L 8 AL 105/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 5 AL 1170/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AL 105/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 20. Januar 2004 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Ziffer III des Urteils aufgehoben wird.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist der Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) in der Zeit vom 01.01.2001 bis 29.08.2002 streitig.

Der 1947 geborene Kläger absolvierte nach seinen Angaben von 1963 bis 1968 eine technische Berufsausbildung und war anschließend bis 1989 bei verschiedenen Unternehmen in technischer Ausrichtung beschäftigt. Ab 1990 übte er Beschäftigungen Altenpflegehelfer aus und absolvierte berufsbegleitend die Ausbildung zum Altenpfleger. Er übte sodann diesen Beruf in Teilzeit (2/3-Stelle) aus, besuchte nebenher das Abendgymnasium und erwarb am 28.06.1996 die Hochschulreife. Anschließend nahm er das Studium der Betriebswirtschaftslehre (BWL) auf und erhielt am 31.03.2000 das Diplom-Vorprüfungszeugnis. Zum 30.09.2000 kündigte er seine Beschäftigung als Altenpfleger bei der M.Stift GmbH, woraufhin die Beklagte den Eintritt einer Sperrzeit von 01.10. bis 23.12.2000 feststellte.

Zum 10.10.2000 nahm er erneut eine Beschäftigung als Altenpfleger bei der Arbeiterwohlfahrt, Kreisverband M.-Stadt e.V., auf und kündigte das Arbeitsverhältnis zum 31.12.2000. Er meldete sich am 27.12.2000 arbeitslos und gab an, keine Tätigkeit als Altenpfleger mehr ausüben zu wollen. Er verfolge ernsthaft das Studium der BWL; während der Vorlesungszeit seien ihm Beschäftigungen nur am Samstag/Sonntag möglich, in der vorlesungsfreien Zeit könne er eine Vollzeitbeschäftigung ausüben. Ab 08.01.2001 beginne er eine neue Ausbildung zum Fischer und wolle künftig in diesem Beruf arbeiten.

Mit Bescheid vom 29.03.2001 lehnte die Beklagte die Bewilligung von Alg mit der Begründung ab, der Kläger habe erklärt, er könne sich wegen seines Studiums dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stellen; damit sei er nicht arbeitslos und habe keinen Leistungsanspruch.

In seinem Widerspruch gab der Kläger an, er stehe dem Arbeitsmarkt lediglich als Altenpfleger nicht mehr zur Verfügung, in seinem neuen Beruf als Fischer jedoch ohne weiteres. Er habe Ende 2000 feststellen müsse, dass er in der Altenpflege nicht mehr arbeiten könne und sich nun zum zweiten Mal beruflich neu orientieren müsse. Im März habe er die Fischerprüfung erfolgreich abgelegt und sich als Berufsfischer beworben, es sei jedoch zu keiner Kontaktaufnahme mit einem Fischer gekommen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.07.2001 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.

Zur Begründung seiner zum Sozialgericht München (SG) erhobenen Klage hat der Kläger ausgeführt, wie viele Altenpflegekräfte, die aus dem Beruf wieder ausschieden, könne er diese Tätigkeit nicht bis zum 65. Lebensjahr ausüben. Die allgemeine Pflegeproblematik sei dem Münchener Stadtrat Anfang der 90er Jahre bekannt gewesen, woraus sich eine Verbesserung des Stellen-schlüssels für die städtischen Altenheime ergeben habe. Mit Einführung der Pflegeversicherung seien die Zuschüsse nicht mehr gewährt und die Pflegekräfte wieder abgebaut worden, weshalb erneut Probleme aufgetreten seien. Es sei richtig, dass er sein BWL-Studium ernsthaft betreibe, er sei doch gezwungen, seinen Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen. Seit dem 30.08.2002 pflege er seine 78-jährige Mutter, weshalb er Alg bis 29.08.2002 begehre.

Mit Urteil vom 20.01.2004 hat das SG die Klage abgewiesen und dem Kläger 150,00 EUR Verschuldenskosten auferlegt. Eine Einschränkung der Arbeitsbereitschaft und der Arbeitsfähigkeit sei nur zulässig, sofern dies unter den üblichen Bedingungen des für den Kläger in Betracht kommenden Arbeitsmarktes erfolge. Dieser beziehe sich auf alle Arbeitsplätze, die für den Kläger nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten in Betracht kämen. Dies schließe die Tätigkeit des Altenpflegers eindeutig ein. Da der Kläger trotz Hinweises auf die Mißbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung seine Klage weiter verfolgt habe, seien ihm 150,00 EUR Verschuldenskosten auferlegt worden.

Mit seiner Berufung macht der Kläger geltend, er hätte nach den fehlgeschlagenen Vermittlungsbemühungen bezüglich eines Einsatzes als Fischer auch eine Unterstützung der Beklagten bei der Vermittlung in Stellen als Bademeister/Bademeistergehilfe, Gärtner/Gärtnergehilfe oder Imker/Imkergehilfe angenommen. Er macht sinngemäß geltend, die Weiterführung der zuletzt ausgeübten Beschäftigung als Altenpfleger sei nicht zumutbar gewesen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts München vom 20.01.2004 sowie den Bescheid vom 02.03.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.07.2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Arbeitslosengeld für die Zeit vom 01.01.2001 bis 29.08.2002 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Dem Kläger stehe es nach seinem Grundrecht auf Berufsfreiheit zu, sich seinen Beruf oder zum Beispiel den Umfang seines Arbeitswillens auszusuchen. Wenn es allerdings um Leistungsansprüche gehe, seien die Grundsätze der individuellen Berufsfreiheit nicht mit erfüllten Anspruchsvoraussetzungen zu vergleichen. Die geforderte Bereitschaft zur Aufnahme zumutbarer Tätigkeiten umfasse hier eindeutig auch die Tätigkeit, die der Kläger in den letzten Jahren ausgeübt habe und deren weitere Ausübung ihm objektiv zuzumuten sei.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), ein Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.

In der Sache erweist sich das Rechtsmittel lediglich insoweit als begründet, als die Auferlegung von Verschuldenskosten aufzuheben war. Im Übrigen hat das SG zu Recht die Klage abgewiesen, da der Kläger keinen Anspruch auf Alg hat.

Anspruch auf Alg haben gem. § 117 Abs.1 Nr.1 SGB III Arbeitnehmer, die arbeitslos sind und die übrigen Voraussetzungen erfüllen. Der Kläger war in dem hier streitigen Zeitraum nicht arbeitslos im Sinne dieser Vorschrift, da er nicht eine Beschäftigung in der Weise suchte, wie sie der Begriff der Arbeitslosigkeit nach §§ 118, 119 SGB III voraussetzt. Denn gem. § 119 Abs.1 SGB III sucht eine Beschäftigung nur, wer 1. alle Möglichkeiten nutzt und nutzen will, um seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden und

2. den Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes zur Verfügung steht (Verfügbarkeit).

Der Kläger wollte nicht alle Möglichkeiten nutzen, um seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden. Denn gerade für die Beschäftigungen, für die er auf Grund seiner Ausbildung und letzten beruflichen Tätigkeiten in erster Linie in Betracht kam, nämlich in seinem Beruf des Altenpflegers, hat er sich nicht mehr der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestellt. Da es sich insoweit um eine zumutbare Beschäftigung handelt, musste sich seine subjektive Verfügungsbereitschaft aber auch auf eine solche Tätigkeit erstrecken. Einen wichtigen Grund, der die Aufnahme einer Beschäftigung im Beruf des Altenpfleger als nicht mehr zumutbar erscheinen ließe, hat er nicht vorgebracht. Gesundheitliche Gründe liegen nicht vor. Dass er mit der Pflegesituation in den Pflegeheimen, in denen er tätig war, nicht einverstanden war, berechtigte ihn nicht, eine Beschäftigung in diesem Bereich generell auszuschließen. Denn es kann nicht davon ausgegangen werden, dass in dem gesamten Pflegebereich generell dermaßen unzumutbare Verhältnisse herrschen, dass ein Einsatz grundsätzlich nicht zumutbar wäre. Sollten in dem Pflegeheim, in dem er zuletzt beschäftigt war, tatsächlich unzumutbare Verhältnisse geherrscht haben, so hätte ihn dies allenfalls berechtigt, dieses Arbeitsverhältnis zu kündigen, nicht aber, einen Einsatz in dem gesamten Berufsbereich auszuschließen. Ein Stellenangebot in diesem Bereich hätte er allenfalls ablehnen dürfen, wenn die Beschäftigung im konkreten Fall im Sinne des § 121 Abs.2 SGB III unzumutbar gewesen wäre, etwa weil sie gegen gesetzliche, tarifliche oder in Betriebsvereinbarungen festgelegte Bestimmungen über Arbeitsbedingungen oder gegen Bestimmungen des Arbeitsschutzes verstoßen hätte. Dass solche Verstöße im Pflegebereich allgemein üblich sind, ist nicht erkennbar.

Dass dieser Beruf offensichtlich nicht mehr den Neigungen des Klägers entspricht, stellt jedenfalls keinen wichtigen Grund dar, solche Beschäftigungen generell anzulehnen. Zwar ist dem Kläger der Wunsch nach einer beruflichen Neuorientierung zuzugestehen; solange er jedoch eine Beschäftigung in einem anderen Bereich nicht gefunden hat, war er verpflichtet, auch Beschäftigungen in seinem alten Berufsbereich aufzunehmen.

Zudem stand der Kläger offensichtlich der Arbeitsvermittlung nach § 120 Abs.2 SGB III nicht zur Verfügung. Denn gemäß Satz 1 dieser Vorschrift wird, da er Student einer Hochschule ist, vermutet, dass er nur versicherungsfreie Beschäftigungen ausüben kann. Diese Vermutung ist nach Satz 2 nur widerlegt, wenn er darlegt und nachweist, dass der Ausbildungsgang die Ausübung einer versicherungspflichtigen, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassenden Beschäftigung bei ordnungsgemäßer Erfüllung der in den Ausbildungs- und Prüfungsbestimmungen vorgeschriebenen Anforderungen zulässt. Der Kläger hat sich für die Zeit der Vorlesungen generell nur für eine Beschäftigung an den Wochenenden, später von Freitag bis Sonntag, zur Verfügung gestellt. Eine solche Beschäftigung wäre von vornherein keine versicherungspflichtige Beschäftigung gewesen, selbst wenn sie 15 Stunden wöchentlich umfasst hätte, da Zeit und Arbeitskraft des Klägers überwiegend durch das Studium in Anspruch genommen worden wären und sich eine solche Beschäftigung den Bedürfnissen des Studiums untergeordnet hätte, weshalb für den Kläger das Erscheinungsbild des Studenten prägend gewesen wäre (vgl. BSG SozR 3-2500 § 5 Nr.15; Brandt in Niesel, SGB III, 2. Auflage, Rdnr.12 zu § 120 m.w.N.). Hieran hätte auch eine Vollbeschäftigung in der vorlesungsfreien Zeit nichts geändert, da sich auch eine solche Beschäftigung den Bedürfnissen des Studiums untergeordnet hätte und damit versicherungsfrei gewesen wäre.

Somit war die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 20.01.2004 zurückzuweisen. Lediglich die Auferlegung der Verschuldenskosten in Höhe von 150,00 EUR war aufzuheben, da nach Auffassung des Senats die Voraussetzung des § 192 Abs.1 Satz 1 Nr.2 SGG nicht vorliegen, obwohl der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem SG hierauf hingewiesen worden war. Denn der Senat ist nicht davon überzeugt, dass die Rechtsverfolgung des Klägers mißbräuchlich in diesem Sinne war. Hierfür genügt die Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung allein nicht, es müssen vielmehr besondere Umstände hinzukommen, nämlich dass der Kläger die Aussichtslosigkeit seiner Rechtsverfolgung auch tatsächlich erkannt und gegen bessere Einsicht gehandelt hat (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage, Rdnrn.9, 9a zu § 192 m.w.N.). Der Kläger war und ist offensichtlich der Überzeugung, dass die Versichertengemeinschaft seinen Wunsch nach einer beruflichen Neuorientierung zu respektieren und er deshalb Anspruch auf Alg hat. Weiterhin war und ist er offensichtlich der Auffassung, dass er auch während seines Studiums der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stand.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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