S 8 RJ 437/00

Berufskundekategorie
Stellungnahme
Land
Freistaat Bayern
Aktenzeichen
S 8 RJ 437/00
Auskunftgeber
Landesarbeitsamt Bayern, Nürnberg
Anfrage
Der bei der Rentenantragstellung 47jährige Kläger hat vom 01.09.1965 - 31.12.1967 den Beruf des Maurers erlernt, jedoch keinen Abschluss erreicht. Von 1968 - 1996 war er als Baggerführer tätig.

Im Widerspruchsbescheid vom 19.06.2000 geht die Beklagte von folgendem Leistungsvermögen aus:
- vollschichtig leichte Arbeiten
- ohne schweres Heben und Tragen
- ohne überwiegend einseitige Körperhaltung
- ohne häufiges Klettern und Steigen oder Bücken
- ohne häufiges Gehen auf unebenen Flächen
- ohne monotone Dauerbelastung des Schultergürtels oder häufiges Überkopfarbeiten
- ohne Schicht- und Akkordarbeit

Nach dem internistisch-kardiologischen Gutachten von Dr. ^Ostermeier^ vom 18.03.2002 stellt sich das Leistungsvermögen des Klägers wie folgt dar:
- vollschichtige, mindestens sechsstündige leichte Tätigkeit
- im Sitzen und nur zeitweise im Stehen
- in geschlossenen Räumen
- ohne Tätigkeiten mit besonderer nervlicher Belastung
- ohne Tätigkeiten an unfallgefährdeten Arbeitsplätzen
Auskunft
Berufskundliche Stellungnahme

Die Beklagte verweist den Kläger im Widerspruchsbescheid vom 19.06.2000 auf die Tätigkeiten eines Hausmeisters, eines Baustoffprüfers und eines Magaziners.

Hausmeister

Auf zumutbarer Qualifikationsebene würde noch die von der Beklagten genannte Hausmeistertätigkeit liegen. Hausmeister ist kein Ausbildungsberuf, es gibt kein einheitliches, verbindliches Berufsbild. Die Tätigkeit liegt auf der Ebene der Anlern- und Facharbeiterberufe. Beim Vorliegen einer verwertbaren Ausbildung ist die Tätigkeit oft auch auf Facharbeiterebene entlohnt. Je nach Aufgabenstellung und Vorkenntnissen ist von einer Einarbeitungszeit von zwei Monaten bis zu einem Jahr auszugehen.

Die Aufgaben eines Hausmeisters variieren je nach Art des zu betreuenden Objekts (Wohnhaus oder -anlage, Büro- und Fabrikgebäude, Schule, Theater, Heime usw.). Dazu gehören: Mängel feststellen und beheben (z.B. an allen elektrischen Anlagen einschließlich Beleuchtungs-, Heizungs- und Sanitäranlagen, an Türen, Fenstern, Möbeln, Aufzügen), ggf. Fremdfirmen einschalten, deren Arbeit überwachen und abnehmen, Wartungsarbeiten und Schönheitsreparaturen durchführen, Reinigungsarbeiten im, ggf. auch außerhalb des Gebäudes vornehmen (z.B. auch Schneeräumen, Streudienst) oder Garten, Grün- und Sportanlagen pflegen, für die Einhaltung von Feuerschutz und sonstigen Sicherheitsbestimmungen sorgen, Mithilfe bei Umzügen, Aufstellen von Sitzgelegenheiten in Sälen etc., Beschilderungen anbringen, auch Botendienste, Wohnungsbesichtigungen mit Mietinteressenten durchführen usw. Abhängig von der Größe des Objekts und der Arbeitsorganisation ist vielfach eine Verschiebung möglich zwischen dem eigentlichen Durchführen der Arbeit und dem Veranlassen der Ausführung durch Fremdfirmen und deren Überwachung. Es handelt sich aber immer um eine selbständige, eigenbestimmte und -verantwortliche Tätigkeit. Die körperlichen Belastungen sind überwiegend leicht bis mittelschwer, gelegentlich u.U. auch schwer. Gehen und Stehen überwiegt bei weitem, Zwangshaltungen (Bücken, Hocken, Knien, Überkopfarbeit) lassen sich in der Regel ebensowenig ausschließen wie Arbeiten auf Leitern und Gerüsten. Auch Heben, Tragen und Bewegen von schwereren Lasten wird üblicherweise verlangt. Ein Hausmeister sollte daher über einen gesunden Stütz- und Bewegungsapparat verfügen. Unabhängig von der erforderlichen Einarbeitungszeit, entspricht die Leistungsfähigkeit des Klägers nicht mehr den Anforderungen, die üblicherweise an einen Hausmeister gestellt werden.

Baustoffprüfer

Baustoffprüfer (drei Fachrichtungen: Boden, Mörtel und Bituminöse Massen) ist ein eigenständiger dreijähriger industrieller Ausbildungsberuf, in den sich der Kläger - auch mit seinen Vorkenntnissen aus der nicht abgeschlossenen Ausbildung zum Maurer - nicht innerhalb von drei Monaten einarbeiten kann. Arbeitnehmer aus Bauberufen mit Vorkenntnissen in der Herstellung, Verarbeitung und Prüfung von Beton können jedoch auch zum Betonprüfer angelernt werden und/oder sich die erforderlichen vertieften Kenntnisse im Rahmen eines mehrwöchigen Lehrganges aneignen. Auch hier dürfte allerdings im Fall des Klägers allein eine Einarbeitung von max. drei Monaten Dauer nicht genügen. Betonprüfung findet vor, während und nach der Verarbeitung, d.h. auf der Baustelle im Freien und im Labor statt; bei großen Baubetrieben mit einem Zentrallabor oder bei Betonfertigteilwerken ist u.a. auch ein Ansatz ausschließlich im Labor bzw. im Betrieb möglich. Die in Normen geregelten Prüfungen sind erfahrungsgemäß überwiegend im Gehen und Stehen durchzuführen, erlauben üblicherweise aber auch zeitweises Sitzen. Zur Prüfung der Druckfestigkeit müssen Probekörper hergestellt und unter bestimmten Bedingungen gelagert werden; die Probekörper sind im allgemeinen Würfel mit einer Kantenlänge von 20 cm und einem Gewicht von ca. 18 - 20 kg. Insgesamt ist aus berufskundlicher Sicht auch in diesem Bereich keine für den Kläger geeignete berufliche Alternative zu sehen.

Magaziner

In Magazinen sind in der Regel nicht so viele Arbeitskräfte beschäftigt, dass der Magaziner mit rein verwaltenden Aufgaben ausgelastet wäre. Die Tätigkeit umfasst daher üblicherweise Aufgaben wie die Entgegennahme von Bestellungen, die Bestandsüberwachung, die Veranlassung von Nachbestellungen und die Lagerkartei- und -buchführung (auf herkömmliche Weise oder - heute weitgehend die Regel - über EDV), dazu aber auch das Einlagern, Kommissionieren und Ausgeben von Materialien, Teilen, Hilfs- und Betriebsstoffen unterschiedlichster Art.

Entsprechende Arbeitsplätze gelten häufig als solche, die auch für leistungsgeminderte Bewerber geeignet sind (und die u.a. deswegen, aber auch wegen des Vorteils der vorhandenen betriebsspezifischen Kenntnisse bevorzugt und sehr weitgehend innerbetrieblich besetzt und nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt angeboten werden). Die Leistungsfähigkeit des Klägers genügt dennoch nicht mehr den Anforderungen. Belastbarkeit für leichte Arbeiten reicht nicht aus; zumindest zeitweise ist mit mittelschweren (in Einzelfällen auch noch höheren) Belastungen, insbesondere Hebe- und Tragebelastungen zu rechnen - auch bei Ausstattung mit Hilfsmitteln. Sitzen ist zeitweise möglich, erfahrungsgemäß überwiegt es jedoch nicht, vielmehr wird in erheblichem Umfang Gehen und Stehen verlangt. Auch Bücken und Recken fällt durchaus häufig an, ggf. sogar - je nach Lagersystem - Besteigen von Leitern. Zeitdruck ist nicht üblich, Schichtarbeit kann aber gefordert sein.

Die Tätigkeit kann auf der Qualifikationsebene der ungelernten oder der Anlerntätigkeiten angesiedelt sein. Da der Kläger über keine verwertbaren Vorkenntnisse für die Tätigkeit eines Magaziners verfügt, kann er die Ebene der Anlernberufe nicht innerhalb eines maximal dreimonatigen Einarbeitungszeitraumes erreichen. Unabhängig davon entspricht auch für diese Tätigkeit das Leistungsvermögen des Klägers nicht mehr den üblichen Anforderungen.

Pförtner

Dr. ^Ostermaier^ hat in seinem internistisch-kardiologischen Gutachten vom 18.03.2002 angegeben, dass der Kläger noch in der Lage ist, eine Tätigkeit als Pförtner ohne Wach- oder Bodengänge zu verrichten.

Pförtnerarbeitsplätze gelten vielfach als Schonarbeitsplätze, die für die innerbetriebliche Umsetzung leistungsgeminderter Beschäftigter geeignet sind. In nennenswertem Umfang sind Arbeitsplätze für einfache Pförtner allerdings auch Außenstehenden zugänglich. Die Pförtnertätigkeit beinhaltet teilweise tatsächlich nur leichte Arbeiten. Ein gewisser Wechsel der Körperhaltung ist gleichfalls möglich, wobei Gehen im Vergleich zu Sitzen und/oder Stehen jedoch meist nur einen geringen Anteil hat. Arbeit in Zwangshaltungen, Bücken, schweres Heben und Tragen ist in der Regel nicht zu erwarten. Belastungen durch Witterungseinflüsse, Zugluft oder Temperaturschwankungen sind aber nicht immer ganz zu vermeiden. Auch Zeitdruck ist (z.B. bei Arbeitsbeginn und -ende, Schichtwechsel, größerem Besucherandrang) nicht auszuschließen. Gleiches gilt außerdem für nervliche Belastungen, z.B. in außergewöhnlichen Situationen, in denen Handeln vom Pförtner verlangt wird. Die Aufgaben eines Pförtners stellen gewisse persönliche Mindestanforderungen wie z.B. Flexibilität, Merk- und Kontaktfähigkeit, Umgangsformen und Durchsetzungsvermögen. Ob der Kläger diese persönlichen Mindestanforderungen erfüllt, kann nicht beurteilt werden. Qualifiziert im Sinne einer für einen Facharbeiter(die Beklagte hat im Widerspruchsbescheid den Kläger nach seinem beruflichen Werdegang als Spezialbaufacharbeiter beurteilt) zumutbaren Verweisungstätigkeit ist eine Pförtnertätigkeit jedoch in der Regel erst dann, wenn zusätzliche Aufgaben wie z.B. die Erteilung von Auskünften, die weiterreichende Kenntnisse erfordern, schriftliche Arbeiten, umfangreiche Kontroll- und Sicherheitsaufgaben, die meist körperliche Belastung beinhalten, oder die Bedienung von Telefonanlagen mit mehreren Amtsleitungen zu erfüllen sind. Derartige Arbeitsplätze existieren in sehr viel geringerer Zahl als solche für einfache Pförtner. Sie werden in der Regel innerbetrieblich besetzt. Ein höchstens dreimonatiger Einarbeitungszeitraum reicht erfahrungsgemäß, zumal für einen Betriebsfremden nicht aus. Es ist daher auch in dieser Tätigkeit keine berufliche Alternative für den Kläger zu sehen.

Fachverkäufer in Bau- oder Heimwerkermärkten

Da Arbeitgeberbefragungen bestätigen, dass auch Facharbeiter bei persönlicher Eignung und nach Einarbeitung als Fachverkäufer beschäftigt werden, wurde geprüft, ob diese Tätigkeit eine geeignete berufliche Alternative für den Kläger darstellt. Eine vollständige Einarbeitung ist jedoch üblicherweise nicht in einem Zeitraum von höchstens drei Monaten möglich. Der Kläger, der über keine abgeschlossene Berufsausbildung verfügt, nach Ansicht der Beklagten ( Bl. 21 Widerspruchsakte) als Spezialbaufacharbeiter zu bewerten ist, benötigt für eine Tätigkeit als Fachverkäufer in Bau- oder Heimwerkermärkten mindestens einen Einarbeitungszeitraum von drei Monaten.

In Betrieben, die Waren überwiegend in Selbstbedienung anbieten (Bau-, Heimwerkermärkte) stellen Aufgaben wie Warenannahme, Lagerung, Bereitstellung und Plazierung im Verkaufsraum, Auszeichnung, Bestandsüberwachung und Mitwirkung bei der Sortimentsgestaltung und Beschaffung die Tätigkeitsschwerpunkte dar. Kundenkontakte, z.B. Orientierungshilfen, Auskünfte zu Qualität, Verarbeitungstipps, stellen eine besondere, obgleich unverzichtbare Serviceleistung dar. Der Umgang mit Kunden setzt Höflichkeit, Kontaktfähigkeit, Flexibilität usw. und auch ein gewisses Maß an psychischer Belastbarkeit voraus. Bei größerem Kundenandrang kann es auch zu Zeitdruck kommen. Verlangt wird nahezu ausschließlich Stehen und Gehen. Bücken ist durchaus häufig erforderlich, auch Recken, gelegentlich Überkopfarbeit und Besteigen von Leitern ist nicht auszuschließen. Heben und Tragen von Lasten ist keineswegs zu vermeiden. Die zu bewegenden Gewichte können sogar das mittelschwere Maß übersteigen. Unabhängig vom erforderlichen Einarbeitungszeitraum entspricht das Leistungsvermögen des Klägers nicht mehr den üblichen Anforderungen.

Für Kundenberatung im Baustoff-Fachhandel trifft es vielfach zu, dass der Verkauf im Verkaufsraum oder sogar am Schreibtisch anhand von Listen, Katalogen oder über ein Computer-Terminal abgewickelt und eine strikte Trennung zum Lager eingehalten wird. Arbeitgeberbefragungen und vermittlerische Erfahrungen zufolge wird jedoch üblicherweise den kaufmännischen Kenntnissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten größere Bedeutung als dem produktbezogenen und anwendungsspezifischen Wissen zugemessen und kaufmännisch ausgebildetes Personal (vor allem Groß- oder u.U. auch Einzelhandelskaufleute) beschäftigt. Aufgrund seines beruflichen Werdeganges verfügt der Kläger nur über begrenzte warenkundliche Kenntnisse. Ein Einarbeitungszeitraum von drei Monaten ist daher bei weitem zu kurz.

Telefonist

In die Überlegungen mit einbezogen wurde noch die berufsfremde Tätigkeit eines Telefonisten, die zwar von einem Ungelernten - wenn nicht andere Arbeiten mit erledigt werden müssen oder zur Auskunftserteilung umfangreiches Wissen erforderlich ist - in der Regel innerhalb von drei Monaten erlernbar ist, jedoch aufgrund ihrer Einstufung in verschiedenen Tarifverträgen mindestens der qualifiziert Angelerntenebene zuzuordnen ist. Die Tätigkeit eines Telefonisten ist körperlich leicht, wird aber ausschließlich im Sitzen ausgeübt. In der Regel erfolgt die Vermittlung der Gespräche per Tastatur und Bildschirm. Bildschirmarbeit wird u.U. in ausgeprägt statischer Haltung verrichtet. Zumindest eine Hand muss so geschickt und belastbar sein, dass die Verbindung schnell und korrekt hergestellt, ggf. Nachrichten notiert und z.T. Gebührenaufzeichnungen geführt bzw. Abrechnungen vorgenommen werden können. Neben Voraussetzungen wie Höflichkeit, Flexibilität, Merkfähigkeit, Sprachgewandtheit mit möglichst angenehmer Stimme etc. wird außerdem ein gewisses Maß an psychischer Belastbarkeit (u.a. für Arbeit unter Zeitdruck) erwartet. Ob der Kläger die persönlichen Mindestvoraussetzungen mitbringt, kann nicht beurteilt werden. Auch kann aus berufskundlicher Sicht nicht eingeschätzt werden, ob die Restgesundheit des Klägers durch ausschließliches Sitzen und Arbeit unter Zeitdruck gefährdet oder auf Dauer geschädigt wird. Arbeitsplätze sind in nennenswertem Umfang vorhanden.

Weitere angelernte Tätigkeiten (Anlernzeit ohne Vorbildung mindestens drei Monate) bzw. höher qualifizierte Tätigkeiten, die der Kläger nach seiner Vorbildung und seinen gesundheitlichen Möglichkeiten nach einer Einarbeitungszeit bis zu drei Monaten noch verrichten kann und für die entsprechende Arbeitsplätze innerhalb des Bundesgebietes in nennenswerter Zahl vorhanden sind, können aus berufskundlicher Sicht nicht benannt werden.
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