- Der drittstaatsangehörige Elternteil eines Unionsbürgerkindes kann bei Fehlen eines Aufenthaltsrechts leistungsberechtigt nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG sein. Für das Kind selbst kann die akzessorische Leistungsberechtigung nach § 1 Abs. 1 Nr. 6 AsylbLG greifen.
- Das Jobcenter kann im Falle der Leistungspflicht eines vorrangig zuständigen anderen Trägers eine rückwirkende Änderung der im Wege der einstweiligen Anordnung ausgesprochenen Leistungsverpflichtung im Beschwerdeverfahren nicht mit Erfolg geltend machen, wenn es diese bereits erfüllt hat.
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 15. Juni 2022 insoweit aufgehoben, als der Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet worden ist, den Antragstellern für die Monate Juli bis Oktober 2022 Leistungen nach dem SGB II im Umfang von mehr als 200,- € monatlich zu gewähren. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird insoweit abgelehnt.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Der Antragsgegner und der Beigeladene haben den Antragstellern ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen in vollem Umfang zu erstatten, wobei jeder von ihnen jeweils die Hälfte dieser Kosten zu tragen hat.
Gründe
I.
Im Streit steht die Gewährung von existenzsichernden Leistungen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes.
Die im Jahr 2000 geborene Antragstellerin zu 1) ist georgische Staatsangehörige. Sie ist ledig. Am 30. März 2017 reiste sie aus Georgien in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sie verfügte zu diesem Zeitpunkt über ein bis zum 12. Mai 2017 gültiges Schengen-Visum.
Am 6. Oktober 2017 erschienen die Antragstellerin zu 1) und ihr damaliger Lebensgefährte – der 1991 geborene griechische Staatsbürger L T – vor einem Berliner Notar. Sie wohnten zu diesem Zeitpunkt in einer gemeinsamen Wohnung unter der Anschrift A-S-latz in B L. Der damalige Lebensgefährte der Antragstellerin zu 1) erklärte vor dem Notar, dass er die Vaterschaft für den – seinerzeit noch nicht geborenen – Antragsteller zu 2) anerkenne. Darüber hinaus gaben die Antragstellerin zu 1) und ihr damaliger Lebensgefährte (im Folgenden auch als Kindsvater oder Vater bezeichnet) eine gemeinsame Sorgerechtserklärung für das Kind ab.
Im Januar 2018 erfolgte erstmals die Meldung der Antragstellerin zu 1) unter der Anschrift -P bei der zuständigen Meldebehörde.
Ebenfalls im Januar 2018 erteilte die Ausländerbehörde der Antragstellerin zu 1) eine Aussetzung der Abschiebung (Duldung) gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG), welche bis Mitte Juli 2018 gültig war.
Im April 2018 brachte die Antragstellerin zu 1) in Berlin ihren Sohn, den Antragsteller zu 2), zur Welt. Dieser ist Grieche.
Auf einen spätestens im Juni 2018 gestellten Antrag stellte die Ausländerbehörde der Antragstellerin zu 1) eine Aufenthaltskarte für Familienangehörige von Unionsbürgern nach § 5 Abs. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) aus. Diese ist gültig bis Dezember 2023.
Von Anfang 2020 bis November 2021 ging die Antragstellerin zu 1) einer geringfügigen Beschäftigung als Reinigungskraft nach.
Nachdem es zu häuslicher Gewalt gekommen war, zogen die Antragsteller im Oktober 2021 aus der bis dahin gemeinsam mit dem Kindsvater bewohnten Wohnung (--P ) aus und bezogen vorübergehend eine Zufluchtswohnung im Zuständigkeitsbereich des Jobcenters Berlin Mitte. Das Jobcenter Berlin Mitte gewährte ihnen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).
Ende März 2022 bezogen die Antragsteller die (aus dem Rubrum ersichtliche) Unterkunft in der --Straße in BP. Die Gesamtmiete für diese Wohnung beläuft sich auf monatlich 427,94 €. Vor Abschluss des Mietvertrags hatte das Jobcenter Berlin Mitte unter Bezugnahme auf § 22 Abs. 4 SGB II eine Zusicherung erteilt. Mit Wirkung zum 30. April 2022 hob das Jobcenter Berlin Mitte die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II unter Hinweis auf den Umzug und den damit einhergehenden Zuständigkeitswechsel auf.
Der Antragsteller zu 2) besucht in Berlin eine Kindertagesstätte. Die Familienkasse zahlt für ihn Kindergeld in Höhe von monatlich 219,- € an die Antragstellerin zu 1). Das Jugendamt gewährt dem Antragsteller zu 2) zudem einen Unterhaltsvorschuss nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) in Höhe von monatlich 177,- €.
Der Kindsvater bezieht vom Bezirksamt Lichtenberg von Berlin Grundsicherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch (SGB XII).
Bereits unter dem 25. März 2022 hatten die Antragsteller beim Antragsgegner einen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II gestellt.
Der Antragsgegner holte daraufhin eine Melderegisterauskunft beim Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten betreffend den Kindsvater ein (Melderegisterauskunft vom 11. April 2022). Darin ist dokumentiert, dass der Kindsvater durchgängig seit dem 10. November 2017 unter der Anschrift –P gemeldet ist und dass er zuvor bereits vom 25. Juli bis 6. Dezember 2016 unter eben dieser Anschrift sowie vom 12. März 2013 bis 1. Mai 2014 unter einer anderen Berliner Anschrift gemeldet war; dazwischen erfolgten jeweils Abmeldungen nach Griechenland.
Unter dem 12. April 2022 forderte der Antragsgegner die Antragstellerin zu 1) auf, eine Bescheinigung über das Daueraufenthaltsrecht für Unionsbürger sowie eine Bescheinigung der Agentur für Arbeit über die Unfreiwilligkeit des Eintritts der Arbeitslosigkeit vorzulegen.
Am 9. Mai 2022 haben die Antragsteller beim Sozialgericht Berlin einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt. Sie haben geltend gemacht, dass ihnen ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II zustehe. Sie seien nicht vom Leistungsbezug ausgeschlossen. Der Kindsvater lebe schon seit über fünf Jahren in Berlin. Er habe regelmäßigen Umgang mit dem Antragsteller zu 2), ebenso wie die in Berlin lebenden Großeltern des Antragstellers zu 2) väterlicherseits. Der Antragsteller zu 2) könne weder zu einer Trennung vom Vater noch zu einer Trennung von seiner Mutter gezwungen werden, was jedoch der Fall wäre, wenn seine Mutter – die Antragstellerin zu 1) – ausreisen müsste. Die Melderegisterauskunft vom 11. April 2022 sei nicht korrekt. Der Kindsvater habe sich nur für einen kurzen Urlaubsaufenthalt in Griechenland aufgehalten und nicht für den gesamten behaupteten Zeitraum. Sein gewöhnlicher Aufenthalt sei nach wie vor in Berlin gewesen. Hiervon gehe auch das Bezirksamt aus, was sich daran zeige, dass es dem Kindsvater Leistungen nach dem SGB XII gewähre. Der Kindsvater lebe unter derselben Anschrift wie seine Eltern – die Großeltern des Antragstellers zu 2). Die Großeltern könnten bestätigen, dass sich der Kindsvater dauerhaft in Deutschland aufgehalten habe und die falsche Information in der Melderegisterauskunft nur entstanden sei, weil er sich aufgrund seiner psychischen Erkrankung nicht rechtzeitig ordnungsgemäß um seine bürokratischen Angelegenheiten habe kümmern können. Soweit der Antragsgegner eine Bescheinigung über das Daueraufenthaltsrecht für Unionsbürger angefordert habe, sei darauf hinzuweisen, dass eine solche Bescheinigung ausschließlich deklaratorisch sei. Für EU-Bürger sei es angesichts der Arbeitsüberlastung der Ausländerbehörde aktuell völlig unmöglich, zeitnah eine solche (überflüssige) Bescheinigung zu erhalten. Die Antragstellerin zu 1) leite ihr Aufenthaltsrecht von ihrem freizügigkeitsberechtigten Kind ab. Damit gehe der Anspruch auf Sozialleistungen einher. Zur Vorlage einer Bescheinigung der Agentur für Arbeit über die Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit sei sie nicht verpflichtet, weil diese nur für EU-Bürger von Bedeutung sei.
Das Sozialgericht hat den Antragsgegner mit Beschluss vom 15. Juni 2022 im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern für den Zeitraum vom 9. Mai 2022 bis zum 31. Oktober 2022 SGB II-Leistungen zu gewähren, und zwar in Höhe von 587,22 € für Mai 2022 sowie in Höhe von monatlich 765,94 € für Juni bis Oktober 2022. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass über den Anordnungsanspruch im Rahmen einer Folgenabwägung zu entscheiden sei. Die im vorliegenden Fall nötige Prüfung, ob der Antragstellerin zu 1) die Herstellung einer Lebensgemeinschaft mit ihrem Kind in Georgien oder Griechenland zumutbar sei und ob dies im Hinblick auf das Sorgerecht des Vaters des Antragstellers zu 2) mit dem Kindeswohl zu vereinbaren wäre, könne im summarischen Verfahren nicht erfolgen. Es lasse sich weder ein gewöhnlicher Aufenthalt der Antragstellerin zu 1) im Bundesgebiet seit mindestens fünf Jahren im Sinne von § 7 Abs. 1 „Satz 3“ (gemeint wohl: Satz 4) SGB II feststellen, noch könne ein SGB II-Leistungsanspruch der Antragstellerin zu 1) auf die in der Aufenthaltskarte bescheinigte Freizügigkeit oder auf EU-Recht gestützt werden. Nach den glaubhaft dargelegten Lebensumständen komme für die Antragstellerin zu 1) jedoch die Möglichkeit der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG in Betracht. In diesem Zusammenhang sei die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Familienschutz aus Art. 6 Grundgesetz (GG) zu beachten. Könne die Lebensgemeinschaft zwischen einem Ausländer und seinem Kind nur in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden, etwa, weil dem Kind wegen der Beziehung zu dem Vater das Verlassen der Bundesrepublik nicht zumutbar sei, so dränge die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück. Vorliegend sei daher zur Prüfung eines leistungseröffnenden Aufenthaltsrechts der Antragstellerin zu 1) die Bindung des Antragstellers zu 2) an den leiblichen Vater zu berücksichtigen. Soweit dies im Eilverfahren beurteilt werden könne, käme dem in Berlin geborenen Antragsteller zu 2) entweder ein Aufenthaltsrecht aus § 33 AufenthG zugute (sollte dessen Vater über ein Freizügigkeitsrecht aus § 4a FreizügG verfügen), oder jedenfalls ein Aufenthaltsrecht aus § 25 Abs. 5 AufenthG, sollte der Vater „nur“ über das sozialrechtliche Daueraufenthaltsrecht aus § 7 SGB II bzw. § 23 SGB XII verfügen. Letzteres sei mit Blick auf die bereits im Oktober 2017 erfolgte Vorsprache beim Notar (Vaterschaftsanerkennung) sowie die eidesstattlichen Erklärung der Großeltern des Antragstellers zu 2) höchstwahrscheinlich anzunehmen. Sei mithin davon auszugehen, dass sich der Vater des Antragstellers zu 2) auch künftig im Bundesgebiet aufhalten werde, könne er diesem kraft ausgeübtem Sorge- und Umgangsrecht einen Aufenthalt aus humanitären Gründen im Sinne von § 25 Abs. 5 AufenthG verschaffen. Hierüber könne sich auch die Antragstellerin zu 1) auf einen solchen Aufenthaltstitel berufen; denn ein Wegzug ins Herkunftsland oder in einen anderen Mitgliedsstaat ohne das vierjährige, an Vater und Mutter gebundene Kind sei offenkundig unzumutbar. Die Voraussetzungen für eine Leistungsberechtigung nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. c) Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) i. V. m. § 25 Abs. 5 AufenthG mit der Folge eines SGB II-Leistungsausschlusses würden hingegen weder bei der Antragstellerin zu 1) noch beim Antragsteller zu 2) vorliegen, der als EU-Bürger keinen Zugang zum AsylbLG habe.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die vom Antragsgegner eingelegte Beschwerde. Er trägt vor, dass den Antragstellern kein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II zustehe. Allenfalls komme ein Leistungsanspruch nach dem AsylbLG in Betracht. Die Antragstellerin zu 1) habe kein eigenes Freizügigkeitsrecht nach dem FreizügG/EU. Ihr Sohn, der selbst nur ein vom Vater abgeleitetes Freizügigkeitsrecht besitze, könne ihr kein Aufenthaltsrecht nach §§ 3, 4 FreizügG/EU vermitteln. Auch ein Aufenthaltsrecht aus § 3a FreizügG/EU als nahestehende Person im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 4 FreizügG/EU scheide aus, da die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen gemäß § 11 Abs. 5 FreizügG/EU i. V. m. § 5 Abs. 1, 2 und 4 AufenthG nicht erfüllt seien, insbesondere sei der Lebensunterhalt der Antragstellerin zu 1) nicht gesichert. Ebenso wenig ergebe sich aus Art. 21 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ein Aufenthaltsrecht der Antragstellerin zu 1). Die Schutzwirkung dieser Vorschrift reiche nicht so weit, dass das Zusammenleben der Elternteile mit dem gemeinsamen Kind in jedem Mitgliedstaat ermöglicht werde. Ein Zusammenleben der Elternteile mit dem gemeinsamen Kind sei nicht nur in Deutschland möglich. Vorliegend hätten der Antragsteller zu 2) und sein Vater sowie die Antragstellerin zu 1) in Griechenland einen gesicherten Aufenthaltsstatus. Auch Art. 6 GG vermittle keinen eigenständigen Anspruch auf Einreise und Aufenthalt. Ob einem Antrag der Antragstellerin zu 1) auf Erteilung eines Aufenthaltstitels ggf. die Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 3 AufenthG zukäme, könne offen bleiben, denn jedenfalls bestünde in einem solchen Fall eine Leistungsberechtigung nach § 1 Abs. 1 AsylbLG. Selbst nach Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts bestehe allenfalls die „Möglichkeit“ der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Im Falle der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG ohne vorangehende Duldung bestünde jedoch eine Leistungsberechtigung im AsylbLG für 18 Monate seit Erteilung der Aufenthaltserlaubnis. Bis dahin greife der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II.
Der Antragsgegner beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 15. Juni 2022 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Die Antragsteller beantragen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie halten die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Darüber hinaus machen sie geltend, dass sich der Erlass einer einstweiligen Anordnung auch auf weitere rechtliche Gesichtspunkte stützen lasse.
Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Er meint, dass den Antragstellern weder ein Anspruch auf Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII noch ein Anspruch nach dem AsylbLG zustehe. Sofern Hilfebedürftigkeit überhaupt vorliegen sollte, würden Ansprüche nach dem SGB XII jedenfalls wegen des Leistungsausschlusses in § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII ausscheiden. Die der Antragstellerin zu 1) erteilte Aufenthaltskarte nach § 5 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU entfalte keine konstitutive Wirkung, begründe mithin auch kein materielles Freizügigkeitsrecht. Als Drittstaatsangehörige habe die Antragstellerin zu 1) auch von vornherein kein originäres Freizügigkeitsrecht nach dem FreizügG/EU. Ebenso komme unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 23. September 2020 – 1 C 27/19) kein Freizügigkeitsrecht aus Art. 21 AEUV in Betracht. Was den Aufenthalt aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 5 AufenthG angehe, sei bislang nicht vorgetragen, dass ein entsprechender Aufenthaltstitel erteilt worden wäre. Hinzu komme, dass die Erteilungsvoraussetzungen hierfür gar nicht vorliegen würden, denn es seien weder rechtliche noch tatsächliche Gründe erkennbar, die eine Ausreise der Antragsteller unmöglich machen würden. Schließlich könne sich die Antragstellerin zu 1) nicht auf eine Erlaubnisfiktion nach § 81 Abs. 3 AufenthG berufen, da der dafür erforderliche rechtmäßige Aufenthalt im Bundesgebiet nicht gegeben sei. Auch der Antragsteller zu 2) verfüge über kein Aufenthaltsrecht. Dessen Vater besitze allenfalls ein sozialrechtliches Daueraufenthaltsrecht, weshalb nach der zutreffenden Würdigung des Sozialgerichts für den Antragsteller zu 2) nur ein Aufenthaltsrecht aus § 25 Abs. 5 AufenthG in Betracht komme. Dessen Voraussetzungen seien jedoch, wie bereits ausgeführt, nicht gegeben. Den Antragstellern stünden auch keine Ansprüche nach dem AsylbLG zu, insbesondere scheide eine Leistungsberechtigung nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. c) AsylbLG aus.
Die Antragstellerin zu 1) hat bereits Anfang Juni 2022 eine Beschäftigung als Servicekraft aufgenommen. Auf den von ihr im Beschwerdeverfahren vorgelegten Gehaltsabrechnungen sind Bezüge in Höhe von 800,- € brutto (549,27 € netto) für Juni 2022 sowie in Höhe von 815,- € brutto (559,56 € netto) für Juli 2022 ausgewiesen.
Unter dem 30. Juni 2022 hat die Antragstellerin zu 1) bei der Ausländerbehörde einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG gestellt. Eine Entscheidung über diesen Antrag liegt bislang nicht vor.
Mit Beschluss vom 8. Juli 2022 hat die Vorsitzende des Senats die Vollstreckung aus dem Beschluss des Sozialgerichts durch einstweilige Anordnung nach § 199 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ausgesetzt, soweit der Antragsgegner vorläufig verpflichtet worden war, den Antragstellern für die Monate Juli bis Oktober 2022 Leistungen im Umfang von mehr als 200,- € monatlich auszuzahlen. Im Übrigen hat sie den Antrag des Antragsgegners auf Aussetzung der Vollstreckung abgelehnt.
II.
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 15. Juni 2022 ist zulässig, insbesondere ist sie statthaft (vgl. § 172 SGG) sowie nach § 173 SGG form- und fristgerecht eingelegt worden. Die Beschwerde ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang auch begründet, im Übrigen jedoch unbegründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft zu machen.
Ausgehend hiervon hat das Sozialgericht den Antragsgegner zwar letztlich zu Unrecht zur Gewährung von Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 9. Mai bis 31. Oktober 2022 verpflichtet (dazu unter 1.). Richtigerweise hätte der Beigeladene verpflichtet werden müssen, den Antragstellern Leistungen zu erbringen (dazu unter 2.). Der Antragsgegner kann in der vorliegenden besonderen Situation einer Leistungspflicht eines vorrangig zuständigen anderen Trägers eine rückwirkende Änderung der im Wege der einstweiligen Anordnung ausgesprochenen – und auch bereits erfüllten – Leistungsverpflichtung aber nicht mit Erfolg geltend machen (dazu unter 3.). Lediglich hinsichtlich der Höhe der den Antragstellern zugesprochenen Leistungen ist der Beschluss des Sozialgerichts teilweise aufzuheben (dazu unter 4.).
1. Hinsichtlich der von den Antragstellern in erster Linie begehrten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ist ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Als rechtliche Grundlage eines solchen Anspruchs kommen allein die §§ 19 ff. SGB II i. V. m. §§ 7 ff. SGB II in Betracht. Der Anspruch scheitert jedoch daran, dass die Antragstellerin zu 1) von Leistungen nach dem SGB II gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. a und b SGB II (in der hier anzuwendenden Fassung des Gesetzes zur Ermittlung der Regelbedarfe und zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch sowie weiterer Gesetze vom 9. Dezember 2020 – BGBl. I S. 2855) ausgeschlossen ist. Dies führt zugleich dazu, dass ihr Sohn, der Antragsteller zu 2), keinen Anspruch auf Sozialgeld nach § 19 Abs. 1 Satz 2 SGB II hat, weil dieser Anspruch akzessorisch ist, mithin eine Leistungsberechtigung der Antragstellerin zu 1) voraussetzt (vgl. § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II).
Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. a und b SGB II sind „ausgenommen“ – erhalten also keine Leistungen nach dem SGB II – Ausländerinnen und Ausländer, die kein Aufenthaltsrecht haben oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen. Die Voraussetzungen dieser Ausschlussnorm liegen hier vor. Die Antragstellerin zu 1) hat nach dem Erkenntnisstand des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens kein Aufenthaltsrecht.
a) Die Antragstellerin zu 1) kann sich nicht mit Erfolg auf eine unionsrechtliche Freizügigkeitsberechtigung berufen. Sie ist selbst nicht Unionsbürgerin. Auch erfüllt sie nicht die Voraussetzungen, unter denen Familienangehörige von Unionsbürgern ein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet haben.
Die der Antragstellerin zu 1) auf der Grundlage von § 5 Abs. 1 FreizügG/EU erteilte Aufenthaltskarte hat lediglich deklaratorische Bedeutung. Es handelt sich nicht um einen feststellenden Verwaltungsakt, sodass die Aufenthaltskarte selbst kein Aufenthaltsrecht begründet (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. September 2020 – 1 C 27/19 –, juris Rn. 14).
Die Antragstellerin zu 1) ist auch nicht nach §§ 3, 4 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU haben Familienangehörige der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 FreizügG/EU genannten Unionsbürger das Recht auf Einreise und Aufenthalt, wenn sie den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen. Für Familienangehörige der in § 2 Abs. 2 Nr. 5 FreizügG/EU genannten Unionsbürger gilt dies nach Maßgabe des § 4 FreizügG/EU (§ 3 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU). Der freizügigkeitsrechtliche Begriff des „Familienangehörigen“ wird in § 1 Abs. 2 Nr. 3 FreizügG/EU definiert.
Die Antragstellerin zu 1) ist nicht Familienangehörige des Kindsvaters, weil zwischen ihnen keine Ehe geschlossen worden ist (vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a FreizügG/EU). Auch von dem Antragsteller zu 2) kann sie kein Aufenthaltsrecht als Familienangehörige ableiten. Als Mutter des Kindes ist sie dessen Verwandte in gerader aufsteigender Linie. Verwandte in gerader aufsteigender Linie werden gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. d FreizügG/EU in den Kreis der begünstigten Familienangehörigen nur dann einbezogen, wenn ihnen durch den Unionsbürger (oder dessen Ehegatten / Lebenspartner) Unterhalt gewährt wird. Daran fehlt es hier. Die Antragstellerin zu 1) erhält von ihrem erst vier Jahre alten Sohn keinen Unterhalt.
b) Ein Recht der Antragstellerin zu 1) zum Aufenthalt im Bundesgebiet resultiert im vorliegenden Fall auch nicht aus § 3a FreizügG/EU, der den Aufenthalt „nahestehender Personen“ regelt. Ein auf diese Vorschrift gestütztes Aufenthaltsrecht kommt wegen der Verweisung in § 11 Abs. 5 FreizügG/EU nur in Betracht, wenn die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1, 2 und 4 AufenthG gegeben sind, insbesondere muss der Lebensunterhalt gesichert sein (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, § 2 Abs. 3 AufenthG). Dies ist hier gerade nicht der Fall. Die Antragstellerin zu 1) begehrt existenzsichernde Leistungen, weil ihr Lebensunterhalt nicht gesichert ist.
c) Ebenso wenig kann sich die Antragstellerin zu 1) mit Erfolg auf ein aus Art. 21 AEUV abgeleitetes Aufenthaltsrecht berufen. Nach dieser Vorschrift hat jeder Unionsbürger das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten. Beruft sich ein Drittstaatsangehöriger auf ein aus der Freizügigkeitsgarantie für Unionsbürger nach Art. 21 AEUV abgeleitetes Aufenthaltsrecht zur Führung eines normalen Familienlebens in einem anderen EU-Mitgliedstaat als dem, dessen Staatsangehörigkeit der Unionsbürger besitzt, muss die Referenzperson, von der er das Recht ableitet (hier: der Antragsteller zu 2), im Aufnahmemitgliedstaat aus eigenem Recht freizügigkeitsberechtigt sein; ein lediglich vom anderen Elternteil (hier: Kindsvater) abgeleitetes Freizügigkeitsrecht eines Unionsbürgerkindes reicht hierfür nicht (BVerwG, Urteil vom 23. September 2020 – 1 C 27/19 –, juris Rn. 27).
Der Antragsteller zu 2) ist indes aus eigenem Recht nicht freizügigkeitsberechtigt, wie unten noch darzulegen sein wird (siehe hierzu unter 2.). Er kann sich allenfalls in der Eigenschaft als Familienangehöriger seines Vaters auf eine unionsrechtliche Freizügigkeitsberechtigung berufen (siehe auch hierzu unter 2.). Deshalb kann sich die Antragstellerin zu 1) nicht auf ein vom Antragsteller zu 2) abgeleitetes Aufenthaltsrecht aus Art. 21 AEUV stützen.
d) Ferner ist derzeit nicht von einem Aufenthaltsrecht der Antragstellerin zu 1) nach dem AufenthG auszugehen. Ein Aufenthaltstitel ist ihr bislang nicht erteilt worden. Soweit nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG im Ermessenswege einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist, hält es der Senat jedenfalls im vorliegenden Fall nicht für angezeigt, der von der Ausländerbehörde zu treffenden und in naher Zukunft zu erwartenden (Ermessens-)Entscheidung faktisch vorzugreifen. Dies gilt umso mehr, als es auch für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG grundsätzlich erforderlich ist, dass die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG vorliegen, u. a. muss also der Lebensunterhalt gesichert sein (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, § 2 Abs. 3 AufenthG). Nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG kann zwar in den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG von der Anwendung des § 5 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG abgesehen werden; auch bei dieser Entscheidung handelt es sich jedoch um eine von der Ausländerbehörde zu treffende Ermessensentscheidung (vgl. näher zur „doppelten Ermessensentscheidung“ im Rahmen des § 25 Abs. 5 AufenthG Kluth, in: BeckOK, AuslR, AufenthG, § 25 Rn. 148). Die Ausländerbehörde wird bei der von ihr zu treffenden Entscheidung die verfassungsrechtliche Pflicht des Staates zum Schutz der Familie (Art. 6 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 GG) unter Beachtung des Gewichts der in Frage stehenden familiären Bindungen zu berücksichtigen haben.
e) Nichts anderes folgt daraus, dass dem Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG, den die Antragstellerin zu 1) während des Beschwerdeverfahrens bei der Ausländerbehörde gestellt hat, möglicherweise eine Duldungsfiktion nach § 81 Abs. 3 Satz 2 AufenthG zukommt. Die Duldungsfiktion begründet kein Aufenthaltsrecht. Sie lässt die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht gemäß § 58 Abs. 2 AufenthG unberührt; sie führt lediglich dazu, dass die Abschiebung als ausgesetzt gilt (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 29. Dezember 2021 – L 2 AS 490/21 B ER –, juris Rn. 44; Kluth, in: BeckOK, AuslR, AufenthG, § 81 Rn. 26).
f) Schließlich greift die in § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II geregelte Rückausnahme nicht zugunsten der Antragstellerin zu 1) ein. Nach dieser Regelung erhalten Ausländerinnen und Ausländer abweichend von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II Leistungen nach dem SGB II, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben. Die Frist beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Die Antragstellerin zu 1) ist erst seit Januar 2018 unter einer Anschrift in Deutschland gemeldet. Seitdem sind fünf Jahre noch nicht vergangen.
Nach allem ist die Antragstellerin zu 1) gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. a SGB II derzeit noch von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Damit scheidet auch ein Anspruch des Antragstellers zu 2) auf Sozialgeld nach § 19 Abs. 1 Satz 2 SGB II aus.
2. Richtigerweise hätte der Beigeladene entsprechend § 75 Abs. 5 SGG im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet werden müssen, den Antragstellern Leistungen zu erbringen. Die Antragsteller haben insoweit einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Auch ein Anordnungsgrund ist gegeben. Da um existenzsichernde Leistungen gestritten wird, ist es den Antragstellern nicht zumutbar, den Ausgang eines Hauptsacheverfahrens abzuwarten.
Was den Anordnungsanspruch angeht, kann offen bleiben, ob rechtliche Grundlage des geltend gemachten Leistungsanspruchs für beide Antragsteller das AsylbLG ist oder ob zumindest der Antragsteller zu 2) einen Anspruch gegen den Beigeladenen auf Hilfe zum Lebensunterhalt gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i. V. m. §§ 27 ff. SGB XII hat.
§ 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII bestimmt für die Sozialhilfe – ebenso wie § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II für die Grundsicherung für Arbeitsuchende –, dass Ausländer und ihre Familienangehörigen keine Leistungen u. a. der Hilfe zum Lebensunterhalt erhalten, wenn sie kein Aufenthaltsrecht haben oder sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt. Der Leistungsausschluss erstreckt sich auch auf Leistungen der Sozialhilfe im Ermessenswege nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII (Deckers, in: Grube/Wahrendorf/Flint/Deckers, SGB XII, § 23 Rn. 47).
Die Voraussetzungen des Leistungsausschlusses nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII sind nach dem Erkenntnisstand des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens jedenfalls in Bezug auf die Antragstellerin zu 1) erfüllt. Wie bereits oben dargelegt, verfügt diese über kein Aufenthaltsrecht.
Der Antragsteller zu 2) ist aus eigenem Recht nicht freizügigkeitsberechtigt, insbesondere zählt er nicht zu den in § 2 Abs. 2 Nr. 5 FreizügG/EU i. V. m. § 4 FreizügG/EU genannten Unionsbürgern, denn er verfügt selbst nicht über ausreichende Existenzmittel.
Es spricht allerdings viel dafür, dass sich der Antragsteller zu 2) in seiner Eigenschaft als Familienangehöriger seines Vaters auf eine unionsrechtliche Freizügigkeitsberechtigung und damit auf ein Recht zum Aufenthalt (§ 2 Abs. 1 FreizügG/EU) berufen kann, was dazu führen würde, dass der Leistungsausschluss des § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII für ihn nicht greift. Insoweit gilt zu beachten, dass gemäß § 4a Abs. 4 FreizügG/EU Familienangehörige eines Unionsbürgers, der das Daueraufenthaltsrecht nach § 4a Abs. 2 FreizügG/EU erworben hat, ebenfalls ein Daueraufenthaltsrecht haben, wenn sie bei dem Unionsbürger ihren ständigen Aufenthalt haben. Das Merkmal des ständigen Aufenthalts „bei dem Unionsbürger“ ist weit auszulegen; eine gewisse räumliche und familiäre Verbundenheit wird als ausreichend angesehen (vgl. Tewocht, in: BeckOK, AuslR, FreizügG/EU, § 4a Rn. 37). Nach Durchsicht der Akten des Bezirksamts Lichtenberg von Berlin, das dem Kindsvater als Sozialhilfeträger Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII gewährt, liegt zumindest nahe, dass der Kindsvater den Tatbestand eines Daueraufenthaltsrechts nach § 4a Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b FreizügG/EU (Aufgabe der Erwerbstätigkeit infolge einer vollen Erwerbsminderung nach ständigem Aufenthalt im Bundesgebiet für mindestens zwei Jahre) erfüllt. Insofern kommt ein auf § 4a Abs. 4 FreizügG/EU gestütztes Aufenthaltsrecht des Antragstellers zu 2) in seiner Eigenschaft als Familienangehöriger hier sehr ernsthaft in Betracht.
Letztlich bedarf die zuvor aufgeworfene Frage im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens keiner Klärung. Beide Antragsteller sind jedenfalls leistungsberechtigt nach dem AsylbLG. Die Antragstellerin zu 1) ist, wie sich bereits aus den obigen Ausführungen ergibt, vollziehbar ausreisepflichtig nach §§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 2 AufenthG. Ihre Leistungsberechtigung folgt aus § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG. Dem Antragsteller zu 2) kommt als minderjährigem Kind der Antragstellerin zu 1) jedenfalls die akzessorische Leistungsberechtigung aus § 1 Abs. 1 Nr. 6 AsylbLG zugute. Hinsichtlich der Leistungshöhe gelten gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG die Vorschriften des SGB XII entsprechend.
3. Trotz des zuvor Gesagten ist die Beschwerde des Antragsgegners weitgehend zurückzuweisen. Der Antragsgegner kann in der vorliegenden besonderen Situation einer Leistungspflicht eines vorrangig zuständigen anderen Trägers eine rückwirkende Änderung der im Wege der einstweiligen Anordnung ausgesprochenen Leistungsverpflichtung nicht mit Erfolg geltend machen, jedenfalls dann nicht, wenn diese – wie hier – bereits erfüllt worden ist (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 29. Dezember 2021 – L 2 AS 490/21 B ER –, juris Rn. 27). Ob der Beigeladene dem Antragsgegner die bereits ausgezahlten Leistungen zu erstatten haben wird, ist nicht in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu klären.
4. Lediglich hinsichtlich der Höhe der den Antragstellern zugesprochenen Leistungen ist der Beschluss des Sozialgerichts teilweise aufzuheben. Dabei macht der Senat von dem ihm hinsichtlich der Bestimmung des Inhalts der einstweiligen Anordnung eingeräumten Ermessen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 938 Abs. 1 ZPO) dahingehend Gebrauch, dass er sich an der mit Beschluss vom 8. Juli 2022 getroffenen Entscheidung über die teilweise Aussetzung der Vollstreckung nach § 199 Abs. 2 Satz 1 SGG orientiert. Diese bildet die Höhe der vorläufig zuzusprechenden Leistungen annähernd zutreffend ab. Eine weitergehende Korrektur ist, da der Antragsgegner die Leistungen bereits an die Antragsteller ausgezahlt hat, im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nicht dienlich und darüber hinaus auch gar nicht möglich.
Was die Bedarfslage angeht, so ist hinsichtlich der Antragstellerin zu 1) von einem Regelbedarf nach der Regelbedarfsstufe 1 in Höhe von 449,- € und in Bezug auf den Antragsteller zu 2) von einem Regelbedarf nach der Regelbedarfsstufe 6 in Höhe von 285,- € auszugehen (§§ 20 Abs. 2 Satz 1 und § 23 Nr. 1 SGB II, § 8 Regelbedarfsermittlungsgesetz – RBEG –, § 2 Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung 2022 – RBSFV 2022 –). Dem vorläufigen Charakter des Verfahrens entsprechend und zwecks Vermeidung einer Vorwegnahme der Hauptsache ist der Regelbedarf der Antragstellerin zu 1) um 15 % auf 381,65 € (449,- € - 67,35 €) zu kürzen, während der Regelbedarf nach der Regelbedarfsstufe 6 unberührt bleibt. Ein ggf. anzunehmender Mehrbedarf für Alleinerziehende (§ 21 Abs. 3 SGB II) kann im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens außer Betracht bleiben.
Bedarfe für Unterkunft und Heizung sind gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Höhe von monatlich 427,94 € zu berücksichtigen, wobei diese Bedarfe der Antragstellerin zu 1) bzw. dem Antragsteller zu 2) jeweils zur Hälfte, d. h. in Höhe von jeweils 213,97 € zuzuordnen sind (sog. Kopfteilprinzip, vgl. BSG, Urteil vom 14. Februar 2018 – B 14 AS 17/17 R –, SozR 4-4200 § 22 Nr. 94). Es ist durch Vorlage des Mietvertrags über die Wohnung -Straße glaubhaft gemacht, dass Bedarfe für Unterkunft und Heizung in der genannten Höhe anfallen. Soweit in dem von der Antragstellerin zu 1) im Beschwerdeverfahren vorgelegten Arbeitsvertrag sowie in den Gehaltsabrechnungen noch die alte Anschrift (--Pl) genannt wird, mag dies Anlass bieten, Ermittlungen zur tatsächlichen Wohnsituation vorzunehmen. Solche Ermittlungen bleiben jedoch dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.
Die Antragsteller erzielen monatliches Einkommen in Form von Kindergeld (219,- €), Zahlungen nach dem UVG (177,- €) und Einkommen aus Erwerbstätigkeit (zwischen 549,27 € und 559,56 € netto). Das Einkommen aus der Erwerbstätigkeit ist jedenfalls um die Grundfreibetrag in Höhe von monatlich 100,- € (§ 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II) zu bereinigen. Von einer Bereinigung um den Erwerbstätigenfreibetrag (§ 11b Abs. 3 SGB II) sieht der Senat im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ab.
Wie das Einkommen zu verteilen ist, bedarf an dieser Stelle keiner Klärung. Es zeigt sich jedenfalls, dass die vom Antragsgegner unter Berücksichtigung des Beschlusses vom 8. Juli 2022 bereits getätigten Zahlungen in Höhe von monatlich 200,- € in etwa den Gesamtbedarf der Antragsteller abdecken, weshalb weitergehende Zahlungen im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nicht zu leisten sind. Eine ggf. geringfügige Unterdeckung ist angesichts der Tatsache, dass der streitbefangene Zeitraum praktisch abgelaufen ist, hinzunehmen.
Alles Weitere ist im Hauptsacheverfahren zu klären.
5. Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Es entspricht sachgemäßem Ermessen, den Antragsgegner und den Beigeladenen mit den außergerichtlichen Kosten der Antragsteller zu belasten, und zwar jeweils hälftig.
Unter Erfolgsgesichtspunkten kann der Beigeladene nicht frei von einer Kostenbelastung aus dem Verfahren entlassen werden. Er ist, wie die obigen Ausführungen zeigen, letztlich als leistungspflichtig anzusehen, auch wenn er wegen der besonderen prozessualen Situation nicht mehr zur Gewährung von Leistungen im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet werden konnte.
Andererseits darf unter Veranlassungsgesichtspunkten nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Antragsgegner ganz maßgeblich dazu beigetragen hat, dass ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren überhaupt anhängig geworden und dass es sich darüber hinaus so lange hingezogen hat. Der Antragsgegner hat mit seinem Schreiben vom 12. April 2022 Unterlagen von der Antragstellerin zu 1) angefordert, die diese als Drittstaatsangehörige erkennbar nicht beibringen konnte. Es ist nur allzu verständlich, dass die Antragsteller daraufhin den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes bei Gericht eingereicht haben. Ferner hat der Antragsgegner den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt, insbesondere hat er es versäumt, die Verwaltungsvorgänge des Jobcenters Berlin Mitte, der Ausländerbehörde und des für den Kindsvater zuständigen Sozialhilfeträgers beizuziehen. Diese sich offenkundig aufdrängenden Ermittlungen mussten im gerichtlichen Verfahren nachgeholt werden, was zu Verzögerungen geführt hat.
Der Umstand, dass der Beschluss des Sozialgerichts hinsichtlich der Höhe der den Antragstellern zugesprochenen Leistungen teilweise aufzuheben war, rechtfertigt keine andere Kostenentscheidung. Die Teilaufhebung beruhte darauf, dass die Antragstellerin zu 1) erstmals im Beschwerdeverfahren Einkommen aus ihrer im Juni 2022 aufgenommenen Beschäftigung erzielt hat. Die Antragsteller haben durch Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 7. Juli 2022 sogleich deutlich gemacht, dass sie mit der „Anpassung“ der Leistungen unter Berücksichtigung dieses Einkommens einverstanden sind. Sie haben somit keinerlei Anlass für die Fortsetzung des (vom Antragsgegner angestrengten) Beschwerdeverfahrens gegeben.
4. Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).