär, vor- und nachstationär (§ 115 a) sowie ambulant (§ 115 b) erbracht wird. Teilstationäre und nachstationäre Behandlung stehen demnach als unterschiedliche Formen der Krankenhausbehandlung nebeneinander (vgl. KassKomm-Höfler, § 39 SGB V, Rn. 3); die teilstationäre Behandlung bildet nicht etwa den Oberbegriff zur nachstationären. § 2 Abs. 1 Nr. 15 a) SGB VII bezieht sich aber gerade auf voll- oder teilstationäre Behandlung und nicht auf jede Form der Krankenhausbehandlung. Die Wesensverschiedenheit von teil- und nachstationärer Behandlung ergibt sich auch aus § 115 a Abs. 1 Nr. 1 SGB V. Dort ist die nachstationäre Behandlung definiert als Behandlung von Versicherten im Krankenhaus ohne Unterkunft und Verpflegung mit dem Zweck, im Anschluss an eine vollstationäre Krankenhausbehandlung den Behandlungserfolg zu sichern oder zu festigen. Anders als die teilstationäre Behandlung schließt sich die nachstationäre immer an einen vollstationären Krankenhausaufenthalt an (KassKomm-Hess, § 115 a SGB VII Rn. 4). Während die teilstationäre Behandlung einen eigenständigen Behandlungserfolg bezweckt, beschränkt sich die Funktion der nachstationären Behandlung auf die Sicherung oder Festigung eines anderweitig, nämlich vollstationär, bereits erzielten Behandlungserfolgs.

Auch Nr. 5 der Erläuterungen zur Verwaltungsvereinbarung Erstattungsverzicht (abgedruckt in Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Anhang 5.6), auf die die Beklagte verweist, besagt nicht anderes. Dort heißt es: "Diese Leistungen" (nämlich vor- und nachstationäre Behandlung sowie ambulante Operationen im Krankenhaus) "fallen im Hinblick auf die im Krankenversicherungsrecht vorgenommene leistungsrechtliche Zuordnung als Krankenhausbehandlung (vgl. § 39 SGB V) nicht unter die VV Erstattungsverzicht." Dass die nachstationäre Behandlung Krankenhausbehandlung ist, besagt bereits der Wortlaut des § 39 Abs. 1 S. 1 SGB V. Das macht die nachstationäre Behandlung aber nicht zur teilstationären Behandlung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 15 a) SGB VII.

b. § 2 Abs. 1 Nr. 15 a) SGB VII ist auf die nachstationäre Krankenhausbehandlung auch nicht entsprechend anwendbar. Offen bleiben kann, ob § 31 SGB I der entsprechenden Anwendung einer Versicherungsschutz begründenden Vorschrift ohnehin entgegensteht (s. hierzu einerseits Kreikebohm/Jassat in: Giese/Kramer, SGB I, § 31 Rn. 7; andererseits Schnapp in: Wertenbruch, Bochumer Kommentar zum Sozialgesetzbuch Allgemeiner Teil, 1979, § 31 Rn. 34). Hinsichtlich der nachstationären Krankenhausbehandlung fehlt es bereits an einer planwidrigen Regelungslücke, die durch entsprechende Anwendung des § 2 Abs. 1 Nr. 15 a) SGB VII zu schließen wäre.

Dass der Versicherungsschutz die nachstationäre Behandlung nicht erfasst, entspricht dem Sinn der Vorschrift. Versicherungsschutz soll gewährt werden bei Einbindung in die Organisationsstruktur des Krankenhauses, wenn kein wesentlicher behandlungsstruktureller Unterschied zur vollstationären Behandlung besteht (Hauck-Riebel, SGB VII, K § 2 Rn. 224 f.). Davon kann man bei teilstationärer Krankenhausbehandlung ausgehen, denn gesetzliches Leitbild ist hier der Aufenthalt in einer Tages- oder Nachtklinik. Teilstationäre Krankenhausbehandlungen erstrecken sich regelmäßig über einen längeren Zeitraum, wobei allerdings die medizinisch-organisatorische Infrastruktur eines Krankenhauses benötigt wird, ohne dass eine ununterbrochene Anwesenheit des Patienten im Krankenhaus notwendig ist (BSG, Urt. vom 04.03.2004, Az. B 3 KR 4/03 R, SozR 4-2500 § 39 Nr. 1 Rn. 21). Die Gewährung von nachstationärer Behandlung über einen längeren Zeitraum wird durch § 115 a Abs. 2 S. 2 SGB V regelmäßig ausgeschlossen. Bei dieser Behandlung, deren äußerer Ablauf häufig vom Aufsuchen eines niedergelassenen Arztes nicht zu unterscheiden sein wird, ist die Behandlungsstruktur wesentlich anders als bei der vollstationären Behandlung. Der bloß räumliche Aufenthalt in einer Fachabteilung eines Krankenhauses bewirkt noch keine Eingliederung in die Organisation dieser Abteilung.

Eine Regelungslücke hat sich auch nicht dadurch ergeben, dass der Versicherungsschutz der Personen, die Leistungen der medizinischen Rehabilitation erhalten, auf die ambulante Behandlung ausgedehnt worden ist. Die Änderung erfolgte anlässlich der Einführung des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) durch Gesetz vom 19.06.2001 (BGBl. I, S. 1046, 1104). In der Begründung der Bundesregierung zu dem Gesetzentwurf heißt es, die Regelung bewirke, dass Rehabilitanden auch bei ambulanten Leistungen zur medizinischen Rehabilitation Unfallversicherungsschutz haben (BR-Drs. 49/01, S. 387). Demnach ging der im Gesetz zum Ausdruck gekommene Wille des Gesetzgebers dahin, die Ausdehnung des Versicherungsschutzes auf Empfänger medizinischer Rehabilitationsleistungen zu beschränken. Wenn nur der Versicherungsschutz der Rehabilitanden verbessert werden sollte, liegt im Hinblick auf die "normale" nachstationäre Behandlung keine Regelungslücke vor.

Allerdings hat es das Bundessozialgericht hinsichtlich des § 539 Abs. 1 Nr. 17 a) RVO abgelehnt, zwischen der "normalen" Behandlung und der Behandlung Behinderter im Sinne des Rehabilitationsangleichungsgesetzes zu unterscheiden. Eine überzeugende Abgrenzung sei nicht möglich (BSG, Urt. vom 30.09.1980, Az. 2 RU 13/80, SozR 2200 § 539 Nr. 71). Mit der Abgrenzung der Personen, die "normale" Behandlung erhalten, von denen, die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erhalten, verhält es sich jedoch anders. Medizinische Rehabilitationsleistungen sind nur solche nach ausdrücklichen Vorschriften zur medizinischen Rehabilitation. Medizinische Rehabilitationsmaßnahmen finden nur in Reha-Zentren statt, die einen Belegungsvertrag mit dem jeweiligen Reha-Träger beziehungsweise eine entsprechende Anerkennung durch ihn haben. Die Maßnahmen müssen zudem vom Reha-Träger bewilligt worden sein, gegebenenfalls nachträglich (KassKomm-Ricke, § 2 SGB VII Rn. 83a; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 2 Rn. 29.9; Brackmann-Wiester, SGB VII, § 2 Rn. 722c). Die Verwirklichung des beschriebenen gesetzgeberischen Willens stößt demnach auch nicht auf Abgrenzungsschwierigkeiten.

Es ist nicht anzunehmen, dass die Beschränkung des Versicherungsschutzes für Nicht-Rehabilitanden auf die voll- und teilstationäre Behandlung ein Versehen des Gesetzgebers ist. "Normale" Krankenhausbehandlung und Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation sind in derselben Vorschrift in demselben Satz geregelt. Auch eine planwidrig unterlassene Harmonisierung von § 39 SGB V und § 2 SGB VII kommt nicht in Betracht. Das Gesetz vom 19.06.2001 nahm durch Art. 5 Nr. 11 (BGBl. I, S. 1046, 1098) auch Änderungen an § 39 SGB V vor. Der Gesetzgeber hatte sowohl den Katalog der Krankenhausbehandlungsformen in § 39 SGB V, in dem auch die nachstationäre Behandlung vorkam, als auch den Text des § 2 Abs. 1 Nr. 15 a) SGB VII mit seiner Beschränkung auf die voll- und teilstationäre Behandlung vor Augen. Gleichwohl verzichtete er auf eine Angleichung.

Entgegen der Ansicht der Beklagten ist der Rechtsprechung auch keine Ausweitungstendenz zu entnehmen, die es ermöglichen würde, bei der Feststellung einer Regelungslücke großzügiger zu verfahren. Das von der Beklagten angeführte Urteil des BSG vom 29.02.1984 (Az. 2 RU 25/83, juris) erweitert gerade nicht den Versicherungsschutz, sondern betrifft eine Nachuntersuchung, die – wie im Unfallversicherungsrecht niemals streitig gewesen war – eine stationäre Behandlung darstellte. Dagegen hat die Feststellung des Bundessozialgerichts in dem Urteil vom 23.02.1983 (Az. 2 RU 3/82, BSGE 55, 10, 12) auch hinsichtlich der zwischenzeitlich geänderten Fassung des § 2 Abs. 1 Nr. 15 a) SGB VII weiterhin Gültigkeit, dass es dem Gesetzgeber zu regeln überlassen bleiben muss, wie weit der Versicherungsschutz der im Krankenhaus behandelten Personen und der Rehabilitanden reichen soll.

2. Auch die übrigen Voraussetzungen eines Erstattungsanspruchs gemäß § 105 Abs. 1 SGB X liegen vor. Die Sozialleistungen wurden durch die Klägerin nicht vorläufig im Sinne des § 102 SGB X erbracht. Die Beklagte war für die Behandlung und Hilfsmittelversorgung ihres Mitglieds gemäß §§ 27, 33, 39 SGB V zuständig und hat insoweit nicht selbst geleistet. Der Anspruch ist nicht gemäß § 111 SGB X ausgeschlossen, denn er wurde bereits weniger als drei Monate nach dem Unfall, und damit offensichtlich weniger als 12 Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistungen erbracht wurden, geltend gemacht.

3. Der Umfang des Erstattungsanspruchs richtet sich gemäß § 105 Abs. 2 SGB X nach den für die Beklagte geltenden Rechtsvorschriften.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in Verbindung mit § 197 a Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved