S 8 RJ 304/99

Berufskundekategorie
Stellungnahme
Land
Freistaat Bayern
Aktenzeichen
S 8 RJ 304/99
Auskunftgeber
Landesarbeitsamt Bayern, Nürnberg
Anfrage
Der bei der Rentenantragstellung 44jährige Kläger hat von 01.08.68 - 31.07.71 den Beruf des Malers und Lackierers (Bl. 7 Beklagtenakte) erlernt. Nach seiner Ausbildung war er als Verputzer - Trockenbauer tätig.

Von 04.08.86 - 07.08.87 hat er eine Beschäftigung als Maschinenarbeiter in einer Presserei verrichtet. Im Anschluss daran war er bis 09/93 als Wachmann ohne Ausbildung tätig. Ab 04.10.93 hat der Kläger erneut eine Tätigkeit als Verputzer - Trockenbauer verrichtet.

Nach dem fachorthopädischen Gutachten von Dr. ^Hobeck^ vom 09.10.2000 stellt sich die Leistungsfähigkeit des Klägers wie folgt dar:
- vollschichtig überwiegend leichte Tätigkeiten, 2stündig bis unterhalbschichtig auch mittelschwere Tätigkeiten
- ohne Tätigkeiten wie
- Arbeit auf Leitern, Treppen sowie Gerüststeigen
- Laufen auf unebenen Boden
- häufiges Bücken
- Arbeit in kniender oder hockender Zwangshaltung
- Überkopfarbeit

Unter 3b (Welche Arbeitsbedingungen müssen vermieden werden?) seines Gutachtens führt Dr. ^Hobeck^ außerdem im Wechselrhythmus sitzend/gehend/stehend an.
Auskunft
Berufskundliche Stellungnahme

Unstreitig ist, dass der Kläger seinen erlernten Beruf als Maler und Verputzer nicht mehr ausüben kann. Die Beklagte verweist den Kläger im Bescheid vom 12.10.98 und im Widerspruchsbescheid vom 14.04.99 auf die Tätigkeiten eines Schildermalers, eines Fachverkäufers in Heim- und Hobbymärkten, eines Telefonisten und eines Poststellenmitarbeiters.

Schildermaler

Entwerfen, zeichnen, malen und kleben von Schriften, Zeichen, Schmuckformen und farbigen Darstellungen gehört u.a. zu den Ausbildungsinhalten im Beruf des Malers. Sehr viel breiteren Raum nimmt die Schilderherstellung jedoch im Beruf des Schilder- und Lichtreklameherstellers ein; sie wird aber auch im Beruf des Schauwerbegestalters (jeweils 3-jährige Ausbildung) verlangt. Für einen Ansatz auf zumutbarer Qualifikationsebene sind neben gewissen gestalterischen Fähigkeiten in zunehmendem Maß auch EDV-Kenntnisse (z.B. Umgang mit Scanner, Plotter) erforderlich. Außer Mal-, Lackier-, Ausschneide- und Klebetechniken wird auch Siebdruck und Lichtsatz eingesetzt. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger eine Einarbeitungszeit von mehr als drei Monaten benötigt. Die Arbeiten sind leicht bis mittelschwer. In der Regel überwiegt Stehen, zum Teil kommt es zu Zwangshaltungen (z.B. vorn übergebeugte Haltung), teilweise ist auf Leitern und Gerüsten zu arbeiten, auch schwerere Hebe- und Tragebelastungen sind nicht ausgeschlossen, weswegen üblicherweise ein gesunder Stütz- und Bewegungsapparat vorausgesetzt wird. Aus berufskundlicher Sicht ist für den Kläger keine berufliche Alternative erkennbar.

Fachverkäufer in Heim- und Hobbymärkten

In Betrieben, die Waren überwiegend in Selbstbedienung anbieten (Bau-, Heimwerkermärkte) stellen Aufgaben wie Warenannahme, Lagerung, Bereitstellung und Platzierung im Verkaufsraum, Auszeichnung, Bestandsüberwachung und Mitwirkung bei der Sortimentsgestaltung und Beschaffung die Tätigkeitsschwerpunkte dar. Kundenkontakte, z.B. Orientierungshilfen, Auskünfte zu Qualität, Verarbeitungstipps, stellen eine besondere, obgleich unverzichtbare Serviceleistung dar. Der Umgang mit Kunden setzt Höflichkeit, Kontaktfähigkeit, Flexibilität usw. und auch ein gewisses Maß an psychischer Belastbarkeit voraus. Bei größerem Kundenandrang kann es auch zu Zeitdruck kommen. Arbeitgeberbefragungen bestätigen, dass auch Facharbeiter bei persönlicher Eignung und nach Einarbeitung als Fachverkäufer beschäftigt werden. Eine vollständige Einarbeitung ist jedoch üblicherweise nicht in einem Zeitraum von höchstens drei Monaten möglich. Der Kläger, der keinen Beruf erlernt hat, Ihrer Anfrage zufolge jedoch als Spezialbaufacharbeiter zu bewerten ist; benötigt für eine Tätigkeit als Fachverkäufer in Bau- oder Heimwerkermärkten mindestens einen Einarbeitungszeitraum von drei Monaten. Verlangt wird nahezu ausschließlich Stehen und Gehen. Bücken ist durchaus häufig erforderlich, auch Recken, gelegentlich Überkopfarbeit und Besteigen von Leitern ist nicht auszuschließen. Heben und Tragen von Lasten ist keineswegs zu vermeiden. Die zu bewegenden Gewichte können sogar das mittelschwere Maß übersteigen. Unabhängig vom erforderlichen Einarbeitungszeitraum können die Leistungseinschränkungen des Klägers nicht ständig und in vollem Umfang berücksichtigt werden.

Für Kundenberatung im Baustoff-Fachhandel trifft es vielfach zu, dass der Verkauf im Verkaufsraum oder sogar am Schreibtisch anhand von Listen, Katalogen oder über ein Computer-Terminal abgewickelt und eine strikte Trennung zum Lager eingehalten wird. Arbeitgeberbefragungen und vermittlerische Erfahrungen zufolge wird jedoch üblicherweise den kaufmännischen Kenntnissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten größere Bedeutung als dem produktbezogenen und anwendungsspezifischen Wissen zugemessen und kaufmännisch ausgebildeten Personal (vor allem Groß- oder u.U. auch Einzelhandelskaufleute) beschäftigt. Aufgrund seines beruflichen Werdeganges verfügt der Kläger nur über begrenzte bzw. sehr spezielle warenkundliche Kenntnisse. Ein Einarbeitungszeitraum von drei Monaten ist daher bei weitem zu kurz.

Telefonist

Die Beklagte verweist den Kläger auf die Tätigkeit eines Telefonisten, die zwar von einem Ungelernten - wenn nicht andere Arbeiten mit erledigt werden müssen oder zur Auskunftserteilung umfangreiches Wissen erforderlich ist - in der Regel innerhalb von drei Monaten erlernbar ist, jedoch aufgrund ihrer Einstufung in verschiedenen Tarifverträgen mindestens der qualifiziert Angelerntenebene zuzuordnen ist. Die Tätigkeit eines Telefonisten ist körperlich leicht, wird aber ausschließlich im Sitzen, keinesfalls im Wechselrhythmus ausgeübt. In der Regel erfolgt die Vermittlung der Gespräche per Tastatur und Bildschirm. Bildschirmarbeit wird u.U. in ausgeprägt statischer Haltung verrichtet. Zumindest eine Hand muss so geschickt und belastbar sein, dass die Verbindung schnell und korrekt hergestellt, ggf. Nachrichten notiert und z.T. Gebührenaufzeichnungen geführt bzw. Abrechnungen vorgenommen werden können. Neben Voraussetzungen wie Höflichkeit, Flexibilität, Merkfähigkeit, Sprachgewandtheit mit möglichst angenehmer Stimme etc. wird außerdem ein gewisses Maß an psychischer Belastbarkeit (u.a. für Arbeit unter Zeitdruck) erwartet. Ob der Kläger die persönlichen Mindestanforderungen mitbringt und ob ausschließliches Sitzen die Restgesundheit gefährdet oder auf Dauer schädigt, kann nicht beurteilt werden.

Poststellenmitarbeiter

Sofern die Post nicht zusätzlich vom Postamt geholt werden muss, sind die eingehenden Sendungen (z.B. Postsäcke, - körbe, -pakete) einschließlich der Hauspost (z.B. auch Akten) anzunehmen und zu öffnen. Der Inhalt muss entnommen, auf Vollständigkeit geprüft, großteils mit einem Eingangvermerk sowie - nach Feststellung des Empfängers - mit einem Weiterleitungsvermerk versehen und entsprechend sortiert werden. Die Verteilung im Haus wie auch das Einsammeln der Ausgangspost kann von den Mitarbeitern der Post miterledigt werden oder Boten übertragen sein. Üblicherweise ist jedoch die Ausgangspost zu sortieren, zu kuvertieren bzw. zu verpacken, korrekt zu frankieren und zur Abholung in Säcken, Körben o.ä. bereitzustellen oder ggf. auch selbst zum Postamt zu befördern. Verschiedentlich sind bei der Tätigkeit Maschinen (z.B. Brieföffnungs-, Kuvertier-, Frankiermaschinen) zu bedienen. Die Arbeiten erfordern in der Regel gelegentlich mittelschwere Belastbarkeit, vor allen Dingen im Hinblick auf die zu bewegenden Lasten. In diesem Zusammenhang wird auch Bücken verlangt. Ein Wechsel der Körperhaltung ist möglich, wobei Gehen sogar in beachtlichem Umfang, u.U. einschließlich Treppensteigen, anfällt, wenn die Post auch ausgetragen und eingesammelt wird. Die Tätigkeit eines Mitarbeiters in einer Poststelle ist sowohl in der Wirtschaft als auch im öffentlichen Dienst keinesfalls grundsätzlich auf der Ebene der qualifizierten Anlerntätigkeiten angesiedelt, sondern nach Schwierigkeitsgrad gestaffelt ab der untersten Ebene der Angestelltenberufe zu finden, z.B.
- Bundesentgelttarifvertrag für die Chemische Industrie:
Entgeltgruppe E 1 = kurze Einweisung = Verteilen von Post,
E 2 = Berufspraxis von bis zu 13 Wochen = Sortieren und Verteilen von Post,
E 3 = Berufspraxis von 6 bis 15 Monaten = Postabfertigen;
- Gehaltstarifvertrag für die Angestellten des Speditions- und Transportgewerbes in Bayern:
Gehaltsgruppe 1 = Einweisung am Arbeitsplatz = Postabfertiger,
Gehaltsgruppe 2 = Berufsausbildung = Postabfertiger
- BAT VerGr X = Hilfsleistung bei der Postabfertigung,
VerGr IXb = Postabfertigen,
VerGr VIII = schwierigere Tätigkeit (im Vergleich zu den vorgenannten).

Unabhängig davon verfügt der Kläger über keinerlei verwertbare Vorkenntnisse. Daher ist aus berufskundlicher Sicht davon auszugehen, dass er die Ebene der qualifizierten Anlerntätigkeiten nicht im Rahmen einer maximal dreimonatigen Einarbeitung erreichen kann.

Hausmeister

In die Überlegungen miteinbezogen wurde noch die in ähnlichen Fällen häufig genannte Tätigkeit eines Hausmeisters. Hausmeister ist kein Ausbildungsberuf; es gibt auch kein einheitliches, verbindliches Berufsbild. Die Tätigkeitsinhalte können je nach Art des Arbeitgebers bzw. des zu betreuenden Objekts (z.B. Beschäftigung bei einer "Hausmeisterzentrale" oder einem Einzelarbeitgeber, verantwortlich für ein Objekt oder für mehrere) sehr unterschiedlich sein. Hauptaufgaben sind erfahrungsgemäß Kontroll- und Wartungsarbeiten sowie die Behebung von Mängeln (z.B. an elektrischen einschl. Beleuchtungs-, an Heizungs- und Sanitäranlagen, an Türen, Fenstern, Aufzügen), Reinigungsarbeiten innerhalb und oft auch außerhalb des Gebäudes (z.B. Treppenreinigung, Straßenkehren, Schneeräumen, Streudienst), Pflege von Grün- und Sportanlagen, Überwachung der Einhaltung von Feuerschutz- und sonstigen Sicherheitsbestimmungen und ggf. der Hausordnung, Sorge für die Hausver- und -entsorgung, außerdem einfache Verwaltungsarbeiten. Abhängig von der Größe des Objekts, der Aufgabenstellung oder der Arbeitsorganisation ist vielfach eine Verschiebung möglich zwischen dem eigentlichen Durchführen der Arbeiten und dem Veranlassen der Ausführung durch Fremdfirmen und deren Überwachung. Erforderlich ist üblicherweise Verständnis auch für technische Dinge und handwerkliches Geschick mit z.T. vielfältigen handwerklichen Kenntnissen und Fertigkeiten. Eine abgeschlossene Ausbildung ist nicht immer Voraussetzung, jedoch meist gewünscht. Besonders eignen sich Berufe wie Sanitär-, Heizungs- und Elektroinstallateur, Schlosser, ggf. auch Schreiner. Die Erfahrungen eines Malers und Verputzers sind eher begrenzt verwertbar. Dennoch ist nicht völlig ausgeschlossen, durch eine bis zu 3-monatigen Einarbeitung eine Einmündung zumindest auf der Ebene der Anlernberufe zu erreichen.

Die Arbeiten sind überwiegend leicht bis mittelschwer, können gelegentlich aber auch schwer sein. Gehen (u.U. auch teilweise in unebenen Gelände, mit Treppensteigen in beachtlichem Umfang) und Stehen überwiegt deutlich. Ständig einseitige Körperhaltung wird nicht verlangt, jedoch immer wieder - u.U. auch einmal längerfristig - Arbeit in ungünstigen Haltungen wie Bücken, Hocken, Knien, Überkopfarbeit und Arbeit auf Leitern (einschl. Besteigen von Leitern). Heben und Tragen von mittelschweren und schweren Lasten ist zwar in der Regel nicht täglich oder häufig erforderlich, lässt sich aber meist nicht völlig ausschließen, da andere als einfache Hilfsmittel oft nicht vorhanden sind oder im Einzelfall nicht eingesetzt werden können. Dazu sind Belastungen durch Zugluft, Temperaturschwankungen oder bei Außenarbeiten Witterungseinflüsse sowie Nässe und gelegentlich Staub nicht ungewöhnlich. Vorausgesetzt wird üblicherweise insbesondere mittlere Körperkraft und Funktionstüchtigkeit und Belastbarkeit der Wirbelsäule, Arme und Beine. Insgesamt können auch bei einer Hausmeistertätigkeit die Leistungseinschränkungen des Klägers ständig in vollem Umfang berücksichtigt werden.

Lagerleiter

In ähnlich gelagerten Fällen wurde häufig die Tätigkeit eines Lagerverwalters genannt. Der Lagerverwalter hat in der Regel sicherzustellen, dass die Warenannahme und Eingangskontrolle ordnungsgemäß erfolgt, die verschiedenen Waren fachgerecht unter Berücksichtigung der jeweiligen Eigenschaften gelagert, gepflegt und weiterbehandelt werden, eine betriebswirtschaftlich und produktionsbezogen optimale Lagerbestandsmenge vorgehalten wird, Lagervorschriften und Sicherheitsbestimmungen beachtet und alle Lagereinrichtungen ordnungsgemäß gehandhabt, gepflegt und instandgehalten werden. Je nach Lagergröße hat er die dabei anfallenden Arbeiten in erster Linie zu planen, zu organisieren, zu steuern und zu überwachen oder auch selbst praktisch mitzuarbeiten oder sie in ihrer Gesamtheit allein zu verrichten. Wenn der Schwerpunkt auf verwaltenden und leitenden Aufgaben liegt, handelt es sich üblicherweise um eine Aufstiegsposition. Die dafür erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten, insbesondere auch im kaufmännisch-betriebswirtschaftlichen und bürotechnischen Bereich können vom Kläger, der überwiegend als Schlosser tätig war, nicht im Rahmen einer maximal dreimonatigen Einarbeitung vermittelt werden. Die bis zur Facharbeiterebene in der Regel erforderlichen, eigentlichen Lagerarbeiten beinhalten dagegen erfahrungsgemäß mindestens mittelschwere, u.U. auch schwere Belastungen, insbesondere entsprechende Hebe- und Tragebelastungen, Bücken und andere Zwangshaltungen, Klettern auf Lkw-Ladeflächen, u.U. auch Besteigen von Leitern, teilweise im Freien bzw. unter Witterungseinflüssen. Aus berufskundlicher Sicht ist im Lagerbereich keine für den Kläger uneingeschränkt zumutbare bzw. innerhalb von drei Monaten erlernbare Verweisungstätigkeit erkennbar.

Andere Verweisungsmöglichkeiten auf der Ebene der Facharbeiter- oder Anlernberufe, die in nennenswertem Umfang existieren und auch Außenstehenden zugänglich sind, die dem Kläger gesundheitlich uneingeschränkt zumutbar sind und von ihm nach einer Einarbeitungszeit von maximal drei Monaten ausgeübt werden können, sind aus berufskundlicher Sicht nicht erkennbar.
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