L 1 RA 207/02

Berufskundekategorie
Gutachten
Land
Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
L 1 RA 207/02
Auskunftgeber
Agentur für Arbeit, Diepholz
Anfrage
Der Kläger hat den Beruf eines Einzelhandelskaufmanns erlernt. Im Anschluss daran hat er auf verschiedenen Positionen in unterschiedlichen Positionen gearbeitet. Dabei hat er nach eigenen Angaben (s. Bl. 168 Gutachten Dr. ) offenbar einen erfolgreichen beruflichen Aufstieg gemacht, denn er habe immer gut verdient. Dies wird auch durch die Angaben des letzten Arbeitgebers, der Fa. AG & Co. bestätigt. Die tarifliche Eingruppierung in die Gehaltsgruppe K6 entspricht einer Tätigkeit, die der oberen Leitungsebene zuzuordnen sind. Tarifverträge formulieren die Anforderungen an solche Stellen üblicherweise in folgender Form:

"Sehr schwierige Tätigkeiten, die nach allgemeinen Richtlinien selbständig ausgeführt werden und Entscheidungen von erheblicher Bedeutung einschließen. Bearbeiten von komplexen Spezialaufgaben in den Bereichen Einkauf, Materialwirtschaft, Vertrieb, Kundendienst, Werbung, Verwaltung, Recht, Rechnungswesen, Finanzen, Steuern, Versicherungen, Revision, Organisation, Datenverarbeitung, Personal, Forschung, Entwicklung, Projektierung, Prüfung, Konstruktion, Arbeitsvorbereitung, Fertigung, Versorgung und Instandhaltung, Außenmontage; Leiten einer Programmierergruppe; Leiten eines DV-Rechenzentrums; Leiten einer Arbeitsgruppe, die schwierige Tätigkeiten ausführt. Ausgeprägte Personalverantwortung"

Der für den letzten Beschäftigungsbetrieb maßgebliche Tarifvertrag liegt hier nicht vor, die Formulierungen sind jedoch in allen einschlägigen Branchen ähnlich.

Weiterhin hatte der Kläger Personalverantwortung für 45 unterstellte Mitarbeiter, die sich sowohl aus Außendienstlern wie Innendienstlern zusammensetzten. Auf S. 315 der Gerichtsakte wird außerdem durch die Arbeitgeberauskunft hervorgehoben, dass mit seinem Tätigkeitsfeld auch die Umsatz- und Ergebnisverantwortung verbunden war.

Der Kläger ist somit der Gruppe der Leitenden Angestellten zuzuordnen. Ausschlaggebend hierfür ist nicht der erlernte und formal abgeschlossene Beruf, sondern vielmehr die Qualität der verrichteten Arbeit, d.h. der aus den o.g. Faktoren ermittelte Wert der Arbeit für den Betrieb, der sich schließlich in einer entsprechenden tariflichen Eingruppierung niederschlägt.

Zumindest bei seinem letzten Arbeitgeber hat der Kläger vertriebsorientiert gearbeitet. Dies geht auch aus der Angabe hervor, dass er sehr viel Auto gefahren habe (S. 266, Gutachten Dr. ). Dies war wahrscheinlich im Zusammenhang mit dem Verkauf und der nachgehenden Betreuung der Kunden notwendig. In der berufskundlichen Literatur werden solche Positionen beschrieben als qualifizierte Fachkräfte, die aufgrund ihrer Ausbildung und Ihrer Berufserfahrung in der Lage sind, Marktchancen zu identifizieren, selbstständig Beratungs- und Verkaufsgespräche anzubahnen, Marketinginstrumente zielgerichtet einzusetzen, sowie Vertriebsaktivitäten zu organisieren und zu steuern. Als Repräsentanten vertreten sie neben ihrem Unternehmen auch seine Produkte und damit die Produktphilosophie. Sie kennen die Bedürfnisse ihrer Kunden und sind durch gezielte, individuell abgestimmte Beratung in den Lage, ihnen ein Gefühl der Sicherheit und des Vertrauens zu vermitteln.

Um diese komplexen Anforderungen zu erfüllen, bedarf es

- gründlicher Kenntnisse methodischen Arbeitens unter Einsatz von moderner Kommunikationstechnologie

- vertiefter Kenntnisse wirtschaftlichen Handelns unter Kosten- und Nutzenaspekten (Betriebswirtschaft, Finanzierung, Statistik)

- vertiefter Kenntnisse in der Identifizierung von Marktchancen und des zielgerichteten Einsatzes von Marketinginstrumenten

- vertiefter Kenntnisse aus den Bereichen Vertrags-, Handels- und Arbeitsrecht

- vertiefter Kenntnisse über eine effektive und effiziente Gestaltung von Kundenkontakten einer kommunikationsorientierten, emphatischen und eher extravertierten Persönlichkeit.

Diese Eigenschaften hat der Kläger zweifelsohne in seine berufliche Tätigkeit einbringen können, denn ohne sie wäre er nicht in dem beschriebenen Maße erfolgreich gewesen.

Hinsichtlich der gesundheitlichen Leistungsfähigkeit und ihrer Auswirkungen auf eine berufliche Tätigkeit bietet der bisherige Verlauf des Verfahrens eine Fülle teils recht unterschiedlicher medizinischer Einschätzungen aus verschiedenen Fachrichtungen. Unstrittig ist jedoch, dass beim Kläger organisch eine Beeinträchtigung der Wirbelsäulen-Funktion vorliegt. Vor diesem Hintergrund soll Beweis erhoben werden über die Frage, ob der Kläger seinen bisherigen Beruf als Sachgebietsleiter Vertrieb weiter ausüben kann.

Der orthopädische Gutachter Dr. hält den Kläger für körperlich leichte Arbeiten geeignet. Autofahrten von mehr als 30 Minuten sollten jedoch nicht ohne Pause absolviert werden. Hinsichtlich der mentalen Leistungsfähigkeit differieren die gutachterlichen Angaben in der Akte. Während der orthopädische Gutachter Dr. (Bl. 271) feststellt, das "geistige Tätigkeiten von gehobener Anforderung nicht mehr ausgeführt werden" können, stellt der psychiatrisch-neurologische Gutachter Dr. aufgrund eigener fachlicher Untersuchung fest, dass der Kläger in der Lage sei, "mittleren bis gelegentlich auch schwierigen geistigen Anforderungen gerecht zu werden." (Bl. 310). Dies deckt sich im wesentlichen mit den Aussagen des psychiatrischen Gutachters Dr. (S. 176).
Auskunft
Berufskundliches Gutachten

Vor diesem Hintergrund komme ich zu Beantwortung der Beweisfragen des Gerichts:

1a. Der Kläger kann seinen bisherigen Beruf als Sachgebietsleiter Vertrieb nicht weiter ausüben. Ausschlaggebend für die Beurteilung ist alleine die eingeschränkte Fähigkeit zum Führen eines eigenen PKW. Wie vorstehend dargestellt, ist im Vertrieb die Orientierung an den Kundenbedürfnissen und das persönliche Vertrauensverhältnis zu diesen unmittelbar notwendig und unverzichtbar. Ein Sachgebietsleiter Vertrieb wird sich den wichtigsten Kunden stets persönlich widmen und diese Aufgabe nicht delegieren. Das wird von den Kunden auch so erwartet (sog. Key-Accounts). Um diese jederzeit und auch kurzfristig erreichen zu können, gehört der PKW praktisch zu den Arbeitsmitteln, auf die nicht verzichtet werden kann. Eine Substituierung durch öffentliche Verkehrsmittel ist nicht praxisgerecht und wird demzufolge auch nicht praktiziert, da die Geschäftspartner weit verstreut und nicht zwangsläufig auf diese Weise erreichbar sind.

1b. Da die WS-Symptomatik im wesentlichen seit 1998 manifest ist, gilt diese Einschränkung von dort an.

2a. Auf Grund seiner vielschichtigen, qualifizierten und hochwertigen oben beschriebenen Kenntnisse ist der Kläger jedoch in der Lage, eine Tätigkeit auf ähnlichem Niveau als leitender Angestellter/Führungskraft ohne dauerndes Reisen auszuüben. Solche Tätigkeiten mit einem ähnlichen Anforderungsniveau sind in den Bereichen Marketing, Controlling und auch Personalwirtschaft anzutreffen. Merkmale dieser Tätigkeiten sind, dass sie unmittelbar unterhalb der Geschäftsleitungsebene verantwortlich sind für Ablauf- und Zeitplanung sowie Steuerung und Überwachung der Beschäftigten. Erarbeitung und Bereitstellung von Entscheidungsgrundlagen und -hilfen im Produktmanagement, Marketing und Vertrieb Auswertung und Zusammenfassung der auf der Führungsebene zusammenlaufenden betriebswirtschaftlichen Unterlagen Vertretung von Vorgesetzten im Rahmen des Kompetenzbereichs, zum Beispiel Führen von Gespräche mit Geschäftspartnern in Einkauf, Verkauf usw. Entscheidung bzw. Assistenz bei Auswahl und Einstellung von Mitarbeitern und Tätigkeit im Rahmen der Personalentwicklung

2b. Diese Beurteilung gilt analog der Feststellung zu 1a) für den Zeitraum seit März 1998.
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