S 40 AS 1478/21

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 40 AS 1478/21
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

§ 67 Abs. 3 S. 1 SGB II ist auf Umzüge aus Unterkünften mit angemessenen Kosten von vornherein nicht anwendbar. Insbesondere erfolgt bei nicht notwendigen Umzügen gegebenenfalls eine Decklung gemäß § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II.

    

I. Die Klage wird abgewiesen.

 

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
     

T a t b e s t a n d :

Die Beteiligten streiten um die Höhe der Kostenübernahme von Unterkunftskosten bei bewilligten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) für die Zeit vom 1.6.2021 bis 30.11.2021.
Der 1996 geborene Kläger steht im Leistungsbezug des Beklagten. Auf seinen Weiterbewilligungsantrag vom 12.5.2021 hin bewilligte der Beklagte ihm mit Bescheid vom 19.5.2021 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in Höhe von monatlich 1.268,54 Euro für die Zeit vom 1.6.2021 bis 30.11.2021. Dabei berücksichtigte der Beklagte die Kosten der Unterkunft und Heizung für eine 1-Zimmerwohnung in der J.-Straße in M.-Stadt (Grundmiete: 415,00 Euro, Neben- und Heizkosten: 80,00 Euro = 495,00 Euro), die der Kläger vom 1.6.2020 bis zum 30.4.2021 bewohnt hatte. Die Kosten für Unterkunft und Heizung aufgrund eines mit dem Weiterbewilligungsantrag übersandten neuen Mietvertrages vom 15.4.2021 für eine 1,5-Zimmerwohnung in der C.-Straße in M.-Stadt für die Zeit ab dem 15.4.2021 (Grundmiete: 750,00 Euro, Heizkosten: 50,00 Euro, Nebenkosten: 80,00 Euro = 880,00 Euro) berücksichtigte der Beklagte hingegen nicht. Begründet wurde dies damit, dass der Kläger vor Abschluss des neuen Mietvertrages keine Zusicherung des zuständigen Trägers gemäß § 22 Abs. 4 SGB II eingeholt habe. Des Weiteren seien die Mietkosten nicht nach § 22 Abs. 1 SGB II angemessen. Eine nachträgliche Zustimmung zum Umzug werde nicht erteilt. Kosten für Unterkunft und Heizung würden somit weiterhin nur noch in Höhe der bisherigen Mietkosten bei der Leistungsberechnung anerkannt.
Gegen den Bewilligungsbescheid vom 19.5.2021 erhob der Kläger am 7.6.2021 Widerspruch. Er habe keine Aufklärung seitens des Beklagten erhalten. Er sei im letzten Monat umgezogen, um nah an der Wohnung seines 74 Jahre alten Vaters zu sein, um sich besser um ihn zu kümmern. Nun bekomme er zu hören, dass er ungenehmigt umgezogen sei und keine Wohnungsgeldaufstockung bekomme. Somit verblieben ihm laut dem Beklagten genau 43,06 Euro monatlich zum Leben als vermeintliche Strafe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27.8.2021 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Gemäß § 22 Abs. 4 S. 1 SGB II solle vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft die leistungsberechtigte Person die Zusicherung des für die neue Unterkunft örtlich zuständigen kommunalen Trägers zur Berücksichtigung der Aufwendung für die neue Unterkunft eingeholt werden. Dies habe der Kläger nicht getan. Gemäß § 22 Abs. 4 S. 2 SGB II sei der kommunale Träger zur Zusicherung verpflichtet, wenn die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind. Die Miete für die Wohnung in der C.-Straße sei nicht angemessen. Die Bruttokaltmiete (Grundmiete und Nebenkosten) betrage 830,00 Euro und läge damit deutlich über der angemessenen Mietobergrenze der Landeshauptstadt M.-Stadt von derzeit 681,00 Euro. Erhöhten sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, werde nur der bisherige Bedarf anerkannt, § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II. Der Umzug des Klägers sei nicht erforderlich gewesen. Ein Umzug innerhalb M.-Stadt sei unter anderem dann erforderlich, wenn soziale Belange den Umzug erforderlich machten. Der Kläger trage vor, dass er in die unmittelbare Nähe seines Vaters gezogen sei, da er sich um ihn kümmern müsse. Eine Erforderlichkeit sei jedoch nur dann gegeben, wenn die Pflege von Angehörigen ab Pflegegrad I oder die Pflege von demenzkranken Angehörigen ohne Pflegegrad von dem Umziehenden übernommen werde. Dies sei vom Kläger nicht vorgetragen worden. Vom ehemaligen Wohnsitz in G. sei es für den Kläger kein großer Aufwand, sich um seinen Vater in S. zu kümmern. Der Weg sei auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln in unter einer halben Stunde leicht zu bewältigen. Der Umzug nach S. sei daher nicht notwendig gewesen.
Am 27.9.2021 hat der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten beim Sozialgericht München Klage erhoben. Der Kläger habe dem Beklagten bereits vorgetragen, näher bei seinem Vater sein zu wollen. Angesichts der zunehmenden Vereinsamung und Isolation älterer Menschen, die durch die Corona-Krise und Lockdowns dramatisch zugenommen hätten, sei der Wunsch des Klägers seinem Vater Unterhaltung und Zweisamkeit zu schenken, ein zu berücksichtigender Grund. Die soziale Interaktion solle dazu führen, dass sein Vater neuen Lebensmut gewinne und das Gefühl erhalte, gebraucht zu werden und es einen Grund gebe, weiterzuleben. Die tägliche Ansprache und Konversation sorge für ein besseres Wohlbefinden und körperliches und seelisches Steigern der Lebensqualität, mit der Folge, dass ältere Menschen weniger krank würden und weniger ärztliche Hilfe benötigten. Die Erforderlichkeit des Umzugs und damit die Übernahme der Mietkosten auf das Abstellen auf einen Pflegegrad zu reduzieren, gehe an der Sache vorbei. Sinn und Zweck des "näher am Vater" sein, sei es doch gerade, ihn davor zu bewahren, dass er zu einem Pflegefall werde. Der Kläger versuche hier präventiv zu handeln. Angesichts von tagelangen Streiks im öffentlichen Personennah- und Fremdverkehr sei die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln nur sporadisch möglich. Eine kontinuierliche Begleitung und Umsorgen bzw. Kümmern des Vaters, die von Verlässlichkeit, Rahmen und Struktur geprägt sei, sei damit nicht gegeben. Zwar zahle der Beklagte dem Kläger seit Mai 2021 weiterhin die alte Miete mit 495,00 Euro. Gleichwohl müsse der Kläger die neue Miete von 880,00 Euro bezahlen, mit der Folge, dass dem Kläger gerade einmal 57,00 Euro monatlich blieben und er Schulden machen müsse, um Geld für das tägliche Leben zu erhalten. Diese Schulden müsse er zurückzahlen. Der Kläger verfüge über kein Existenzminimum, von dem er sein Leben bestreiten oder finanzieren könne. Würde die Beklagte die volle Miete von 880,00 Euro oder zumindest die Kaltmiete von 681,00 Euro und zusätzlich 50,00 Euro Heizkosten, in Summe 731,00 Euro übernehmen, läge die Differenz zwischen der alten Miete von 495,00 Euro und der neuen Miete von 731,00 Euro bei gerade 236,00 Euro monatlich. Bei den Mietobergrenzen der Stadt M.-Stadt handele es sich nicht im Rahmen eines schlüssigen Konzepts ausgearbeitete Höchstgrenzen. Auch sei nicht ersichtlich, dass die festgelegten Mietobergrenzen der Stadt M.-Stadt die Kriterien des Bundessozialgerichts einhielten. Jedenfalls sei § 67 Abs. 3 SGB II des Sozialschutz-Pakets "Vereinfachtes Verfahren für den Zugang sozialer Sicherung aufgrund der COVID-19-Pandemie" zu beachten. Darin werde bestimmt, dass sämtliche Unterkunfts- und Heizkosten nach § 22 Abs. 1 SGB II unabhängig von ihrer Höhe als angemessen gelten, und dass es sich dabei um eine unwiderlegbare Fiktion handele. Diese Angemessenheitsfiktion sei nicht nur auf Erst- oder Neuanträge begrenzt, sondern erfassten alle Unterkunftskosten für Bewilligungsabschnitte, die in dem Zeitraum vom 1.3.2020 bis 31.3.2022 begonnen haben bzw. noch beginnen werden. Dies auch dann, wenn weder die Hilfebedürftigkeit noch der Umzug direkt auf die Corona-Pandemie zurückzuführen seien. Die Fiktionswirkung betreffe auch alle Leistungsbezieher ("Bestandsfälle"), die im genannten Zeitraum einen Vertrag über eine Unterkunft eingegangen seien, auch wenn diese als "unangemessen" gelten.

Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 19.5.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.8.2021 zu verurteilen, dem Kläger die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung nach dem SGB II für die Wohnung in der A-Straße in A-Stadt für die Zeit vom 1.6.2021 bis 30.11.2021 zu bewilligen.

Der Beklagte beantragt,
            die Klage abzuweisen.

Soweit der Prozessbevollmächtigte des Klägers vortrage, der Kläger wolle näher bei seinem Vater sein, begründe dies eben keine Erforderlichkeit. Wenn man die Maßstäbe einer Großstadt ansetze, wohne der Kläger bereits in der Nähe seines Vaters. Der Kläger gehe derzeit keiner Erwerbstätigkeit nach, sodass es ihm durchaus zumutbar sei, in unter einer halben Stunde zu seinem Vater zu fahren. Dies sei mit öffentlichen Verkehrsmitteln problemlos möglich. Eventuelle Streiks im Nahverkehr seien so selten, dass dies als Argument nicht herhalten könne. Es sei weiterhin nicht vorgetragen worden, dass der Vater pflegebedürftig sei und damit eine Rundumpflege benötige. Das Bundessozialgericht (BSG, Urteil vom 10.9.2013 - B 4 AS 77/12 R) und das Bayerische Landessozialgericht (vgl. LSG A-Stadt, Urteil vom 23.11.2020 - L 7 AS 267/18) haben im Übrigen bestätigt, dass die Festlegung der Angemessenheit der Mietobergrenzen durch die Stadt M.-Stadt nach einem schlüssigen Konzept erfolgt. Die Erforderlichkeit für den Umzug habe zu keinem Zeitpunkt bestanden. Die Kosten der Unterkunft seien daher lediglich in Höhe der ursprünglichen Kosten für die Miete in der J.- Straße in M.-Stadt zu übernehmen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Akte des Gerichts und die Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid vom 19.5.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.8.2021, mit dem der Beklagte die Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung auf die alte Miete gedeckelt hat. Der Kläger hat den Streitgegenstand auf die Kosten der Unterkunft und Heizung wirksam beschränkt.
Die Klage ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben. In der Sache erweist sich die vom Kläger erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4, § 56 Sozialgerichtsgesetz - SGG) jedoch als unbegründet, da der Bescheid vom 19.5.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.8.2021 rechtmäßig ist und den Kläger in seinen Rechten nicht verletzt, § 54 Abs. 2 S. 1 SGG.
In der Übersendung des neuen Mietvertrags an den Beklagten lag ein Antrag auf Abänderung der Leistungsbewilligung zugunsten des Klägers. Ein Antrag auf Erteilung einer gesonderten Zusicherung als vorgreifliche Teilregelung war damit nicht verbunden, da der Wohnungswechsel bereits vollzogen und nur noch über die Höhe der Unterkunftskosten selbst zu befinden war (vgl. BSG, Urteil vom 06.04.2011 - B 4 AS 5/10 R).
I. Der Kläger ist leistungsberechtigt. Nach § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II erhalten Personen Leistungen nach dem SGB II, wenn (1.) das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht ist, (2.) Erwerbsfähigkeit und (3.) Hilfebedürftigkeit besteht und (4.) der gewöhnliche Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland gegeben ist.
II. Von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II sind auch Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung umfasst, §§ 19 Abs. 1 S. 3, § 22 SGB II. Im streitgegenständlichen Zeitraum sind die tatsächlichen Unterkunftskosten jedoch nicht zu übernehmen.
Die Voraussetzungen für eine "Deckelung" des Anspruchs auf Leistungen nach § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II sind vorliegend gegeben. Nach § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II wird nur der bisherige Bedarf anerkannt, wenn sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung erhöhen.
1. Mit der ursprünglichen Miete vor dem Umzug hatte der Kläger tatsächliche Unterkunftskosten in angemessener Höhe, die vom Beklagten auch vollständig übernommen wurden (Grundmiete: 415,00 Euro, Neben- und Heizkosten: 80,00 Euro = 495,00 Euro).
Nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II werden nur Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist eine Mietobergrenze vorrangig auf der Grundlage eines schlüssigen Konzepts zu ermitteln (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b S 18/06 R). Einem schlüssigen Konzept liegen mehrere Schritte aus einer zunächst abstrakten und im Weiteren aus einer konkret-individuellen Prüfung zugrunde. Im ersten Schritt sind die angemessene Wohnungsgröße und der maßgebliche Vergleichsraum festzulegen. Die Bemessung der angemessenen Größe folgt aus den landesrechtlichen Durchführungsvorschriften zu § 10 des Gesetzes über die soziale Wohnraumförderung. Als angemessen gilt dabei nur eine Wohnung, wenn sie nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen entspricht und keinen gehobenen Wohnstandard aufweist (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R). Der maßgebliche örtliche Vergleichsraum ergibt sich aus dem Wohnort des Leistungsempfängers, im Weiteren aus dessen Wohnumfeld in einem homogenen Lebens- und Wohnbereich (vgl. Luik in: Eicher/Luik/Harich, 5. Aufl. 2021, § 22 Rn. 116). In einem zweiten Schritt ist die Referenzmiete, d. h. die angemessene Miete für Wohnungen einfachen Standards in dem konkreten Vergleichsraum, festzustellen. Auf dieser Grundlage ist dann zu beurteilen, ob die tatsächlichen Aufwendungen die Angemessenheitsobergrenze überschreitet.
Die Angemessenheitsgrenze der Unterkunftskosten bemisst der Beklagte unter Zugrundelegung eines Konzepts. Das Bundessozialgericht (BSG, Urteil vom 10.9.2013 - B 4 AS 77/12 R) hat die Schlüssigkeit des Konzepts des Beklagten bestätigt. Die nachfolgenden Fortschreibungen dieses Konzepts basieren auf denselben wissenschaftlich anerkannten statistischen Verfahren und wurden vom Bayerischen Landessozialgericht (vgl. Bay. LSG, Urteil vom 23.11.2020 - L 7 AS 267/18) bestätigt. Der Kläger hat vor dem Umzug in einer angemessenen Wohnung gelebt.
2. Mit dem Umzug in die neue Wohnung ab dem 15.4.2021 haben sich die tatsächlichen Unterkunftskosten des Klägers erhöht (nunmehr Grundmiete: 750,00 Euro, Heizkosten: 50,00 Euro, Nebenkosten: 80,00 Euro = 880,00 Euro). Die Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II stellt auf eine bloße Erhöhung der Unterkunftskosten ab, die hier auch vorliegt.
Eine Über- oder Unterschreitung der Angemessenheitsgrenze der Unterkunftskosten wird mit der Erhöhung in § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II nicht vorausgesetzt. Aus der Systematik der Vorschrift des § 22 Abs. 1 SGB II, in der § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II von Vorschriften umrahmt wird, die ausdrücklich auf die Angemessenheitsgrenze von Unterkunftskosten bezogen sind, lässt sich hinsichtlich der sog. Deckelung von Unterkunftskosten kein Bezug zu einem Erfordernis der Angemessenheit herstellen. Der Gesetzgeber hat durch das Neunte Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch, welches am 1.8.2016 in Kraft getreten ist, das Wort "angemessen" in § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II gezielt gestrichen (vgl. Piepenstock in: jurisPK-SGB II, 5. Aufl. 2020, § 22 Rn. 199). Seither kommt es nicht mehr darauf an, ob durch einen Umzug ein Wechsel von einer angemessenen in eine unangemessene Wohnung oder von einer angemessenen in eine teurere, aber noch angemessene Wohnung erfolgt - in beiden Fällen liegt eine Erhöhung vor.
§ 67 Abs. 3 SGB II ist gemäß § 67 Abs. 1 SGB II für Bewilligungszeiträume anwendbar, die in der Zeit vom 1.3.2020 bis zum 31.3.2022 beginnen. § 67 Abs. 3 SGB II ist jedoch nicht auf den § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II anwendbar. Gemäß § 67 Abs. 3 S. 1 SGB II ist die Vorschrift des § 22 Abs. 1 SGB II mit der Maßgabe anzuwenden, dass die tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung für die Dauer von sechs Monaten als angemessen gelten. Zwar benennt § 67 Abs. 3 S. 1 SGB II keine einzelnen Sätze des § 22 Abs. 1 SGB II, die damit geregelte Maßgabe ist jedoch allein auf die Angemessenheit von Unterkunftskosten spezifiziert worden, so dass § 67 Abs. 3 S. 1 SGB II allein Vorschriften des § 22 Abs. 1 SGB II zu modifizieren vermag, die auch auf die Angemessenheit von Unterkunftskosten abstellen. Dies ist vorliegend bei § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II, der auf die Angemessenheit von Unterkunftskosten nicht bezogen ist, gerade nicht der Fall. Die Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II gilt damit uneingeschränkt fort und wird durch die gesetzliche Fiktionswirkung des § 67 Abs. 3 S. 1 SGB II nicht tangiert (so auch Groth in: jurisPK-SGB II, 5. Aufl. 2020, § 67 Rn. 27.2).
Der Gesetzgeberwille der mit § 67 Abs. 3 SGB II eingeführten gesetzlichen Fiktionswirkung hat vielmehr eine andere Zielrichtung: Mit der Fiktion der Angemessenheit sollte dafür gesorgt werden, dass sich die von den Auswirkungen der Pandemie Betroffenen nicht auch noch um ihren Wohnraum sorgen müssen (BT-Drs. 19/18107, S. 25). Mit der Vorschrift des § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II kommt hingegen zum Ausdruck, dass die Übernahme weiterer Kosten nicht geboten ist, wenn ein Leistungsempfänger innerhalb des maßgeblichen Vergleichsraums in einer kostenangemessenen Wohnung gelebt hat, die seine existenziellen Wohnbedürfnisse ausreichend erfüllte (vgl. BSG, Urteil vom 24.11.2011 - B 14 AS 107/10 R). Eine Sorge um den Wohnraum liegt hier gerade nicht vor.
Dies bestätigt auch § 67 Abs. 3 S. 3 SGB II. Danach gilt die gesetzliche Fiktionswirkung des § 67 Abs. 3 S. 1 SGB II in den Fällen nicht, in denen im vorangegangenen Bewilligungszeitraum die angemessenen und nicht die tatsächlichen Aufwendungen als Bedarf anerkannt wurden. Der Gesetzgeber hat diese Ausnahme auf das Kostensenkungsverfahren nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II bezogen, so dass eine bereits bestandskräftige Kostensenkung auch hier Bestand erhält (BT-Drs. 19/18107, S. 26). Wohnt also ein Leistungsempfänger in einer unangemessen teuren Unterkunft und ist im vorangegangenen Bewilligungszeitraum eine Absenkung auf die Angemessenheitsgrenze erfolgt, kann er sich dann nicht auf die gesetzliche Fiktionswirkung des § 67 Abs. 3 S. 1 SGB II berufen. Der Sinn und Zweck des Zusammenspiels von § 67 Abs. 3 S. 1 und S. 3 SGB II zeigt sich darin, dass bei einem Umzug während der Corona-Pandemie nicht jedwede Miete als Bedarf zu berücksichtigen ist, wenn die vorherigen Kosten der Unterkunft und Heizung bereits geklärt waren. Wurden - wie vorliegend - die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung übernommen, weil sie bereits angemessen waren, besteht dahingehend erst recht noch weniger Anlass, nach einem Umzug jedwede Unterkunftskosten zu berücksichtigen. Damit ist § 67 Abs. 3 S. 1 SGB II auf Umzüge aus Unterkünften mit angemessenen Kosten von vornherein nicht anwendbar.
3. Der Umzug des Klägers war weder (a.) notwendig noch (b.) aus sonstigen Gründen erforderlich.
a. Der Umzug des Klägers war nicht notwendig, weil die vorherige Wohnung den existenznotwendigen Bedarf des Klägers deckte. Eine Beschränkung auf die bisherigen Unterkunftskosten kommt nur dann von vornherein nicht in Betracht, wenn der Umzug in eine andere Wohnung in dem Sinne notwendig war, dass die bisherige Wohnung den Unterkunftsbedarf des Leistungsempfängers als Teil der verfassungsrechtlich garantierten Existenzsicherung nicht erfüllte. Dies war hier jedoch nicht der Fall.
b. Ist ein Umzug nicht zwingend notwendig, erfasst § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II darüber hinaus aber auch Fälle, in denen der Umzug aus sonstigen Gründen erforderlich erscheint. Dazu muss ein plausibler, nachvollziehbarer und verständlicher Grund für den Wohnungswechsel vorliegen, von dem sich auch ein Nichthilfebedürftiger leiten lassen würde (vgl. BSG, Urteil vom 24.11.2011 - B 14 AS 107/10 R).
Vorliegend hat der Kläger verschiedene Gründe für den Wohnungswechsel vorgetragen, die sich nach Überzeugung der Kammer jedoch weder als plausibel noch als nachvollziehbar oder als verständlich erweisen. Eine Pflegebedürftigkeit des Vaters wurde weder vorgetragen noch belegt, ebenso wenig eine tatsächliche Pflege des Vaters durch den Kläger. Besuche des Vaters zu dessen präventiver Gesundheitsvorsorge bedingen keinen Umzug. Soziale Kontakte können auch erfolgen, wenn der Kläger keine Wohnung in der Nähe seines Vaters hat. Dem Kläger war es möglich, von seiner alten Wohnung aus Kontakt mit dem Vater über Telefon bzw. Videotelefonie zu halten als auch den Vater persönlich zu besuchen. Die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel ist keinesfalls unzumutbar, insbesondere bei einer Strecke von G. nach S. innerhalb des Stadtkerns der Landeshauptstadt M.-Stadt, die sogar zu Fuß oder mit dem Fahrrad problemlos zurückgelegt werden könnte. In die Landeshauptstadt M.-Stadt pendeln zahllose Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zur Arbeit und nehmen auch eventuelle Strapazen für das pünktliche Erscheinen zur Arbeit auf sich. Ein Hindernis beim Kläger ist nicht erkennbar. Eine Erforderlichkeit des Umzugs ist demnach nicht gegeben.
Die Klage war abzuweisen.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

 

Rechtskraft
Aus
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