S 2 RJ 1951/02

Berufskundekategorie
Stellungnahme
Land
Hessen
Aktenzeichen
S 2 RJ 1951/02
Auskunftgeber
Landesarbeitsamt Hessen
Anfrage
In obigem Rechtsstreit wird um die Beantwortung der unter II. aufgeführten berufskundlichen Beweisfragen unter Berücksichtigung der nachfolgend aufgezeigten Anknüpfungstatsachen gebeten.

I. Anknüpfungstatsachen:
- beruflicher Werdegang d. Kl. 1970 Übersiedlung aus der Türkei in die Bundesrepublik keine abgeschlossene Berufsausbildung April 1970 bis Oktober 1998 Tätigkeit als Fabrikarbeiterin, zuletzt bei der Firma X.

- Gesundheitliches Restleistungsvermögen
- Leichte körperliche Tätigkeiten sechs Stunden arbeitstäglich mit Heben und Tragen von Lasten bis zu 5 kg
- Im Sitzen mit nur gelegentlichem Gehen oder Stehen
- Ohne anhaltende oder überwiegende Überkopfarbeiten mit Überstreckung der Wirbelsäule
- Keine Tätigkeiten mit gehüftem Bücken, Treppen-, Leiter- oder Gerüstbesteigen
- Keine anhaltend kniende Tätigkeiten
- unter Vermeidung von Stäuben, Gasen, Dämpfen oder Nässe, ferner auch Kälte, Zugluft und starken Temperaturschwankungen
- In geschlossenen, wohltemperierten Räumen
- Keine besonderen (überdurchschnittlichen) Anforderungen oder auch nur durchschnittlichen Anforderungen an das Auffassungsvermögen oder an die Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit (geistige Beweglichkeit)
- Keine besonderen (überdurchschnittlichen) Anforderungen oder auch nur durchschnittlichen Anforderungen an Reaktionsfähigkeit, Übersicht, Aufmerksamkeit, Zuverlässigkeit und das Verantwortungsbewusstsein
- Keine besonderen (überdurchschnittlichen) Anforderungen oder auch nur durchschnittlichen Anforderungen an das Konzentrationsvermögen oder an die Merkfähigkeit
- Keine besonderen (überdurchschnittlichen) Anforderungen oder auch nur durchschnittlichen Anforderungen an das Durchsetzungsvermögen
- Keine besonderen oder auch nur durchschnittlichen nervlichen Belastungen
- Keine Schicht-, Nacht-, Fließband- und Akkordarbeit
- Kein besonderer (überdurchschnittlicher) Zeitdruck
- Kein häufiger Publikumsverkehr

Sollten Sie aufgrund des Akteninhaltes abweichende Anknüpfungstatsachen zu I für gegeben halten, bitte ich Sie, diese Abweichung kenntlich zu machen und die Beweisfragen alternativ zu beantworten.

II. Beweisfragen:

1. Welche berufsnahen oder berufsfremden Tätigkeiten kann die Klägerin noch ausüben?

2. Welches fachliche und gesundheitliche Anforderungsprofil haben diese Tätigkeiten im Einzelnen?

3. Welche Ausbildungszeiten erfordern diese Tätigkeiten und wie werden diese Tätigkeiten tarifvertraglich eingestuft?

4. Kann die Klägerin unter Berücksichtigung der Anknüpfungstatsachen zu I.a nach einer bis zu 3 Monate dauernden Einarbeitung und Einweisung die für die in Betracht kommenden Tätigkeiten vollwertig verrichten?

5. Stehen die in Betracht kommenden Tätigkeiten (bitte einzeln bezeichnen) auf dem Arbeitsmarkt in nennenswertem Umfang (mehr als 300 Arbeitsplätze im Bundesgebiet) zur Verfügung?

6. Stehen die in Betracht kommenden Tätigkeiten auch Betriebsfremden zur Verfügung?
Auskunft
Stellungnahme:

Zu 1 - 2) Die Klägerin halte ich noch in der Lage folgende Verweistätigkeit auszuüben:

Versandfertigmacherin
Die wesentlichen Aufgaben bestehen in vorbereitenden Arbeiten für den Versand von Erzeugnissen der gewerblichen Wirtschaft. Im Einzelnen wären hier zu nennen: Das Anbringen von Etiketten, Preisauszeichnungen oder Gütezeichen, das Abzählen, Abwiegen, Abmessen oder Abfüllen von Waren, das Einwickeln bzw. Einlegen von Waren in Papp- oder Holzschachteln, Kisten oder sonstigen Behältnissen, verkaufsfördernden Zierhüllen oder Zierkartons, das Verschließen dieser Behältnisse, das Anbringen von Kennzeichen oder Versandhinweisen o. ä ...

Es handelt sich dabei meist um körperlich leichte Arbeit in geschlossenen Räumen oder Lagerhallen. Es wird überwiegend im Sitzen, zeitweise im Stehen und Gehen gearbeitet. Ein Wechsel zwischen Sitzen und Stehen ist meist möglich.

Die von der LVA Hessen genannten Tätigkeiten wie Montiererin u. ä. kommen für die Klägerin unter Berücksichtigung des gesundheitlichen und fachlichen m. E. grundsätzlich nicht in Betracht. Nachfolgend die Tätigkeit einer Montiererin.

Montiererin in der Metall- und Elektroindustrie
Die wesentlichen Aufgaben umfassen den Zusammenbau/die Montage von vorgefertigten Einzelteilen oder von Baugruppen zu einer funktionsgerechten Einheit entsprechend den Montageanleitungen unter gleichzeitiger Prüfung der Maßgenauigkeit; Zupassen der Teile und Verbinden der Teile durch Verschrauben, Löten, Schweißen, Nieten u. ä., Einbau von Zusatzgeräten in Grundeinheiten zur Erweiterung der Verwendungsmöglichkeit. Arbeitsplätze dieser Art findet man in allen Bereichen der feinmechanischen, optischen, Metall- und Elektroindustrie.

Es handelt sich zumeist um körperlich leichte Arbeiten in geschlossenen Räumen überwiegend in sitzender Körperhaltung. Erforderlich sind ein gutes Sehvermögen, handwerkliches Geschick und Fingerfertigkeit. Oft wird diese Tätigkeit in Schichtar- beit verrichtet, z. T. auch am Fließband.

Für die Klägerin scheidet jedoch nach den ärztlichen Gutachten Schicht-, Nacht-, Fließband- und Akkordarbeit sowie Arbeiten mit besonderem Zeitdruck und häufigem Publikumsverkehr grundsätzlich aus. Auch kommen aufgrund des Leistungsvermögens der Klägerin Tätigkeiten wie Pförtnerin oder Mitarbeiterin einer Poststelle in einem Betrieb oder einer Behörde nicht in Betracht. Wie von Dr. B. aufgeführt, spricht die Klägerin nur gebrochen Deutsch.

Von Dr. B. wurde im Gutachten wie folgt ausgeführt: „Alternativ wäre auch eine berufliche Tätigkeit mit weniger qualitativen Einschränkungen aber dafür einer quantitativen (zeitlichen) Reduktion möglich, z. B. eine berufliche Tätigkeit, die zwar mit einem gewissen Stress verbunden ist, aber nur zwei mal drei Stunden pro Arbeitstag ausgeübt wird mit verlängerter Mittagspause o.ä.“ Wenn sich diese Aussage auch auf evt. Schicht- oder Fließbandarbeit bezieht, käme die Klägerin auch als Montiererin - wie oben genannt - mit ggf. zeitlicher Reduzierung grundsätzlich in Betracht.

Dem Gutachten von Dr. S. ist folgende Ausführung zu entnehmen: „ ... Üblicherweise gelingt es durchaus bei entsprechenden therapeutisch zielgerichtet angesetzten Behandlungsmaßnahmen eine derartige Kreuzdarmbeinblockierung in ihren funktionellen, insbesondere schmerzverursachenden Auswirkungen erheblich einzudämmen, was nach hiesiger Auffassung bislang noch nicht im erforderlichen Umfange angegangen worden ist. “

Unter Berücksichtigung der beispielhaft genannten Äußerungen der Gutachter ist eine abschließende Beantwortung der Beweisfragen zum derzeitigen Zeitpunkt nur bedingt möglich.

Zu 3) Bei den vorgenannten Verweistätigkeiten handelt es sich um ungelernte Arbeiten, für die keine besondere Ausbildung erforderlich ist und die nach einer entsprechenden Einarbeitungs- bzw. Einweisungszeit verrichtet werden können. Gleichwohl werden diese Tätigkeiten zu einem überwiegenden Teil von Arbeitnehmern mit einer abgeschlossenen Ausbildung ausgeübt. Die erbetene Auskunft über die tarifliche Einstufung kann ich nicht erteilen, da die Dienststellen der Bundesanstalt für Arbeit keine Tarifsammlung führen. Entsprechende Anfragen bitte ich an die Tarifvertragsparteien oder an die Tarifregisterstelle im Hessischen Ministerium für Frauen, Arbeit und Sozialordnung zu richten.

Zu 4) Diese Einarbeitungs- bzw. Einweisungszeiten von 3 Monaten dürften – unter Zugrundelegung des mir derzeit nach Aktenlage bekannten beruflichen und gesundheitlichen Leistungsvermögens der Klägerin – auch für sie ausreichend sein.

Weiterhin sind die Ausführungen von Dr. B. zu beachten: „Außerdem würde das Wegfallen der Beschwerden nach dem Selbstverständnis der Klägerin bzw. den Anforderungen des sozialen Umfelds bedeuten, dass Frau wieder berufstätig/erwerbstätig sein sollte/müsste (ohne die Sicherheit der Vermittlung eines leidensgerechten Arbeitsplatzes). Es entspricht allgemeiner nervenärztlicher Erfahrung, dass bei derartigen Entwicklungen die Aussichten auf eine wesentliche Veränderung des Bedingungsgefüges durch psychotherapeutische Maßnahmen gering sind, zumindest solange das Rentenverfahren nicht abgeschlossen ist. Es verbleibt jedoch grundsätzlich die Möglichkeit einer wesentlichen Besserung des Leistungsvermögens d. Kl. Im Erwerbsleben, da neurotische Störungen, der bei der Klägerin nachgewiesenen Art grundsätzlich rückbildungsfähig sind.“

Zu 5) Die genannten Tätigkeiten stehen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt des Bundesgebietes in nennenswertem Umfang zur Verfügung.

Zu 6) Die in Betracht kommenden Tätigkeiten stehen auch Betriebsfremden zur Verfügung.
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Datum