L 5 RJ 150/99

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 9 RJ 303/97
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 5 RJ 150/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 17. Mai 1999 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Der am ... geborene Kläger absolvierte in der Zeit vom 01. September 1957 bis 31. August 1959 eine Lehre als Dreher. Danach war er - mit einer Unterbrechung wegen Ableistung des Wehrdienstes - bis zum 12. September 1968 in diesem Beruf tätig. Anschließend arbeitete er vom 23. September 1968 bis 30. Juni 1993 als Schlosser. Für diese Tätigkeit verfügt er nach eigenen Angaben über keinen qualifizierten Abschluss. Zuletzt wurde er nach Lohngruppe 8 des Tarifvertrages der Sächsischen Metall- und Elektroindustrie entlohnt. Seitdem geht er keiner Beschäftigung mehr nach.

Am 18. Januar 1996 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Bereits in der Zeit vom 05. Dezember 1995 bis 02. Januar 1996 hatte er medizinische Leistungen zur Rehabilitation in der Klinik ... in Anspruch genommen. Herr Dr. V ..., Leitender Arzt, hatte im Entlassungsbericht vom 23. Januar 1996 eine arterielle Verschlusskrankheit vom Beckenverschlusstyp rechts FONTAINE IIb mit Zustand nach Anlage eines aorto-femoralen Linearbypasses im Oktober 1995 sowie Hyperurikämie diagnostiziert. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Schlosser, welche mit schwerem Heben und Tragen verbunden gewesen sei, könne nicht mehr verrichtet werden. Mittelschwere körperliche Tätigkeiten ohne häufiges Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten könne der Kläger nach deutlicher Stabilisierung und Besserung des Allgemeinbefindens und der körperlichen Belastbarkeit noch vollschichtig verrichten. Mit einer Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit sei in vier bis sechs Wochen zu rechnen.

Dieser Einschätzung schloss sich Frau Dr. S ..., Fachärztin für Innere Medizin und Beratungsärztin, in der Stellungnahme des Ärztlichen Prüfdienstes vom 02. Februar 1996 an.

Mit Bescheid vom 02. Mai 1996 wies die Beklagte den Antrag des Klägers auf Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit mit der Begründung zurück, die Voraussetzungen hierfür lägen bei ihm nicht vor. Unter Berücksichtigung der Harnsäurestoffwechselstörung und des Umstandes, dass ein normaler postoperativer Verlauf sowie eine gute Stabilisierung in der Rehabilitationsmaßnahme mit deutlicher Verbesserung der Wegefähigkeit nach der Operation im Oktober 1995 habe festgestellt werden können, könne zwar nicht mehr der angelernte Beruf als Schlosser ausgeübt werden. Es könne jedoch unter Berücksichtigung der Kenntnisse und Fähigkeiten eine zumutbare Verweisungstätigkeit als Maschinenbediener vollschichtig verrichtet werden. Damit könne wenigstens die Hälfte dessen verdient werden, was gesunde Versicherte mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten üblicherweise verdienten.

Hiergegen legte der Kläger durch Schreiben vom 20. Juni 1996 Widerspruch ein. Zur Begründung wies er darauf hin, auch nach der erfolgreichen Operation seien Beschwerden vorhanden. Insbesondere bei schnellem Gehen leide er unter Schmerzen. Ferner sei er wegen einer Spondylosis in Behandlung. In dem beigefügten Befundbericht von Herrn Diplom-Mediziner B ..., Facharzt für Radiologie, vom 01. Februar 1995 heißt es unter "Beurteilung":

"Insgesamt alters- und konstitutionsentsprechender Befund.

NB: Ausgeprägte s-förmige Skoliose der Brustwirbelsäule mit Abbildung einer angedeuteten Spondylosis deformans."

In der Stellungnahme des Sozialmedizinischen Dienstes vom 17. September 1996 hielt Frau Diplom-Medizinerin B ..., Sozialärztlicher Dienst, die bisherige Votierung aufrecht, da Narbenschmerzen bei schnellem Laufen das Leistungsvermögen nicht einschränkten und die übrigen Befunde im Reha-Entlassungsbericht berücksichtigt worden seien.

Durch Widerspruchsbescheid vom 17. Februar 1997 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Es könne dahingestellt bleiben, ob er in seiner Beschäftigung als Schlosser zuletzt als angelernter Arbeiter im oberen Bereich oder als Facharbeiter tätig gewesen sei. Selbst als Facharbeiter könne er auf die Tätigkeiten eines Maschinenbedieners oder Lagerverwalters von Kleinteilen zumutbar verwiesen werden. Unter Berücksichtigung seines noch vorhandenen Leistungsvermögens könne er nämlich noch leichte und mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ohne häufiges Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten vollschichtig verrichten.

Die gegen die Bescheide der Beklagten beim Sozialgericht Chemnitz am 07. März 1997 eingegangene Klage hat das Sozialgericht durch Gerichtsbescheid vom 17. Mai 1999 abgewiesen. Seiner Entscheidung hat es neben Befundberichten der Dres. H ... und H ... insbesondere ein für das Arbeitsamt ... am 21. Juni 1996 nach einer Untersuchung des Klägers am 19. Juni 1996 erstelltes ärztliches Gutachten zu Grunde gelegt. Frau Dr. P ... hat in diesem Gutachten eine Gefäßoperation wegen arterieller Durchblutungsstörung des rechten Beines, eine leichte Bewegungseinschränkung im linken Sprunggelenk nach Achillessehnenverletzung 1963 (Arbeitsunfall) sowie Funktionseinschränkungen der Lendenwirbelsäule leichten Grades diagnostiziert. Es bestehe ein altersentsprechender Allgemein- und Kräftezustand. Die geistige Leistungsfähigkeit und die psychische Belastbarkeit seien nicht eingeschränkt. Insgesamt hat sie eingeschätzt, der Kläger könne vollschichtig überwiegend mittelschwere und zeitweise leichte Arbeit in wechselnder Körperhaltung vollschichtig verrichten, sofern Nässe, Kälte, Zugluft, Temperaturschwankungen, Zwangshaltungen und schweres Heben und Tragen vermieden werden könnten. Auch Knien, Hocken, Stehen auf Leitern sowie häufiges Treppensteigen sollten nicht erforderlich sein. Frau Dr. H ..., Fachärztin für Allgemeinmedizin, hat im Befundbericht vom 01. November 1997 eine gute Funktion des Bypasses mitgeteilt. Eine Claudicatiosymptomatik sei nach der Operation nicht mehr aufgetreten. Herr Dr. H ..., Facharzt für Innere Medizin, Angiologie/Phlebologie hat im Befundbericht vom November 1997 ausgeführt, es sei zu einer Verbesserung der Durchblutungssituation des rechten Beines gekommen. Es bestehe keine Einschränkung der Gehstrecke. Zur beruflichen Einstufung des Klägers hat das Sozialgericht Auskünfte der Firma Umformtechnisches Zentrum GmbH ... vom 21. Januar und 17. September 1998 und eine schriftliche Auskunft von Herrn ... vom 13. Januar 1999 eingeholt.

Das Sozialgericht hat argumentiert, der Kläger könne keinen Berufsschutz als Dreher geltend machen, weil er sich von dieser Tätigkeit nicht aus gesundheitlichen Gründen gelöst habe. Maßgeblich sei deshalb seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Schlosser, welche der Gruppe der angelernten Arbeitnehmer im oberen Bereich zuzuordnen sei. Aus der Arbeitgeberauskunft und der Aussage des Zeugen ... ergebe sich, dass es dem Kläger an vollständigen theoretischen Kenntnissen im Schlosserberuf gefehlt habe. Insbesondere habe er für schwierige und umfangreiche Arbeiten Anleitung und Unterstützung gebraucht. Er könne somit zumutbar auf die Tätigkeit eines Mitarbeiters in der Poststelle, Materialverwaltung oder Registratur verwiesen werden. Hierbei handele sich um körperlich leichte, geistig einfache und routinemäßige Bürohilfsarbeiten, welche im Wechsel der Körperhaltungen zwischen Gehen, Stehen und Sitzen ausgeübt werden könnten, so dass Zwangshaltungen vermieden werden könnten. Schweres Heben oder Tragen von Lasten sei nicht erforderlich, da die zu transportierenden Schriftstücke mittels fahrbarer Wagen befördert würden. Die Arbeiten erforderten Genauigkeit und Konzentration. Hierfür bestehe ausweislich des Arbeitsamtsgutachtens, des Kurentlassungsberichtes und der Befundberichte der Dres. H ... und Hertel ein vollschichtiges Leistungsvermögen. Eine sozialmedizinisch relevante Einschränkung des Gehvermögens sei nicht attestiert worden. Zudem sei der Kläger im Besitz einer Fahrerlaubnis und eines eigenen Pkw. Es bestehe weder eine spezifische gesundheitliche Leistungseinschränkung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen. Berufsunfähigkeit liege mithin ebenso wenig vor wie Erwerbsunfähigkeit. Da das Leistungsvermögen des Klägers nicht um mindestens zwei Drittel gegenüber einem geistig und körperlich gesunden Versicherten gemindert sei, komme auch kein Anspruch auf Invalidenrente nach den Vorschriften des Renten-Überleitungsgesetzes in Betracht.

Gegen den am 21. Mai 1999 zugestellten Gerichtsbescheid vom 17. Mai 1999 hat der Kläger durch am 16. Juni 1999 eingegangenes Schreiben vom gleichen Tag Berufung beim Sächsischen Landessozialgericht eingelegt.

Der Kläger trägt vor, nach dem Gesamtbild seiner beruflichen Qualifikation sei er als Facharbeiter einzustufen.

Der Klägervertreter beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 17. Mai 1999 sowie den Bescheid der Beklagten vom 02. Mai 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Februar 1997 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ab Januar 1996 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, allein die Einstufung in Lohngruppe 8 genüge nicht, den Kläger dem Bereich der Facharbeiter zuzuordnen. Er verfüge weder über die theoretischen Kenntnisse noch über die praktischen Fähigkeiten eines voll ausgebildeten Facharbeiters im Schlosserberuf.

Zur Aufklärung des Sachverhalts in medizinischer Hinsicht hat der Senat aktuelle Befundberichte bei den Dres. H ... und Hertel eingeholt. Frau Dr. H ... hat im Befundbericht vom 27. April 2000 mitgeteilt, nach der Bypassoperation bestünden keine Beschwerden, selten träten Rückenschmerzen auf. Veränderungen im Gesundheitszustand des Klägers seien ihr nicht bekannt. Herr Dr. H ... hat im Befundbericht vom 23. Juli 2000 ausgeführt, die Befunde hätten sich zwischenzeitlich gebessert.

Im Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 16. Januar 2001 haben die Zeugen ... und ... zum Beschäftigungsverhältnis des Klägers ausgesagt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Dem Senat haben die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die Verwaltungsakte der Beklagten vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist unbegründet.

Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und seine Entscheidung auf die Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte sowie auf das für das Arbeitsamt ... erstellte Gutachten gestützt.

Insoweit kann von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe gemäß § 153 Absatz 2 SGG abgesehen und in vollem Umfang auf die zutreffenden Ausführungen der angefochtenen Entscheidung des Sozialgerichts Chemnitz verwiesen werden.

Für die Zeit danach ergibt sich aus medizinischer Sicht nichts anderes. Aus den aktuellen Befundberichten folgt keine Verschlechterung des Gesundheitszustands des Klägers, sondern vielmehr sogar eine Verbesserung.

Hinsichtlich der Frage des Facharbeiterschutzes ist den Ausführungen des Sozialgerichts ebenfalls zu folgen. Sowohl der Zeuge ... als auch die frühere Arbeitgeberin des Klägers haben bekundet, dass er nicht dazu in der Lage gewesen ist, die Tätigkeiten eines Schlossers vollwertig zu verrichten. Nur einfache Arbeiten konnte er selbstständig ausführen. Im Übrigen bedurfte er der Anleitung und Unterstützung. Folglich war es ihm nicht möglich, seine Arbeiten auf Facharbeiterniveau zu verrichten. Dies aber wäre Voraussetzung, um ihn wegen seiner langjährigen Beschäftigung als Schlosser dem Facharbeiterbereich zuordnen zu können.

Die konkrete tarifliche Einstufung indes hat nur eine Indizfunktion (siehe KassKomm-Niesel, SGB VI, § 43, Randnummer 58a). Dieses Indiz wurde aber auch durch die Aussagen der Zeugen ... und ... widerlegt. Der Zeuge ... hat bekundet, die Schlossertätigkeit des Klägers sei größtenteils zu seiner Zufriedenheit erfolgt, es habe sich allerdings nicht um hochqualifizierte Schlossertätigkeiten gehandelt. Im Übrigen könne er sich wegen des langen Zeitablaufs nicht mehr an Einzelheiten erinnern. Der Zeuge ... schließlich hat mitgeteilt, der Kläger habe nur ein Drittel seiner Tätigkeit unter seiner Aufsicht erbracht und sei darüber hinaus nur in einem engen Bereich auf bestimmten Gebieten tätig gewesen. Im Hinblick auf die beiden Zeugenaussagen ist von besonderer Bedeutung, dass sowohl der Zeuge ... als auch der Zeuge ... keine Auskunft über die vom Kläger zuletzt verrichtete Tätigkeit geben konnten. Vielmehr ist der Zeuge ... bereits Mitte 1991 aus dem Betrieb, in dem auch der Kläger beschäftigt war, ausgeschieden; der Zeuge ... war lediglich bis 1990 unmittelbarer Dienstvorgesetzter des Klägers. Das Arbeitsverhältnis des Klägers indes bestand bis 30. Juni 1993. Unter diesen Umständen ist dem Kläger nicht der Nachweis gelungen, er habe zuletzt auf Facharbeiterniveau gearbeitet. Auch im sozialgerichtlichen Verfahren gilt aber der Grundsatz der objektiven Beweislast, wenn das Gericht trotz aller Bemühungen bei der Amtsermittlung den Sachverhalt nicht aufzuklären vermag. Danach trägt jeder die objektive Beweislast für diejenigen Tatsachen, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen (siehe Meyer-Ladewig, SGG, 6. Auflage, § 118, Randnummer 6).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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