S 30 RJ 1918/99

Berufskundekategorie
Stellungnahme
Land
Freistaat Bayern
Aktenzeichen
S 30 RJ 1918/99
Auskunftgeber
Landesarbeitsamt Bayern, Nürnberg
Anfrage
Die bei der Rentenantragstellung 50jährige Klägerin hat von 9/63 - 8/64 eine Ausbildung zur Schneiderin durchlaufen, jedoch keinen Abschluss erzielt. Im Anschluss daran besuchte sie in ihrem Herkunftsland bis 6/68 eine Bekleidungsfachschule, in der sie den Abschluss Bekleidungstechnikerin erzielte. Danach war die Klägerin bis 8/69 als Kontrolleurin in einer Betriebsscheiderei tätig. Im Bundesgebiet hat sie vom 15.09.69 - 30.06.97 überwiegend eine Beschäftigung als Zuschneiderin ausgeübt.

Die Beklagte geht im Widerspruchsbescheid von folgendem Leistungseinschränkungen aus:
- Arbeiten nur in geschlossenen Räumen
- zu ebener Erde
- ohne Zeitdruck

Dr. ^Klein^ beschreibt in seinem orthopädischen Gutachten vom 08.04.2000 die Leistungsfähigkeit des Klägers wie folgt:
- vollschichtig leichte Arbeiten
- in geschlossenen Räumen und im Freien
- aus wechselnder oder überwiegend sitzender Ausgangslage bei ergonomischer Arbeitsplatzgestaltung (neigungs- und höhenverstellbare Sitz- und Arbeitsfläche)
- ohne gehende oder stehende Tätigkeiten
- ohne Arbeiten in Haltungskonstanz oder in Zwangshaltungen (Fließbandarbeit)
- ohne Heben und Tragen von schweren Lasten ()10kg)
- ohne Tätigkeiten in Rumpfbeugehaltung
Auskunft
Berufskundliche Stellungnahme

Die Beklagte verweist die Klägerin im Bescheid vom 26.08.1999 auf den erlernten Beruf als Bekleidungstechnikerin. Im Widerspruchsbescheid erachtet sie außerdem die Rückkehr in den angelernten Beruf als Zuschneiderin für zumutbar.

Ihrer Anfrage zufolge bitten Sie um Beantwortung der folgenden Fragen:

1. Entsprechen die theoretischen Kenntnisse der Klägerin, ihre praktische Berufserfahrung und ihre bisherige Berufstätigkeit als Zuschneiderin/Musterzuschneiderin einem anerkannten Berufsbild als Facharbeiterin?

2. Ist die Klägerin angesichts der aktenkundigen Einschränkungen ihres Leistungsvermögens zur Ausübung dieser Tätigkeit weiterhin imstande?

3. Wenn Frage 2) zu verneinen ist: Gibt es qualifizierte Tätigkeiten der Textilherstellung (und eine relevante Zahl von Arbeitsplätzen für eine solche Tätigkeit), die von der Klägerin noch auszuüben wären?

zu Frage 1:

Staatlich geprüfte Technikerin der Fachrichtung Bekleidungstechnik ist eine berufliche landesrechtlich geregelte Fortbildung. Die Ausbildung baut auf einem einschlägigen anerkannten Ausbildungsberuf auf.

Nach der Rahmenvereinbarung über Fachschulen mit zweijähriger Ausbildungsdauer kann in folgenden Schwerpunkten ausgebildet werden:
- Bekleidungsfertigung
- Bekleidungsgestaltung

In einigen Bundesländern werden von den Bildungseinrichtungen weitere Schwerpunkte angeboten. Die Ausbildung dauert in Vollzeitform 2 Jahre, bei Teilzeitunterricht 4 Jahre.

Bekleidungstechnikerinnen lösen selbständig kreative, technische, organisatorische und wirtschaftliche Aufgaben in der industriellen oder handwerklichen Bekleidungsherstellung. Sie arbeiten dabei entweder im eher kreativen Bereich der Bekleidungsgestaltung oder im eher technischen Bereich der Bekleidungsfertigung.

Bekleidungstechnikerinnen arbeiten im Bereich Entwurf, in der Schnittgestaltung, in der Zuschneideabteilung oder in der Konfektion, wobei sie als Gruppen- oder Betriebsleiterinnen mit Hilfe eines umfangreichen und vielseitigen Maschinenparks für die Fertigung bis zur Endstufe verantwortlich sind. Sie setzen die technischen Hilfsmittel und Maschinen so rationell wie möglich ein, um eine optimale Produktivität zu erreichen. In betrieblichen Stabsstellen werden sie auch als Assistentinnen der Produktionsleitung, als Arbeitsvorbereiterinnen, für Zeitstudien, für die Planung oder die Ausbildung beziehungsweise die Betreuung ausländischer Lohnunternehmen eingesetzt.

Durch die abweichenden Bildungssysteme in den verschiedenen Ländern bestehen teilweise erhebliche Unterschiede in der beruflichen Qualifikation. Deshalb sind möglicherweise nicht alle Kenntnisse und Fertigkeiten vorhanden, die die Berufsausbildungsvorschriften in der Bundesrepublik Deutschland verlangen. Insgesamt kann keine Aussage dazu getroffen werden, ob die Ausbildung zur Bekleidungstechnikerin in der ehemaligen CSSR vergleichbar war mit einer Fortbildung zur staatlich geprüften Technikerin der Fachrichtung Bekleidungstechnik in der Bundesrepublik. Der von Frau ^Braun^ vorgelegte Auszug aus Zeugnissen der Fachschule für Bekleidungstechnik erreicht beim Vergleich der vorgegebenen fachlichen Inhalte z.B. für staatlich geprüfte Techniker der Fachrichtung Bekleidungstechnik in Bayern (Fertigungstechnik, Betriebsorganisation, Entwurf und Gestaltung, Schnitttechnik) mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht dieses Qualifikationsniveau.

In den Akten sind keine Angaben zu der von der Klägerin verrichteten Tätigkeit als Zuschnei- derin enthalten (letzter Arbeitgeber hat keine Unterlagen mehr - Bl. 107 Rückseite SG-Akte).

Folgende Tätigkeiten werden von einer Zuschneiderin üblicherweise verrichtet:
- Schnittmustergerechtes Zuschneiden mehrerer Stofflagen in einem Arbeitsgang mit Hand-, Bandzuschneidemaschinen oder Zuschneideautomaten dabei u.a.:
- Dem Schnittmuster entsprechendes Zuschneiden von Teilen entlang von Schnittschablonen oder entlang der Markierung auf dem Material
- Ausschneiden von Zwicken und Einschnitten an vorgezeichneten Punkten (mittels Scheren, Hand- oder Bandzuschneidemaschinen)
- Bedienen und Überwachen von prozessgesteuerten Zuschneideautomaten, dabei u.a.:
- Eingeben von Stoffstärke, Lagenzahl, gewünschtem Schnitt (Kontur, Maße); sofern bereits programmiert, Auswählen des entsprechenden Programms
- Starten des Zuschneideprozesses, Sorgen für korrekte Stoffzufuhr
- Überwachen des Zuschneidevorganges
- Abnehmen des zugeschnitten Materials, Sorge tragen für den Ab- bzw. Weitertransport

Allgemein ist anzumerken, dass, um die üblicherweise von einer Zuschneiderin zu verrichtenden Tätigkeiten selbständig und ordnungsgemäß ausführen zu können, bereits zahlreiche Kenntnisse, die während einer Ausbildung zur Bekleidungsschneiderin (3jährige Stufenausbildung) erworben werden, erforderlich sind. Obwohl die Klägerin nur Teilbereiche des gesamten Aufgabengebietes ausgeübt hat, sind derartige Spezialisierungen auch bei ausgebildeten Fachkräften, aufgrund der vielfältigen beruflichen Ansatzmöglichkeiten üblich. Die Tätigkeit einer Zuschneiderin ist eine Berufsausübungsform (speziell zusammenfassende Bezeichnungen für Berufe, die zum Kernberuf gehören und von Berufstätigen ausgeübt werden in Spezialisierungen/Aufstiegsberufe/Beschäftigungsmöglichkeiten) der dreijährig ausgebildeten Bekleidungsschneiderin. Das Zuschneiden wird im Allgemeinen als Aufstieg verstanden.

Aus berufskundlicher Sicht ist Facharbeiterqualifikation zu unterstellen.

zu Frage 2:

Tätigkeiten im Zuschnitt in der Bekleidungsindustrie sind körperlich leicht und werden überwiegend im Stehen, in geschlossenen, temperierten Räumen eines Industriebetriebes bei oft künstlichem Licht verrichtet. Oft wird in Gruppen bei meist normaler Arbeitszeit gearbeitet. In Großbetrieben sind jedoch auch Früh- und Spätschicht anzutreffen. Zeitdruck kann nicht vermieden werden. Die Leistungseinschränkungen der Klägerin entsprechen nicht mehr den üblichen Anforderungen, die an eine Zuschneiderin gestellt werden.

zu Frage 3:

Kontrolleurin in der Bekleidungsindustrie

Da die Klägerin in ihrem Herkunftsland von 1968 - 1969 als Kontrolleurin tätig war, wurde diese berufsnahe Tätigkeit in die Überlegungen miteinbezogen.

Kontrollieren der genähten Teile, Berichtigen von Fehlern und Erkennen von Maschinenfehlern (Zwischenkontrolle) ist Ausbildungsinhalt der ersten Stufe, der einjährigen Ausbildung zur Bekleidungsnäherin. Hierfür werden jedoch häufig auch kurzfristig angelernte Kräfte eingesetzt.

Qualifizierte Kontrolltätigkeiten wie die Überprüfung der Maße, der Passform, der Verarbeitungsqualität, der Vollständigkeit bis zur Endabnahme an Kleidungsstücken sind in der Regel auf Facharbeiterebene angesiedelt. Üblicherweise werden sie besonders bewährten und qualifizierten Kräften übertragen, da dies meist als Aufstieg verstanden wird.

Die Teile bzw. die fertiggestellten Stücke kommen häufig auf einem Transport- bzw. auf einem Laufband hängend an den Arbeitsplatz, müssen ggf. aufgehängt werden. Dabei ist überwiegend im Stehen, verbunden mit etwas Gehen zu arbeiten. Abhängig von der Größe der zu kontrollierenden Stücke (vor allem in der Teile-, d.h. in der Zwischenkontrolle) kann teilweise - sonst u.U. zeitweise bei eigenen Nacharbeiten - auch Sitzen möglich sein. Es handelt sich in der Regel um leichte Arbeiten, meist ohne schweres Heben und Tragen. Insbesondere ist aber von ständigem Zeitdruck auszugehen, da auch dann, wenn nicht im Einzel- oder Gruppenakkord zu arbeiten ist, dem Fertigungstempo entsprechend bestimmte Stückzahlen pro Zeiteinheit zu erbringen sind. Einen zusätzlicher Belastungsfaktor stellt auch hier das geforderte hohe Maß an Daueraufmerksamkeit und Konzentration trotz oftmaliger Monotonie daher. Unabhängig vom erforderlichen Einarbeitungszeitraum genügt die Leistungsfähigkeit der Klägerin erfahrungsgemäß nicht mehr den üblichen Anforderungen.

Andere qualifizierte Tätigkeiten der Textilherstellung, die in nennenswertem Umfang existieren und auch Außenstehenden zugänglich sind, die der Klägerin gesundheitlich uneingeschränkt zumutbar sind und von ihr nach einer Einarbeitungszeit von maximal drei Monaten ausgeübt werden können, sind aus berufskundlicher Sicht nicht erkennbar.
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