S 4 RJ 996/99

Berufskundekategorie
Stellungnahme
Land
Freistaat Bayern
Aktenzeichen
S 4 RJ 996/99
Auskunftgeber
Landesarbeitsamt Bayern, Nürnberg
Anfrage
Der bei der Rentenantragstellung 35jährige Kläger hat von 01.08.78 - 28.02.82 den Beruf des Karosseriebauers erlernt und anschließend bis 30.09.82 ausgeübt. Im Anschluss daran war er als Zeitsoldat bis 30.09.86 tätig. Nach einer kurzfristigen Beschäftigung als Busfahrer hat der Kläger von 05.10.87 - 14.08.88 eine Tätigkeit als Werkarbeiter (Qualitätssicherung) bei einem großen Automobilhersteller verrichtet. Ab 17.08.88 war er als Kraftfahrer und Lagerist beschäftigt und hat danach bis 31.05.92 eine Beschäftigung als Arbeiter in einer Poststelle ausgeübt. Zuletzt war der Kläger bis 31.12.98 als Kraftfahrer tätig.

Nach dem Gutachten von Dr. ^Hagn^ vom 26.01.01 ist von folgendem Leistungsvermögen auszugehen:
- vollschichtig leichtere bis mittelschwere Arbeiten
- unter Vermeidung von Überkopfarbeiten

In der mündlichen Verhandlung am 26.01.2001 gibt Dr. ^Hagn^ an, dass der Kläger gelegentlich (ein- bis zweimal am Tag) 30 kg tragen kann.

Ihrer Anfrage zufolge stellt sich das Leistungsvermögen des Klägers wie folgt dar:
- leichte bis mittelschwere Arbeiten
- ohne öfters als ein- bis zweimal am Tagen Lasten von 30 kg zu tragen
Auskunft
Berufskundliche Stellungnahme

In Ihrer Anfrage bitten Sie um Benennung von Facharbeitertätigkeiten und Tätigkeiten im Bereich der sog. oberen Anlernebene, die der Kläger unter Berücksichtigung seiner gesundheitlichen Einschränkungen und nach einer Einarbeitungszeit von bis zu drei Monaten noch vollwertig verrichten kann.

Karrosseriebauer

Der Kläger hat den Beruf des Karosseriebauers erlernt und anschließend kurzfristig ausgeübt.

Berufsinhalt ist die Herstellung, der Umbau und die Ausbesserung und Instandsetzung von Karosserie- und Aufbauten von Serien- und Sonderfahrzeugen einschl. Lackierarbeiten. In erster Linie sind Bleche, aber auch Rohre, Profile, Holz, Kunststoffe, Glas usw. mittels verschiedenster Techniken zu be- und verarbeiten. Die Arbeiten sind überwiegend leicht bis mittelschwer und im Stehen, häufig in wechselnder Zwangshaltung (Bücken, Knien, Hocken, Überkopfarbeit), meist in geschlossenen Räumen zu verrichten. Es kommt zu Belastungen der Atemwege und der Haut sowie durch Lärm. Druckluftwerkzeuge lösen Vibrationen an Händen und Handgelenken aus. Gelegentlich wird Arbeit auf Leitern verlangt.

Dr. ^Hagn^ gibt in seinem Gutachten vom 26.01.01 an, dass Überkopfarbeiten zu vermeiden sind.

In Ihrer Anfrage wird diese Einschränkung jedoch nicht genannt. Bei der Tätigkeit eines Karosseriebauers können Überkopfarbeiten nicht vermieden werden.

Qualitätskontrolleur

Der Kläger war bereits bei einem großen Automobilhersteller in der Qualitätssicherung tätig.

Aufgrund des Einsatzes automatischer Prüfeinrichtungen, verbesserter Produktionsverfahren und anderer Arbeitsorganisationsformen nimmt die Zahl reiner Kontrollarbeitsplätze jedoch ab.

Es kann dennoch davon ausgegangen werden, dass Arbeitsplätze für Qualitätskontrolleure auf der Qualifikationsstufe der Anlerntätigkeiten und der Facharbeiterberufe noch in nennenswertem Umfang existieren.

Prüftätigkeiten beinhalten sehr häufig geringere körperliche Belastungen als Fertigungstätigkeiten und eignen sich daher besonders zur Umsetzung leistungsgeminderter Mitarbeiter, die aus sozialen Erwägungen oder aufgrund tarifvertraglicher Regelungen (z.B. Unkündbarkeit) weiterbeschäftigt werden sollen. Arbeitgeber berichten jedoch immer wieder, dass es zunehmend schwieriger wird, leidensgerechte Ansatzmöglichkeiten für eine wachsende Zahl von gesundheitlich beeinträchtigten Beschäftigten zu finden; z.T. werden sogar Wartelisten geführt.

Daneben wird ein Ansatz als Kontrolleur oft als beruflicher Aufstieg betrachtet. Aus personalpolitischen Erwägungen (z.B. dadurch Motivierung der Mitarbeiter und günstige Auswirkungen auf das Betriebsklima) wird diese Chance bevorzugt und soweit als möglich den eigenen Mitarbeitern eröffnet. Neben der fachlichen Qualifikation allgemein ist jedoch auch betriebsspezifisches Wissen über Produkt, Fertigungsverfahren, Betriebsorganisation und Arbeitsabläufe für die Aufgabenerfüllung Voraussetzung oder zumindest von erheblichem Vorteil, da sich z.B. Einarbeitungszeiten dadurch verkürzen oder gar erübrigen.

Aus den genannten Gründen werden Kontrollarbeitsplätze bevorzugt und weitestgehend innerbetrieblich besetzt. Außenstehende Bewerber haben üblicherweise nur Zugang zu entsprechenden Stellen, z.B. wenn sie (bei in der Regel voller Leistungsfähigkeit) über einschlägige besondere Qualifikationen oder Erfahrungen als Kontrolleur verfügen. Durch die veränderten Qualitätsanforderungen in Industrie und Handwerk und die Einführung von Qualitätsmanagement- und Qualitätsnormen nach DIN - ISO 9000 ff wird inzwischen der Qualitätsfachmann/frau ausgebildet und auf dem Arbeitsmarkt nachgefragt.

Für nicht so qualifizierte und zusätzlich leistungsgeminderte Bewerber können geeignete Arbeitsplätze nur vereinzelt durch besondere Vermittlungsbemühungen und Vermittlungshilfen (z.B. nicht selten erhebliche finanzielle Leistungen) erschlossen werden.

Für Kontrolltätigkeiten werden in der Regel gutes Nahsehvermögen, beidhändiges Handgeschick und Fingerfertigkeit, möglichst nicht eingeschränkte Funktionstüchtigkeit eines, besser beider Arme verlangt. Außerdem stellen Kontrolltätigkeiten hohe Anforderungen an die Aufmerksamkeit, Sorgfalt und Genauigkeit, das Konzentrationsvermögen und Verantwortungsbewusstsein usw.

Die Rücksprache mit einem anderen großen Automobilhersteller ergab, dass dort Arbeitsplätze in der Qualitätskontrolle ausschließlich innerbetrieblich besetzt werden.

Obwohl Arbeitsplätze für Qualitätskontrolleure in nennenswertem, wenn auch geringer werdenden Umfang auf dem Arbeitsmarkt vorhanden sind, dürfte der Kläger der zuletzt 1988 in der Qualitätssicherung tätig war, nicht mehr über die heute geforderte Qualifikation in diesem Bereich verfügen. Zusätzlich ist er leistungsgemindert. Aus berufskundlicher Sicht ist daher insgesamt nicht davon auszugehen, dass dem Kläger ein Ansatz auf zumutbarer Qualifikationsebene möglich ist.

Kraftfahrer

Der Kläger hat 1986 die Prüfung zum Berufskraftfahrer Fachrichtung Güterverkehr abgelegt und war zuletzt bis Ende 1998 als Kraftfahrer tätig. Die Fahrerlaubnis Kl. 2 ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt ohne ärztliche Untersuchung bis zum 50.Lebensjahr gültig. Danach ist eine Verlängerung der Fahrerlaubnis um jeweils 5 Jahre nach einer ärztlichen Untersuchung möglich. Nach telefonischer Auskunft des Bundesverbandes der Berufskraftfahrerschulen e.V. hat der Gefahrguttransportschein in der Regel eine Laufzeit von 5 Jahren und muss danach verlängert werden.

Die Arbeiten eines Berufskraftfahrers sind leicht (Fahrtätigkeit) bis mittelschwer, z.T. schwer (Lade-, Pflege-, Wartungs- und Reparaturarbeiten) und überwiegend in Fahrerkabinen in Zwangshaltung zu verrichten. Witterungseinflüsse sind z.T. nicht auszuschließen, dazu kommen Belastungen durch Abgase, Lärm, z.T. schlechte Lichtverhältnisse und Ganzkörpervibrationen. Besondere Bedeutung kommt auch den psychischen Belastungen durch Unfallgefährdung und Gefahrensituationen, hohe Verantwortung und Zeitdruck, oft auch unregelmäßige Arbeitszeit, Überstunden oder Schichtarbeit zu. Da die Belastungen bei der Tätigkeit eines Kraftfahrers nicht ausschließlich auf leicht bis mittelschwer zu begrenzen sind, kann nicht ausgeschlossen werden, dass es zu einem Überschreiten der Restleistungsfähigkeit des Klägers kommt.

Anzumerken ist, dass bei Funktionsstörungen der Hände, Arme, Beine oder Wirbelsäule voraussichtliche Nichteignung für die Tätigkeit eines Berufskraftfahrers besteht.

Warenausfahrer im Bereich Pharmazie-Großhandel und Dentallabors

Die Beklagtenvertreterin gibt in der mündlichen Verhandlung am 11.05.01 (Bl. 141 ff der Gerichtsakte) als Verweisungsmöglichkeit für den Kläger die Tätigkeit eines Warenausfahrers im Bereich Pharmazie-Großhandel und Dentallabors an.

Als Warenausfahrer im Kurzstreckenbereich, z.B. für den Pharmazie-Großhandel oder Dentallabors, ist ein Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen möglich, wobei in der Regel Sitzen - in weitgehend statischer oder sogar Zwangshaltung - überwiegt. Gerade die Wirbelsäule und der Schulter-Nackenbereich sind daher erfahrungsgemäß besonders belastet. Heben und Tragen von schwereren Lasten z.B. bei der Auslieferung größerer Gebinde kann auch bei einer Tätigkeit als Warenausfahrer für den Pharmazie-Großhandel nicht ausgeschlossen werden. Jedoch dürften diese Lasten das mittelschwere Maß in aller Regel nicht übersteigen. Bei Pflege-, Wartungs- und bei ggf. erforderlicher Pannenbehebung kann es auch zu höheren als nur leichten Belastungen kommen. Zusätzliche Belastungen stellen Witterungseinflüsse und z.T. Arbeiten unter Zeitdruck (vorgegebener Tourenplan ist einzuhalten) dar. Die Tätigkeit ist aufgrund ihrer tariflichen Einstufung der qualifiziert Angelerntenebene zuzuordnen.

Verwalter eines Ersatzteillagers in größeren Kfz-Werkstätten

Die Tätigkeit eines Ersatzteillageristen wurde häufig als Verweisungstätigkeit für einen Berufskraftfahrer genannt und daher auf Zumutbarkeit für den Kläger geprüft.

Je nach Größe, Sortimentsumfang und Aufgabenstellung finden Arbeitskräfte unterschiedlicher Qualifikation - vom qualifiziert Angelernten bis zum Meister - Ansatz (z.B. Beschäftigungsgruppe II oder III des Tarifvertrages des Bayer. Kfz-Gewerbes). Die Tätigkeit ist im Wechsel von Sitzen, Gehen und Stehen zu verrichten, erfordert aber bei der Regalarbeit sowie bei Lieferung und Auslieferung auch Bücken und Besteigen von Leitern einschließlich Hochhantierungen sowie Heben und Tragen von Lasten. Es müssen kaufmännische, verwaltungs-, büro- und inzwischen in der Regel auch EDV-Kenntnisse erworben werden, wozu ein Zeitraum von max. drei Monaten erfahrungsgemäß nicht ausreicht. Gerade in größeren Kfz-Werkstätten, in denen auf die praktische Mitarbeit verzichtet werden kann, da Hilfskräfte zur Verfügung stehen, reicht ein maximal dreimonatiger Einarbeitungszeitraum nicht aus. Obwohl der Kläger sowohl den Beruf des Karosseriebauers als auch des Berufskraftfahrers erlernt hat, kann für einen Ansatz auf zumutbarer Qualifikationsebene nicht von einem kürzeren Zeitraum ausgegangen werden. In Kfz-Werkstätten, in denen der Verwalter des Ersatzteillagers die eigentlichen Arbeiten selbst verrichtet oder bei der Durchführung dieser Arbeiten mithilft, entspricht das Leistungsvermögen des Klägers nicht mehr den üblichen Anforderungen.

Tankstellenkassier

In ähnlich gelagerten Fällen wurde außerdem noch als Verweisungsmöglichkeit der Kassierer in großen Selbstbedienungstankstellen genannt.

Im Tarifvertrag z.B. des Bayerischen Einzelhandels werden Kassierer der Beschäftigungsgruppe II zugeordnet. Voraussetzung dafür ist eine einschlägig abgeschlossene Ausbildung (auch eine 2jährige z.B. als Verkäufer) oder eine 3jährige Berufstätigkeit. Die reine Kassenbedienung kann nach kürzerer Anlernung verrichtet werden.

Meist ist neben der Kasse der gesamte sogenannte "Shop" zu betreuen. Bei der Warenannahme, Lagerhaltung, Gestaltung des Verkaufsraumes, dem Auffüllen der Regale und Auszeichnen der Waren wird auch Heben und Tragen von Lasten, Bücken und Besteigen von Leitern verlangt. Da die tägliche Öffnungszeit einer Tankstelle in der Regel die Arbeitszeit eines einzelnen Mitarbeiters übersteigt, ist Schichtarbeit üblich. Auch Zeitdruck ist zumindest zeitweise kaum zu vermeiden. Da der Kläger über keinerlei kaufmännische Vorkenntnisse verfügt, reicht eine höchstens dreimonatige Einarbeitungszeit erfahrungsgemäß nicht aus, um die Qualifikationsebene der oberen Anlernberufe zu erreichen.

Mitarbeiter in einer Funkleitstelle eines Taxiunternehmens

Die Tätigkeit eines Mitarbeiters in einer Funkleitstelle eines Taxiunternehmens wurde ebenfalls häufig als Verweisungstätigkeit für eine Berufskraftfahrer genannt.

Diese Tätigkeit beinhaltet in der Regel Telefondienst. Sie ist körperlich leicht, verlangt jedoch üblicherweise ausschließliches Sitzen. Neben persönlicher Voraussetzung wie Merkfähigkeit, Flexibilität, Höflichkeit etc. wird ein gewisses Maß an psychischer Belastbarkeit u.a. für zeitweise möglichen Zeitdruck gefordert. Ob die Mindestanforderungen an die Person ausreichen und ob die Restgesundheit des Klägers durch ausschließliches Sitzen und zeitweise möglichen Zeitdruck gefährdet ist oder auf Dauer geschädigt wird, kann nicht beurteilt werden. Eine Tätigkeit im Telefondienst ist in der Regel von einem Ungelernten innerhalb von maximal 3 Monaten erlernbar. Meines Wissens ist die Telefonistentätigkeit z.B. im Tarifvertrag für die Angestellten des Speditions- und Transportgewerbes in Bayern der Gehaltsgruppe 2 zugeordnet. In dieser Gehaltsgruppe sind Angestellte eingruppiert, die Kenntnisse und Fähigkeiten haben, wie sie im allgemeinen durch eine kaufmännische oder technische Berufsausbildung erworben werden. Arbeitsplätze für Telefonisten sind im nennenswertem Umfang vorhanden.

Weitere Verweisungstätigkeiten auf der Facharbeiter- bzw. der oberen Anlernebene, die der Kläger unter Berücksichtigung seiner gesundheitlichen Einschränkungen und nach einer Einarbeitungszeit von bis zu drei Monaten noch vollwertig verrichten kann, sind aus berufskundlicher Sicht nicht erkennbar.
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