S 8 RJ 780/01

Berufskundekategorie
Stellungnahme
Land
Freistaat Bayern
Aktenzeichen
S 8 RJ 780/01
Auskunftgeber
Landesarbeitsamt Bayern, Nürnberg
Anfrage
Der bei der Rentenantragstellung 49jährige Kläger hat von 01.10.1965 bis 09.10.1968 den Beruf des Fliesenlegers erlernt und anschließend bis 1999 ausgeübt.

Nach dem fachorthopädischen Gutachten vom 05.10.2003 stellt sich das Leistungsvermögen des Klägers wie folgt dar:
- überwiegend leichte und mittelschwere Tätigkeiten - im Sitzen und Stehen mit gelegentlichem Wechselrhythmus
- im Freien und in geschlossenen Räumen
- unter Vermeidung von Akkord- und Nachtschicht
- ohne häufiges Heben und Tragen von Lasten
- ohne vermehrte Tätigkeiten in gebückter Haltung oder Überkopfarbeit
Auskunft
Berufskundliche Stellungnahme

Die Beklagte verweist den Kläger sowohl im Bescheid vom 22.12.2000 und im Widerspruchsbescheid vom 19.09.2001 weiterhin auf den erlernten und ausgeübten Beruf als Fliesenleger. Im Schriftsatz vom 24.10.2003 gibt die Beklagte an, dass der Kläger als Fliesenleger nicht mehr einsetzbar ist, verweist ihn jedoch auf die Tätigkeit eines Magaziners.

Magaziner

Ausgehend vom Ausgangsberuf des Klägers könnte an die Tätigkeit des Baustellenmagaziners gedacht werden. Ein Baustellenmagaziner arbeitet auf kleinen und großen Baustellen und muss dort das Baumaterial und die Arbeitsgeräte nicht nur verwalten, sondern auch ausgeben. Es fallen leichte bis mittelschwere, u.U. auch schwere Arbeiten an, insbesondere im Hinblick auf die auftretenden Hebe- und Tragebelastungen. Auch wenn für größere und schwere Teile oft technische Geräte zur Verfügung stehen, bleibt es nicht aus, dass er Materialien und Geräte wie Bohrhämmer, Schalungsbretter, Kompressoren etc. selbst abladen und ausgeben muss. Die Tätigkeit wird im Gehen und Stehen verrichtet. Eine Möglichkeit zum Sitzen besteht selten. Bücken ist häufig erforderlich, auch Klettern und Steigen bzw. Absturzgefahr kann nicht immer vermieden werden. Zusätzliche Belastungen treten dadurch auf, dass z.T. im Freien unter Witterungseinflüssen und baustellenüblichen Umgebungsbedingungen gearbeitet werden muss. In größeren Baumagazinen, in denen Hilfskräfte zur Verfügung stehen und der Baustellenmagaziner überwiegend schriftliche und organisatorische Aufgaben erledigt, kann der Kläger die hierfür erforderlichen Kenntnisse nicht innerhalb von drei Monaten erwerben. Da bei der Tätigkeit des Baustellenmagaziners entweder die Leistungseinschränkungen des Klägers nicht ständig und in vollem Umfang berücksichtigt werden können oder die erforderlichen Kenntnisse nicht innerhalb einer dreimonatigen Einarbeitungszeit erworben werden können, ist aus berufskundlicher Sicht in der Tätigkeit des Baustellenmagaziners keine uneingeschränkt geeignete berufliche Alternative zu sehen. Anzumerken ist, dass Arbeitgeber außerdem meist leistungsgeminderte Fachkräfte ihres Betriebes oder Arbeitskräfte aus dem Helferbereich mit langjähriger Betriebszugehörigkeit im Baumagazin beschäftigen. Eine Einstellung von Betriebsfremden für diese Tätigkeit kommt nur ganz selten vor.

In anderen Branchen werden in der Werkzeug- und Materialausgabe - unabhängig vom Leistungsvermögen des Klägers - keinesfalls Fliesenleger, sondern einschlägig ausgebildete Fachkräfte bevorzugt (im Metallbereich Metallfacharbeiter, im Elektrobereich Elektriker etc.). Außerdem werden entsprechende Stellen nicht selten innerbetrieblich mit leistungsgeminderten Beschäftigten besetzt, da die Belastungen im Vergleich zum Ausgangsberuf doch geringer sind.

Verkäufer bzw. Berater im Fliesenhandel

Häufig wird die Tätigkeit eines Verkäufers bzw. Beraters im Fliesenhandel als zumutbare Verweisungstätigkeit genannt. Im Flieseneinzelhandel, speziell in Bau- und Heimwerkermärkten stellen Aufgaben wie Warenannahme, Lagerung, Bereitstellung und Platzierung im Verkaufsraum, Auszeichnung, Bestandsüberwachung und Mitwirkung bei der Sortimentsgestaltung und Beschaffung die Tätigkeitsschwerpunkte eines Verkäufers und Beraters dar. Zur Warenannahme und Warenpräsentation gehören auch das Einräumen in Regale, Stapeln von z.B. Fliesenpaketen, Eimern mit Kleber o.ä. auf dem Fußboden, z.T. auch Aufbauen von Demonstrationsobjekten. Gelegentlich hat er auch dem Kunden beim Transport der Ware zur Kasse oder zum Wagen zu helfen. Kundenkontakte, z.B. Orientierungshilfen, Auskünfte zu Qualität, Verarbeitungstipps, stellen eine besondere, obgleich unverzichtbare Serviceleistung dar. Der Umgang mit Kunden setzt Höflichkeit, Kontaktfähigkeit, Flexibilität usw. und auch ein gewisses Maß an psychischer Belastbarkeit voraus. Bei größerem Kundenandrang kann es auch zu Zeitdruck kommen.

Die Tätigkeit eines Verkäufers und Beraters im Fliesenhandel wird nahezu ausschließlich im Stehen und Gehen verrichtet. Bücken ist durchaus häufig erforderlich, auch Recken, gelegentlich Überkopfarbeit bzw. Hochhantierungen und Besteigen von Leitern sind nicht auszuschließen. Heben und Tragen von Lasten sind keineswegs zu vermeiden. Die zu bewegenden Gewichte können sogar in Einzelfällen das mittelschwere Maß übersteigen. Arbeitgeberbefragungen bestätigen, dass auch Facharbeiter bei persönlicher Eignung und nach Einarbeitung als Fachverkäufer beschäftigt werden. Eine vollständige Einarbeitung ist jedoch üblicherweise nicht in einem Zeitraum von höchstens drei Monaten möglich (Verkäufer im Einzelhandel ist ein Beruf mit zweijähriger Ausbildung). Der Kläger war ausschließlich als Fliesenleger tätig. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass auch ihm drei Monate bis zur vollständigen Einarbeitung nicht ausreichen werden.

Im Fach(groß)handel gibt es große Ausstellungsräume, die nicht von Verkäufern, sondern von eigenen Fliesenlegern und z.T. Installateuren eingerichtet werden. Die Ware wird oft ausschließlich von Lagerarbeitern oder Lageristen kommissioniert. Hier stellt die Beratungs- und Verkaufstätigkeit erfahrungsgemäß weitgehend nur solche Anforderungen, denen auch der Kläger noch gewachsen ist. Voraussetzungen wie Kontaktfähigkeit, Umgangsformen, Verhandlungsgeschick, Rechenkenntnisse usw. müssen erfüllt sein.

Neben warenkundlichen Kenntnissen sind in erster Linie fundierte kaufmännische und heute erfahrungsgemäß EDV-Kenntnisse erforderlich. Nach Arbeitgeberbefragungen und vermittlerischer Erfahrung zufolge wird daher in der Regel kaufmännisch ausgebildetes Personal (vor allem Groß- oder u.U. auch Einzelhandelskaufleute) beschäftigt. Obwohl das Leistungsvermögen des Klägers weitgehend den üblichen Anforderungen entspricht, ist in der Tätigkeit eines Verkäufers oder Beraters im Fach(groß)handel keine geeignete berufliche Alternative zu sehen, da eine Einarbeitungszeit von maximal drei Monaten bei weitem nicht genügt (Großhandelskaufmann ist ein Beruf mit dreijähriger Ausbildung).

Hausmeister

Eine Hausmeistertätigkeit würde noch auf zumutbarer Qualifikationsebene liegen. Hausmeister ist kein Ausbildungsberuf, es gibt kein einheitliches, verbindliches Berufsbild. Eine abgeschlossene Ausbildung ist nicht immer Voraussetzung, jedoch meist erwünscht. Besonders eignen sich Berufe wie Sanitär-, Heizungs- oder Elektroinstallateur, Schlosser, ggf. auch Schreiner. Die Tätigkeit liegt auf der Ebene der Anlern- und Facharbeiterberufe. Beim Vorliegen einer verwertbaren Ausbildung ist die Tätigkeit oft auch auf Facharbeiterebene entlohnt. Je nach Aufgabenstellung und Vorkenntnissen ist von einer Einarbeitungszeit von zwei Monaten bis zu einem Jahr auszugehen. Dem Kläger dürfte ein maximal dreimonatiger Einarbeitungszeitraum genügen, um die qualifizierte Angelerntenebene zu erreichen. Jedoch ist die Einsatzbreite eines Fliesenlegers relativ gering und entspricht nur auf Arbeitsplätzen den fachlichen Anforderungen, bei denen Instandsetzungsarbeiten, Reparaturarbeiten an Bauwerken, Bauwerksteilen u.ä. durchzuführen sind.

Die Aufgaben eines Hausmeisters variieren je nach Art des zu betreuenden Objekts (Wohnhaus oder -anlage, Büro- und Fabrikgebäude, Schule, Theater, Heime usw.). Dazu gehören: Mängel feststellen und beheben (z.B. an allen elektrischen Anlagen einschließlich Beleuchtungs-, Heizungs- und Sanitäranlagen, an Türen, Fenstern, Möbeln, Aufzügen), ggf. Fremdfirmen einschalten, deren Arbeit überwachen und abnehmen, Wartungsarbeiten und Schönheitsreparaturen durchführen, Reinigungsarbeiten im, ggf. auch außerhalb des Gebäudes vornehmen (z.B. auch Schneeräumen, Streudienst) oder Garten, Grün- und Sportanlagen pflegen, für die Einhaltung von Feuerschutz und sonstigen Sicherheitsbestimmungen sorgen, Mithilfe bei Umzügen, Aufstellen von Sitzgelegenheiten in Sälen etc., Beschilderungen anbringen, auch Botendienste, Wohnungsbesichtigungen mit Mietinteressenten durchführen usw. Abhängig von der Größe des Objekts und der Arbeitsorganisation ist vielfach eine Verschiebung möglich zwischen dem eigentlichen Durchführen der Arbeit und dem Veranlassen der Ausführung durch Fremdfirmen und deren Überwachung. Erforderlich ist üblicherweise Verständnis für technische Dinge und handwerkliches Geschick mit z.T. vielfältigen handwerklichen Kenntnissen und Fertigkeiten.

Die Arbeiten eines Hausmeisters sind in der Regel leicht bis mittelschwer, können u.U. aber auch gelegentlich schwer sein. Stehen und Gehen überwiegt deutlich, ein Wechsel der Arbeitshaltung ist jedoch möglich (90% Stehen und Gehen mit Treppensteigen und 10% Sitzen). Heben und Tragen von schweren Lasten ist zwar in der Regel nicht täglich oder häufig erforderlich, lässt sich meist aber nicht ganz ausschließen. Zwangshaltungen (Bücken, Hocken, Knien) lassen sich ebenso wenig ausschließen wie Arbeiten auf Leitern und Überkopfarbeiten. Ein Hausmeister sollte daher über einen gesunden Stütz- und Bewegungsapparat verfügen. Die Leistungseinschränkungen des Klägers können bei einer Hausmeistertätigkeit nicht ständig und in vollem Umfang berücksichtigt werden.

Telefonist

Die Tätigkeit eines Telefonisten ist zwar von einem Ungelernten - wenn nicht andere Arbeiten mit erledigt werden müssen oder zur Auskunftserteilung umfangreiches Wissen erforderlich ist, in der Regel innerhalb von drei Monaten erlernbar, jedoch aufgrund ihrer Einstufung in verschiedenen Tarifverträgen mindestens der qualifiziert Angelerntenebene zuzuordnen. Die Telefonistentätigkeit ist körperlich leicht, wird aber ausschließlich im Sitzen, ausgeübt. In der Regel erfolgt die Vermittlung der Gespräche per Tastatur und Bildschirm. Bildschirmarbeit wird u.U. in ausgeprägt statischer Haltung verrichtet. Zumindest eine Hand muss so geschickt und belastbar sein, dass die Verbindung schnell und korrekt hergestellt, ggf. Nachrichten notiert und z.T. Gebührenaufzeichnungen geführt bzw. Abrechnungen vorgenommen werden können. Neben Voraussetzungen wie Höflichkeit, Flexibilität, Merkfähigkeit, Sprachgewandtheit mit möglichst angenehmer Stimme etc. wird außerdem ein gewisses Maß an psychischer Belastbarkeit (u.a. für Arbeit unter Zeitdruck) erwartet. Wenn der Kläger die persönlichen Mindestanforderungen mitbringt und wenn ausschließliches Sitzen das Restleistungsleistungsvermögen nicht gefährdet oder auf Dauer schädigt könnte der Kläger aus berufskundlicher Sicht auf die Tätigkeit eines Telefonisten verwiesen werden. Arbeitsplätze sind in nennenswertem Umfang vorhanden.

Andere angelernte Tätigkeiten (Anlernzeit ohne Vorbildung mindestens drei Monate) bwz. höher qualifizierte Tätigkeiten, die der Kläger nach seiner Vorbildung und seinen gesundheitlichen Möglichkeiten nach einer Einarbeitungszeit bis zu drei Monaten noch verrichten kann, sind aus berufskundlicher Sicht nicht erkennbar.
Saved
Datum