S 6 RA 712/02

Berufskundekategorie
Stellungnahme
Land
Hessen
Aktenzeichen
S 6 RA 712/02
Auskunftgeber
Landesarbeitsamt Hessen
Anfrage
In obigem Rechtsstreit wird um die Beantwortung der unter II. aufgeführten berufskundlichen Beweisfragen unter Berücksichtigung der nachfolgend aufgezeigten Anknüpfungstatsachen gebeten.

I. Anknüpfungstatsachen:

a) Beruflicher Werdegang und sonstige berufsbezogene Qualifikationen der Klägerin/des Klägers: Ausbildung zur Arzthelferin von August 1970 bis Juni 1972; als solche beschäftigt - zuletzt bis Februar 2000 in Teilzeit mit 24 Wochenstunden; seitdem arbeitsunfähig bzw. arbeitslos.

b) Gesundheitliches Restleistungsvermögen der Klägerin: Restleistungsvermögen:
Vollschichtig leichte Arbeiten Mit der Möglichkeit jederzeitiger, rasch erreichbarer Toilettengänge; Ohne Zeitdruck und überdurchschnittliche Stressbelastung; Keine Schichtarbeit, nicht auf Leitern und Gerüsten; Nicht überwiegend oder ausschließlich im Freien; Nicht mit Überkopfarbeiten und Heben und Tragen von Lasten über 6 kg.

II. Beweisfragen:

1. Welche berufsnahen oder berufsfremden Tätigkeiten kann die Klägerin/der Kläger noch ausüben?

Kann die Klägerin noch als Arzthelferin oder in den in der Akte genannten Verweisungstätigkeiten vollschichtig arbeiten? Bitte nehmen Sie zu den einzelnen Tätigkeitsbildern Stellung bzw. zu den dort genannten Ausführungen der Beklagten und zitierten Urteile: Sind die Ausführungen zutreffend und haben sie aktuell noch Gültigkeit?

2. Welches fachliche und gesundheitliche Anforderungsprofil haben diese Tätigkeiten im Einzelnen?

3. Welche Ausbildungszeiten erfordern diese Tätigkeiten und wie werden diese Tätigkeiten tarifvertraglich eingestuft?

4. Kann die Klägerin/der Kläger unter Berücksichtigung der Anknüpfungstatsachen zu I.a nach einer bis zu 3 Monate dauernden Einarbeitung und Einweisung die für die in Betracht kommenden Tätigkeiten vollwertig verrichten?

5. Stehen die in Betracht kommenden Tätigkeiten (bitte einzeln bezeichnen) auf dem Arbeitsmarkt in nennenswertem Umfang (mehr als 300 Arbeitsplätze im Bundesgebiet) zur Verfügung?

6. Stehen die in Betracht kommenden Tätigkeiten auch Betriebsfremden zur Verfügung?
Auskunft
Stellungnahme:

zu 1. und 2. Arzthelfer/innen in einer Arztpraxis
Arzthelfer/innen unterstützen den Arzt durch die Übernahme vielfältiger und unterschiedlicher Tätigkeiten. Sie sind im Allgemeinen die erste Kontaktperson und sorgen für einen reibungslosen Praxisablauf. Ihnen obliegt die Betreuung von Patienten vor, während und nach der Behandlung. Sie assistieren bei Untersuchungen und Behandlungen sowie chirurgischen Eingriffen am Patienten. Sie bedienen, pflegen, reinigen, warten und desinfizieren medizinische Instrumente, Geräte, Apparaturen und andere Praxiseinrichtungen. Auch führen sie (einfache) Laborarbeiten durch, wie z. B. Blut-, Harn- und Stuhluntersuchungen und dokumentieren die Ergebnisse. Sie bereiten Spritzen vor oder nehmen Blut für Laboruntersuchungen ab, verabreichen Medikamente, legen Verbände an. Die Organisation und Verwaltung der ärztlichen Praxis nimmt einen großen Teil ihrer Arbeit ein: Sie führen und überwachen die Patientenkartei. Sie sind zuständig für die Abrechnung mit Krankenkassen und Privatpatienten. Sie wickeln den Schriftverkehr mit Patienten und Patientinnen, Behörden, Firmen und Trägern der Sozialversicherung ab. Bei ihrer Arbeit wenden sie die einschlägigen Rechtsvorschriften an und arbeiten am PC.

Die Tätigkeit eines Arzthelfers/einer Arzthelferin ist leicht, zeitweise mittelschwer und wird im Allgemeinen in temperierten Praxis- und Laborräumen im Wechsel von Stehen, Gehen und Sitzen ausgeübt. Körperliche Eignungsvoraussetzungen sind eine weitgehende Funktionstüchtigkeit der Wirbelsäule, der Beine, der Arme und der Hände. Ferner sind eine gute neuro-vegetative Belastbarkeit und ein gutes Konzentrationsvermögen erforderlich. Arzthelfer/innen sind permanent wechselnden Arbeitssituationen ausgesetzt. Die Arbeit erfolgt oft unter Zeitdruck und hoher Arbeitsbelastung. Teilweise sind die Arbeitszeiten unregelmäßig.

Aufgrund der, in den ärztlichen Gutachten getroffenen Feststellungen hinsichtlich der Einschränkungen des Leistungsvermögens, kommt m. E. für die Klägerin eine Tätigkeit als Arzthelferin in einer Praxis nicht mehr in Betracht.

Ich halte die Klägerin noch für in der Lage, die folgenden Tätigkeiten auszuüben:

Tätigkeit bei Krankenkassen, kassenärztlichen Vereinigungen oder privatärztlichen Abrechnungsstellen
Bei Krankenkassen, kassenärztlichen Vereinigungen oder privatärztlichen Abrechnungsstellen werden Arzthelfer/innen sehr oft in den Bereichen Abrechnung und Datenerfassung/pflege eingesetzt. Aufgaben sind u. a. die Eingabe und Korrektur von Daten, das Ermitteln von Anschriften, Überprüfen von Adressen, das Bearbeiten von Papierbelegen, Einholen von Auskünften und Erledigung von Schriftverkehr mit Ärzten und Krankenhäusern, Einscannen von Belegen; ferner das Überprüfen von ärztlichen Leistungen und Honorarabrechnungen und der Verordnung von Arzneimitteln.

Es handelt sich hierbei um eine körperlich leichte Arbeit in temperierten Räumen mit der Möglichkeit wechselnder Körperhaltung. Die Toiletten können jederzeit aufgesucht werden.

Zur Erstellung dieses Gutachtens eingeholte Auskünfte u. a. bei einer kassenärztlichen Vereinigung, einer großen Krankenkasse und einer privatärztlichen Abrechnungsstelle bestätigen die von der Beklagten im Schriftsatz vom 28.05.2004 getroffenen Feststellungen und deren Gültigkeit.

Büro-/Verwaltungshilfskraft
Diese Tätigkeiten umfassen einfache, routinemäßige Bürohilfsarbeiten, die ohne besondere Ausbildung und ohne längere Einarbeitungszeit nach vorgegebenem Schema oder nach jeweiligen Anordnungen verrichtet werden können (z.B. Abheften, Sortieren, Aufschreiben, Notieren, Vergleichen, Kopieren von Unterlagen). Auch die Verteilung der Post und firmeninterner Umläufe oder Telefondienste können unter ihr Aufgabengebiet fallen. Bürohilfskräfte können in allen Branchen tätig sein.

Es handelt sich dabei um eine körperlich leichte Arbeit in geschlossenen, temperierten, oft klimatisierten Räumen, z.T. in Großraumbüros. Es wird überwiegend im Sitzen, zeitweise im Stehen und Gehen gearbeitet. Üblich ist der Umgang mit Bürokommunikationsmitteln und Datenverarbeitung, zunehmend Arbeit am Bildschirm.

zu 3. Die Ausbildung zum Arzthelfer/zur Arzthelferin dauert gem. § 2 der Verordnung über die Berufsausbildung zum Arzthelfer/zur Arzthelferin vom 10.12.1985 3 Jahre. Bei der zu 1.und 2. genannten Verweistätigkeit der Arzthelferin im Bereich Abrechnung und Dateneingabe/pflege handelt es sich um Tätigkeiten, die in der Regel von ausgebildeten Arzthelfern/helferinnen oder von Mitarbeitern mit einer kaufmännischen Ausbildung von mehr als 2 Jahren Dauer ausgeübt werden. Auch die Tätigkeit der Büro-/Verwaltungshilfskraft wird zu einem überwiegenden Teil von Arbeitnehmern mit einer abgeschlossenen Ausbildung ausgeübt.

Zu den tarifvertraglichen Einstufungen können keine Aussagen getroffen werden.

zu 4. Einfache zuarbeitende Bürotätigkeiten im Bereich der Abrechnung und Datenerfassung/pflege sind innerhalb von 3 Monaten für eine ausgebildete Arzthelferin ausübbar. Auch für die Büro/Verwaltungshilfskraft ist im allgemeinen Einarbeitungs- bzw. Einweisungszeiten von maximal drei Monaten Dauer ausreichend. Diese Einarbeitungs- bzw. Einweisungszeiten dürften - unter Zugrundelegung des mir derzeit nach Aktenlage bekannten beruflichen und gesundheitlichen Leistungsvermögens - auch für die Klägerin ausreichend sein.

zu 5. Die genannten Tätigkeiten stehen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt des Bundesgebietes in nennenswertem Umfang zur Verfügung.

zu 6. Die in Betracht kommenden Tätigkeiten stehen auch Betriebsfremden zur Verfügung.
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Datum