L 4 RA 9/99

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 9 RA 1092/97
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 4 RA 9/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 14. Juli 1998 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelasssen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darum, ob die Beklagte berechtigt ist, für die Jahre 1966 bis 1968, 1972 bis 1974 und 1977 wegen Zeiten von Arbeitsunfähigkeit eine anteilig gekürzte Beitragsbemessungsgrenze zu Grunde zu legen.

Die am ... geborene Klägerin war seit dem 16.02.1954 zunächst bei der SED-Kreisleitung D ... bzw. ab November 1954 bei der SED-Bezirksleitung D ... als Instrukteurin und Sekretärin beschäftigt. Nach Besuch der SED-Bezirksparteischule (1956 bis 1957) und entsprechendem Studium (1963 bis 1965) war sie zuletzt vom 06.09.1965 bis 30.09.1981 als politische Mitarbeiterin bei der SED-Bezirksleitung tätig. Ab dem 01.09.1981 bezog sie Rente.

Am 30.10.1995 erteilte die PDS als Zusatzversorgungsträger die Entgeltbescheinigung nach § 8 des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG). Unter Zugrundelegung dieser Daten erließ die Beklagte am 24.05.1996 einen Bescheid über die Regelaltersrente der Klägerin rückwirkend zum 01.07.1990. Die Rechtmäßigkeit der Entgeltbegrenzung durch den Zusatzversorgungsträger war Gegenstand der Streitsache S 9 An 246/96 des Sozialgerichts Dresden, welche durch Beschluss vom 03.04.1996 ruht.

Am 23.04.1997 stellte der Versorgungsträger nach Inkrafttreten des AAÜG-Änderungsgesetzes die maßgeblichen Entgelte neu fest. Dabei wurden - wie im Bescheid vom 30.10.1995 - unter der Spalte 1 in der Anlage A "Zeitraum" unter anderem folgende Lücken ausgewiesen: 26.04.1966 bis 03.05.1966, 16.10.1967 bis 07.11.1967, 24.04.1968 bis 01.05.1968, 25.02.1970 bis 10.06.1970, 16.02.1972 bis 22.03.1972, 10.04.1972 bis 30.05.1972, 03.01.1973 bis 23.01.1973, 24.10.1973 bis 18.11.1973, 28.10.1974 bis 04.11.1974, 07.02.1975 bis 28.02.1975, 20.10.1975 bis 06.12.1975, 17.01.1977 bis 04.02.1977, 28.02.1977 bis 16.03.1977, 02.05.1977 bis 13.05.1977 und 06.12.1977 bis 14.12.1977. Auf Grund dieses neuen Entgeltbescheides erließ die Beklagte am 09.06.1997 den streitgegenständlichen Rentenbescheid. Hierdurch wurde die Regelaltersrente mit Wirkung ab 01.01.1997 neu festgesetzt. Zum 01.07.1997 wurde eine monatliche Zahlung in Höhe von 1.741,39 DM aufgenommen. Dabei wurden die Entgelte jeweils nur bis zur geltenden Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigt. Für die Jahre 1966 bis 1968, 1972 bis 1974 und 1977 wurde die Beitragsbemessungsgrenze anteilig um die nicht einen Kalendermonat umfassenden Arbeitsunfähigkeitszeiten weiter gekürzt.

Mit Widerspruchsschreiben vom 19.06.1997 wandte sich die Klägerin gegen die Kürzung ihres tatsächlich erzielten Einkommens und gegen die Festlegung, dass keine Nachzahlung für Zeiten erfolge, die vor der Einführung des AAÜG-Änderungsgesetzes liegen. Mit Schreiben vom 06.07.1997 ergänzte die Klägerin ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren. Sie wies darauf hin, dass in den Jahren 1959, 1966, 1967, 1968, 1972, 1973, 1974, 1976 und 1977 keine Arbeitsausfalltage von mindestens einem Monat Dauer angefallen und somit auch keine Anrechnungszeiten ausgewiesen seien. Damit sei für diese Jahre das Bruttojahresentgelt und davon ausgehend die Jahresbemessungsgrenze in voller Höhe zu berücksichtigen. Die fehlerhafte Feststellung des Versorgungsträgers hätte vom Rentenversicherungsträger entsprechend der Bestimmung gem. §§ 252 a, 260 Satz 3 SGB VI in seiner Zuständigkeit auf der Grundlage des Gesetzes korrigiert werden müssen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 04.12.1997 wies die Beklagte diesen Widerspruch zurück. Das in der Zeit der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem tatsächlich erzielte Entgelt bzw. Arbeitseinkommen könne bei der Ermittlung der Rentenhöhe nicht berücksichtigt werden. Das Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz habe die Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen in die gesetzliche Rentenversicherung überführt. Hierüber habe der zuständige Versorgungsträger einen Bescheid erteilt und festgestellt, welche maßgebenden Verdienste der Überführung zu Grunde zu legen seien. Auf der Grundlage der versorgungsspezifischen Feststellungen des Versorgungsträgers, an die die Beklagte bei der Erfüllung der Aufgaben der Rentenversicherung gebunden sei, seien die überführten Arbeitsentgelte bzw. Einkommen unter Beachtung der rentenrechtlichen Bestimmungen zu bestimmen. Beitragszeiten im Beitrittsgebiet dürften nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze, die in der Bundesrepublik Deutschland für das entsprechende Kalenderjahr galt, angerechnet werden. Dies ergebe sich nicht nur aus § 260 SGB VI, sondern direkt auch aus § 6 Abs. 1 AAÜG. Bei der Bestimmung der Beitragsbemessungsgrenze nach § 260 Satz 3 SGB VI seien Arbeitsausfalltage als Beitragszeit vom Rentenversicherungsträger nur zu berücksichtigen, sofern keine Anrechnungszeit vorliege. Diese Vorschrift beziehe sich ausdrücklich auf Arbeitsausfalltage gem. § 252 a SGB VI. Die PDS habe jedoch für die Zeiten vor dem 01.01.1984 ausdrücklich Zeiten der Arbeitsunfähigkeit gemeldet. Dies bedeute, dass die Vorschrift des § 260 Satz 3 SGB VI nicht anzuwenden sei. Es lägen ausdrücklich bestätigte Zeiten der Arbeitsunfähigkeit im Sinne des § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI vor. Eventuelle Begrenzungen durch die PDS auf die Beitragsbemessungsgrenze unter Berücksichtigung dieser Zeiten der Arbeitsunfähigkeit seien somit zutreffend, auch wenn sie selbst tatsächlich durch die Kürze ihrer Dauer keine Anrechnungszeit darstellten.

Hiergegen richtete sich die am 19.12.1997 zum Sozialgericht Dresden erhobene Klage der Prozessbevollmächtigten der Klägerin. Es wurde darauf hingewiesen, dass die Beklagte an die vom Versorgungsträger übermittelten Daten, die sich aus § 6 Abs. 1 AAÜG ergeben, nicht gebunden sei. Im Übrigen wandte sich die Klägerin gegen die so genannte Systementscheidung des Gesetzgebers, wonach alle Versorgungsansprüche von Anspruchsberechtigten der ehemaligen DDR zunächst ausschließlich in rentenversicherungsrechtliche Ansprüche umgewandelt werden. Insofern wurde auf Art. 3 und Art. 14 Grundgesetz (GG) Bezug genommen. Darüber hinaus wurde geltend gemacht, dass die Beklagte nicht berechtigt sei, für die streitigen Jahre das Bruttojahresentgelt auf Werte unterhalb der Anlage 3 zum AAÜG zu kürzen. Nach dem Wortlaut des § 260 Satz 3 SGB VI habe der Rentenversicherungsträger die Zeit bei der Ermittlung der Beitragsbemessungsgrenze als Beitragszeit zu bewerten. Die Anwendbarkeit von § 260 Satz 3 SGB VI ergebe sich aus § 5 Abs. 1 Satz 2 AAÜG. Unter Bezugnahme auf das Urteil des BSG vom 05.12.1996 (Az. 4 RA 84/95) wurde weiter ausgeführt, dass die Werte der Anlage 3 im Gegensatz zu den anderen, sich nach Anwendung von § 6 AAÜG ergebenden Daten, rein rentenrechtliche Vorschriften seien. Insofern habe der Versorgungsträger die Werte der Anlage 3 ohne anteilige Kürzung wegen Ausfalltagen mitzuteilen. Die Beklagte teilte hierzu mit, dass sie an ihrer Auffassung festhalte, dass die Regelung des § 260 Satz 3 SGB VI nur auf Arbeitsausfalltage und nicht auf Anrechnungszeittatbestände, die nicht als Anrechnungszeit berücksichtigungsfähig sind, Anwendung finde. Sofern die Verfassungsmäßigkeit der Überleitung von Ansprüchen und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen ausschließlich in die Rentenversicherung gerügt werde, werde die Klage als unzulässig angesehen.

Mit Urteil vom 14.07.1998 wurde der Klage stattgegeben, soweit die anteilige Kürzung der Werte der Beitragsbemessungsgrenze wegen nicht anrechnungsfähiger Arbeitsunfähigkeitszeiten betroffen war. Hinsichtlich der Systementscheidung wurde die Klage abgewiesen. Das SG Dresden führte aus, dass Arbeitsunfähigkeitszeiten im System der rentenrechtlichen Zeiten des SGB VI unter den in §§ 58, 252 und 252 a SGB VI normierten Voraussetzungen als so genannte Anrechnungszeiten behandelt werden. Hierbei lege § 252 a Abs. 2 SGB VI fest, wie Anrechnungszeiten pauschal für Ausfalltage vor dem 01.07.1990 zu ermitteln seien, wenn im Sozialversicherungsausweis Arbeitsausfalltage als Summe mitgeteilt seien. In Korrespondenz zu § 252 a Abs. 2 SGB VI gebe § 260 Satz 3 SGB VI vor, dass Arbeitsausfalltage bei der Bestimmung der Beitragsbemessungsgrenze als Beitragszeit zu berücksichtigten seien, wenn vor dem 01.01.1984 liegende Arbeitsausfalltage nicht als Anrechnungszeit zu berücksichtigen sind. Obgleich für die streitbefangenen Kalenderjahre eine Eintragung von Arbeitsausfalltagen als Summe im vorderen Teil des Ausweises für Arbeit- und Sozialversicherung der Klägerin nicht erfolgt sei, wäre die Kammer entgegen dem Wortlaut der entscheidungserheblichen Regelung der Ansicht, diese greife den Sprachgebrauch des § 17 der VO zur Sozialpflichtversicherung der Arbeiter und Angestellten (SVO) auf, erfasse daher alle in § 3 SVO aufgezeigten Tatbestände (wie Zeiten der Arbeitsunfähigkeit in Folge von Krankheit, Arbeitsunfall oder Berufskrankheit, der Durchführung einer prophylaktischen bzw. Heil- oder Genesungskur der Sozialversicherung, der Freistellung von der Arbeit wegen Pflege erkrankter Kinder sowie des Schwangerschafts- oder Wochenurlaubes) und sei mithin auch auf die zeitlich zu- zuordnenden Anrechnungszeittatbestände vor dem 01.01.1984 anzuwenden, die keinen Kalendermonat andauerten und keine Anrechnungszeiten seien. Was die so genannte Systementscheidung betreffe, sei die Klage zwar zulässig, da das Widerspruchsbegehren der Klägerin noch dahingehend auszulegen sei, jedoch nicht begründet. § 260 Satz 2 SGB VI schreibe auch für die im Beitrittsgebiet zurückgelegten Beitragszeiten die Anwendung, der im Bundesgebiet für alle in der gesetzlichen Rentenversicherung Versicherten geltenden Beitragsbemessungsgrenzen vor. Die Anwendung der Beitragsbemessungsgrenze verstoße auch nicht gegen die Vorgaben des Grundgesetzes (GG). Insbesondere liege kein Verstoß gegen den in Art. 3 Abs. 1 GG enthaltenen Gleichheitssatz vor. Die Anwendung der Beitragsbemessungsgrenze diene gerade der Gleichbehandlung aller in der gesetzlichen Rentenversicherung Versicherten. Die Klägerin teile deren Rechtsstellung, wobei sich die Höhe der Rente vor allem nach dem Umfang des während des Versicherungslebens durch Beiträge versicherten Arbeitsentgeltes richte. Obergrenze für die Erhebung von Beiträgen sei aber stets die im jeweiligen Jahreszeitraum maßgebliche Beitragsbemessungsgrenze. Auch eine willkürliche Gleichbehandlung sei in Anbetracht des dem Gesetzgeber zustehenden weiten Gestaltungsspielraumes bei der Normierung der Voraussetzungen für die Gewährung von Spezialleistungen unter Berücksichtigung der besonderen historischen Umstände nicht zu erkennen. Eine Verletzung von Art. 14 GG auf Grund der Limitierung der anrechenbaren Arbeitsverdienste auf die allgemeine Beitragsbemessungsgrenze liege gleichfalls nicht vor. Dem Gesetzgeber stehe bei der Bewältigung der mit der Herstellung der Deutschen Einheit verbundenen außergewöhnlichen Probleme ein weiter Gestaltungsraum bei den damit erforderlich werdenden gesetzlichen Regelungen zu. Im Übrigen werde durch die Zahlbetragsgarantie des § 307 b Abs. 3 Satz 2 SGB VI einem etwaigen schützenswerten Vertrauen auf den Erhalt einer der Höhe nach dem Betrag der nach den renten- und versorgungsrechtlichen Regelungen der ehemaligen DDR gewährten Rente nebst Versorgung entsprechenden Rentenleistung nach bundesdeutschem Recht ausreichend Rechnung getragen.

Gegen das beiden Beteiligten am 21.12.1998 zugestellte Urteil legten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 08.01.1999 Berufung ein. Zwar habe die Beklagte in nicht zu beanstandender Art und Weise die Regelung des SGB VI in Anwendung gebracht, doch sei die Systementscheidung, nach der erworbene Ansprüche lediglich nach den Maßgaben des SGB in die gesetzliche Rentenversicherung überführt worden, mit dem GG Art. 3 und 14 nicht vereinbar. Die Klägerin strebe eine verfassungsrechtliche Entscheidung an.

Am 19.01.1999 legte die Beklagte ebenfalls Berufung gegen das Urteil ein. Die Beklagte wandte sich dagegen, nachgewiesene Zeiten der Arbeitsunfähigkeit, die nicht als Arbeitsausfalltage gekennzeichnet waren, bei der Prüfung der Beitragsbemessungsgrenze als Beitragszeit zu berücksichtigen. Die für Teilzeiträume nach bundesdeutschem Recht zu ermittelnde anteilige Beitragsbemessungsgrenze als Grenzwert für die Beitragserhebung sei auch dem in der DDR geltenden Recht bekannt gewesen. Auf die Regelung des § 18 Abs. 2 der VO über die Sozialpflichtversicherung (VSV) i. V. m. der 1. Durchführungsverordnung zu § 23 Abs. 2 VSV (ab 01.01.1978 §§ 16 Abs. 2, 17 SVO i. V. m. § 5 der 1. DB-SVO) dürfe insoweit verwiesen werden. Während der Zeiten der Arbeitsunfähigkeit habe danach tatsächlich Beitragsfreiheit bestanden. Dennoch sei nach den vorstehenden Bestimmungen in jedem Fall anteilig zu ermitteln gewesen, in welcher Höhe Beitragspflicht bestand, wenn eine beitragspflichtige Entgeltzahlung und eine beitragsfreie Arbeitsunfähigkeit in einem Monat zusammentrafen. Nur aus der Schwierigkeit heraus, die genauen Zeiträume benennen zu können, in denen der eine oder andere Tatbestand des § 3 SVO vorlag, habe sich die Notwendigkeit der Einführung der Sonderregel für Anrechnungszeiten des § 252 a SGB VI ergeben. Hätten dagegen - wie im Fall der Klägerin - eindeutig Zeiten der Arbeitsunfähigkeit vorgelegen und seien diese nicht als Arbeitsausfalltage bescheinigt worden, sei deshalb die Anerkennung einer Anrechnungszeit nur nach § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI zu prüfen.

Zusammenfassend bleibe festzustellen, dass eine Ausweitung des Anwendungsbereiches des § 260 Satz 3 SGB VI auf alle vor dem 01.01.1984 liegenden Tatbestände im Sinne von § 3 SVO, die nicht als Anrechnungszeit berücksichtigt werden können, ohne dass diese tatsächlich als Arbeitsausfalltage bescheinigt worden sein müssen, eindeutig der sich im Wortlaut des § 260 Satz 3 SGB VI widerspiegelnden gesetzgeberischen Absicht widerspreche. Für die Jahre 1966 bis 1968, 1972 bis 1974 und 1977 könnten wegen der für die einzelnen Beschäftigungszeiträume jeweils maßgeblichen anteiligen Beitragsbemessungsgrenze somit keine höheren Verdienste berücksichtigt werden.

Mit Schriftsatz vom 01.03.2001 erklärte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin, dass das Verfahren im Hinblick auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes vom 28.04.1999 als in der Hauptsache erledigt betrachtet werden könne, wenn die Beklagte anerkenne, dass der Rentenbescheid der Klägerin gemäß des Entwurfs des 2. AAÜG-Änderungsgesetzes nicht bestandskräftig geworden sei. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 20.03.2001 gab die Vertreterin der Beklagten eine entsprechende Erklärung ab, so dass hiernach nur noch das Berufungsbegehren der Beklagten im Streit stand.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 14.07.1998 insoweit abzuändern, als die Beklagte verurteilt worden ist, für die Kalenderjahre 1966 bis 1968, 1972 bis 1974 und 1977 die vom Versorgungsträger festgestellten Arbeitsunfähigkeitszeiten bei der Rentenberechnung ab 01.01.1997 nach Maßgabe des § 260 Satz 3 SGB VI als Beitragszeiten zu berücksichtigen und insoweit die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 14.07.1998 zurückzuweisen.

Der Senat hat zur weiteren Sachverhaltsaufklärung die Sozialversicherungsausweise der Klägerin beigezogen sowie den Änderungsbescheid des Zusatzversorgungsträgers vom 23.04.1997 zum Feststellungsbescheid vom 30.10.1995. Außerdem nahm der Zusatzversorgungsträger unter dem 13.01.2000 Stellung zur Ermittlung von Arbeitsausfallzeiten bei der Klägerin. Für die streitigen Jahre habe der SV-Ausweis der Klägerin keine Arbeitsausfalltage ausgewiesen, so dass Krankheitszeiten aus dem Teil II des SV-Ausweises (Heilbehandlungen) entnommen werden mussten. Über die Bewertung dieser Zeiten und damit über die Entscheidung, in wie weit diese zu Anrechnungszeiten führen, habe der Zusatzversorgungsträger keine Entscheidungen zu treffen. Des Weiteren führte der Zusatzversorgungsträger am 09.03.2001 aus, dass der Klägerin für die Zeit vom 01.03.1951 bis 31.12.1952 und 16.02.1954 bis 31.08.1981 eine durchgehende Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem bescheinigt wurde.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin hat sich durch die Erklärungen der Beteiligten vom 01.03.2001 und 20.03.2001 in der Hauptsache erledigt, so dass es hierüber keiner Entscheidung bedurfte.

Die Berufung der Beklagten ist statthaft (§§ 143, 144 Abs. 1 SGG) und auch im Übrigen zulässig, jedoch nicht begründet.

Zu Recht hat das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 09.06.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.12.1997 insofern aufgehoben und die Beklagte verurteilt der Rentenberechnung für die streitigen Jahre eine ungekürzte Beitragsbemessungsgrenze zu Grunde zu legen. Es ist nicht ersichtlich, auf Grund welcher Rechtsvorschrift die Beklagte die Kürzung der Beitragsbemessungsgrenze vornehmen will.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG, Urteil vom 18.07.1996 Az. 4 RA 7/95, Urteil vom 05.12.1996, Az. 4 RA 84/95, Urteil vom 04.08.1998, Az. B 4 RA 74/96 R) ist für die Prüfung der Begrenzung der Arbeitsentgelte nach § 6 Abs. 1 S. 1 AAÜG der Rentenversicherungsträger bei der Rentengewährung zuständig. Die Beklagte als Rentenversicherungsträger kann sich insoweit nicht darauf berufen, an die Feststellungen des Versorgungsträgers gebunden zu sein. Eine derartige Feststellung liegt nicht im Kompetenzbereich des Versorgungsträgers. Gemäß § 8 Abs. 1 AAÜG hat der Versorgungsträger in einem dem Rentenfeststellungsverfahren vorgelagerten, dem Vormerkungsverfahren nach § 149 Abs. 5 SGB VI ähnlichen Verfahren einzelne Daten verbindlich festzustellen, die für die spätere Feststellung des Wertes der SGB VI-Rente oder Anwartschaften von Bedeutung sein können. Dies sind die Daten über - die Zeiten der so genannten Zugehörigkeit zum Versorgungs system, - die tatsächlichen Voraussetzungen dafür, ob die Anwendung einer niedrigeren als der regelmäßigen Beitragsbemessungs grenze in Betracht kommt (vgl. §§ 6 und 7 AAÜG), - die Summe der Arbeitsausfalltage, soweit diese nicht in einem Sozialversicherungsausweis eingetragen sind (§ 8 Abs. 1 Satz 3 AAÜG) sowie - die Höhe des Arbeitsentgeltes oder Arbeitseinkommens, soweit es in der vom Versorgungssystem erfassten Beschäftigung oder Tätigkeit erzielt worden ist. Zur Feststellung über andere Anspruchselemente ist der Versorgungsträger weder verpflichtet noch befugt. Insofern sind die Angaben über die Kürzungen des Arbeitsentgeltes nach Anlage 3 in dem Bescheid des Zusatzversorungsträgers vom 30.10.1995 bzw. 23.04.1997 für die Beklagte ohne Bindungswirkung.

Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 AAÜG ist nach diesem Gesetz den Pflichtbeitragszeiten für jedes Kalenderjahr als Verdienst das erzielte Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen höchstens bis zu dem jeweiligen Betrag der Anlage 3 zu Grunde zu legen. Diese Vorschrift stellt insoweit keine die Vorschrift des § 260 Satz 3 SGB VI verdrängende Spezialregelung im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 AAÜG dar, (so auch SG Halle, Urteil vom 22.01.1997, Az. S 4 An 262/96). Auch die Beklagte hält § 260 S. 3 SGB VI grundsätzlich im Rahmen des § 6 Abs. 1 AAÜG für anwendbar (soweit es sich um Arbeitsausfalltage nach § 252 a SGB VI handelt).

Gemäß § 260 Satz 2 SGB VI werden für Beitragszeiten im Beitrittsgebiet und im Saarland die im Bundesgebiet geltenden Beitragsbemessungsgrenzen angewendet. Sind die vor dem 01.01.1984 liegenden Arbeitsausfalltage nicht als Anrechnungszeiten zu berücksichtigen, werden diese Arbeitsausfalltage bei der Bestimmung der Beitragsbemessungsgrenze als Beitragszeiten berücksichtigt (§ 260 Satz 3 SGB VI). Zwar wurden bei der Klägerin in den streitigen Jahren die Arbeitsunfähigkeitszeiten nicht als Summe der Arbeitsausfalltage im vorderen Teil des Ausweises eingetragen, sondern als Zeiten der Heilbehandlung im Teil II des Sozialversicherungsausweises, doch ergibt sich hieraus kein Grund Unterschiede bei der Bestimmung der Beitragsbemessungsgrenze zu machen. Eine Verpflichtung zur Eintragung von Arbeitsausfalltagen als Summe im vorderen Teil des Ausweises bestand erst ab dem 01.01.1975 (§ 14 der SVO 74 i. V. m. § 17 der 1. DB-SVO 74, vgl. Kerstin Hinda, Die rentenrechtlichen Auswirkungen von Arbeitsausfalltagen, NZS 1998 S. 559 ff.). Dennoch weist der SV-Ausweis der Klägerin für das Jahr 1977 zwar Arbeitsunfähigkeitszeiten unter der Rubrik "Heilbehandlung" aus, nicht jedoch eine Summe von Arbeitsausfalltagen. In den Jahren vor 1975 wurden die Arbeitsunfähigkeitszeiten wie auch bei der Klägerin vielfach im hinteren Teil des Ausweises mit "Von-Bis-Daten" eingetragen. Natürlich kann in diesen Fällen, in denen die Arbeitsausfalltage nicht als Summe eingetragen wurden, keine pauschale Ermittlung von Anrechnungszeiten nach § 252 a Abs. 2 SGB VI erfolgen. Jedoch ist nicht ersichtlich, warum § 260 Satz 3 SGB VI nicht zur Anwendung kommen soll, auch wenn diese Vorschrift im Zusammenhang mit der Neufassung des § 252 a Abs. 2 SGB VI eingeführt wurde. Zwar spricht § 260 Satz 3 SGB VI von "Arbeitsausfalltagen", doch war dieser Begriff nicht allein der summenmäßig einzutragenden Fehlzeiten im vorderen Teil des SV-Ausweises vorbehalten. Nach § 3 der VO zur Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten (SVO 77) bzw. § 8 SVO 1974 trat keine Unterbrechung der Sozialpflichtversicherung ein, wenn die Arbeitsleistung aus den aufgeführten Gründen nicht erbracht wurde. Dazu zählte unter anderem eine Unterbrechung wegen Arbeitsunfähigkeit. Diese Tage wurden als Arbeitsausfalltage bezeichnet. Soweit diese Arbeitsausfalltage nicht nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 58, 252 und 252 a Abs. 1 SGB VI als Anrechnungszeit zu berücksichtigen waren, sind die betreffenden Monate als Beitragsmonate zu berücksichtigen. Daher ist in dieser Zeit auch die ungekürzte Beitragsbemessungsgrenze gegenüberzustellen. Da weder der Wortlaut noch der Sinn und Zweck der einschlägigen Vorschrift einer Anwendung entgegenstehen, ist die Beitragsbemessungsgrenze ohne anteilige Kürzung zu berücksichtigen (ebenso Berliner Kommentar, § 260 Rdnr. 3: "Die Vorschrift spricht von Arbeitsausfalltagen und greift damit den Sprachgebrauch des § 3 SVO auf. Damit ist § 260 Satz 2 auch auf die zeitlich zuzuordnenden Anrechnungszeittatbestände vor dem 01.01.1984 anzuwenden, die keinen Kalendermonat umfassen und deshalb keine Anrechnungszeiten sind.").

Eine andere Auslegung würde zu einem willkürlichen Ergebnis führen, in Abhängigkeit von der jeweiligen Handhabung der Eintragung der Arbeitsausfalltage durch die Arbeitgeber.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision war gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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