Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 01.06.2022 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen nach § 2 Abs. 3 SGB IX.
Bei dem am 00.00.1976 geborenen Kläger ist nach Durchführung eines sozialgerichtlichen Verfahrens (SG Aachen S 18 SB 14/20) und dortiger Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens von Frau Dr. X. vom 16.10.2020 durch Vergleich seit Juni 2019 ein GdB iHv 30 anerkannt. Dem liegen folgende Gesundheitsstörungen zugrunde:
- Erkrankung der Hirnanhangdrüse
- Psychische Störung
- Kopf-/Gesichtsschmerzen
- Ohrgeräusche.
Der Kläger ist gelernter Kommunikationselektroniker und bei der H. als „Accountmanager mobile solutions“ größtenteils im Außendienst beschäftigt. Er war vom 06.11.2018 bis zum 14.12.2018 aufgrund eines Hörsturzes und vom 27.12.2018 bis zum 28.02.2020 aufgrund der Operation des Hypophysentumors arbeitsunfähig. Weitere Arbeitsunfähigkeitszeiten sind bis zum 22.03.2022 nicht dokumentiert.
Der Kläger beantragte am 01.12.2020 die Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen. Sein Arbeitsplatz sei behinderungsbedingt gefährdet und bzw. ohne die Gleichstellung erfahre er erhebliche Benachteiligungen. Nach den Operationen des Hirntumors lägen Konzentrationsstörungen, Kopfschmerzen, Angstzustände und ein (schon vorher vorhandener) Tinnitus vor, die extreme Auswirkungen auf seine Tätigkeit hätten. Er arbeite in Vollzeit als Accountmanager im Geschäftskunden-Vertrieb, er sei in seiner Wettbewerbsfähigkeit gegenüber nicht behinderten Menschen eingeschränkt, sein Arbeitsplatz sei aufgrund von Umstrukturierungen gefährdet. Über einen besonderen Kündigungsschutz verfügt der Kläger nicht.
Auf Anfrage durch die Beklagte teilte die Schwerbehindertenvertretung mit, bei dem Kläger bestünden Konzentrationsbeeinträchtigungen durch permanente Kopfschmerzen mit Auswirkungen auf den Tinnitus. Der Arbeitsplatz sei aufgrund einer eventuellen Umsetzung aus der Außendiensttätigkeit in den Innendienst gefährdet. Der Betriebsrat gab eine gleichlautende Stellungnahme ab.
Mit Bescheid vom 25.01.2021 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Es seien keine Anhaltspunkte vorhanden, dass der Arbeitsplatz des Klägers behinderungsbedingt gefährdet sei und er zur Erhaltung des Arbeitsplatzes auf den Schutz der Gleichstellung angewiesen sei. Eine evtl. in der Zukunft eintretende Arbeitsplatzgefährdung sei für den Gleichstellungsanspruch nicht relevant. Im Widerspruchsverfahren trug der Kläger vor, er habe ursprünglich drei Kundenaccounts betreut (Aachen, Mönchengladbach, Niederrhein). Aufgrund seiner Erkrankungen habe er den damit verbundenen Belastungen nicht mehr standhalten können und um Entlastung gebeten. Seit dem 01.01.2021 betreue er nur noch zwei Accounts, erbringe also eine um 1/3 reduzierte Arbeitsleistung.
Mit Widerspruchsbescheid vom 02.11.2021 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Für eine aktuelle Gefährdung des Arbeitsplatzes aus gesundheitlichen Gründen seien keine Anhaltspunkte ersichtlich.
Gegen diese Entscheidung hat der Kläger am 19.11.2021 bei dem Sozialgericht Aachen Klage erhoben. Er hat geltend gemacht, sein Arbeitsplatz sei für sein Erkrankungsbild grundsätzlich geeignet, aber er sei nicht wettbewerbsfähig gegenüber seinen nicht behinderten Kollegen. Dies werde durch die Reduzierung der Anzahl seiner Kunden-Accounts bestätigt. Als „low performer“ müsse er mit einer Kündigung seines Arbeitsverhältnisses rechnen. Auch seine Mobilität sei eingeschränkt.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25.01.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.11.2021 zu verurteilen, ihn einer schwerbehinderten Person gleichzustellen iSd § 2 Abs. 3 SGB IX.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat daran festgehalten, dass der Arbeitsplatz des Klägers nicht gefährdet sei. Zudem stelle sich die Frage, ob angesichts der vom Kläger beschriebenen gesundheitlichen Einschränkungen der Arbeitsplatz als geeignet anzusehen sei.
Das Sozialgericht hat eine Aufstellung der Krankenkasse über die Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers eingeholt.
Mit Urteil vom 01.06.2022 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Mangels relevanter Krankheitszeiten nach der Wiedereingliederung ab März 2020 könnten bereits die grundsätzlichen Voraussetzungen für den Ausspruch einer behinderungsbedingten Kündigung nicht als gegeben angesehen werden. Vor diesem Hintergrund bestehe für den Kläger derzeit keine Gefahr, aus behinderungsbedingten Gründen entlassen zu werden. Den dritten zusätzlichen Kundenaccount habe der Kläger erst nach der Wiedereingliederung übernommen, der Umstand, dass der Arbeitgeber sich danach wieder auf eine Reduzierung der Anzahl der Kundenaccounts eingelassen habe, zeige gerade, dass der Arbeitgeber nicht beabsichtige, das Beschäftigungsverhältnis zu beenden. Evtl. in der Zukunft geplante Rationalisierungen oder Umstrukturierungen allein rechtfertigten eine Gleichstellung nicht.
Gegen das am 01.07.2022 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Klägers vom 12.07.2022. Er macht weiterhin geltend, seine Leistungsfähigkeit gegenüber seinen Kollegen sei eingeschränkt. Er verweist auf den reduzierten Aufgabenbereich. Er befürchte zumindest eine Änderungskündigung wegen Minderleistung, jedenfalls dann, wenn eine weitere Arbeitsverdichtung anstehe.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts vom 01.06.2022 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25.01.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.11.2021 zu verurteilen, ihn gem. § 2 Abs. 3 SGB IX schwerbehinderten Menschen gleichzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend, auch weil der Arbeitgeber offenbar seinen Fürsorgepflichten nachkomme.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte, die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten und die beigezogene Akte der Versorgungsverwaltung verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen gem. § 2 Abs. 3 SGB IX.
Nach dieser Vorschrift sollen schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden Menschen mit Behinderungen mit einem GdB von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 SGB IX nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen). Zweck der Gleichstellung ist es, die ungünstige Konkurrenzsituation der behinderten Menschen am Arbeitsplatz und auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern und somit den Arbeitsplatz sicherer zu machen oder die Vermittlungschancen zu erhöhen (BSG Urteil vom 06.08.2014 – B 11 AL 16/13 R mwN).
Bei dem Kläger ist ein GdB iHv 30 festgestellt. Die Beklagte ist im Rahmen des Verfahrens der Gleichstellung an den festgestellten GdB gebunden, obwohl sie weder am Verwaltungsverfahren noch am gerichtlichen Verfahren zur Höhe des GdB zu beteiligen ist. Die Feststellung des GdB durch die jeweils nach Landesrecht zuständige Behörde wirkt insoweit konstitutiv (BSG Urteil vom 06.08.2014 – B 11 AL 16/13 R mwN). Der Kläger hat seinen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland und übt hier eine Beschäftigung aus.
Geschützt ist das Erlangen oder Behalten eines Arbeitsplatzes. Der Begriff des Arbeitsplatzes ist in § 156 SGB IX definiert. Danach sind Arbeitsplätze alle Stellen, auf denen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer usw. beschäftigt werden. Der weite Arbeitsplatzbegriff des Abs. 1 wird in Abs. 3 der Vorschrift allerdings dahingehend eingeschränkt, dass es sich um einen solchen mit einem Arbeitszeitumfang von 18 Stunden pro Woche handeln muss. Der behinderte Mensch muss daher über eine Resterwerbsfähigkeit verfügen, die ihm die Ausübung einer Beschäftigung von mindestens 18 Stunden pro Woche ermöglicht. Dies ist beim Kläger der Fall. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass seine Restleistungsfähigkeit einen derartigen zeitlichen Einsatz nur auf Kosten der Gesundheit erlaubt.
Der Arbeitsplatz muss für den behinderten Menschen geeignet iSd § 2 Abs. 3 SGB IX sein. Der behinderte Mensch darf grundsätzlich durch die geschuldete Arbeitsleistung nicht gesundheitlich überfordert werden. Auf der anderen Seite führt das Auftreten oder Hinzutreten einer behinderungsbedingten Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens für sich genommen noch nicht zum Wegfall der Geeignetheit des Arbeitsplatzes. Die Geeignetheit des Arbeitsplatzes bestimmt sich individuell-konkret nach dem Eignungs- und Leistungspotential des behinderten Menschen. Die Bundesagentur für Arbeit und ggf. die Gerichte haben die konkreten Behinderungen und ihre Auswirkungen auf die Eignung des behinderten Menschen für den konkreten Arbeitsplatz zu ermitteln. Danach haben sie zu entscheiden, ob der Arbeitsplatz entweder schon für sich betrachtet geeignet ist oder jedenfalls durch Umsetzung von Leistungen der Rehabilitationsträger oder des Arbeitgebers so gestaltet werden kann, dass der behinderte Mensch die Anforderungen des Arbeitsplatzes erfüllen kann, ohne seinen Gesundheitszustand zu verschlechtern. Bei der Prüfung der Geeignetheit eines Arbeitsplatzes sind auch die Rechtspflichten der Rehabilitationsträger zur Sicherung der Teilhabe am Arbeitsleben sowie die Rechtspflichten des Arbeitgebers zu berücksichtigen (BSG Urteil vom 06.08.2014 – B 11 AL 16/13 R mwN).
Unter Zugrundelegung der Ausführungen des Klägers zu den gesundheitlichen Auswirkungen seiner Tätigkeit ist der von ihm inngehabte Arbeitsplatz nicht geeignet, ohne dass dem durch Eingliederungsleistungen von Reha-Trägern oder Hilfen des Arbeitsgebers begegnet werden könnte. Nach der von der Schwerbehindertenvertretung bestätigten und vertieften Arbeitsplatzbeschreibung ist der Kläger im klassischen Vetriebs-Außendienst tätig, er ist ständig unterwegs, hat viele Kundenkontakte und ist verantwortlich für ein den Arbeitgeber überzeugendes Vertriebsergebnis. Seine Verkaufserfolge wirken sich für ihn im Rahmen einer variablen Vergütung finanziell aus. Hier meint der Kläger nachvollziehbarerweise, dass er in einer derartigen Tätigkeit aufgrund von Konzentrationseinschränkungen und des Tinnitus in seiner Wettbewerbsfähigkeit eingeschränkt ist. Frau Dr. X. beschreibt entsprechend in ihrem Gutachten in der Anamnese: „Problematisch sei für ihn gewesen, dass er das Gegenüber aufgrund des Tinnitus nicht ausreichend habe verstehen können. Er habe beruflich präsentieren müssen, habe sehr unter Druck gestanden, zum Beispiel bei wichtigen Geschäftskunden oder auch im Beisein des Chefs. Dies habe bewirkt, dass er in diesen Situationen schwitzige Hände entwickelt habe, ein Herzklopfen“. Seine Beschwerden sind postoperativ sogar noch stärker geworden, Kopfschmerzen sind hinzugetreten. Im Jahre 2009/2010 war der Kläger wegen eines „Burn out“ in Behandlung. Er nimmt ein Mittel zum Einschlafen und gegen innere Unruhe. Wenn er im Homeoffice ist, funktioniert die Arbeit hingegen gut. Der Kläger beschreibt Ängste und ein Überforderungserleben am Arbeitsplatz. Demzufolge sehen die Schwerbehindertenvertretung und der Betriebsrat den Arbeitsplatz des Klägers allein deshalb als gefährdet an, weil eine „Umsetzung der Außendiensttätigkeit in den Innendienst“ drohen könne. So hat auch der Kläger die Berufung zuletzt mit einer nach seiner Befürchtung drohenden Änderungskündigung begründet.
Damit hätte die begehrte Gleichstellung den Effekt, dass der Kläger länger an einem Arbeitsplatz festgehalten wird, der ihm schon lange gesundheitlich offenbar schadet. Dies ist mit dem Gesetzeswortlaut des § 2 Abs. 3 SGB IX nicht zu vereinbaren und konterkariert Sinn und Zweck des Gleichstellungsanspruchs.
Vor diesem Hintergrund kann der Senat offenlassen, ob eine evtl. drohende Änderung des Aufgabenfeldes des Klägers überhaupt einen Verlust seines bisherigen Arbeitsplatzes darstellt, oder ob der Arbeitgeber auch ohne Behinderung befugt ist, den Kläger vom Außen- in den Innendienst zu versetzen (in diesen Fällen eine Arbeitsplatzgefährdung verneinend LSG Schleswig-Holstein Urteil vom 14.12.2012 – L 3 AL 36/11). Eine andere Reaktion des Arbeitsgebers droht nach den Stellungnahmen der Schwerbehindertenvertretung und des Betriebsrates jedenfalls nicht. Der Kläger sollte den Arbeitgeber im Rahmen von dessen Fürsorgepflichten um eine entsprechende Veränderung seines Aufgabenfeldes bitten, damit er wieder dauerhaft auf einem für ihn geeigneten Arbeitsplatz eingesetzt wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.