S 8 RJ 741/00

Berufskundekategorie
Stellungnahme
Land
Freistaat Bayern
Aktenzeichen
S 8 RJ 741/00
Auskunftgeber
Landesarbeitsamt Bayern, Nürnberg
Anfrage
Die bei der Rentenantragstellung 44jährige Klägerin hat in ihrem Herkunftsland von 1970 - 1976 den Beruf der Krankenschwester erlernt und anschließend bis 1976 ausgeübt. Im Anschluss daran war sie als Kontrolleurin (Krankenschwester) tätig. Von 1977 - 1978 und von 1981 - 1990 hat die Klägerin erneut eine Beschäftigung als Krankenschwester verrichtet. Anschließend absolvierte sie von 1991 - 1992 eine Ausbildung zur Masseurin und Bademeisterin. Dieser Berufsabschluss wurde nach der Aussiedlung der Klägerin in das Bundesgebiet am 20.03.1994 von der Regierung von Unterfranken als gleichwertig anerkannt. Von 1992 - 1999 war sie als Masseurin und medizinische Bademeisterin tätig.

Nach dem fachorthopädischen Gutachten von Dr. ^Keßler^ vom 01.10.2001 stellt sich das Leistungsvermögen der Klägerin wie folgt dar:
- vollschichtig leichte Tätigkeiten, mindestens sechsstündige Tätigkeit
- im Wechsel von Stehen, Gehen und Sitzen
- überwiegend in geschlossenen Räumen
- ohne wirbelsäulenbelastende Zwangshaltungen
- ohne häufiges Bücken
- ohne häufiges Heben und Tragen von Lasten
- ohne Einwirkung von Nässe, Kälte und Zugluft

Dr. ^Franke^ beschreibt in seinem nervenärztlichen und psychotherapeutischen Fachgutachten vom 21.01.2002 das Leistungsvermögen wie folgt dar:
- vollschichtig bzw. mindestens sechsstündige leichte Tätigkeit
- in wechselnder Stellung
- in geschlossenen Räumen wie im Freien
- ohne Tätigkeiten mit besonderer nervlicher Belastung wie Akkord- und Fließbandarbeit, Nachtschicht
- ohne Tätigkeiten an unfallgefährdeten Arbeitsplätzen wie Arbeiten auf Leitern und Gerüsten mit Absturzgefahr sowie Arbeiten an laufenden Maschinen
- ohne Tätigkeiten mit besonderer Belastung des Bewegungs- und Stützsystems insbesondere mit häufigem Bücken und Überkopfarbeit in Zwangshaltungen sowie häufigem Steigen
- ohne Tätigkeiten unter Einfluss von Kälte, Nässe und Zugluft
- ohne Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an die psychosoziale Kompetenz
- ohne Tätigkeiten mit besonderer Stressbelastung
Auskunft
Berufskundliche Stellungnahme

Im Schriftsatz vom 22.03.2003 nennt die Beklagte die Tätigkeit als Mitarbeiter in Poststellen von Behörden und Firmen als zumutbare Verweisungstätigkeit.

Mitarbeiter in Poststellen von Behörden und Firmen

Sofern die Post nicht zusätzlich vom Postamt geholt werden muss, sind die eingehenden Sendungen (z.B. Postsäcke, - körbe, -pakete) einschließlich der Hauspost (z.B. auch Akten) anzunehmen und zu öffnen. Der Inhalt muss entnommen, auf Vollständigkeit geprüft, großteils mit einem Eingangsvermerk sowie - nach Feststellung des Empfängers - mit einem Weiterleitungsvermerk versehen und entsprechend sortiert werden. Die Verteilung im Haus wie auch das Einsammeln der Ausgangspost kann von den Mitarbeitern der Post mit erledigt werden oder Boten übertragen sein. Üblicherweise ist jedoch die Ausgangspost zu sortieren, zu kuvertieren bzw. zu verpacken, korrekt zu frankieren und zur Abholung in Säcken, Körben o.ä. bereitzustellen oder ggf. auch selbst zum Postamt zu befördern. Verschiedentlich sind bei der Tätigkeit Maschinen (z.B. Brieföffnungs-, Kuvertier-, Frankiermaschinen) zu bedienen.

Die Arbeiten erfordern in der Regel gelegentlich mittelschwere Belastbarkeit, vor allen Dingen im Hinblick auf die zu bewegenden Lasten. In diesem Zusammenhang wird auch Bücken verlangt. Ein Wechsel der Körperhaltung ist möglich, wobei Gehen sogar in beachtlichem Umfang, u.U. einschließlich Treppensteigen, anfällt, wenn die Post auch ausgetragen und eingesammelt wird. Grundsätzlich kann nicht davon ausgegangen werden, dass diese Tätigkeit sowohl in der Wirtschaft als auch im öffentlichen Dienst auf der Ebene der qualifizierten Anlerntätigkeiten angesiedelt ist. Sie ist in der Regel gestaffelt nach Schwierigkeitsgrad ab der untersten Ebene der Angestelltentätigkeiten zu finden:
- Bundesentgelttarifvertrag für die Chemische Industrie: Entgeltgruppe E 1 = kurze Einweisung = Verteilen von Post, E 2 = Berufspraxis von bis zu 13 Wochen = Sortieren und Verteilen von Post, E 3 = Berufspraxis von 6 bis 15 Monaten = Postabfertigen;
- Gehaltstarifvertrag für die Angestellten des Speditions- und Transportgewerbes in Bayern: Gehaltsgruppe 1 = Einweisung am Arbeitsplatz = Postabfertiger, Gehaltsgruppe 2 = Berufsausbildung = Postabfertiger
- BAT VerGr X = Hilfsleistung bei der Postabfertigung, VerGr IXb = Postabfertigen, VerGr VIII = schwierigere Tätigkeit (im Vergleich zu den vorgenannten).

Da die Klägerin über keinerlei verwertbare Vorkenntnisse verfügt, ist aus berufskundlicher Sicht bei der Tätigkeit einer Mitarbeiterin in einer Poststelle davon auszugehen, dass sie innerhalb einer dreimonatigen Einarbeitungszeit nur die Ebene der ungelernten bzw. kurzfristig angelernten Tätigkeiten erreichen kann. Außerdem entspricht das Leistungsvermögen der Klägerin nicht mehr den üblichen Anforderungen.

Ansatz im Bereich der Krankenpflege

Die Klägerin hat in ihrem Herkunftsland den Beruf der Krankenschwester erlernt und ausgeübt. Über eine Gleichwertigkeitsanerkennung im Bundesgebiet verfügt sie offenbar nicht. Aufgrund der beruflichen Kenntnisse und Erfahrungen könnte zumindest an einen Ansatz auf der Ebene einer Krankenpflegehelferin (einjähriger Ausbildungsberuf) gedacht werden.

Durch die Mithilfe bei der Pflege und Versorgung der Patienten entlasten Krankenpflegehelferinnen die examinierten Pflegefachkräfte auf den Stationen. Dabei sollen sie den Kranken vor allem die Tätigkeiten abnehmen, die diese selbst nicht verrichten können, beispielsweise die Körperpflege. Sie helfen den Kranken beim Essen, begleiten sie zu Untersuchungen und Behandlungen, teilen Essen aus, bereiten Getränke zu und messen Puls, Temperatur und Blutdruck. Auch für Sauberkeit und Hygiene sind sie zuständig: Sie säubern und pflegen Instrumente, räumen die Krankenzimmer auf, sorgen für Sauberkeit in unmittelbarer Nähe der Patienten und richten die Betten. Zu ihren Aufgaben gehören außerdem die Durchführung einfacher ärztlicher Anweisungen und Verordnungen, die Mithilfe bei der Pflegedokumentation und -organisation sowie die Durchführung von Nachtwachen unter Aufsicht examinierter Pflegefachkräfte.

Es handelt sich bei der Tätigkeit einer Krankenpflegehelferin um überwiegend mittelschwere, zeitweise schwere körperliche Arbeit in geschlossenen Räumen, die im Wechsel von Gehen, Stehen, selten im Sitzen verrichtet wird. Zeitweise kommt es zu Zwangshaltungen (z.B. Bücken, Hocken, Knien, mit Armvorhalt, vorgeneigt) und Heben und Tragen schwerer Lasten. Unregelmäßige Arbeitszeit und Zeitdruck lassen sich üblicherweise nicht ausschließen.

Bei eingeschränkter Funktionstüchtigkeit von Gliedmaßen und Wirbelsäule, sowie bei herabgesetzter seelischer Belastbarkeit besteht voraussichtliche Nichteignung. Das Leistungsvermögen der Klägerin entspricht aus berufskundlicher Sicht nicht mehr den üblichen Anforderungen.

Arzthelferin bei Allgemeinmediziner

Häufig wird für Personal aus dem Gesundheitswesen wie Krankenschwestern oder Masseure auf die Tätigkeit einer Sprechstundenhilfe bzw. Arzthelferin verwiesen. Die Ausbildung zur Arzthelferin dauert drei Jahre. Arzthelferinnen unterstützen den Arzt durch Übernahme verschiedenartiger nicht-ärztlicher Tätigkeiten, die in einer Arztpraxis anfallen. Sie betreuen Patienten vor, während und nach der Behandlung, sorgen für eine rationelle Gestaltung des Tagesablaufs (Praxisorganisation), Vermeidung langer Wartezeiten für die Patienten, assistieren bei der Behandlung sowie bei chirurgischen Eingriffen, übernehmen die Pflege, Wartung, Reinigung und Desinfektion der Instrumente, Apparaturen sowie anderer Praxiseinrichtungen, sorgen für Sauberkeit und Hygiene in Praxis-, Sanitär- und Laborräumen, führen (einfache) Laborarbeiten z.B. Blut-, Harn-, Stuhluntersuchungen u.ä. durch und erledigen Büro-, Verwaltungs- und Abrechnungsarbeiten, z.B. Führen der Krankenblätter, Abrechnen mit Krankenkassen und Lieferanten usw.

Die Tätigkeit einer Arzthelferin ist körperlich leicht, zeitweise mittelschwer und wird in temperierten Praxis- und Laborräumen im Wechsel von Stehen, Gehen und Sitzen verrichtet. Wesentliche körperliche Eignungsvoraussetzungen sind die Funktionstüchtigkeit der Arme und Hände, die Fähigkeit zu beidhändigem Arbeiten und weitgehende Funktionstüchtigkeit der Beine und der Wirbelsäule, gute neuro-vegetative Belastbarkeit.

Aus berufskundlicher Sicht ist es vorstellbar, dass eine ausgebildete Krankenschwester eine Tätigkeit als Arzthelferin z.B. bei einem Allgemeinmediziner verrichtet. Eine Krankenschwester verfügt jedoch üblicherweise nicht über Kenntnisse des Praxisablaufes, EDV-Kenntnisse und Kenntnisse im Abrechnungswesen. Es muss daher mit mindestens sechs Monaten Anlernung bis zu einer vollständigen Einarbeitung gerechnet werden. Da die Klägerin den Beruf der Krankenschwester nicht im Bundesgebiet erlernt hat und auch offenbar nicht über die entsprechende Gleichwertigkeitsanerkennung verfügt, dürfte sie aus berufskundlicher Sicht üblicherweise einen noch längeren Zeitraum zur Einarbeitung benötigen.

Gedacht werden könnte noch an eine Tätigkeit als Pförtnerin. Eine Pförtnertätigkeit kann Aufgaben aus den Bereichen Personalkontrolle und Ausweiswesen, Besucherempfang, Schlüsselverwahrung bzw. Verwaltung von Schließanlagen und Überwachung des Kfz.- und Warenverkehrs sowie sonstige Aufgaben in verschiedenen Kombinationen und mit unterschiedlichen Schwerpunkten beinhalten. Nicht selten handelt es sich um Arbeitsplätze, die die Rücksichtnahme auf diverse Leistungseinschränkungen gestatten, so dass sie auch für leistungsgeminderte Arbeitskräfte in Frage kommen. Sie sind zwar häufig der innerbetrieblichen Besetzung durch langjährige, leistungsgewandelte Beschäftige vorbehalten, in nennenswertem Umfang aber auch Außenstehenden zugänglich. Meist genügt Belastbarkeit für leichte Arbeiten. Weitaus überwiegend ist Schichtarbeit (zumindest Früh- und Nachmittagsschicht, zum Teil rund um die Uhr, auch am Wochenende, u.U. mit auf 12 Stunden verlängerter Arbeitszeit) anzutreffen. Sogar Zeitdruck ist - im Wechsel mit Zeiten relativ monotoner Tätigkeit - möglich (z.B. hoher Besucherandrang; Arbeitsbeginn, - ende, Schichtwechsel); auch andere Stressbelastungen (z.B. Gefahrensituationen, ggf. Auseinandersetzungen mit Besuchern oder Mitarbeitern o.ä.) sind nicht völlig zu vermeiden. Vorausgesetzt wird üblicherweise Kontaktfähigkeit, Höflichkeit, Merkfähigkeit, Flexibilität, sicheres Auftreten oder sogar Durchsetzungskraft und die Fähigkeit zu situationsgerechtem und schnellem Handeln bei außergewöhnlichen Vorfällen, wozu auch ein gewisses Maß an neurovegetativer und psychischer Belastbarkeit erforderlich ist. Überwiegend handelt es sich um Alleinarbeit, so dass auf die ständige Anwesenheit und Aufmerksamkeit nicht verzichtet werden kann.

Frauen üben eine derartige Tätigkeit jedoch erfahrungsgemäß meist in der Funktion einer Empfangsdame aus. Kunden- oder Besucherempfang und
- weiterleitung sowie Auskunft- erteilung sind jedoch auch hier oft nicht die einzigen Tätigkeitsinhalte, sondern es sind vielfach auch andere Arbeiten wie Telefonvermittlung, Ablage, Kartei-, Schreib- oder sonstige einfache Büroarbeiten mit zu verrichten, die zusätzlich zum Teil einschlägige Kenntnisse und Fertigkeiten (z.B. kaufmännische, Schreibmaschinen-, Textverarbeitungs-, EDV- oder aber auch Fremdsprachenkenntnisse) erfordern. Besonderes Augenmerk wird in der Regel außerdem auch auf das äußere Erscheinungsbild gerichtet.

Ein Einarbeitungszeitraum von maximal drei Monaten dürfte aufgrund des beruflichen Werdeganges der Klägerin für diese Tätigkeit nicht genügen.

Hinsichtlich der physischen und psychischen Belastungen sind erfahrungsgemäß nicht selten gewisse Unterschiede im Vergleich zur Pförtnertätigkeit festzustellen. Sitzen überwiegt meist deutlicher, auch Zwangshaltungen sind möglich, wenn z.B. häufiger oder länger Schreibmaschinenschreiben oder Arbeit am Computer verlangt wird. Dafür ist üblicherweise nicht oder in sehr viel geringerem Umfang mit Schichtarbeit, ungünstigen Umgebungseinflüssen, Gefahrensituationen u.ä. zu rechnen.

Telefonistin

Geprüft wurde noch die berufsfremde Tätigkeit einer Telefonistin, die zwar von einer Ungelernten - wenn nicht andere Arbeiten miterledigt werden müssen oder zur Auskunftserteilung umfangreiches Wissen erforderlich ist - in der Regel innerhalb von drei Monaten erlernbar ist, jedoch aufgrund ihrer Einstufung in verschiedenen Tarifverträgen mindestens der qualifiziert Angelerntenebene zuzuordnen ist. Die Telefonistinnentätigkeit ist körperlich leicht, wird aber ausschließlich im Sitzen ausgeübt. In der Regel erfolgt die Vermittlung der Gespräche per Tastatur und Bildschirm. Bildschirmarbeit wird u.U. in ausgeprägt statischer Haltung verrichtet. Zumindest eine Hand muss so geschickt und belastbar sein, dass die Verbindung schnell und korrekt hergestellt, ggf. Nachrichten notiert und z.T. Gebührenaufzeichnungen geführt bzw. Abrechnungen vorgenommen werden können. Zeitdruck ist oft nicht zu vermeiden. Nicht zuletzt deswegen wird erfahrungsgemäß neben Flexibilität, Auffassungsgabe, Merk- und Konzentrationsfähigkeit sowie gewisser Sprachgewandtheit auch psychische Belastbarkeit vorausgesetzt.

Die Leistungseinschränkungen der Klägerin können nicht ständig und in vollem Umfang berücksichtigt werden.

Andere Verweisungsmöglichkeiten mindestens auf der Ebene der Anlernberufe, die in nennenswertem Umfang existieren und auch Außenstehenden zugänglich sind, die der Klägerin gesundheitlich uneingeschränkt zumutbar sind und von ihr nach einer Einarbeitungszeit von maximal drei Monaten ausgeübt werden können, sind aus berufskundlicher Sicht nicht erkennbar.
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