S 9 RJ 931/97

Berufskundekategorie
Stellungnahme
Land
Freistaat Bayern
Aktenzeichen
S 9 RJ 931/97
Auskunftgeber
Landesarbeitsamt Bayern, Nürnberg
Anfrage
Der bei der Rentenantragstellung 49jährige Kläger hat eine Maurerlehre absolviert und war von Sept. 61 - Juni 87 im Glasofenbau tätig. Von 25.09.89 - 28.02.97 hat er eine Beschäftigung als Hilfsschreiner verrichtet.

Nach dem Gutachten von Dr. ^Gram^ vom 26.11.98 stellt sich die Leistungsfähigkeit des Klägers wie folgt dar:
- vollschichtig leichte Arbeiten
- in geschlossenen Räumen
- im Wechselrhythmus
- ohne Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten
- ohne häufiges Bücken, Treppensteigen
- ohne Eigen- und Fremdgefährdung
- ohne Arbeiten auf Leitern und Gerüsten
- ohne an Staub ausgesetzten Arbeitsplätzen
- ohne größere Anforderungen an die Konzentrationsfähigkeiten oder planerisches Denken
- ohne Akkordarbeit und ohne Stressbelastung
- nicht an laufenden Maschinen

Dr. ^Käfferlein^ beschreibt in seinem nervenärztlichen Gutachten vom 14.11.1999 die Leistungsfähigkeit des Klägers wie folgt:
- vollschichtig leichte Tätigkeiten
- im Gehen, im Stehen und im Sitzen
- sowohl in geschlossenen Räumen als auch im Freien
- ohne Tätigkeiten, die mit Treppensteigen einhergehen
- ohne Tätigkeiten mit schwerem Heben und Tragen, häufigem Bücken
- ohne Arbeiten auf Leitern und Gerüsten mit Absturzgefahr
- ohne Tätigkeiten an Maschinen und am Fließband
- ohne Arbeiten am offenen Feuer
- ohne Nacht- oder Wechseldienst
- ohne Tätigkeiten mit intensivem Publikumsverkehr.

Außerdem gibt Dr. ^Käfferlein^ in seinem Gutachten an, dass der Kläger nur einfache Tätigkeiten ohne die Notwendigkeit des vorausschauenden Handelns und Planens verrichten kann. Es sollte sich hier um klar definierte, einfache Arbeitsabläufe handeln. Tätigkeiten mit einem übermäßigen Grad an Verantwortung sind ebenfalls nicht zumutbar.
Auskunft
Berufskundliche Stellungnahme

Ihrer Anfrage zufolge bitten Sie um Stellungnahme zu folgenden Fragen:

1. Kann davon ausgegangen werden, dass es auf dem allgemeinen Arbeitmarkt unter den üblichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses für den Kläger, der an sich noch vollschichtig ungelernte körperlich leichte Arbeiten verrichten kann, eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen gibt? Bei der Beurteilung der Einsatzfähigkeit des Klägers ist die Anzahl, Art und Schwere der beim Kläger bestehenden qualitativen Leistungseinschränkungen zu berücksichtigen. Hierzu wird insbesondere auf das von Dr. ^Gram^ erstellte fachorthopädische Gutachten vom 26.11.98 (Blatt 93/95 der Gerichtsakte) und auf das nervenärztliche Gutachten von Dr. ^Käfferlein^ vom 14.01.1999 (Blatt 109, 151 ff der Gerichtsakte) Bezug genommen.

2. Soweit nach Frage 1. kein ausreichendes Verweisungsfeld vorliegt, kann eine geeignete Tätigkeit der Art nach konkret benannt werden? Ist für diese Tätigkeit der Arbeitsmarkt praktisch verschlossen (sog. Schonarbeitsplatz oder Arbeitsplatz, der nicht an Betriebsfremde zu vergeben werden pflegt)?

In der industriellen Fertigung vorkommende Tätigkeiten wie Montier-, Verpackungs-, Sortier- und Kontrollarbeiten können körperlich leicht sein, in der Regel dann, wenn mit kleinen Teilen umzugehen ist. Die Arbeiten sind aber weitgehend in einseitiger Körperhaltung (entweder im Sitzen oder Stehen) zu verrichten. Ein Wechsel zwischen Sitzen und Stehen ist möglich, wenn die zu bearbeitenden Teile selbst an- und abtransportiert werden müssen, jedoch fällt u.U. auch schwerere Hebe- und Tragebelastung an. Die Tätigkeiten in diesem Bereich erfordern nicht selten Schichtarbeit und werden in der Regel im Akkord oder unter akkordähnlichen Bedingungen bzw. am Fließband verrichtet. Gutes Sehvermögen, Feinhandgeschick und Fingerfertigkeit sind neben Aufmerksamkeit und Konzentrationsvermögen übliche Voraussetzungen.

Anzumerken ist, dass für diese körperlich leichten Tätigkeiten bevorzugt Frauen beschäftigt werden, da ihnen ein größeres Feinhandgeschick unterstellt und dabei eine höhere Arbeitsgeschwindigkeit erwartet wird.

Unabhängig von der Zugänglichkeit dieser Arbeitsplätze für Männer, dürfte der Kläger für diese Tätigkeiten sowohl aufgrund seiner körperlichen als auch seiner geistigen Fähigkeiten nicht geeignet sein.

Ungelernte Tätigkeiten für Männer sind z.B. Lager-, Transport- und Verladearbeiten. Die dabei anfallenden Tätigkeiten sind jedoch mittelschwer bis schwer und ausschließlich im Gehen und Stehen zu verrichten. Häufiges Bücken sowie Heben und Tragen von Lasten sind üblich. Teilweise ist auch im Freien unter Witterungseinflüssen und unter Einwirkung von Zugluft und Temperaturschwankungen zu arbeiten. Zeitdruck oder Schichtarbeit sind keine Seltenheit. Ein dem Leistungsvermögen des Klägers entsprechende Alternative ist auch in diesem Bereich nicht erkennbar.

Wachtätigkeiten werden in nicht unerheblichem Maße im Gehen und Stehen verrichtet. Sitzen ist nicht üblich. Nach dem Gutachten von Dr. ^Gram^ vom 26.11.98 ist der Kläger noch in der Lage Arbeiten im Wechselrhythmus zu verrichten. Zusätzliche Belastungen ergeben sich durch ungünstige Witterungseinflüsse und üblicherweise Schichtarbeit, häufig sogar Nachtschicht.

Die Leistungseinschränkungen des Klägers können auch bei Wachtätigkeiten nicht berücksichtigt werden. Auch dürfte der Kläger aus berufskundlicher Sicht über die für eine Wachtätigkeit erforderlichen intellektuellen Fähigkeiten nicht verfügen.

Auch einfache Reinigungsarbeiten stellen für den Kläger keine seinem Leistungsvermögen entsprechende Alternative dar. Diese Arbeiten beinhalten zumindest gelegentlich auch schwerere als nur leichte Belastungen. Die Arbeiten werden im Gehen und Stehen verrichtet. Häufiges Bücken, Recken, vorgebeugte und z.T. gedrehte Haltung, o.ä. oder auch Arbeit im Freien werden verlangt. In der Regel wird außerdem unter Zeitdruck gearbeitet.

Auch Spüler im Hotel- und Gaststättengewerbe müssen teilweise schwerere als nur leichte Lasten heben. Eine dem Leistungsvermögen des Klägers entsprechende Alternative wird auch hier nicht gesehen.

Boten, Mitarbeiter einer Registratur oder Poststelle müssen erfahrungsgemäß zumindest zeitweise bis mittelschwer belastbar sein. Häufiges Bücken, Recken, Heben und Tragen von schwereren Lasten ist trotz des Einsatz von z.B. Aktenrollwagen nicht unüblich. Die Tätigkeit eines Boten scheidet insbesondere daher aus, da sie überwiegend im Gehen verrichtet wird. Nach dem Gutachten von Dr. ^Gram^ vom 26.11.98 ist der Kläger noch in der Lage Arbeiten im Wechselrhythmus zu verrichten. Auch das Besteigen von kleinen Leitern ist z.B. in einer Registratur erforderlich.

Unabhängig vom physischen Leistungsvermögen des Klägers, ist es aus berufskundlicher Sicht nahezu ausgeschlossen, dass der Kläger aufgrund seiner intellektuellen Fähigkeiten in der Lage ist, die Tätigkeit eines Botens, Mitarbeiters einer Registratur oder Poststelle zu verrichten.

Einfache Bürohilfstätigkeiten wie z.B. Karteiarbeiten, Listenführung, Schreibarbeiten sind zwar körperlich leicht, werden jedoch in der Regel überwiegend im Sitzen verrichtet. Außerdem sind sie durch den zunehmenden Einsatz von EDV und moderner Bürokommunikation rückläufig. Auch verlangt der Wechsel von bisher ausschließlich gewerblicher Arbeit auf Bürotätigkeiten erfahrungsgemäß ein erhöhtes Maß an Umstellungsfähigkeit, wobei auf Arbeitgeberseite üblicherweise keine Bereitschaft besteht, minderbelastbare, gewerbliche, männliche Arbeitnehmer für solche Arbeiten neu einzustellen. Selbst für diese einfachen Bürohilfstätigkeiten dürfte die geistige Leistungsfähigkeit des Klägers nicht mehr ausreichen.

Gedacht werden könnte jedoch noch an eine Pförtnertätigkeit. Die Belastungen bei der Tätigkeitsausübung und die Anforderungen, die an das gesundheitliche Leistungsvermögen, die Vorkenntnisse und die Persönlichkeit gestellt werden, können sehr unterschiedlich sein. Stellen für einfache Pförtner gibt es in nennenswerter Zahl. Obwohl sie häufig als Schonarbeitsplätze gelten und der innerbetrieblichen Besetzung durch leistungsgeminderte Beschäftige vorbehalten sind, haben dennoch auch Außenstehende in nennenswertem Umfang Aussichten, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten. Auch auf diverse Leistungsminderungen kann häufig Rücksicht genommen werden. So ist teilweise leichte Belastbarkeit ausreichend und ein Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen möglich. Schweres Heben und Tragen kann meist ausgeschlossen werden. Schichtarbeit ist üblich, nicht selten sogar rd. um die Uhr und /oder mit auf 12 Stunden verlängerten Schichten. Auch Zeitdruck ist zeitweise möglich. Außerdem sind andere Stressbelastungen (z.B. Gefahrensituationen, ggf. Auseinandersetzungen mit Besuchern oder Mitarbeitern) nicht völlig zu vermeiden. Eine Pförtnertätigkeit ist zwar verschiedentlich durch lange Zeiten der relativen Monotonie geprägt, gerade aber wenn die Routine durchbrochen wird, ist es die Aufgabe des Pförtners, zu reagieren und situationsgerecht schnell zu handeln. Zudem handelt es sich überwiegend um Alleinarbeit, so dass auf die ständige Anwesenheit und Aufmerksamkeit nicht verzichtet werden kann. Ein gewisses Maß an neurovegetativer und psychischer Belastbarkeit, aber auch ausreichendes Hörvermögen sind daher erforderlich.

Da der Pförtner für Kunden, Besucher, Lieferanten, ggf. Anrufer in der Regel der erste Ansprechpartner eines Unternehmens, einer Behörde etc. ist, werden auch bestimmte Mindestanforderungen an Umgangsformen, Auftreten, äußeres Erscheinungsbild u.ä. gestellt. Zwar kann auch eine einfach strukturierte Person geeignet sein, sie muss jedoch Höflichkeit, Hilfsbereitschaft, Aufgeschlossenheit, eine gewisses Maß an Flexibilität, Umsicht und Durchsetzungsvermögen mitbringen und in der Lage sein, sich ausreichende Kenntnisse des Betriebes, der Behörde usw. anzueignen. Anzumerken ist, dass Dr. ^Käfferlein^ in seinem Gutachten vom 14.01.1999 Tätigkeiten mit intensivem Publikumsverkehr nicht mehr für zumutbar erachtet hat. Auch wenn das körperliche Leistungsvermögen des Klägers für eine Tätigkeit als Pförtner weitgehend genügen könnte, ist davon auszugehen, dass diese Tätigkeit aus berufskundlicher Sicht sowohl seine psychische als auch seine geistige Leistungsfähigkeit überschreiten würde.

Telefonist

Aus dem Kreis der hervorgehobenen ungelernten, in verschiedenen Tarifverträgen mindestens wie Anlerntätigkeiten bewerteten Tätigkeiten wird oft noch die Telefonistentätigkeit als berufliche Alternative genannt. Sie ist - wenn nicht andere Arbeiten mit verrichtet werden müssen oder zur Auskunftserteilung umfangreiches oder vertieftes Wissen erforderlich ist - erfahrungsgemäß in maximal drei Monaten erlernbar. Die Tätigkeit eines Telefonisten ist körperlich leicht, wird jedoch ausschließlich im Sitzen ausgeübt. In der Regel erfolgt die Vermittlung der Gespräche per Tastatur und Bildschirm. Bildschirmarbeit wird u.U. in ausgeprägt statischer Haltung verrichtet. Zumindest eine Hand muss so geschickt und belastbar sein, dass die Verbindung schnell und korrekt hergestellt, ggf. Nachrichten notiert und z.T. Gebührenaufzeichnungen geführt bzw. Abrechnungen vorgenommen werden können. Neben Voraussetzungen wie Höflichkeit, Flexibilität, Merkfähigkeit, Sprachgewandtheit mit möglichst angenehmer Stimme etc. wird außerdem ein gewisses Maß an psychischer Belastbarkeit (u.a. für Arbeit unter Zeitdruck) erwartet. Auch die Tätigkeit eines Telefonisten entspricht aus berufskundlicher Sicht nicht mehr dem physischen, psychischen und geistigen Leistungsvermögen des Klägers.

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es bei Betrachtung des Arbeitsmarktes des gesamten Bundesgebietes nicht doch eine nennenswerte Zahl von Arbeitsplätzen gibt, die grundsätzlich für den Kläger in Betracht kämen. Auf Arbeitgeberseite sind dabei jedoch erfahrungsgemäß besondere Zugeständnisse (z.B. der Restleistungsfähigkeit angepasster Zuschnitt der Aufgaben, Verzicht auf Flexibilität oder Vielseitigkeit, Änderungen am Arbeitsplatz, Herabsetzung des Arbeitstempos bzw. des erwarteten Produktivitätsgrades) erforderlich. Entsprechende Arbeitsplätze sind Außenstehenden daher unter den üblichen Bedingungen des Arbeitslebens in der Regel nicht bzw. nicht direkt zugänglich, vielmehr handelt es sich nicht selten um vergönnungsweise Beschäftigung aufgrund sozialer Verpflichtungen oder die Arbeitsplätze wurden im Einzelfall durch besondere Vermittlungsbemühungen und Vermittlungshilfen, z.B. nicht selten erhebliche finanzielle Leistungen erschlossen.

Insgesamt kann aus berufskundlicher Sicht keine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt konkret benannt werden, die der Kläger aufgrund seiner körperlichen, seelischen und geistigen Einschränkungen noch uneingeschränkt verrichten könnte.
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