S 3 RJ 142/98

Berufskundekategorie
Stellungnahme
Land
Freistaat Bayern
Aktenzeichen
S 3 RJ 142/98
Auskunftgeber
Landesarbeitsamt Bayern, Nürnberg
Anfrage
Der bei der Antragstellung auf Weitergewährung der Berufsunfähigkeitsrente 34jährige Kläger hat von 1979 - 1982 den Beruf des Steinmetzes/Steinbildhauers erlernt. Nach Ableistung des Grundwehrdienstes war er vom 02.04.84 - 23.04.88 im erlernten Beruf tätig. Im Anschluss daran hat der Kläger kurzfristig eine Beschäftigung als Pflasterer ausgeübt. Vom 01.07.88 - 2.12.88 hat er wiederum eine Tätigkeit als Steinmetz/Steinbildhauer verrichtet. Danach war er vom 01.03.89 - 27.09.92 in einer Schreinerei/Montage tätig. Vom 13.04.93 - 30.11.93 hat der Kläger erneut in seinem erlernten Beruf als Steinmetz/Steinbildhauer gearbeitet. Ab 01.12.93 bestand Arbeitslosigkeit. Nach einem privaten Verkehrsunfall ist der Kläger seit Nov. 94 arbeitsunfähig. Die Beklagte gewährte ihm vom 16.02.96 - 31.05.98 Rente wegen Berufsunfähigkeit.

Die Chirugin ^Pampel^ hat in ihrem Gutachten vom 20.04.98 die Leistungsfähigkeit des Klägers wie folgt beschrieben:
- vollschichtig leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten
- in wechselnder Körperhaltung
- ohne Überkopfarbeiten
- ohne besonderen Zeitdruck

Nach dem fachorthopädischen Gutachten von Dr. ^Engleder^ vom 22.09.2000 stellt sich das Leistungsvermögen des Klägers wie folgt dar:
- vollschichtig leichte bis mittelschwere Arbeiten
- im Gehen, Stehen und/oder Sitzen
- ohne überwiegend einseitige Körperhaltung
- ohne häufiges Heben, Tragen oder Bewegen von schweren Lasten (ohne mechanische Hilfsmittel)
- ohne Überkopfarbeiten
- ohne häufiges Knien oder Hocken
Auskunft
Berufskundliche Stellungnahme

Unstreitig ist, dass der Kläger seinen erlernten und überwiegend ausgeübten Beruf als Steinmetz/Steinbildhauer nicht mehr verrichten kann. Die Beklagte verweist den Kläger im Bescheid vom 14.05.1998 auf die Tätigkeiten eines Lagerverwalters in größeren steinbearbeitenden Betrieben oder eines Werkzeugausgebers. Im Widerspruchsbescheid vom 30.09.1998 nennt sie als zumutbare Verweisungstätigkeiten das Prüfen und Messen von elektrischen Bauteilen (Manteltarifvertrag für die Metallindustrie Südwürttemberg-Hohenzollern Lohngruppe VII) oder das Prüfen von Dreh-, Stanz-, Gummiform-, Spritzguß- und Kunststoffgußteilen und Bremsbelägen (Lohngruppe VI a.a.O.).

Lagerverwalter in größeren steinbearbeitenden Betrieben

Der Lagerverwalter hat in der Regel sicherzustellen, dass die Warenannahme und Eingangskontrolle ordnungsgemäß erfolgt, die verschiedenen Waren fachgerecht unter Berücksichtigung der jeweiligen Eigenschaften gelagert, gepflegt und weiterbehandelt werden, eine betriebswirtschaftlich und produktionsbezogen optimale Lagerbestandsmenge vorgehalten wird, Lagervorschriften und Sicherheitsbestimmungen beachtet und alle Lagereinrichtungen ordnungsgemäß gehandhabt, gepflegt und instandgehalten werden. Je nach Lagergröße hat er die dabei anfallenden Arbeiten in erster Linie zu planen, zu organisieren, zu steuern und zu überwachen oder auch selbst praktisch mitzuarbeiten oder sie in ihrer Gesamtheit allein zu verrichten. Wenn der Schwerpunkt auf verwaltenden und leitenden Aufgaben liegt, handelt es sich üblicherweise um eine Aufstiegsposition. Die dafür erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten, insbesondere auch im kaufmännisch-betriebswirtschaftlichen und bürotechnischen Bereich können vom Kläger, der überwiegend als Steinmetz/Steinbildhauer tätig war, nicht im Rahmen einer maximal dreimonatigen Einarbeitung vermittelt werden.

Die bis zur Facharbeiterebene in der Regel erforderlichen, eigentlichen Lagerarbeiten beinhalten dagegen erfahrungsgemäß mindestens mittelschwere, u.U. auch schwere Belastungen, insbesondere entsprechende Hebe- und Tragebelastungen, Bücken und andere Zwangshaltungen, Klettern auf Lkw-Ladeflächen, u.U. auch Besteigen von Leitern, Hochhantierungen, teilweise im Freien bzw. unter Witterungseinflüssen. Aus berufskundlicher Sicht ist im Lagerbereich keine für den Kläger uneingeschränkt zumutbare bzw. innerhalb von drei Monaten erlernbare Verweisungstätigkeit erkennbar.

Werkzeugausgeber

Je nach Betriebsgröße, Sortimentsumfang und Aufgabenstellung ist die Tätigkeit des Werkzeugausgebers der Ebene der Anlern- und Facharbeiterberufe zuzuordnen. Die Arbeiten sind leicht bis mittelschwer, teilweise u.U. sogar schwer, vor allem hinsichtlich der auftretenden Hebe- und Tragebelastungen. Ein Wechsel von Sitzen und Stehen ist möglich, wobei Stehen und Gehen in der Regel meist deutlich überwiegt. Dazu ist Bücken durchaus oft erforderlich und außerdem Recken einschl. Hantieren über Kopfhöhe sowie nicht selten sogar Besteigen von Leitern nicht auszuschließen. Gehört Werkzeugpflege und Instandsetzung mit zu den Aufgaben, können auch zeitweise Zwangshaltungen auftreten. Anzumerken ist, dass entsprechende Stellen allerdings nicht selten innerbetrieblich mit leistungsgeminderten Beschäftigten besetzt werden, da die Belastungen im Vergleich zum Ausgangsberuf doch geringer sind. Es handelt sich jedoch nicht ausschließlich um typische Schonarbeitsplätze. Insgesamt genügt dennoch das Leistungsvermögen des Klägers nicht mehr den üblichen Anforderungen.

Prüfen und Messen von elektrischen Bauteilen oder Prüfen von Dreh-, Stanz-, Gummiform-, Spritzguß- und Kunststoffgußteilen und Bremsbelägen

Die Beklagte verweist den Kläger im Widerspruchsbescheid vom 30.09.98 auf die o.g. Prüftätigkeiten.

Aufgrund des Einsatzes automatischer Prüfeinrichtungen, verbesserter Produktionsverfahren und anderer Arbeitsorganisationsformen nimmt die Zahl reiner Kontrollarbeitsplätze jedoch ab.

Bei dem Umfang, den die Metallindustrie im weitesten Sinn unter den Wirtschaftszweigen des Bundesgebietes hat, kann dennoch davon ausgegangen werden, dass Arbeitsplätze für Qualitätskontrolleure auf der Qualifikationsstufe der Anlerntätigkeiten und der Facharbeiterberufe noch in nennenswertem Umfang existieren.

Prüftätigkeiten beinhalten sehr häufig geringere körperliche Belastungen als Fertigungstätigkeiten und eignen sich daher besonders zur Umsetzung leistungsgeminderter Mitarbeiter, die aus sozialen Erwägungen oder aufgrund tarifvertraglicher Regelungen (z.B. Unkündbarkeit) weiterbeschäftigt werden sollen. Arbeitgeber berichten jedoch immer wieder, dass es zunehmend schwieriger wird, leidensgerechte Ansatzmöglichkeiten für eine wachsende Zahl von gesundheitlich beeinträchtigten Beschäftigten zu finden; z.T. werden sogar Wartelisten geführt.

Daneben wird ein Ansatz als Kontrolleur oft als beruflicher Aufstieg betrachtet. Aus personalpolitischen Erwägungen (z.B. dadurch Motivierung der Mitarbeiter und günstige Auswirkungen auf das Betriebsklima) wird diese Chance bevorzugt und soweit als möglich den eigenen Mitarbeitern eröffnet. Neben der fachlichen Qualifikation allgemein ist jedoch auch betriebsspezifisches Wissen über Produkt, Fertigungsverfahren, Betriebsorganisation und Arbeitsabläufe für die Aufgabenerfüllung Voraussetzung oder zumindest von erheblichem Vorteil, da sich z.B. Einarbeitungszeiten dadurch verkürzen oder gar erübrigen.

Aus den genannten Gründen werden Kontrollarbeitsplätze bevorzugt und weitestgehend innerbetrieblich besetzt. Außenstehende Bewerber haben üblicherweise nur Zugang zu entsprechenden Stellen, z.B. wenn sie (bei in der Regel voller Leistungsfähigkeit) über einschlägige besondere Qualifikationen oder Erfahrungen als Kontrolleur verfügen. Durch die veränderten Qualitätsanforderungen in Industrie und Handwerk und die Einführung von Qualitätsmanagement- und Qualitätsnormen nach DIN - ISO 9000 ff wird inzwischen der Qualitätsfachmann/frau ausgebildet und auf dem Arbeitsmarkt nachgefragt.

Für nicht so qualifizierte bzw. fachfremde und zusätzlich leistungsgeminderte Bewerber können geeignete Arbeitsplätze nur vereinzelt durch besondere Vermittlungsbemühungen und Vermittlungshilfen (z.B. nicht selten erhebliche finanzielle Leistungen) erschlossen werden.

Für Kontrolltätigkeiten werden in der Regel gutes Nahsehvermögen, beidhändiges Handgeschick und Fingerfertigkeit, möglichst nicht eingeschränkte Funktionstüchtigkeit eines, besser beider Arme verlangt. Außerdem stellen Kontrolltätigkeiten hohe Anforderungen an die Aufmerksamkeit, Sorgfalt und Genauigkeit, das Konzentrationsvermögen und Verantwortungsbewusstsein usw. Akkord- oder Fließbandarbeit sind bei Kontrolltätigkeiten nicht üblich, obwohl Zeitdruck nicht immer ganz auszuschließen ist. Schichtarbeit ist in der Metallindustrie keine Seltenheit.

Obwohl Arbeitsplätze in nennenswertem, wenn auch geringer werdenden Umfang auf dem Arbeitsmarkt vorhanden sind, ist - wie bereits ausgeführt - außenstehenden Bewerbern wie dem Kläger der direkte Zugang erfahrungsgemäß nicht möglich.

Fachverkäufer

In die Überlegungen miteinbezogen wurde noch die Tätigkeit eines Fachverkäufers bzw. Fachberaters insbesondere für Naturerzeugnisse, Steinmetz- und Steinbildhauerbedarf, da der Kläger aufgrund seines beruflichen Werdeganges über Warenkenntnisse der verwendeten Materialien und Betriebsmittel, der Werkzeuge, Maschinen und Geräte sowie der Fertigungsanlagen im Steinmetz- und Steinbildhauergewerbe verfügen dürfte.

Arbeitgeberbefragungen und vermittlerischen Erfahrungen zufolge wird jedoch üblicherweise den kaufmännischen Kenntnissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten größere Bedeutung als dem produktbezogenen und anwendungsspezifischen Wissen zugemessen und kaufmännisch ausgebildetes Personal beschäftigt. Der Kläger müsste sich kaufmännische und betriebswirtschaftliche Kenntnisse aneignen. Ebenso ist das Erlernen von EDV-Kenntnissen erforderlich. Außerdem sind bei einer Tätigkeit als Fachverkäufer bzw. Fachberater verkaufstechnische Kenntnisse, Kenntnisse über Akquisition und Umgang mit schwierigen Kunden erforderlich.

Da es vielfach zutrifft, dass der Verkauf im Verkaufsraum oder sogar am Schreibtisch anhand von Listen, Katalogen oder über ein Computer-Terminal abgewickelt und eine strikte Trennung zum Lager eingehalten wird , ist z.B. lediglich leichte Belastbarkeit ausreichend. Längerfristiges Sitzen kann erforderlich sein, so dass ein Wechsel der Körperhaltung entsprechend dem gesundheitlichen Erfordernis nicht immer möglich ist. Für Arbeit am Computer-Terminal ist normales oder gut korrigiertes Sehvermögen erforderlich (Bildschirmtauglichkeit).

Der Umgang mit Kunden setzt Höflichkeit, Kontaktfähigkeit, Flexibilität usw. und auch ein gewisses Maß an psychischer Belastbarkeit voraus.

Ein Steinmetz/Steinbildhauer dürfte für eine Tätigkeit als Fachverkäufer bzw. Fachberater mehr als drei Monate Einarbeitungszeit benötigen. Daher ist aus berufskundlicher Sicht auch in diesem Bereich keine geeignete berufliche Alternative für den Kläger erkennbar.

Telefonist

Geprüft wurde noch die Telefonistentätigkeit, die zwar von einem Ungelernten - wenn nicht andere Arbeiten mit erledigt werden müssen oder zur Auskunftserteilung umfangreiches Wissen erforderlich ist - in der Regel innerhalb von drei Monaten erlernbar ist, jedoch aufgrund ihrer Einstufung in verschiedenen Tarifverträgen mindestens der qualifiziert Angelerntenebene zuzuordnen ist. Die Tätigkeit eines Telefonisten ist körperlich leicht, wird aber ausschließlich im Sitzen, keinesfalls in wechselnder Körperhaltung ausgeübt. In der Regel erfolgt die Vermittlung der Gespräche per Tastatur und Bildschirm. Bildschirmarbeit wird u.U. in ausgeprägt statischer Haltung verrichtet. Zumindest eine Hand muss so geschickt und belastbar sein, dass die Verbindung schnell und korrekt hergestellt, ggf. Nachrichten notiert und z.T. Gebührenaufzeichnungen geführt bzw. Abrechnungen vorgenommen werden können. Neben Voraussetzungen wie Höflichkeit, Flexibilität, Merkfähigkeit, Sprachgewandtheit mit möglichst angenehmer Stimme etc. wird außerdem ein gewisses Maß an psychischer Belastbarkeit (u.a. für Arbeit unter Zeitdruck) erwartet.

Ob der Kläger die persönlichen Mindestanforderungen mitbringt, kann nicht beurteilt werden. Die Chirurgin ^Pampel^ gibt in ihrem Gutachten vom 20.04.98 an, dass der Kläger u.a. noch in der Lage ist, Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung, ohne besonderen Zeitdruck zu verrichten. Auch Dr. ^Engleder^ schließt in seinem fachorthopädischen Gutachten vom 22.09.2000 Tätigkeiten in überwiegend einseitiger Körperhaltung aus.

Wie bereits ausgeführt, wird die Tätigkeit eines Telefonisten ausschließlich im Sitzen verrichtet. Außerdem kann Zeitdruck nicht vermieden werden.

Andere Verweisungsmöglichkeiten aus der Gruppe der Facharbeitertätigkeiten, der angelernten, berufsverwandten Tätigkeiten oder aus der Gruppe der ungelernten Tätigkeiten, die sich durch besondere Qualifikationsmerkmale aus dem Kreis der übrigen ungelernten Tätigkeiten hervorheben und die eine Einarbeitungszeit von drei Monaten voraussetzen, die in nennenswertem Umfang existieren und auch Außenstehenden zugänglich sind, die dem Kläger gesundheitlich uneingeschränkt zumutbar sind und von ihm nach einer Einarbeitungszeit von maximal drei Monaten ausgeübt werden können, sind aus berufskundlicher Sicht nicht erkennbar.

Anzumerken ist noch, dass verbindliche Tarifauskünfte nicht zum Aufgabengebiet der Bundesanstalt für Arbeit gehören.

Sie konnten bisher von den jeweiligen Tarifpartnern, den Auskunfts- und Beratungsstellen der Arbeitsgerichte und den Tarifauskunftsstellen der Bezirksregierung eingeholt werden.

Die bei den Bezirksregierungen angesiedelten Tarifauskunftsstellen wurden zum 01.07.2000 aufgelöst. Bei den Arbeitsgerichten werden Auskünfte über den Inhalt von Tarifverträgen nur noch im Vorfeld einer beabsichtigten Klage erteilt. Nach Mitteilung des Bayerischen Staatsministeriums vom 05.07. und 5.10.2000 werden Tarifauskünfte zukünftig vom Deutschen Gewerkschaftsbund/Landesbezirk Bayern und der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft ausschließlich deren Mitgliedern erteilt. Es besteht jedoch die Möglichkeit, Tarifauskünfte bei einem Rechtsanwalt gegen Gebühr einzuholen.
Saved
Datum