Bundesland
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Kategorie
Entscheidungen
Verwirkung eines Anspruchs auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen
Ein Anspruch des Leistungsträger gegen eine Hilfebedürftige ist dann verwirkt, wenn neben einem gewissen Zeitablauf und der Untätigkeit des Trägers noch besondere Umstände hinzutreten, die den Schluss rechtfertigen, dass die spätere Geltendmachung gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstößt.
Der Sachverhalt
Die 1927 geborene Klägerin bezog von Januar 2005 bis April 2009 ergänzende Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII von dem Beklagten. Nachdem die Klägerin im Februar 2005 im Antrag auf Leistungen der Grundsicherung angegeben hatte, alleinstehend zu sein, teilte sie der Behörde im Antrag auf Weiterbewilligung vom 31.01.2009 mit, sie lebe mit einem Partner sei 2006 gemeinsam in ihrer Wohnung. Mit Bescheid vom 01.10.2009 nahm der beklagte Landkreis die Leistungsbewilligungsbescheide für die Zeit vom September 2006 bis April 2009 zurück und machte einen Erstattungsanspruch in Höhe von 14.145,44 Euro geltend. Hiergegen legte die Klägerin am 23.10.2009 Widerspruch ein worauf der Beklagte zur Durchsetzung seines Erstattungsanspruchs nichts mehr unternahm, sondern der Klägerin ab März 2011 erneut Grundsicherungsleistungen gewährte. Nachdem der Beklagte im Oktober 2014 auf den noch nicht entschiedenen Widerspruch vom Oktober 2009 hingewiesen worden war, wies er den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 13.01.2015 zurück.
Die Entscheidung
Die Klage hatte Erfolg. Der Rücknahme stehe entgegen, dass der Beklagte seinen Erstattungsanspruch gegenüber der Klägerin verwirkt habe. Die Verwirkung als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) sei auch für das Sozialrecht und insbesondere für die Erstattung von Sozialleistungen anerkannt. Sie setze als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung voraus, dass der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraums unterlassen habe und weitere Umstände hinzuträten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalles und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete geltend machen des Rechts dem verpflichteten gegenüber nach Trau und Glauben als illoyal erscheinen ließen. Solche, die Verwirkung auslösenden besonderen Umstände lägen vor, wenn der Verpflichtete in Folge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werden (Vertrauensgrundlage) und der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut habe, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und sich in Folge dessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet habe (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde. Diese Umstände lägen vor. Das Zeitmoment sei nach 5 Jahren und 3 ½ Monaten erfüllt. Auch habe sich die Klägerin darauf einstellen können, der Beklagte werde aufgrund des geschaffenen Vertrauenstatbestandes sein Recht nicht mehr geltend machen weil er trotz umfassender Widerspruchsbegründung untätig geblieben sei und keinerlei Reaktion gezeigt habe. Dies gelte erst Recht aufgrund der erneuten Leistungsbewilligung ab März 2011. Der Beklagte habe auch nicht zum Ausdruck gebracht, den möglichen Erstattungsanspruch durchsetzen zu wollen. Schließlich habe der Beklagte während des für die Verwirkung erforderlichen Zeitraums nichts zur Durchsetzung seines Rechts getan.
Sozialgericht Gießen, Urteil vom 09.05.2017, Az.: S 18 SO 14/15
www.lareda.hessenrecht.hessen.de
Ein Anspruch des Leistungsträger gegen eine Hilfebedürftige ist dann verwirkt, wenn neben einem gewissen Zeitablauf und der Untätigkeit des Trägers noch besondere Umstände hinzutreten, die den Schluss rechtfertigen, dass die spätere Geltendmachung gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstößt.
Der Sachverhalt
Die 1927 geborene Klägerin bezog von Januar 2005 bis April 2009 ergänzende Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII von dem Beklagten. Nachdem die Klägerin im Februar 2005 im Antrag auf Leistungen der Grundsicherung angegeben hatte, alleinstehend zu sein, teilte sie der Behörde im Antrag auf Weiterbewilligung vom 31.01.2009 mit, sie lebe mit einem Partner sei 2006 gemeinsam in ihrer Wohnung. Mit Bescheid vom 01.10.2009 nahm der beklagte Landkreis die Leistungsbewilligungsbescheide für die Zeit vom September 2006 bis April 2009 zurück und machte einen Erstattungsanspruch in Höhe von 14.145,44 Euro geltend. Hiergegen legte die Klägerin am 23.10.2009 Widerspruch ein worauf der Beklagte zur Durchsetzung seines Erstattungsanspruchs nichts mehr unternahm, sondern der Klägerin ab März 2011 erneut Grundsicherungsleistungen gewährte. Nachdem der Beklagte im Oktober 2014 auf den noch nicht entschiedenen Widerspruch vom Oktober 2009 hingewiesen worden war, wies er den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 13.01.2015 zurück.
Die Entscheidung
Die Klage hatte Erfolg. Der Rücknahme stehe entgegen, dass der Beklagte seinen Erstattungsanspruch gegenüber der Klägerin verwirkt habe. Die Verwirkung als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) sei auch für das Sozialrecht und insbesondere für die Erstattung von Sozialleistungen anerkannt. Sie setze als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung voraus, dass der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraums unterlassen habe und weitere Umstände hinzuträten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalles und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete geltend machen des Rechts dem verpflichteten gegenüber nach Trau und Glauben als illoyal erscheinen ließen. Solche, die Verwirkung auslösenden besonderen Umstände lägen vor, wenn der Verpflichtete in Folge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werden (Vertrauensgrundlage) und der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut habe, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und sich in Folge dessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet habe (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde. Diese Umstände lägen vor. Das Zeitmoment sei nach 5 Jahren und 3 ½ Monaten erfüllt. Auch habe sich die Klägerin darauf einstellen können, der Beklagte werde aufgrund des geschaffenen Vertrauenstatbestandes sein Recht nicht mehr geltend machen weil er trotz umfassender Widerspruchsbegründung untätig geblieben sei und keinerlei Reaktion gezeigt habe. Dies gelte erst Recht aufgrund der erneuten Leistungsbewilligung ab März 2011. Der Beklagte habe auch nicht zum Ausdruck gebracht, den möglichen Erstattungsanspruch durchsetzen zu wollen. Schließlich habe der Beklagte während des für die Verwirkung erforderlichen Zeitraums nichts zur Durchsetzung seines Rechts getan.
Sozialgericht Gießen, Urteil vom 09.05.2017, Az.: S 18 SO 14/15
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