L 18 U 181/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 11 U 37/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 U 181/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1.Einem Kläger, die die Bewilligung von PKH formgerecht beantragt hat, ist auch nach Ablehnung seines Antrags im Beschwerdeverfahren für die Klagefrist Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn er vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrags aus dem Grunde der fehlenden Bedürftigkeit rechnen musste.
2. Die Ankündigung eines Bevollmächtigten im Falle der Bewilligung von PKH einen Antrag auf Wiedereinsetzung zu stellen, hindert den Kläger nicht, im Falle der Ablehnung seinerseits einen solchen Antrag zu stellen.
3. Der der Begründung des PKH-Antrags dienende Entwurf eines erst künftig einzulegenden Rechtsmittels stellt kein unter der Bedingung der PKH-Gewährung erhobenes und damit unzulässiges Rechtsmittel dar.
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 24.04.2002 aufgehoben und die Streitsache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen.
II. Die Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Entscheidung des Sozialgerichts vorbehalten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Klägerin Verletztenrente aufgrund des Unfalls vom 21.09.1984 zusteht.

Am 21.09.1984 erlitt die Klägerin bei einem Sturz Kontusionen beider Kniegelenke und des linken distalen Unterschenkels. Eine förmliche Feststellung des Unfalls erfolgte nicht. Einen Antrag auf Neufeststellung vom 06.05.1992 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 25.03.1993 ab. Widerspruch und Klage waren erfolglos. Einen weiteren Antrag vom 29.05.2000 auf Neufeststellung der Unfallfolgen lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 14.09.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18.01.2001 ab.

Mit Schreiben vom 19.02.2001 beantragte der damalige Bevollmächtigte der Klägerin beim Sozialgericht (SG) Bayreuth die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) und kündigte für den Fall der Bewilligung Antrag auf Wiedereinsetzung an. Für die Frage der Erfolgsaussicht (der beabsichtigten Klageerhebung) nahm er auf einen beigefügten Klageentwurf vom 19.02.2001 Bezug. Das SG lehnte die Gewährung von PKH mit Beschluss vom 17.05.2001 ua mit der Begründung ab, die Klägerin sei in der Lage, die Kosten der Prozessführung selbst aufzubringen und es fehle an der erforderlichen Erfolgsaussicht der Klage. Die hiergegen erhobene Beschwerde wies das Bayer. Landessozialgericht (LSG) mit Beschluss vom 08.01.2002 (zugestellt am 21.01.2002) zurück. Anders als das SG stützte es die Ablehnung von PKH auf eine mangelnde Erfolgsaussicht der Klage. Ob die Klägerin die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von PKH erfüllte, ließ es dahingestellt.

Am 06.02.2002 hat die Klägerin gegen den ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 14.09.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18.01.2001 Klage zum SG erhoben und beantragt, ihr wegen der Versäumung der Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und die Beklagte zur Zahlung einer Verletztenrente zu verurteilen. Zur Begründung hat sie vorgetragen, ihr früherer Bevollmächtigter habe gewusst, dass bei Ablehnung der PKH Klage erhoben werden solle. Dessen Verschulden sei ihr nicht zuzurechnen. Ihr Anspruch sei materiell begründet, weil eine rentenberechtigende MdE vorliege. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 24.04.2002 wegen Versäumung der Klagefrist als unzulässig abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Widerspruchsbescheid vom 18.01.2001 sei mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen gewesen und am 19.01.2001 zur Post gegeben worden. Damit sei spätestens am 22.02.2001 Klage zu erheben gewesen. Diese sei jedoch erst am 06.02.2002 und damit verspätet erhoben worden. Am 19.01.2001 habe die Klägerin keine Klage erhoben, sondern nur für den Fall der Gewährung von PKH Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Klageerhebung angekündigt. Diese Vorgehensweise sei zulässig, führe aber bei versagter PKH-Gewährung nicht zur Wahrung der Klagefrist. Sofern der frühere Bevollmächtigte der Klägerin abredewidrig keine Klage erhoben haben sollte, sei dies ohne Belang, weil die Klägerin ein evtl vorliegendes Verschulden ihres Bevollmächtigten wie eigenes Verschulden zu vertreten habe.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt und unter Aufhebung des Urteils Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begehrt. Sie hat die Auffassung vertreten, dass ihr das Verschulden ihres damaligen Bevollmächtigten nicht anzulasten sei. In der Sache hat sie beantragt, ihr Verletztenrente ab Mai 1987 zu gewähren bzw eine Entschädigung von 1.000.000 Euro zu leisten.

Die Beklagte hat beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Bayreuth vom 24.04.2002 zurückzuweisen.

Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die Akten der Beklagten, die Archivakten des SG S 1/8 U 135/93, S 8 U 21/94, S 11 AR 6/01 U, des LSG L 18 B 172/01 U PKH, L 18 B 173/01 U PKH, L 18 B 174/01 U PKH, L 18 B 175/01 U PKH, die Gerichtsakte des SG S 11 U 37/02 sowie die Gerichtsakte des LSG L 18 U 181/02 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach §§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung der Klägerin ist iS der Zurückverweisung an das SG begründet.

Das LSG kann durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das SG zurückverweisen, wenn dieses die Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden (§ 159 Abs 1 Nr 1 SGG).

Das SG hätte die Klage nicht als unzulässig verwerfen dürfen, sondern hätte in der Sache entscheiden müssen. Zwar ist die Klage erst am 06.02.2002 und damit nach Ablauf der Klagefrist (mit dem 22.02.2001) eingelegt worden. Der Klägerin ist jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 67 Abs 1 SGG) zu gewähren, da sie bis zur Zustellung des ihren PKH-Antrag ablehnenden Beschlusses des LSG vom 08.01.2002 am 21.01.2002 iS des Gesetzes gehindert war, Klage einzulegen. Nach ständiger und gefestigter Rechtssprechung aller Obersten Gerichtshöfe des Bundes ist ein Kläger, der die Bewilligung von PKH formgerecht beantragt hat, bis zur Entscheidung über den Antrag so lange als ohne sein Verschulden an der Einlegung eines Rechtsbehelfs verhindert anzusehen, als er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrags aus dem Grunde der fehlenden Bedürftigkeit rechnen musste (so Meyer-Ladewig, SGG, 7.Auflage, § 73a Rdnr 5h und 5c sowie § 67 Rdnr 8; BSG SozR 3-1500 § 67 Nr 5 = Breithaupt 1993, 695-699 mwN). Diese Rechtsprechung ist zwar für das Rechtsmittelverfahren ergangen, im Klageverfahren gilt aber nichts anderes. Wollte man - wie das SG - dem bedürftigen Beteiligten ansinnen, er solle vorsichtshalber innerhalb der Klagefrist auf eigene Kosten Klage einlegen, würden die Vorschriften über die PKH ausgehöhlt, weil man den Mittellosen zwänge, sich bereits vor einer Entscheidung über das PKH-Gesuch die Mittel für die Beauftragung eines Rechtsanwalts zu besorgen (vgl BSG aaO). Dies wäre ua mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der möglichst weitgehenden Gleichstellung von bemittelten und unbemittelten Verfahrensbeteiligten unvereinbar, und zwar unabhängig von der Frage der Erhebung der Gerichtskosten, des Anwaltszwangs und des Amtsermittlungsgrundsatzes (aaO). Entgegen der Ansicht des SG liegen die Voraussetzungen von § 67 Abs 1 SGG also schon deswegen vor, weil die Klägerin vor Ablauf der Klagefrist am 22.02.2001 einen formgerechten PKH-Antrag gestellt hat und sich berechtigterweise für "arm" iS des § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) halten durfte.

Die rechtswidrige Ablehnung der Wiedereinsetzung in die Klagefrist im Urteil des SG, die anders als die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht unanfechtbar iS von § 67 Abs 4 Satz 2 SGG ist, kann vom LSG durch Wiedereinsetzung ersetzt werden (Meyer-Ladewig, aaO, § 67 Rdnr 15, 19). Da die Klägerin mit dem am 06.02.2002 beim SG eingegangenen Schriftsatz die - ohne ihr Verschulden versäumte - Rechtshandlung innerhalb der Antragsfrist (§ 67 Abs 2 Satz 3 SGG) nachgeholt, dh Klage eingelegt hat, wird ihr hiermit Wiedereinsetzung in die Klagefrist gewährt.

Die Ankündigung des Bevollmächtigten der Klägerin, im Falle der Bewilligung von PKH einen Antrag auf Wiedereinsetzung zu stellen, hinderte die Klägerin nicht, auch im Falle der Ablehnung von PKH ihrerseits einen solchen Antrag zu stellen. Es handelte sich bei der Ankündigung des Bevollmächtigten nicht um ein unter der Bedingung der PKH-Gewährung erhobenes und damit unzulässiges Rechtsmittel. Wird bei einem Gericht gleichzeitig mit einem PKH-Antrag ein Schriftsatz eingereicht, der den an eine Klageschrift (Berufungsschrift) zu stellenden Anforderungen entspricht, so sind für dessen Auslegung drei Möglichkeiten in Betracht zu ziehen: Es kann sich um ein unabhängig von der PKH-Bewilligung eingelegtes oder um ein unter der Bedingung der PKH-Gewährung erhobenes und damit unzulässiges Rechtsmittel oder schließlich um einen Schriftsatz handeln, der lediglich einen der Begründung des PKH-Antrages dienenden Entwurf eines erst zukünftig einzulegenden Rechtsmittels enthält (so BSG aaO). Was hiervon vorliegt, ist im Wege der Auslegung nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen, wobei es nicht auf den inneren Willen der Beteiligten, sondern auf den in der Erklärung verkörperten Willen unter Berücksichtigung der erkennbaren Umstände des Falles ankommt (aaO mwN).

Im Hinblick auf den Wortlaut der Ankündigung und unter Berücksichtigung der erkennbaren Umstände des Falles ist vorliegend davon auszugehen, dass die Klägerin die Klage nicht unter der Bedingung der Gewährung von PKH erhoben wissen wollte. Vielmehr handelte es sich bei dem dem Antrag auf PKH beigefügten Klage - E n t w u r f vom 19.02.2001 um einen Schriftsatz, der der Begründung des PKH-Antrages dienen sollte. Es kann vorliegend also nicht von einer unter einer Bedingung eingelegten Klage ausgegangen werden. Der Klageentwurf vom 19.02.2001 war ein Entwurf eines erst zukünftig einzulegenden Rechtsmittels.

Der Senat brauchte daher nicht zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen eine die Unwirksamkeit der Klageeinlegung herbeiführende "echte Bedingung" verlautbart ist, die eine daran geknüpfte Prozesshandlung unwirksam machen würde (vgl BSG SozR 1500 § 101 Nr 8).

Es liegt im Ermessen des Senats, ob er in der Sache selbst entscheidet oder zurückverweisen will. Zwar soll die Zurückverweisung die Ausnahme sein (Meyer-Ladewig aaO § 159 Anm 5). Es ist aber vorliegend zu berücksichtigen, dass das SG in der Sache nicht entschieden hat. Der Senat hält daher in Abwägung zwischen den Interessen der Beteiligten an einer Sachentscheidung sowie dem Grundsatz der Prozessökonomie und dem Verlust einer Instanz wegen der noch notwendigen Beweisaufnahme (Sachaufklärung durch Einholung von Gutachten) eine Zurückverweisung für geboten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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