L 14 KG 8/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
14
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 9 KG 45/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 14 KG 8/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. In Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Nürnberg vom 4. Oktober 2004 wird der Bescheid der Beklagten vom 10. April 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom vom 10. Mai 2000 aufgehoben.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 10.04.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.05.2000 (Ablehnung eines Kindergeldanspruchs der Klägerin) und ehemals - dieses Verfahren wurde abgetrennt und an das Finanzgericht verwiesen - um einen Anspruch auf Abzweigung des dem Beigeladenen möglicherweise für die Zeit ab 01.06.1998 zustehenden Kindergelds an die Klägerin.

Die 1962 geborene Klägerin, eine griechische Staatsangehörige mit Wohnsitz in ihrem Heimatland, ist mit dem am 16.11.1957 geborenen und in der BRD mindestens seit Februar 1989 wohnenden C. Z. verheiratet, lebt aber von diesem seit ca. 1990 getrennt. Die Kinder F. (1982) und D. (1987) halten sich spätestens seit dem Jahre 1990 bei der Mutter in Griechenland auf. Die Klägerin war in der BRD nicht erwerbstätig und bezog daher zu keinem Zeitpunkt Rente aus der deutschen gesetzlichen Sozialversicherung, Arbeitslosengeld, Krankengeld oder ähnliche gleichstehende Lohnersatzleistungen. Kindergeld wurde ehemals (nach Aktenlage, die älteren Unterlagen der Beklagten sind nicht mehr vollständig) vom Arbeitsamt H. (Kindergeldkasse) bis Oktober 1991 gezahlt.

Im Jahre 1994 bemühte sich die Klägerin, zunächst bei der Kindergeldkasse H. , um das Kindergeld seit November 1991. Ein eigener Kindergeldanspruch der Klägerin wurde mit Bescheid vom 28.10.1994 abgelehnt, weil diese und die Kinder den Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt nicht in der BRD hätten.

Bereits im Jahre 1994 erkannte das Arbeitsamt H. , dass die Klägerin eigentlich einen Antrag auf Abzweigung des dem Ehemann zustehenden Kindergelds gestellt hatte (vgl. Schreiben der Kindergeldkasse an die Klägerin vom 15.03.1995 unter Bezug auf das weitere Schreiben vom 23.11.1994), ebenso das damals zuständige Arbeitsamt N. im Jahre 1995, an das sich die Klägerin mit Schreiben vom 27.03.1995 wandte und nochmals vortrug, ihr Ehemann zahle für die Kinder keinen Unterhalt und überweise trotz ihrer Bitte auch nicht das Kindergeld.

In einem langwierigen Verwaltungsverfahren wurde die Klägerin veranlasst, die notwendigen Formulare für eine Abzweigung auszufüllen und Unterlagen beizubringen, und auf den Beigeladenen eingewirkt, den erforderlichen Kindergeldantrag zu stellen, der (nach Rechtsprechung des Bundessozialgerichts) nicht von der Klägerin als Dritte im berechtigten Interesse gestellt werden konnte; weiterhin forschte die Beklagte nach den Erwerbseinkünften und dem Lohnersatzeinkommen des Beigeladenen, die damals erst ab Juni 1996 feststellbar waren, und veranlasste den Antrag des griechischen Leistungsträgers vom 24.10.1996 auf Zahlung des Kindergelds des Beigeladenen über die Verbindungsstelle an die für die Kinder tatsächlich sorgende Person (Art.75 Abs.2 EWG-VO Nr. 1408/71).

Mit dem an den Beigeladenen adressierten Bescheid vom 24.03.1997 sprach die Kindergeldkasse H. ohne Benennung von Rechtsgrundlagen aus, dass das Kindergeld für zwei Kinder von monatlich 400,00 DM ab 01.06.1996 und monatlich 440,00 DM ab 01.01.1997 "nach Griechenland" überwiesen werde, weil der Beigeladene die Leistungen nicht für den Unterhalt der Kinder verwendet habe. Die Klägerin erhielt hiervon Kenntnis über den griechischen Versicherungsträger, der die von der Beklagten dorthin überwiesenen Beträge (Nachzahlung von 4.560,00 DM und dann monatliche Zahlung von 440,00 DM bis einschließlich Mai 1998) an die Klägerin weiterleitete. Bemühungen der Klägerin um Auszahlung des Kindergelds bereits ab 1991 (vgl. Schreiben vom 23.07.1997) blieben ohne Erfolg.

Mit dem an den Beigeladenen adressierten Bescheid vom 01.09.1998 hob das Arbeitsamt H. , Familienkasse, die Kindergeldfestsetzung gemäß § 70 Abs.2 Einkommensteuergesetz (EStG) mit Wirkung ab 01.03.1998 wegen nicht beigebrachter Unterlagen (Antragsvordruck, Familienstandsbescheinigung - §§ 90 bis 95 Abgabenordnung) auf und sprach zugleich aus, dass ein Anspruch auf Kindergeld für die Zeit vor Juni 1996 nicht feststellbar sei; wiederum erhielt die Klägerin hiervon keinen Abdruck, auch nicht - soweit ersichtlich - eine Mitteilung der Beklagten.

Am 27.11.1998 stellte die Klägerin mit Schreiben vom 23.11.1998 beim Arbeitsamt H. einen Antrag auf Weiterzahlung des Kindergelds für zwei Kinder und bat nebenbei auch um Unterrichtung über die Nachzahlung des Kindergelds ab 1991. Sie erhielt von der dortigen Familienkasse den Bescheid vom 28.12.1998 mit dem Betreff "Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz". Hierin wurde ausgesprochen, dass dem "Antrag auf Kindergeld vom 27.11.1998" nicht entsprochen werden könne und das Kindergeld auf null DM festgesetzt werde, weil nach § 62 EStG ausländische Staatsangehörige einen Anspruch auf Kindergeld nur hätten, wenn sie ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hätten, die Klägerin und ihre Kinder aber in Griechenland lebten.

Die Klägerin legte hiergegen mit Schreiben vom 11.01.1999 Rechtsbehelf ein mit der Begründung, ihr Ehemann wohne in der BRD und sei dort beschäftigt, dennoch sei das Kindergeld, das sie bis März 1998 in Griechenland von der deutschen Kasse erhalten habe, ab 01.04.1998 nicht weitergeleitet worden. Die Rechtsbehelfstelle des Arbeitsamts H. erließ daraufhin die Einspruchsentscheidung vom 04.02.1999, mit dem der Einspruch zurückgewiesen wurde, weil die Klägerin wegen fehlenden Wohnsitzes bzw. gewöhnlichen Aufenthalts im Inland (§ 62 Abs.1 EStG) keinen Anspruch auf Kindergeld habe. Das Finanzgericht H. wies die auf Weiterzahlung des Kindergelds gerichtete Klage (Schriftsatz vom 18.02.1999) mit Gerichtsbescheid vom 15.12.1999 - I 151/99 ab, weil die Klägerin keinen (eigenen) Kindergeldanspruch habe (§ 62 EStG) und der Antrag auf Kindergeld auch nicht in einen solchen des Ehemanns umgedeutet werden könne. Ein Anspruch auf Abzweigung des dem Ehemann eventuell zustehenden Kindergelds (§ 74 Abs.1 Satz 1 EStG) wurde in dem Tatbestand des Urteils nicht erwähnt und in den Entscheidungsgründen nicht behandelt.

Am 31.01.2000 ging beim Arbeitsamt N. das Schreiben der Klägerin vom 26.01.2000 ein, in dem formlos Antrag "auf Kindergeld" gestellt wurde, weil der Ehemann in Deutschland arbeite und die Kinder in Griechenland wohnten; nach Mitteilung des Arbeitsamts H. (Anmerkung: wohl aus dem Jahre 1998) sei das Arbeitsamt N. für diese Sache zuständig. Die Beklagte wies die Klägerin darauf hin, dass der Ehemann einen Kindergeldantrag stellen müsse und die Klägerin die beigelegten Antragsunterlagen an diesen weiterleiten solle (Schreiben vom 07.02.2000). Am 21.02.2000 ging beim Arbeitsamt die formlose Rückantwort der Klägerin ein mit dem Hinweis, dass der Vater der Kinder nie Geld oder Sonstiges geschickt habe und daher gebeten werde, das Kindergeld "hier in Griechenland an uns" zu überweisen. Beigegeben war der für den Beigeladenen bestimmte und von der Klägerin selbst am 14.02.2000 ausgefüllte Formular-Kindergeldantrag, worin sie auf Fragen zu dem Einkommen darauf hinwies, dass sie nicht wissen könne, ob der Ehemann Arbeitslosengeld oder Krankengeld erhalte; das Kindergeld solle an sie selbst "in Griechenland" überwiesen werden.

Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 10.04.2000 lehnte das Arbeitsamt N. einen Antrag vom "14.02.2000" auf Kindergeld ab, weil die Klägerin die Voraussetzungen des § 1 Abs.1 BKGG n.F. (gemeint in der ab 01.01.1996 geltenden Fassung) für einen eigenen Kindergeldanspruch (Kindergeldanspruch "für Sie") nicht erfülle. Nach der Rechtsbehelfsbelehrung (Widerspruch) war der Hinweis angefügt, dass für den Fall, dass der Ehemann für die Kinder keinen Unterhalt leiste, anheim gestellt werde, beim zuständigen Arbeitsamt H. , Familienkasse, Antrag auf Abzweigung des Kindergelds aus dem Anspruch des Ehemanns zu stellen. Ein Abdruck dieses Bescheides erging an die Familienkasse H. , der bereits vorliegende Abzweigungsantrag wurde jedoch nicht dorthin weitergeleitet.

Die Klägerin legte gegen den Bescheid vom 10.04.2000 Widerspruch ein mit der Begründung, dass die Beklagte "unrichtigerweise und nach schlechter Einschätzung der Tatbestände" abgelehnt habe. Sie sei nicht arbeitstätig und erhalte in Griechenland kein Kindergeld. Der Ehemann lebe und arbeite in der BRD und habe nie Unterhalt gezahlt. Mit Widerspruchsbescheid vom 10.05.2000 wurde der Rechtsbehelf als unbegründet zurückgewiesen, weil die Klägerin die Voraussetzungen des § 1 BKGG n.F. für einen Kindergeldanspruch nicht erfülle.

Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Nürnberg verfolgte die Klägerin ihr Begehren weiter, wobei sie ergänzend zum bisherigen Vortrag darauf hinwies, dass ihr Ehemann in der BRD Steuer wie alle deutschen Bürger zahle. Das Sozialgericht lud den Ehemann zum Verfahren bei, zog die Kindergeldakten der Beklagten zu und ließ sich von der Klägerin alle noch bei ihr vorhandenen Kindergeldunterlagen übersenden; weiterhin wurde der Antrag der Klägerin auf Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 08.09.2004 wegen fehlender Erfolgsaussichten abgelehnt.

In der mündlichen Verhandlung am 04.10.2004, zu der weder die Klägerin noch der Beigeladene erschienen waren, wies der Vorsitzende den Vertreter der Beklagten darauf hin, dass es nicht verständlich sei, warum die Familienkasse H. den von der Klägerin am 14.02.2000 unterschriebenen Kindergeldantrag nicht als Abzweigungsantrag nach § 74 EStG behandelt habe; diese Familienkasse werde gebeten, so zu verfahren. Mit anschließendem Urteil vom gleichen Tage wurde die Klage abgewiesen, wobei das Sozialgericht von dem sinngemäßen Antrag der Klägerin ausging, den Bescheid vom 10.04.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.05.2000 aufzuheben und ihr das Kindergeld für beide Kinder in gesetzlicher Höhe von November 1991 bis Mai 1996 und ab Juni 1998 zu bezahlen. Hierzu wurde ausgeführt, dass die mit Klage angefochtenen Bescheide rechtens seien. Die Arbeitsämter H. und N. hätten nicht verstanden, dass es der Klägerin für die Zeit ab Juni 1998 - nach wie vor - um die Abzweigung des ihrem Ehegatten gegebenenfalls zustehenden Kindergelds gegangen sei. Zu prüfen sei daher ein Kindergeldanspruch des Beigeladenen ab November 1991, ausgenommen den Zeitraum von Juni 1996 bis einschließlich Mai 1998, in dem bereits Kindergeldzahlungen an die Klägerin geflossen seien. Einen Anspruch auf Kindergeld nach dem BKGG i.V.m. dem europäischen Recht habe der Beigeladene im Zeitraum von September 1991 bis Dezember 1995 wohl nur - der Sachverhalt sei nicht mehr hinreichend aufklärbar - von Oktober 1991 bis Oktober 1992 (nachgewiesener Bezug von Arbeitslosengeld) gehabt, ein von der Klägerin Mitte bis Ende des Jahres 1994 gestellter Antrag und der von der griechischen Verbindungsstelle gestellte, bei der Beklagten am 31.10.1996 eingegangene Antrag auf Abzweigung des Kindergelds (1991/92) scheiterten jedoch an dem entsprechend anzuwendenden § 9 Abs.2 BKGG a.F. bzw. § 5 Abs.2 BKGG n.F., wonach Leistungen rückwirkend nur für sechs Monate vor der Antragstellung gezahlt werden könnten. Der Bezug von Arbeitslosenhilfe durch den Beigeladenen von November 1992 bis Dezember 1995 begründe keinen Kindergeldanspruch. Für die Zeit ab 1996 müsse die Klage bereits daran scheitern, dass der Beigeladene keinen Anspruch auf Kindergeld nach dem BKGG in Verbindung mit den Vorschriften des koordinierenden europäischen Sozialrechts haben könne, denn gemäß § 1 Abs.1 BKGG i.V.m. § 1 EStG gehöre der Beigeladene grundsätzlich zu den Anspruchsberechtigten auf Kindergeld (§ 62 Abs.1 und Abs.2 EStG), die für die in Griechenland lebenden Kindern gemäß § 63 Abs.1 Satz 1 und Satz 3 EStG dem Grunde nach Anspruch auf Kindergeld haben könnten. Dem Sozialgericht sei eine Überprüfung des Kindergeldanspruchs auf der Grundlage steuerrechtlicher Vorschriften verwehrt. Über einen Abzweigungsantrag nach § 74 Abs.1 Satz 1 EStG habe das zuständige Arbeitsamt ab Juni 1998 noch nicht entschieden, und eine Verweisung des Rechtsstreits insoweit an das zuständige Finanzgericht sei daher nicht zulässig.

Mit dem Rechtsmittel der Berufung wendet sich die Klägerin gegen das Urteil und macht - nach Rückfrage des Senats und rechtlichen Hinweisen - Kindergeldzahlungen ab Juni 1998 geltend. Die Beklagte meint, streitig sei die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 10.04.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.05.2000 bzw. ein Anspruch der Klägerin auf Kindergeld aus eigenem Recht; die noch ausstehende Entscheidung des Arbeitsamts über die Abzweigung des steuerrechtlichen Kindergelds könne nicht Gegenstand des sozialrechtlichen Rechtsstreits werden.

Der Senat hat drei Bände Kindergeldakten der Beklagten, eine Akte des Arbeitsamts H. betreffend Leistungen der Arbeitsverwaltung an den Beigeladenen und die Prozessakte des Finanzgerichts H. beigezogen.

Die Klägerin beantragt, 1. den Bescheid vom 10.04.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.05.2000 aufzuheben, 2. und (in dem später abgetrennten Berufungsverfahren) die Beklagte zu verurteilen, das dem Beigeladenen ab 01.06.1998 zustehende Kindergeld an sie zur Auszahlung zu bringen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Beigeladene selbst stellt keinen Antrag.

Der Senat hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass die Klägerin, nicht die Beklagte mit ihren bisher erteilten Bescheiden, den Streitgegenstand bestimme, weiterhin dass seiner Auffassung nach ein eigener Kindergeldanspruch der Klägerin nicht streitig sei, sondern nur ein Anspruch auf Abzweigung des dem Beigeladenen möglicherweise ab Juni 1998 zustehenden Kindergelds und insoweit eine Abtrennung und Verweisung an das zuständige Finanzgericht geplant sei. Die Beklagte hält eine Verweisung nicht für zweckmäßig, weil sie hinsichtlich des steuerrechtlichen Kindergelds noch nicht entschieden habe.

Mit Beschluss vom 06.07.2005 hat der Senat das Verfahren wegen Ablehnung eines eigenen Kindergeldanspruchs mit Bescheid vom 10.04.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10.05.2000 (jetziges Az.: L 14 KG 8/05) vom Verfahren wegen Abzweigung des dem Beigeladenen eventuell zustehenden Kindergelds (Az.: L 14 KG 16/04) getrennt und den letztgenannten Rechtsstreit mit weiterem Beschluss vom 24.08.2005 an das Finanzgericht H. verwiesen.

Dem Senat lagen zur Entscheidung die Prozessakten beider Rechtszüge sowie die oben genannten beigezogenen Akten vor. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird - insbesondere hinsichtlich des Inhalts der von der Beklagten erteilten Bescheide und der Angaben und des Vorbringens der Klägerin in Verwaltungs- und Gerichtsverfahren - hierauf Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung - sie betraf nach zeitlicher Einschränkung des Berufungsantrags und nach Verweisung eines Teiles des Rechtsstreits nicht mehr den klägerischen Anspruch auf Abzweigung des Kindergelds von November 1991 bis Mai 1996 und ab Juni 1998 - ist zulässig (§§ 143 ff., 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) und begründet.

1. Soweit das Sozialgericht über die Abzweigung eines Kindergeldanspruchs des Beigeladenen von 1991 bis 1995 auf der Grundlage des BKGG in der bis 31.12.1995 geltenden Fassung i.V.m. § 48 Sozialgesetzbuch Teil I (SGB I) entschieden hatte, vermochte die vom Sozialgericht gegebene Begründung teilweise nicht zu überzeugen, und zwar einerseits wegen des Ausschlusses eines materiell-rechtlichen Anspruchs (§ 9 Abs.2 BKGG a.F. ist auf Anträge wegen Abzweigung nicht anwendbar, sondern nur auf einen Kindergeldantrag), andererseits wegen Lücken (es fehlen notwendige Ausführungen zur insoweit äußerst problematischen Zulässigkeit der Klage). Letzten Endes aber hatte die Klägerin einen allenfalls für die Zeit von November 1991 bis einschließlich Oktober 1992 bestehenden akzessorischen Anspruch wegen Zeitablaufs nicht mehr durchsetzen können, so dass sie mit der diesbezüglichen Rücknahme der Berufung richtig beraten war. Das Urteil des Sozialgerichts ist, soweit es einen Anspruch der Klägerin auf (mittelbare) Auszahlung des Kindergelds aus einem Kindergeldanspruch des Beigeladenen (Stammrecht) von 1991 bis 1995 betrifft, rechtskräftig geworden.

2. Nicht entschieden hatte das Sozialgericht über einen Anspruch der Klägerin auf Abzweigung des Kindergelds in der Zeit von Januar bis einschließlich Mai 1996 und ab Juni 1998 (§ 74 EStG). Zu Recht hatte das Gericht (sinngemäß) festgestellt, dass sich die Natur des Auszahlungsanspruchs (Abzweigung) nach der Natur des Anspruchs des Beigeladenen richtet und letzterer wegen seines ausschließlichen Wohnsitzes in der BRD (und wegen Fehlens von Sondertatbeständen wie Entsendung aus dem Ausland) ausschließlich steuerrechtlicher Art sein kann. Die Entscheidung über solche Ansprüche obliegt dem Finanzgericht und nicht dem Sozialgericht.

Der Gesetzgeber hat das Kindergeldrecht mit Wirkung ab 01.01.1996 grundlegend neu mit Schwergewicht im Einkommensteuergesetz geregelt, was die Klägerin mangels hinreichender Begründung der Bescheide der Beklagten und auch wegen Unterlassens sonstiger sachdienlicher Hinweise nicht wissen konnte. Das Sozialgericht musste jedoch umfassend über den gesamten Streitgegenstand entscheiden (Verbot der Rechtsschutzverweigerung), sofern und soweit es nicht den zu ihm beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärte und den Rechtsstreit zugleich an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtsweges verwies. Es durfte nichts offen gelassen werden. Der Verfahrensmangel ist zum Teil dadurch gegenstandslos und zum Teil dadurch geheilt worden, dass die Klägerin ihre Berufung auf einen Anspruch auf Abzweigung des Kindergelds für die Zeit ab Juni 1998 beschränkt, demnach die Berufung teilweise (bis Mai 1996) zurückgenommen hat, und der Senat im Übrigen die gebotene Rechtswegeverweisung ausgesprochen hat.

3. Zu entscheiden war vom Senat im Verfahren L 14 KG 8/05 nur mehr über eine isolierte Anfechtungsklage (§ 51 Abs.1 Satz 1 Fall 1 SGG), die den Bescheid der Beklagten vom 10.04.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.05.2000 betraf. Nicht verbunden mit dieser Anfechtungsklage war eine Leistungsklage im Sinne von § 54 Abs.4 SGG. § 51 Abs.1 Satz 1 SGG (i.V.m. § 153 Abs.1 SGG) bestimmt, dass mit Klage (und Berufung) die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung begehrt werden kann. Nach § 54 Abs.4 SGG kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden, wenn der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung betrifft, auf die ein Rechtsanspruch besteht. § 54 Abs.4 SGG setzt dieselbe Leistung voraus, d.h. sie lässt neben der Anfechtung des Verwaltungsakts die Forderung der mit dem Verwaltungsakt abgelehnten Leistung zu.

Im vorliegenden Rechtsstreit betreffen aber Anfechtungsklage und Leistungsklage zwei verschiedene Gegenstände. Angefochten sind die Bescheide der Beklagten, mit denen ein Anspruch der Klägerin auf Kindergeld nach dem BKGG aus eigenem (originärem) Rechts abgelehnt wurden. Mit Leistungsklage hingegen hat die Klägerin einen Anspruch auf Abzweigung bzw. Abtrennung von laufenden Geldleistungen aufgrund eines Kindergeldanspruchs des Beigeladenen geltend gemacht. Diese beiden Klagen haben keinen inneren Zusammenhang wie die verbundene Anfechtungs- und Leis- tungsklage im Sinne von § 54 Abs.1 und Abs.4 SGG. Sie sind lediglich gemeinsam erhoben worden (objektive Klagehäufung) und können völlig verschiedene Schicksale in materiell-rechtlicher und verfahrensrechtlicher Hinsicht haben.

Richtiger Weise hat das Sozialgericht erkannt, dass die Klägerin mindestens für die Zeit ab 01.06.1998 nur die Abzweigung des Kindergelds des Beigeladenen und nicht (auch) einen Kindergeldanspruch aus eigenem Recht (§§ 62, 63 EStG) geltend machte. Die Beklagte hat aber über die Abzweigung (Anträge vom 27.11.1998 und 31.01.2000) nicht entschieden, sondern vielmehr über nichtexistente Anträge der Klägerin auf Kindergeld (EStG) aus eigenem Recht.

Die Geltendmachung eines eigenen Kindergeldanspruchs war bereits aufgrund des vorausgehenden Sachverhalts unwahrscheinlich. Mit Bescheid der Kindergeldkasse H. vom 24.03.1997 (aufgehoben durch Bescheid vom 01.09.1998) ist die Abzweigung von Zahlungen auf einen objektiv nur aus dem Steuerrecht begründbaren Anspruch des Beigeladenen (§§ 62, 63 EStG) im Zeitraum vom 01.06.1996 bis 31.05.1998 erfolgt, wobei insoweit die dürftige Bescheidsbegründung ebenso bedeutungslos ist wie die nicht nach außen gedrungenen Vorstellungen des Sachbearbeiters über die maßgebenden Rechtsgrundlagen oder die nicht verwirklichte Absicht, gegebenenfalls auch über die Abzweigung der bis 31.12.1995 gegebenen Kindergeldansprüche des Beigeladenen nach dem BKGG zu entscheiden. Allein aus der Tatsache, dass die Klägerin wiederholt in einer laienhaften Ausdrucksweise die weitere Zahlung des Kindergelds wie bisher, im Anschluss an den Zahlungszeitraum von Juni 1996 bis "März 1998" (Anmerkung: gemeint wohl Mai 1998 mit der letzten monatlichen Überweisung) forderte, ist zu schließen, dass sie nur die Fortsetzung der Abzweigung des Kindergelds begehrte. Dies um so mehr, als sie ja vor dem Jahre 1996 von der Beklagten auf das Fehlen eines eigenen Kindergeldanspruchs und die alleinige Möglichkeit des Leistungsbezugs im Wege der Abzweigung, die dann verwirklicht worden ist, klar und deutlich aufmerksam gemacht worden ist. Hinzu kommt, dass die Klägerin wiederholt die tatsächlichen Voraussetzungen für den Kindergeldanspruch des Ehemanns, soweit sie ihr aus der Zeit vor 1996 bekannt und geläufig waren, erwähnte (Wohnsitz des Beigeladenen in der BRD, Erwerbstätigkeit oder Arbeitslosengeldbezug), ebenso die Voraussetzungen einer Abzweigung (nach § 48 SGB I sowie nach § 74 EStG) ansprach (keine Leistung von Unterhalt für die Kinder; andere, nicht kindergeldberechtigte Personen, die für den Unterhalt der Kinder sorgen).

Nach der Vorgeschichte sowie dem, wenn auch unbeholfenen, aber sehr wohl verständlichen Begehren der Klägerin ist es für den Senat offensichtlich, dass diese in den Jahren 1998 und 2000 ausschließlich die Abzweigung beantragt hat. Angesichts der Sachlage sind nicht mehr verständlich die wiederholt am Kern der Sache vorbeigehenden Bescheide der Beklagten einschließlich des Hinweises, einen bereits beim Arbeitsamt N. gestellten Antrag auf Abzweigung erst beim zuständigen Arbeitsamt H. zu stellen. Insoweit sollte § 16 Abs.2 SGB I mit der Pflicht zur Weiterleitung eines Antrags an die zuständige Stelle bekannt sein.

Der Bescheid vom 10.04.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.05.2000 über die Ablehnung eines Antrags auf Kindergeld nach BKGG aus eigenem Recht der Klägerin war rechtswidrig. Demzufolge war das Urteil des Sozialgerichts, das trotz richtiger grundlegender Erkenntnisse die Klage insoweit abgewiesen hat ("die Bescheide sind rechtens"), unzutreffend und insoweit aufzuheben.

Das Kindergeld nach dem BKGG n.F. im Sinne eines Anspruchs aufgrund eigenen Rechts ist schriftlich zu beantragen (§ 9 Abs.1 BKGG n.F.), und ein solcher Antrag lag nicht vor. Die Ablehnung des Kindergelds durch einen Verwaltungsakt wirkt an sich belastend, und dies in rechtswidriger Weise, weil eine solche Leistung nicht beantragt worden ist (§ 41 Abs.1 Nr.1 Sozialgesetzbuch Teil X - SGB X -; vor Geltung der §§ 40, 41 SGB X ist die Rechtsprechung sogar von der Nichtigkeit des Verwaltungsakts ausgegangen, vgl. hierzu von Wulffen, SGB X, 5. Auflage, Rz.5 zu § 41).

Insoweit unerheblich ist es, dass die Klägerin wegen sprachlicher Schwierigkeiten und teils auch wegen ungenügender rechtlicher Hinweise der Beklagten die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 10.04.2000 und die hierdurch verursachte Beschwer in nicht zutreffenden Umständen sah, nämlich in der Ablehnung der beantragten Abzweigung. Der Bescheid war jedenfalls objektiv aus anderen, von Amts wegen zu beachtenden Umständen (fehlender Antrag) rechtswidrig und musste daher aufgehoben werden. Dies galt nicht nur für das Sozialgericht, sondern auch jetzt für den erkennenden Senat. In zweiter Instanz hatte die Klägerin zwar die Leistungsklage auf Abzweigung des Kindergelds auf die Zeit ab 01.06.1998 eingeschränkt, dies betrifft aber nicht die davon getrennt zu behandelnde isolierte Anfechtungsklage.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu tragen, und zwar auch insoweit sie - hinsichtlich der Abzweigung des Kindergelds für die Zeit von 1991 bis 1995 - wegen der teilweisen Rücknahme der Berufung nicht unterlegen ist. Hier war insbesondere zu berücksichtigen, dass die Beklagte aufgrund eines mangelhaften Verwaltungsverfahrens und einer das Begehren der Klägerin nicht treffenden Verbescheidung einen überflüssigen Rechtsstreit verursacht hat.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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