L 6 RJ 364/02

Berufskundekategorie
Stellungnahme
Land
Freistaat Bayern
Aktenzeichen
L 6 RJ 364/02
Auskunftgeber
Regionaldirektion Bayern, Nürnberg
Anfrage
Die am 10.3.2000 zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Rente wegen geminderter Erwerbsfähigkeit 50-jährige Klägerin war nach der Ausbildung (1963 - 1966) im Maler- und Lackierhandwerk - Fachrichtung Maler - bis August 1968 als Malerin, von 1969 bis 1978 als kaufmännische Sachbearbeiterin beschäftigt und nach Absolvierung der Meisterschule (1980/1981) bis Mai 1999 als sog. Alleinmeister (ohne Gesellen und Auszubildende) im eigenen Betrieb tätig. Arbeitsunfähigkeit der Klägerin bei Bezug von Krankengeld besteht seit Anfang 1999.

Feststellungen zum Gesundheitszustand und zum beruflichen Leistungsvermögen

Die Leistungsfähigkeit der Klägerin wird im fachchirurgischen-orthopädischen Gutachten des Herrn Dr. vom 2.4.2001 (Bl. 13/14) wie folgt beschrieben:

a) Ausübbarkeit leichter, durchaus auch intermittierend mittelschwerer Arbeiten.

b) Arbeiten im Wechsel der Arbeitsposition (Gehen, Stehen, Sitzen), hier sollte allenfalls der gelegentliche Wechsel der Arbeitsposition gewährleistet sein.

c) Arbeiten in geschlossenen Räumen, durchaus auch im Freien.

d) Arbeiten achtstündig mit den üblichen Unterbrechungen eines Arbeitsverhältnisses.

e) Entfall des Hebens und Tragens von Lasten über 12,5 kg, nicht zumutbar sind häufiges Bücken. Ausschließliches Arbeiten an Maschinen und Fließband sollten nicht zum beruflichen Alltag zählen. An Kraft und Geschicklichkeit der Finger beider Hände sollten über einen 8-Stunden-Arbeitstag keine besonderen Ansprüche gestellt werden.

f) Sozial-medizinisch relevante Beschränkungen hinsichtlich des Anmarschweges zur Arbeitsstätte bestehen nicht. Die Klägerin ist in der Lage, arbeitstäglich eine Wegstrecke von deutlich mehr als vier mal 500 Meter zum Arbeitsplatz in angemessener Zeit zurückzulegen.

Zusammenfassend und abschließend kommt dieses Gutachten auf Bl. 18/19 zu der Aussage, " dass als Arbeiterin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von einem achtstündigen täglichen Leistungsvermögen ausgegangen werden kann. Dies trifft auch zu im Beruf der Sachbearbeiterin (Beraterin), Verkäuferin im Fachgroßhandel oder Baumarkt. Ausschließlich der Beruf der selbständigen Malermeisterin ist sechs- bis siebenstündig täglich ausübbar, da hier erfahrungsgemäß kontinuierlich an Kraft und Geschicklichkeit der Finger der rechten Hand unter Berücksichtigung der Rechtshändigkeit besondere Ansprüche gestellt werden".

Von Herrn Dr. wurde in dem am 17.2.2002 erstellten orthopädischen Gutachten (Bl. 20) zur Fragestellung des Sozialgerichtes München wie folgt geantwortet:

zu 2 b) Als Sachbearbeiterin und Beraterin sowie Verkäuferin im Fachhandel oder Baumarkt besteht weiterhin

a) für leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten,

b) aus gehender, stehender und sitzender Position,

c) sowohl im Freien als auch in geschlossenen Räumen,

d) vollschichtig, täglich, mit den üblichen Pausen, Verwendbarkeit.

e) Das Heben und Tragen von schweren Lasten, Arbeiten aus ungünstigen, vorgeneigten, aber auch stark rückgeneigten Wirbelsäulenpositionen heraus sowie kraftvolle Überkopf- tätigkeiten müssen unterbleiben.

f) Es bestehen noch keine fassbaren Beschränkungen eines zumutbaren Anmarschweges zur Arbeitsstätte.

Die Beklagte vertritt im Schreiben an das Bayer. LSG vom 13.11.03 die Auffassung, die Klägerin könne noch zumutbar die Verweisungstätigkeiten als Warenmalerin, Vergolderin, Oberflächenveredlerin und Spielwarenmalerin verrichten.
Auskunft
Warenmalerin

Im beruflichen Bereich der Warenmaler und Warenlackierer gibt es neben Tätigkeiten, die eine vor-ausgegangene qualifizierte Ausbildung voraussetzen, einfache und routinemäßig auszuübende Tätigkeiten, die von Arbeitskräften, die dafür keinerlei Ausbildung benötigen, in unterschiedlichen Arbeitspositionen ausgeübt werden. Der Teilbereich des Warenbemalens/-lackierens von Hand ist in der Regel eine körperlich leichte Tätigkeit, bei der es besonders auf Handgeschicklichkeit ankommt. Gegenstände wie Möbel, Stoffe, Metalle, Spielwaren usw. sind hier unter Anwendung verschiedener Arbeitstechniken mit diversen Handwerkszeugen zu behandeln. Diese Tätigkeiten sind überwiegend leicht bis gelegentlich mittelschwer. Durch die arbeitsteilige Anwendung erfordert eine solche Tätigkeit keine qualifizierten Kenntnisse. Spritzlackierer von Kleinteilen arbeiten ausschließlich im Stehen und Gehen, Sitzen ist hier nicht üblich und in der Regel auch nicht möglich. Die Arbeit erfolgt in der industriellen Fertigung zumeist als Band- oder Akkordarbeit.

Aus den im fachchirurgischen-orthopädischen Gutachten unter Buchst. e) angeführten gesundheitlichen Einschränkung der Klägerin, dass an Kraft und Geschicklichkeit der Finger beider Hände über einen 8-Stunden-Arbeitstag keine besonderen Ansprüche gestellt werden sollten, kann allein ein Leistungsunvermögen für vorgenannte Tätigkeiten nicht hergeleitet werden; den hier gestellten Anforderungen dürfte die Klägerin gerecht werden können.

Vergolderin

Vergolder gestalten die Oberflächen von Kunst- und Gebrauchsgegenständen durch Vergolden, Versilbern, Metall- und Farbauftragung. Sie bearbeiten dabei verschiedene Untergründe, insbesondere Metall, Holz, Kunststoff, Glas und Stuck. Die Arbeit ist eigenständig und verlangt unter Berücksichtigung der wertvollen Materialien Exaktheit und Genauigkeit. Die Verwendung traditioneller Werkzeuge und ein geringer Technikeinsatz ist typisch für den Arbeitsalltag im Vergolderhandwerk. Grundsätzlich leicht bis mittelschwer - je nach Größe und Gewicht der zu behandelnden Gegenstände (Leuchter, Figuren, Spiegel- und Gemälderahmen) - ist die Arbeit des Vergolders (Rahmenvergolders), dessen Arbeitsplatz in der Werkstatt ist. Er arbeitet überwiegend im Sitzen und Stehen. Bedingt durch die Art der Gegenstände können jedoch gelegentliche Anforderungen, wie Zwangshaltungen, Heben, Tragen und Bücken, nicht ausgeschlossen werden.

Ein besonderes Aufgabengebiet eines Vergolders sind Erhaltungs- und Renovierungsarbeiten auf Baustellen sowie an und in Alt- und Neubauten. Diese Tätigkeit wird überwiegend auf Arbeitsbühnen und Gerüsten verrichtet und ist insbesondere bei Außenarbeiten zum Teil Hitze, Kälte, Nässe und Zugluft ausgesetzt; Zwangshaltungen wie z.B. Überkopfarbeiten sind hier nicht zu vermeiden. Die Verwandtschaft zum Malerberuf ist gegeben. Fachkräfte aus verwandten Berufen, wie Maler- und Lackierer mit dem Schwerpunkt Maler, können nach entsprechender Einarbeitung einschlägige Arbeiten nach Anweisung ausführen.

Grundsätzlich kann der Beruf des Vergolders unter Berücksichtigung der Leistungseinschränkungen für die Klägerin in Erwägung gezogen werden, wobei allerdings das Aufgabengebiet des sog. Fassmalers (Kirchenvergolder) wegen der damit verbundenen Zwangshaltungen, hier insbesondere die nachgewiesene Problematik bei Beweglichkeit und Kraftentfaltung der Arme im Überkopf-Bereich ausgeschlossen werden muss.

Oberflächenveredlerin

Die Tätigkeit Oberflächenveredlung ist dem Berufsbild des Galvaniseur zugeordnet. Der Galvaniseur veredelt mit Hilfe der Galvanotechnik und anderen Oberflächentechniken Metall- und Kunststoffoberflächen zum Zwecke des Korrosions- und Verschleißschutzes sowie der Dekoration in der Regel durch galvanische Bäder. Das Auftragen der Schutzschichten erfolgt nicht in Maltechnik und nur selten in Spritztechnik; lediglich das Nachbehandeln der Waren, z.B. Einebnen von Rauhigkeit durch Polieren und Glätten erfolgt in Handarbeit.

Aus berufskundlicher Sicht ist in diesem Bereich keine für die Klägerin uneingeschränkt zumutbare bzw. innerhalb von 3 Monaten erlernbare Verweisungstätigkeit erkennbar.

Spielwarenmalerin

Die Tätigkeit Spielwarenmaler ist dem Berufsbild Spielzeughersteller zugeordnet. Spielzeughersteller können in verschiedenen Produktionsbereichen tätig sein, so u.a. auch im Bereich der Oberflächenbearbeitung und -gestaltung. Die Tätigkeiten im Einzelnen sind hier Holz- und Metallflächen schleifen, feilen und raspeln, Holzoberflächen beizen, wachsen und ölen sowie Holz-, Kunststoff- und Metalloberflächen polieren, lackieren, bemalen und bedrucken. Die Oberflächenbearbeitung durch lackieren und bemalen der Waren erfolgt in handwerklicher Arbeit und zum Teil in manueller Feinarbeit in der Regel an der Werkbank in sitzender Arbeitshaltung; allerdings kann hier - bedingt durch Serienfertigung - Akkordarbeit nicht ausgeschlossen werden.

Die Anforderungen entsprechen hier im Wesentlichen denen des Berufs des Warenmalers/-lackierers, weshalb zur Eignung der Klägerin auf die diesbezüglichen Ausführungen verwiesen werden kann.

Als alternative Beschäftigungsmöglichkeiten, die dem Niveau eines Facharbeiters entsprechen und von der Klägerin innerhalb von 3 Monaten vollwertig ausgeübt werden können, werden genannt:

Verkäuferin/Fachberaterin für Farben, Lacke, Innenausstattung Verkäufer ist ein Beruf mit dreijähriger Ausbildung. Das Führen von Verkaufsgesprächen, die Kundenberatung und kaufmännische Arbeiten wie die Ausstellung von Rechnungen und Lieferscheinen, sind nur ein Teil der Aufgaben eines Verkäufers. Die Warenbereitstellung gehört ebenfalls zum Aufgabengebiet des Verkäufers; neben einer überwiegend gehenden und stehenden Arbeitshaltung sind Heben und Tragen von Lasten, Bücken und ggf. Überkopfarbeiten häufig erforderlich.

Bei der Fachberatung im Einzelhandel liegt der Schwerpunkt der Tätigkeit erfahrungsgemäß im Verkauf. Auch hierzu gehört die Warenpräsentation mit den zur Verkaufstätigkeit genannten körperlichen Anforderungen.

Die bei der Klägerin zu beachtenden gesundheitlichen Einschränkungen schließen eine Tätigkeit als Verkäuferin oder Fachberaterin nicht aus. Die fachliche Eignung der Klägerin für eine Verkaufs- und Beratungstätigkeit im Fachhandel und in Fachabteilungen bei Kaufhäusern und Bau- und Heimwerkermärkten dürfte durch die langjährige Meistertätigkeit festzustellen sein, ebenso die persönliche Eignung für Verkaufs- und Beratungstätigkeiten -beruhend auf Kontaktfähigkeit, Höflichkeit, Auffassungsgabe und Flexibilität und in diesem Rahmen auch einer psychischen Belastbarkeit. Arbeitgeberbefragungen hierzu bestätigen, dass auch Facharbeiter bei persönlicher Eignung und nach Einarbeitung als Fachverkäufer beschäftigt werden. Der Klägerin dürfte aufgrund ihres beruflichen Werdegangs für die Tätigkeit einer Fachverkäuferin eine dreimonatige Einarbeitungszeit - insbesondere zur Vermittlung der betriebswirtschaftlichen und verkaufsbezogenen Kenntnisse und auch der DV-Anwendungen in diesem Bereich - genügen.

Aufsicht führende Meisterin in einem größeren Malereibetrieb

Aus berufskundlicher Sicht ist ein Aufsicht führender Meister des Malerhandwerks insbesondere zuständig für die Ermittlung des Materialbedarfs, für die Zuteilung der Arbeitskräfte, für die Abnahme nach Abschluss der Arbeiten, ggf. für die Veranlassungen bei Reklamationen und für die Vorbereitung der Abrechnungen. Da ein Aufsicht führender Malermeister überwiegend organisatorische Aufgaben wahrnimmt, sind die Arbeiten in der Regel als körperlich leicht zu beurteilen; Termin- und Zeitdruck kann jedoch nicht ausgeschlossen werden. Meistertätigkeiten ohne nennenswerte Mitarbeit stellen zwar erfahrungsgemäß geringere Anforderungen an die körperliche Leistungsfähigkeit, dafür höhere an die psychische Belastbarkeit. Von besondere Bedeutung sind hier Flexibilität, Verantwortungsbewusstsein, Planungs- und Organisationsvermögen, Kooperationsfähigkeit, Führungs-, Einfühlungs- und Durchsetzungsvermögen. Anzumerken ist, dass bei Betrieben mit mindestens 30 - 40 Beschäftigten die Tätigkeit eines lediglich Aufsicht führenden Meisters existiert. Es kann sowohl in größeren Betrieben beim Anleiten und Demonstrieren sowie in kleineren Betrieben (10 - 15 Beschäftigte) bei erhöhter Auftragslage, bei Personalausfall oder bei schwierigen Aufgaben die unterstützende bzw. praktische Mitarbeit des Malermeisters erforderlich sein.

Bei der Klägerin wurde ein ausreichendes Leistungsvermögen für eine Vollzeittätigkeit festgestellt und lediglich für die Tätigkeit der selbständigen Malermeisterin auf 6 -7 Stunden täglich beschränkt, um die kontinuierliche Beanspruchung an Kraft und Geschicklichkeit der Finger der rechten Hand zu mindern. Eine solche Beanspruchung ist bei der Tätigkeit als Aufsicht führende Malermeisterin nicht zu erwarten.
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