S 10 RJ 960/96

Berufskundekategorie
Stellungnahme
Land
Freistaat Bayern
Aktenzeichen
S 10 RJ 960/96
Auskunftgeber
Landesarbeitsamt Bayern, Nürnberg
Anfrage
Die bei der Rentenantragstellung 45jährige Klägerin hat von 01.09.68 - 28.02.72 den Beruf der Zahntechnikerin erlernt und anschließend ausgeübt.

Nach dem orthopädischen Gutachten von Dr. ^Fischer^ vom 07.03.97 ist von folgendem Leistungsvermögen auszugehen:
- vollschichtig leichte Arbeiten
- mit der Möglichkeit zum regelmäßigen Wechsel zwischen Sitzen und Stehen oder auch Umhergehen
- ohne Heben und Tragen von Lasten
- ohne häufiges Bücken

Bei Arbeiten im Freien sollte die Lendenwirbelsäule durch entsprechende Bekleidung vor Einflüssen von Kälte, Nässe und Zugluft geschützt sein.

Dr. ^Kiefer^ beschreibt in seinem nervenfachärztlichen Gutachten vom 11.03.98 die Leistungsfähigkeit wie folgt:
- vollschichtig leichte Arbeiten
- aus wechselnden Ausgangspositionen
- im Freien und in geschlossenen Räumen
- ohne Heben und Tragen von Lasten
- ohne Arbeiten, die mit häufigem Bücken verbunden sind
- ohne Arbeiten in Zwangspositionen
Auskunft
Berufskundliche Stellungnahme

Zahntechnikerin

Ihrer Anfrage zufolge bitten Sie um Mitteilung, ob die Klägerin im Hinblick auf ihre gesundheitlichen Einschränkungen noch als Zahntechnikerin arbeiten kann.

Die Aufgaben einer Zahntechnikerin sind das handwerkliche und technische Unterstützen des Zahnarztes nach den vom Zahnarzt übermittelten oder anderen technischen Arbeitsunterlagen (z.B. Abdrücke, Arbeitsvorgaben), das Herstellen und Reparieren von festsitzendem und herausnehmbarem Zahnersatz, kieferorthopädischen Geräten, Kieferbruchschienen, Parodontoseschienen, Implantaten, Obturatoren und Epithesen, Gussfüllungen, Gelenken, Geschieben und Scharnier und feinmechanischen Hilfsteilen zur Befestigung unter Berücksichtigung funktions-, werkstoff- und patientengerechter Belange.

Tätigkeitsschwerpunkte sind insbesondere:
- Lesen von zahnärztlichen Aufträgen und technischen Unterlagen, Einsetzen, Pflegen, Handhaben und Instandhalten von Geräten und Werkzeugen
- Organisieren und Koordinieren von Arbeitsabläufen und Materialfluss
- Modellieren, Anpassen, Verblenden, Polieren sowie Ausarbeiten und Einfräsen von Prothesen und anderem Zahnersatz
- Fertigen von Arbeitsmodellen, lagerichtiges Eingipsen der Arbeitsmodelle in Spezialgeräte, die die natürlichen Kaubewegungen nachahmen, sogenannte Artikulatoren
- Aufstellen von künstlichen Zähnen auf einem Wachswall
- Schmelzen von Legierungen in Schmelzöfen
- Gießen der geschmolzenen Legierungen mittels Schleuder- oder Druckguss in Hohlformen
- Evtl. Beseitigen von Störstellen an Kronenrändern, sorgfältiges Nachpolieren
- Erstellen feiner Farbeffekte beim Keramikverblenden von Brücken u.ä.
- Beherrschen moderner computergestützter Frästechniken bei Implantaten, z.B. Fräsen einer künstlichen Wurzel aus einem Titanrohling

Bei der Tätigkeit einer Zahntechnikerin handelt es sich um leichte Arbeit, die in geschlossenen, temperierten Räumen vorwiegend im Sitzen, zeitweise im Stehen verrichtet wird. Ein Wechsel der Körperhaltung kann üblicherweise nicht eigenbestimmt vorgenommen werden. Häufig sind die Arbeiten in leicht vornübergebeugter oder seitlich geneigter Zwangshaltung zu verrichten. Zeitweise kommt es zu Geruchs- und Lärmbelästigung und Einwirkungen von Staub durch Schleifvorgänge. Das Bedienen von Maschinen bzw. die Verwendung zahlreicher Werkzeuge und Werkstoffe ist erforderlich. Es handelt sich um Fein- und Präzisionsarbeiten, die oft unter Zeitdruck verrichtet werden müssen.

Wesentliche körperliche Eignungsvoraussetzungen sind die volle Funktionsfähigkeit der Hände und Arme für beidhändiges Arbeiten und weitgehende Funktionsfähigkeit der Wirbelsäule, sowie volles Sehvermögen in der Nähe, Farbtüchtigkeit, räumliches Sehvermögen, gutes Tastempfinden, gesunde Atemwege und gesunde Haut, besonders an den Händen und Unterarmen.

Aus berufskundlicher Sicht ist der Klägerin die Ausübung des erlernten Berufes als Zahntechnikerin aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen nicht mehr uneingeschränkt zumutbar.

Registratorin

Die Beklagte verweist die Klägerin im Bescheid vom 02.01.96 auf die Tätigkeit einer Registratorin. Ihrer Anfrage zufolge bitten Sie um Mitteilung, ob eine Tätigkeit als Registratorin möglich ist.

Arbeiten in einer Registratur können sowohl auf der kurzfristig Angelernten- bis hin zur qualifiziert Angelerntenebene erfolgen.

Im BAT sind Angestellte in Büro-, Registratur-, Buchhaltereidienst usw. mit vorwiegend mechanischer Tätigkeit in VergGr. X, mit einfacheren Tätigkeiten in VergGr IXb und mit - gemessen an den vorgenannten - schwierigeren Tätigkeiten in VergGr. VIII eingruppiert.

Der Klägerin genügt für eine Tätigkeit als Mitarbeiterin in einer Registratur, die auch von einem Ungelernten innerhalb von drei Monaten erlernt werden kann, ebenfalls ein dreimonatiger Einarbeitungszeitraum.

Für eine qualifizierte Tätigkeit als Mitarbeiterin einer Registratur würde auch die Klägerin, die aufgrund ihres beruflichen Werdeganges über keinerlei verwertbare Vorkenntnisse verfügt, einen längeren Einarbeitungszeitraum als drei Monate benötigen.

Die Belastungen bei Arbeiten in einer Registratur sind üblicherweise zumindest zeitweise bis mittelschwer. Bücken, Hantieren über Kopfhöhe und z.T. Besteigen von kleinen Leitern wird verlangt. Unabhängig vom erforderlichen Einarbeitungszeitraum können die Leistungseinschränkungen der Klägerin bei einer Tätigkeit in einer Registratur nicht ständig und in vollem Umfang berücksichtigt werden.

Zahnlageristin

In einem ähnlich gelagerten Fall wurde die Tätigkeit eines Zahnlageristen als zumutbare Verweisungstätigkeit genannt. Zahnlagerist ist ein Ausbildungsberuf mit dreijähriger Dauer. Nach den mir vorliegenden Unterlagen wurden in den Jahren 1996 und 1997 nicht mehr ausgebildet. Davon ausgehend wird angezweifelt das noch eine nennenswerte Zahl von Arbeitsplätzen für qualitativ zumutbare Arbeitsplätze existiert, mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen werden kann es jedoch nicht.

Zahnlageristen erledigen ordnende und kaufmännische Aufgaben in der Zahnindustrie oder in einem einschlägigen Großhandelsgeschäft. Zu ihren Arbeiten gehören die Beurteilung und das karteimäßige Erfassen von eingehenden Kunstzähnen nach Mengen, Spezifikationen (Sorte, Farbe, Form) und nach Güte. Zahnlageristen ordnen die Zähne nach Zahneinheiten und sortieren sie anschließend in Zahntheken und Lagerschränke ein. Die Zahnlageristen beraten aber auch Kunden, nehmen Bestellungen entgegen, registrieren eingehende Aufträge, stellen Sendungen, oft nach einem bestimmten Abdruck bzw. einem Zahnmodell, oder Muster von Zähnen zur Auswahl zusammen. Sie müssen die Rohstoffe der Kunststoffzähne, ihre Eigenschaften und Verwendbarkeit genauso kennen wie das Ausfertigen von Begleitpapieren. Der Klägerin dürfte aufgrund ihres beruflichen Werdeganges ein Einarbeitungszeitraum von maximal drei Monaten ausreichen.

Die Zahntheken haben etwa eine Höhe von 1m bis 1,2m. Die Zähne werden in Schübe einsortiert.

Beim Kommissionieren der Ware kommt es deshalb zu Zwangshaltungen und Arbeiten in vornübergebeugter Haltung und leicht verdrehter Wirbelsäule. Bücken ist ebenfalls erforderlich. Die Arbeiten werden überwiegend im Stehen und Gehen verrichtet. Sitzen ist beim Erledigen der kaufmännischen Aufgaben zwar möglich, jedoch kann ein Wechsel der Körperhaltung nicht immer dem gesundheitlichen Erfordernis entsprechend vorgenommen werden.

Da Warensendungen mit einem Gewicht von 25 kg eingehen, ist schwereres Heben und Tragen erforderlich.

Eine dem Leistungsvermögen der Klägerin entsprechende Verweisungstätigkeit wird in der Tätigkeit einer Zahnlageristin aus berufskundlicher Sicht nicht gesehen.

Fachberaterin, Fachverkäuferin bzw. Außendienstmitarbeiterin insbesondere für zahntechnischen Bedarf

Die Abteilung Sozialmedizin der Beklagten gibt in ihrer Stellungnahme vom 16.04.98 an, dass Vertreter- bzw. Beratertätigkeit für zahntechnische Firmen, desgleichen Verkauf in entsprechenden Bedarfsgeschäften hinsichtlich berufsnaher Verweisungsbereiche denkbar wäre. Sie führt weiter aus, dass es sich wahrscheinlich um einen relativ schmalen gewerblichen Sektor handelt.

Im Grundwerk ausbildungs- und berufskundlicher Informationen ("gabi") wird als Beschäftigungsalternative für eine Zahntechnikerin die Tätigkeit einer Fachberaterin, Fachverkäuferin bzw. einer Außendienstmitarbeiterin insbesondere für zahntechnischen Bedarf genannt.

Anzumerken ist, dass Beschäftigungsalternativen eine nicht erschöpfende Zusammenstellung von Möglichkeiten sind, die im Einzelfall bei Vermittlungs-/ Umschulungs- u.ä. Bemühungen in enger Zusammenarbeit mit Betrieben, Bildungseinrichtungen und anderen Stellen initiativ geprüft werden sollen.

Die Aufgabe einer Fachberaterin ist es, den vorhandenen Kundenstamm zu betreuen und neue Kunden zu gewinnen. Dazu gehört neben den damit zusammenhängenden Arbeiten wie Schriftverkehr, Auftragsabwicklung, Terminverfolgung, Erstellung von Verkaufsstatistiken und Berichterstattung u.a. Präsentation und Demonstration der Ware, Vorlegen von Mustern und Katalogen, Information und Beratung über Eigenschaften und Vorteile der Ware bzw. des Angebots, Verhandeln über Preise, Zahlungs- und Lieferbedingungen mit dem Ziel, möglichst viele, große und rentable Aufträge zu erhalten.

Die Tätigkeit einer Fachberaterin für zahntechnischen Bedarf wird in der Regel im Außendienst ausgeübt.

Die Entlohnung ist üblicherweise zumindest z.T. vom eingeholten Auftragsvolumen abhängig (Provision). Erforderlich sind fundierte Produktkenntnisse (der eigenen wie der Konkurrenzprodukte), Kenntnisse des Marktes (hinsichtlich Kundenstruktur, Bedürfnissen, Erwartungen, Angebot, Nachfrage, Preis- und Leistungsgefüge) und ein gewisses Maß an kaufmännischen und betriebswirtschaftlichen Kenntnissen sowie an bürotechnischen Fertigkeiten. Vorausgesetzt wird außerdem persönliche Eignung wie Aufgeschlossenheit, Flexibilität, Sprachgewandtheit, Verhandlungsgeschick, Überzeugungsfähigkeit, Höflichkeit und gepflegtes Äußeres.

Eine Außendiensttätigkeit verlangt meist erhebliche Fahrleistungen mit dem PKW mit den typischen Belastungen, wozu auch in gewissem Umfang Witterungseinflüsse gehören. Schwereres Heben und Tragen sowie Bücken kann im Rahmen von Präsentationen oder Demonstrationen nicht immer ausgeschlossen werden. Zudem gilt die Tätigkeit üblicherweise als stressreich (z.B. durch unregelmäßige Arbeitszeit, Überstunden, Termindruck, vorgegebene Mindestleistungszahlen).

Einer Zahntechnikerin ist - bei persönlicher Eignung, s.o. - ein Übergang in eine Außendiensttätigkeit durchaus möglich; ein Einarbeitungszeitraum von 3 Monaten genügt jedoch erfahrungsgemäß nicht.

Arbeitsvorbereiterin Zahntechnik

In die Überlegungen wurde noch die Tätigkeit einer Arbeitsvorbereiterin Zahntechnik miteinbezogen.

Die Aufgaben einer Arbeitsvorbereiterin Zahntechnik sind insbesondere:
- Beurteilen der von der Zahnarztpraxis übermittelten Abdrücke (Negativabdrücke)
- Beurteilen gefertigter Arbeitsmodelle (Positivabdrücke) im Hinblick auf die Verwendbarkeit der übermittelten Abdrücke und die Verwertung für weitere Arbeiten im Labor.
- Herstellen von präzisen - als Arbeitsgrundlage für die Arbeitsgänge dienenden - Gipsmodellen nach Unterlagen der Zahnärzte; Herstellen von Stumpfmodellen, Galvanisieren und Einartikulieren

Die Tätigkeit einer Arbeitsvorbereiterin wird im Wechselrhythmus verrichtet. Auch kann der Wechsel zwischen Sitzen und Stehen meist eigenbestimmt vorgenommen werden. Die Leistungseinschränkungen der Klägerin können in der Arbeitsvorbereitung weitgehend berücksichtigt werden.

Der Klägerin dürfte aufgrund ihres beruflichen Werdeganges ein maximal dreimonatiger Einarbeitungszeitraum für eine Tätigkeit in der Arbeitsvorbereitung auf zumutbarer Qualifikationsebene genügen. Obwohl zwischenzeitlich in der Arbeitsvorbereitung immer mehr Hilfskräfte einen Ansatz finden, kann davon ausgegangen werden, dass im Bundesgebiet eine nennenswerte Zahl an zumutbaren Arbeitsplätzen für die Klägerin existiert.

Diese Aussagen wurden mir von einem ausbildenden Zahntechnikermeister eines Berufsbildungswerkes bestätigt.

Ob eine Umschulung im Falle der Klägerin noch sinnvoll ist und ggf. in welche Richtung, müsste unter Berücksichtigung von Eignung und Neigung in einem Beratungsgespräch ggf. unter Einschaltung der Fachdienste insbesondere des Psychologischen Dienstes geklärt werden.

Allgemein ist anzumerken, dass der Wechsel vom Beruf der Zahntechnikerin in andere Berufe im Rehabilitationsbereich relativ selten der Fall ist, da der Beruf der Zahntechnikerin selbst ein häufiger Umschulungsberuf ist. Gedacht werden könnte an eine leidensgerechtere Arbeitsplatzgestaltung.

Andere Verweisungsmöglichkeiten auf der Ebene der qualifizierten Anlerntätigkeiten, die in nennenswertem Umfang existieren und auch Außenstehenden zugänglich sind, die der Klägerin gesundheitlich uneingeschränkt zumutbar sind und von ihr nach einer Einarbeitungszeit von maximal drei Monaten ausgeübt werden können, sind aus berufskundlicher Sicht nicht erkennbar.
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