L 11 R 1978/22

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11.
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 12 R 835/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 1978/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 29.06.2022 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1960 geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt und war zuletzt als Reinigungskraft in einem Altenheim beschäftigt. Seit dem 12.09.2018 ist sie arbeitsunfähig bzw. arbeitslos. Bei der Klägerin wurde ein Grad der Behinderung von 30 festgestellt.

Vom 03.09.2019 bis 25.10.2019 befand sich die Klägerin in teilstationärer Behandlung in der Tagesklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in B1 (Bl. 60 ff. der SG-Akten). Dem Entlassungsbericht vom 04.11.2019 sind folgende Diagnosen zu entnehmen: Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, vorbefundliche Adipositas BMI 39 kg/m
² und chronisch venöse Insuffizienz. Die Klägerin wurde als arbeitsunfähig in die ambulante Weiterbehandlung entlassen.

Bereits am 21.10.2019 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung, welche die Beklagte mit Bescheid vom 10.12.2019 (Bl. 3 der Verwaltungsakten) mit der Begründung ablehnte, die medizinischen Voraussetzungen hierfür seien nicht erfüllt. Bei der Klägerin lägen mäßige Daumensattelgelenksarthrosen beidseits mit leichten Handwurzelarthrosen beidseitig sowie wiederkehrende depressive Episoden bei psychosozialen Belastungsfaktoren vor. Die Einschränkungen, die sich aus diesen Krankheiten oder Behinderungen ergäben, führten nicht zu einem Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung. Denn nach ihrer medizinischen Beurteilung könne die Klägerin noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein.

Hiergegen erhob die Klägerin am 07.01.2020 Widerspruch (Bl. 14 ff. der Verwaltungsakten) und führte zur Begründung aus, sie leide unter Konzentrationsstörungen und sei nur gering belastbar. Sie sei nicht in der Lage, ihren Haushalt zu erledigen, und benötige hierbei die Hilfe ihrer Angehörigen. Sie habe bereits seit 2015 immer wieder schwere Depressionen. Sie leide zudem unter einer Daumensattelgelenksarthrose sowie einer Arthrose in beiden Knien. Deshalb habe sie nachts als auch in Ruhe Schmerzen.

Vom 02.11.2020 bis zum 30.11.2020 befand sich die Klägerin in einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme in der Klinik in S1. Dem Entlassungsbericht vom 16.12.2020 (Bl. 46 ff. der Verwaltungsakten) sind folgende Diagnosen zu entnehmen: Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, Adipositas Grad II sowie eine sonstige primäre Rhizarthrose. Bei Beachtung (im Einzelnen benannter) qualitativer Einschränkungen könne die Klägerin sowohl in der bisherigen Tätigkeit als Reinigungskraft als auch in leichten bis mittelschweren Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch in einem Umfang von mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein.

Nach Einholung verschiedener Befundberichte der behandelnden Ärzte der Klägerin (Bl. 37 ff. der Verwaltungsakten), einer sozialmedizinischen Stellungnahme der Bundesagentur für Arbeit (Bl. 34 ff. der Verwaltungsakten) sowie einer sozialmedizinischen Stellungnahme des Beratungsarztes vom 22.12.2020 (Bl. 30 f. der Verwaltungsakten) wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 16.03.2021 zurück. Bei der Klägerin lägen folgende Gesundheitsstörungen vor: Wiederkehrende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, Übergewicht und mäßiggradige Daumensattelgelenksarthrosen beidseits mit leichter Handwurzelarthrose beidseits.
Unter Berücksichtigung aller Gesundheitsstörungen und der sich daraus ergebenden funktionellen Einschränkungen bei der Ausübung von Erwerbstätigkeiten seien nach Auffassung der Beklagten keine Auswirkungen ersichtlich, die das Leistungsvermögen der Klägerin für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zeitlich einschränkten. Ihr seien daher noch leichte Tätigkeiten im Wechsel überwiegend im Stehen, Gehen und Sitzen, ohne besonderen Zeitdruck, ohne Tätigkeiten, die ein festes Zupacken erfordern, ohne wesentliche Anforderungen an die Fingergeschicklichkeit, ohne Akkord und taktgebundene Arbeit, ohne besondere Anforderungen an das Anpassungs- und Umstellungsvermögen und ohne Nachtschicht täglich sechs Stunden und mehr zumutbar. Auch als Reinigungskraft sei die Klägerin noch sechs Stunden und mehr einsatzfähig.

Hiergegen hat die Klägerin durch ihre Prozessbevollmächtigte am 09.04.2021 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben und zur Begründung ausgeführt, sie leide unter psychischen Problemen mit Antriebslosigkeit, Kraftlosigkeit, mangelnder Ausdauer sowie Überforderung und Schlaflosigkeit. Hinzu kämen Niedergeschlagenheit und Traurigkeit sowie grundloses Weinen. 2019 sei ferner eine chronisch venöse Insuffizienz diagnostiziert worden. Überdies bestünden Gleichgewichtsstörungen sowie Probleme mit den Handgelenken und den Beinen und Füßen. Sie sei den beruflichen Anforderungen einer Tätigkeit als Reinigungskraft nicht mehr gewachsen, zumal auch ein Personalmangel bestehe, welcher zu einem erheblichen Druck führe. Insgesamt sei sie nicht mehr in der Lage, erwerbsbringende Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes von sechs Stunden und mehr zu verrichten.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.

Das SG hat die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. E1 hat in seiner Auskunft vom 17.07.2021 (Bl. 45 ff. der SG-Akten) angegeben, die Klägerin seit mindestens September 1995 zu behandeln. An Gesundheitsstörungen bestünden rezidivierende mittelgradige Episoden einer depressiven Reaktion, eine Varikosis sowie eine Adipositas. Im Vordergrund stehe die Depression mit Antriebslosigkeit, Überforderungsgefühl, Zukunftsängsten und Schlafstörungen in wechselnder Ausprägung ohne Behandlungserfolg. Aufgrund der psychischen Verfassung sei eine regelmäßige Tätigkeit über sechs Stunden zurzeit nicht denkbar; auch kürzere Zeiten (drei bis sechs Stunden) seien sicher nicht regelmäßig möglich. B2 hat in seiner Auskunft vom 02.08.2021 (Bl. 65 ff. der SG-Akten) angegeben, die Klägerin am 20.08.2019 und 28.09.2020 behandelt zu haben. Er habe eine mäßige Rhizarthrose beidseits und eine Depression diagnostiziert. Von Seiten der Hände könne die Klägerin noch leichte Tätigkeiten über sechs Stunden am Tag verrichten. Die M1 hat in ihrer Auskunft vom 04.08.2021 (Bl. 67 der SG-Akten) angegeben, die Klägerin seit November 2018 zu behandeln. An Gesundheitsstörungen lägen ausgeprägte depressive Symptome vor, vor allem Antriebslosigkeit, niedergedrückte Stimmung, Kraftlosigkeit, schnelle Erschöpfbarkeit, eingeschränkte Ausdauer, sozialer Rückzug, Grübeln und Gedankenkreisen, Affektdurchlässigkeit und reduzierter Selbstwert. Die Klägerin sei nicht mehr in der Lage, leichte Tätigkeiten auch nur über einen Zeitraum von drei bis sechs Stunden täglich zu verrichten. K1 hat in ihrer Stellungnahme vom 10.08.2021 (Bl. 70 der SG-Akten) angegeben, die Klägerin seit März 2019 ein- bis zweimal pro Quartal zu behandeln. Bei der Klägerin bestehe eine rezidivierende depressive Störung, welche schwankend leicht- bis mittelgradig ausgeprägt sei. Die Gesundheitsstörungen gingen mit einem negativen psychomentalen Leistungsvermögen einher, welches sich im Sinne einer Somatisierung auf die körperliche Leistungsfähigkeit auswirke. Die Klägerin sei weniger als drei Stunden täglich leistungsfähig.

Dazu hat die Beklagte eine sozialmedizinische Stellungnahme der S2 vom 09.09.2021 vorgelegt und an ihrer Leistungsbeurteilung festgehalten. 

Das SG hat von Amts wegen H1, mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Er hat in seinem Gutachten vom 10.11.2021 (Bl. 103 ff. der SG-Akten) nach persönlicher Untersuchung der Klägerin vom 09.11.2021 folgende Diagnosen gestellt: eine Dysthymia/depressive Neurose vor dem Hintergrund einer Persönlichkeitsakzentuierung mit selbstunsicheren und abhängigen Zügen, eine Adipositas Grad I und eine Rhizarthrose beidseits. Die Diagnose einer rezidivierenden depressiven Störung mit mittelgradigen depressiven Episoden könne er nicht bestätigen. Die Klägerin sei noch in der Lage, in leichten bis gelegentlich mittelschweren Arbeitstätigkeiten erwerbstätig zu sein. Sie sollte ihre Arbeitstätigkeit in wechselnden Körperhaltungen, zeitweise im Stehen, zeitweise im Gehen und zeitweise im Sitzen ausführen können. Zu vermeiden seien Heben, Tragen und Bewegen von Lasten über 10 kg ohne geeignete Hilfsmittel, Wirbelsäulenzwangshaltungen, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, besonderer Zeitdruck, besonderer Leistungsdruck, Akkord- und Fließbandarbeit, besondere Verantwortung, besondere geistige Beanspruchung, besonderes Konfliktpotenzial im Arbeitsumfeld, besondere Anforderungen an die Selbstbehauptungsfähigkeit und Nachtarbeit. Auf Veranlassung des SG hat der H1 am 11.02.2022 eine ergänzende Stellungnahme abgegeben (Bl. 135 ff. der SG-Akten), in welcher er an seiner bisherigen Einschätzung festgehalten hat. Auf entsprechende Frage des SG hat er zudem das positive Leistungsvermögen dahingehend konkretisiert, dass lediglich durchgehend stehende Körperhaltungen nachteilig seien, wohingegen überwiegend gehende und überwiegend sitzende Tätigkeiten mit Gelegenheit zu kurzfristigen Haltungswechseln möglich seien.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 29.06.2022 abgewiesen und sich in seiner Begründung auf das Gutachten des H1 gestützt. Die Klägerin habe weder einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung noch wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Eine Einschränkung eines mindestens sechsstündigen täglichen Leistungsvermögens für zumindest leichte Tätigkeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes könne die Kammer nicht erkennen. Insbesondere liege auch keine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor. Der von H1 – ohne nähere Begründung anhand körperlicher Befunde – angegebene kurzfristige Wechsel der Körperhaltung nach 30 Minuten stelle zur Überzeugung der Kammer noch keine ungewöhnliche Leistungseinschränkung dar. Die Klägerin könne nahezu 100 % sitzend arbeiten; für die von H1 angegebene Möglichkeit, „gelegentlich ein paar Schritte zu gehen“, sei selbst dann, wenn der Haltungswechsel - bei einer zwingend sitzend zu verrichtenden Arbeit - nicht mit der Tätigkeit verbunden werden könnte, kein derartiges zeitliches Ausmaß ersichtlich, welches über die in den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes enthaltenen Verteilzeiten hinausginge. Durch diese gälten beispielsweise regelmäßige Toilettengänge bei Inkontinenz oder regelmäßige Zwischenmahlzeiten bei Diabetes-Erkrankung nicht als Unterbrechung der Arbeitszeit (Verweis auf LSG Baden-Württemberg 20.10.2015, L 11 R 3871/14). Überdies benötige die Klägerin den von H1 angegebenen Haltungswechsel gar nicht als Pause, sondern könnte auch in der neu eingenommenen Haltung direkt eine Arbeitstätigkeit fortführen. Selbst wenn man den erforderlichen Haltungswechsel als ungewöhnliche Leistungseinschränkung ansehen wollte, liege jedenfalls keine Summierung solcher Einschränkungen vor. Der Ausschluss von Wirbelsäulenzwangshaltungen sei keine ungewöhnliche Einschränkung und überschneide sich ohnehin bereits teilweise mit einem regelmäßigen Haltungswechsel. Ebenfalls keine ungewöhnlichen Einschränkungen bildeten die Vermeidung von Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, die Vermeidung von Heben, Tragen und Bewegen von Lasten über 10 kg, die Vermeidung bestimmter Schichten (hier: Nachtarbeit) sowie die Vermeidung von Akkord- und Fließbandarbeit. Soweit hinsichtlich der übrigen qualitativen Einschränkungen nur besondere Anforderungen zu vermeiden seien, seien damit zugleich Tätigkeiten mit gewöhnlichem Zeit- und Leistungsdruck, gewöhnlicher Verantwortung, gewöhnlicher geistiger Beanspruchung, gewöhnlichem Konfliktpotenzial im Arbeitsumfeld und gewöhnlichen Anforderungen an die Selbstbehauptungsfähigkeit noch zumutbar. Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen könne daher nicht festgestellt werden.

Gegen den ihrer Prozessbevollmächtigten am 04.07.2022 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 11.07.2022 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und ergänzend zu ihrem bisherigen Vorbringen ausgeführt, das Gutachten des H1 widerspreche den vorliegenden ärztlichen Befunden. Sowohl aus dem Entlassbericht vom 16.12.2020 als auch aus dem Bericht der behandelnden K1 ergebe sich eine rezidivierende depressive Störung mit starken Stimmungsschwankungen, vorzeitiger Erschöpfbarkeit und reduzierter Durchhaltefähigkeit. Sie sei morgens erst um 10.00 Uhr in der Lage aufzustehen, nachts habe sie beängstigende Träume und Schlafstörungen. Im Haushalt könne sie nur Kleinigkeiten erledigen. Einen Führerschein besitze sie nicht und mit öffentlichen Verkehrsmitteln traue sie sich nicht zu fahren. Sie sei alle zwei Wochen bei M2 in Therapie.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 29.06.2022 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10.12.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.03.2021 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr eine Rente wegen verminderter Erwerbsminderung ab Antragstellung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung hat diese auf die Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid verwiesen.

Der Senat hat die Klägerin mit Verfügung vom 28.10.2022 auf die fehlenden Erfolgsaussichten ihrer Berufung hingewiesen (Bl. 49 der Senatsakten). Daraufhin hat die Klägerin ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erteilt (Bl. 50 der Senatsakten). Auch die Beklagte hat sich mit einer Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Bl. 52 der Senatsakten).


Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Verfahrensakten des SG und des Senats Bezug genommen.





Entscheidungsgründe

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

1. Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingelegte Berufung, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist form- und fristgerecht sowie im Übrigen statthaft.

2. Den Gegenstand des Rechtsstreits bildet der Bescheid vom
10.12.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.03.2021 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung abgelehnt hat. Dagegen wendet sich die Klägerin statthaft mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs. 1 und 4, 56 SGG) und begehrt die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab 01.10.2019 (Monat der Rentenantragstellung). Eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) macht die rechtskundig vertretene Klägerin zu Recht nicht geltend, da die Voraus­setzungen hierfür mangels Berufsschutzes nicht vorliegen.

3. Die Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom
10.12.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.03.2021 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

a) Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 01.01.2008 geändert durch Artikel 1 Nr. 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007, BGBl. I, S. 554), wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindes­tens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht abseh­bare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbs­minderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbs­gemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

b) Nach diesen Maßstäben konnte sich der Senat vorliegend nicht von einer quantitativen Einschränkung der Leistungsfähigkeit der Klägerin überzeugen. Für einen Rentenanspruch wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ist entscheidend, dass der Nachweis im Sinne eines Vollbeweises für ein weniger als sechsstündiges bzw. weniger als dreistündiges Leistungs­vermögen erbracht ist (Hessisches LSG 01.02.2018, L 5 R 134/16, juris, Rn. 64). Zwar liegen bei der Klägerin gesundheitliche und daraus resultierende funktionelle Einschränkungen vor, welche ihre berufliche Leistungsfähigkeit in qualitativer Hinsicht mindern. Der Nachweis einer Einschränkung der Leistungsfähigkeit in zeitlicher Hinsicht ist jedoch nicht erbracht.

(1) Bei der Klägerin liegen verschiedene gesundheitliche Beeinträchtigungen vor.

Auf psychiatrischem Fachgebiet besteht bei der Klägerin eine Dysthymia bzw. depressive Neurose mit wechselnden Stimmungslagen vor dem Hintergrund einer Persönlichkeitsakzentuierung mit selbstunsicheren und abhängigen Zügen. Der Senat entnimmt dies dem nachvollziehbaren und gut begründeten Gutachten des H1. Weitere Beeinträchtigungen der Klägerin auf psychiatrischem und nervenärztlichem Fachge­biet können nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden. So ist der Senat in Übereinstimmung mit den Ausführungen des H1 insbe­sondere nicht vom Vorliegen einer rezidivierenden depressiven Störung mit mittelgradigen depressiven Episoden überzeugt.

Bei einer Dysthymia (F34.1) handelt es sich um eine chronische, wenigstens mehrere Jahre andauernde depressive Verstimmung, die weder schwer noch hinsichtlich einzelner Episoden anhaltend genug ist, um die Kriterien einer schweren, mittelgradigen oder leichten rezidivierenden depressiven Störung (F33.-) zu erfüllen (ICD-10-GM).

H1 konnte während seiner Untersuchung keinen depressiven Affekt feststellen, zeitweise war die Stimmungslage der Klägerin dysthym, zeitweise verhielt sie sich klagsam, teilweise auch vorwurfsvoll. Sie berichtete dem Gutachter über eine verstärkte Gereiztheit, welche dieser während der Untersuchung jedoch nicht beobachten konnte. Die Schwingungsfähigkeit der Klägerin war nicht eingeschränkt. Die Antriebslage war nur leicht reduziert. Eine psychomotorische Hemmung war während der Untersuchung nicht vorhanden. Suizidalität wurde glaubhaft verneint. Das Kontaktverhalten der Klägerin war ganz überwiegend freundlich zugewandt. Die Gedächtnisfunktionen waren intakt. Der formale Gedankengang war geordnet und flüssig. Hinweise auf inhaltliche Denkstörungen, Sinnestäuschungen bzw. Ich-Störungen lagen nicht vor. Aufgrund dieses psychischen Befundes stellte H1 nachvollziehbar die Diagnose einer Dysthymia in Form einer depressiven Neurose mit wechselnden Stimmungslagen, leichter Antriebsminderung, einem Gefühl der Kraftlosigkeit sowie der Angabe einer Durchschlafstörung vor dem Hintergrund einer Persönlichkeitsakzentuierung mit selbstunsicheren und abhängigen Zügen.

Die Diagnose einer rezidivierenden depressiven Störung mit mittelgradigen depressiven Episoden konnte der Gutachter hingegen nicht bestätigen. So führt er für den Senat nachvollziehbar aus, dass sich weder aus den vorliegenden Akten noch aus dem Bericht der Klägerin im Rahmen der aktuellen Untersuchung ein episodischer Verlauf der depressiven Erkrankung mit zeitlich abgrenzbaren Krankheitsepisoden nachweisen lässt. So sind weder im Entlassungsbericht der Tagesklinik Z1 vom 04.11.2019 noch im ärztlichen Entlassungsbericht aus der Klinik M3 vom 16.12.2020 psychische Befunde einer mittelgradigen depressiven Störung beschrieben. Im psychischen Aufnahmebefund des Entlassungsberichts der Tagesklinik Z1 wird die Klägerin lediglich als angespannt beschrieben bei bedrückter Stimmung. Im Übrigen war die Klägerin jedoch wach, bewusstseinsklar und in allen Qualitäten orientiert, im formalen Denken geordnet bei vorhandener affektiver Schwingungsfähigkeit und adäquatem Antrieb, ohne Hinweis auf inhaltliche Denkstörungen, Sinnestäuschungen oder Ich-Störungen und ohne Hinweis auf akute Suizidalität. Dem Aufnahmebefund des Entlassberichts der Klinik M3 ist zu entnehmen, dass die Klägerin im Affekt deprimiert war, psychomotorisch leicht angespannt wirkte bei vermindertem Antrieb. Es fanden sich deutliche Hinweise für Störungen des Sozial- und Krankheitsverhaltens bezüglich Auffassung und Anpassung sowie Hinweise für Verdeutlichungstendenzen, leichte Hinweise für Aggravation von Defiziten und Hinweise für Simulation. Darüber hinaus war der psychopathologische Befund (gemäß AMP) unauffällig bezüglich Bewusstsein, Orientierung, Aufmerksamkeit, Konzentration, Merkfähigkeit, Gedächtnis, Intelligenz, formalem Denken, Befürchtungen und Zwängen, Wahn, Sinnestäuschungen, Störungen des inhaltlichen Denkens, Ich-Störungen, aggressiver Erlebens- und Verhaltensmuster, Suizidalität, Selbstbeschädigung. Der sachverständigen Zeugenaussage der M1 ist keine Diagnose zu entnehmen. Einen episodischen Verlauf beschreibt jedoch auch diese nicht, zumal eine sichere Differenzierung zwischen den (objektiven) Befunden und den (subjektiven) Beschwerdeangaben der Klägerin nicht möglich ist. Auch der Stellungnahme der K1 ist kein konkreter psychischer Befund zu entnehmen, eine Trennung zwischen Beschwerdeangaben und eigenen Befunden ist nicht feststellbar. Insgesamt kann den vorliegenden Befunden zwar eine mittlerweile chronifizierte depressive Erkrankung im Sinne einer Dysthymia, jedoch ohne schwerere depressive Episoden entnommen werden.

Außerhalb des psychiatrischen Fachgebietes liegen bei der Klägerin noch eine Adipositas Grad I, eine beidseitige Rhizarthrose sowie eine
chronisch venöse Insuffizienz vor. Dies entnimmt der Senat dem Entlassungsbericht der Z1 in B1 vom 04.11.2019, dem Entlassungsbericht der Klinik M3 in S1 vom 16.12.2020 sowie der Arztauskunft des B2 vom 02.08.2021.

(2) Die festgestellten Gesundheitsstörungen schränken das berufliche Leistungsvermögen der Klägerin in qualitativer Hinsicht ein.

Aufgrund der psychischen Erkrankung hat H1 schlüssig und überzeugend qualitative Einschränkungen des Leistungsvermögens der Klägerin abgeleitet, indem besonderer Zeitdruck, besonderer Leistungsdruck, Akkord- und Fließbandarbeit, besondere Verantwortung, besondere geistige Beanspruchung, besonderes Konfliktpotenzial im Arbeitsumfeld, besondere Anforderungen an die Selbstbehauptungsfähigkeit und Nachtarbeit zu vermeiden sind.

Im Hinblick auf die übrigen Gesundheitsstörungen sollten zudem das Heben, Tragen und Bewegen von Lasten oberhalb 10 kg ohne geeignete Hilfsmittel, Wirbelsäulenzwangshaltungen sowie das Arbeiten auf Leitern und Gerüsten vermieden werden.

(3) Trotz der genannten qualitativen Leistungseinschränkungen ist die Klägerin noch in der Lage, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mehr als sechs Stunden täglich zu verrichten. Der Senat konnte sich nicht davon überzeugen, dass die bei der Klägerin zu berücksichtigenden Gesundheitsstörungen zu einem Absinken des tatsächlichen Restleis­tungs­vermögens auf ein unter sechsstündiges Maß geführt haben. Der Senat stützt sich hierbei auf die Leistungseinschätzung des H1 in seinem Gutachten vom 10.11.2021 als auch auf den Entlassbericht
der Klinik M3 in S1 vom 16.12.2020, den er im Wege des Urkundenbeweises zu verwerten hat.

Der gerichtliche Sachverständige hat anhand der von ihm erhobenen, oben dargestellten Befunde und des in der Akte dokumentierten Krankheitsverlaufs unter Abgleich mit den aus den anamnetischen Angaben ersichtlichen Ressourcen der Klägerin schlüssig ein zeitlich nicht eingeschränktes Leistungsbild für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes abgeleitet. So konnte H1 während seiner Untersuchung, welche drei Stunden und zehn Minuten gedauert hat, keine Konzentrationsstörungen bei der Klägerin feststellen, auch kein Nachlassen der Konzentrationsfähigkeit. Die Klägerin wirkte nie müde oder erschöpft. Vielmehr redete sie so schnell, dass der Gutachter mehrfach ihren Gesprächsfluss unterbrechen musste, um alles mitschreiben zu können. Die Gedächtnisfunktionen waren intakt. Der formale Gedankengang war geordnet und flüssig. Gleichzeitig zeigen auch die von der Klägerin verrichteten vielfältigen täglichen Aktivitäten auf, dass sie über weit mehr Ressourcen verfügt, als dies im Rahmen ihrer Beschwerdeschilderung zum Ausdruck kommt. So unternimmt die Klägerin ausgedehnte Spaziergänge und Unternehmungen („Kürbisausstellung“), auf welchen sie viel (mit dem Handy, auch Selfies) fotografiert. Sie unterhält den Kontakt zu ihren Geschwistern, ist auch im Übrigen kontaktfreudig („Das einzig Gute in der Reha sei gewesen, dass sie dort Leute kennengelernt habe.“; „Nach dem Aufstehen schaue sie als erstes auf das Smartphone, ob ihr jemand etwas geschrieben habe.“), hilft im Haushalt mit (z.B. Staubsaugen, Mahlzeiten zubereiten), verbringt Zeit mit ihrem Mann in ihrem Garten, schaut vielfältiges Fernsehprogramm, kümmert sich um das Ausfüllen von Formularen etc. Eine eingeschränkte Gestaltungs- und Erlebnisfähigkeit kommt hierdurch nicht zum Ausdruck, auch nicht das Fehlen einer Tagesstruktur.

Auch die M3 sahen in ihrem Entlassbericht vom 16.12.2020 ein vollschichtiges Leistungsvermögen. Die objektivierende Validierung der anamnestischen Aktivitätsbeeinträchtigungen ergab keine gravierenden anhaltenden Beeinträchtigungen im privaten und beruflichen Alltag außer einer verminderten Konfliktfähigkeit und Reduktion der Leistungsfähigkeit durch unergonomische Haltung bei der Funktionsdiagnostik.

Soweit die Leistungsfähigkeit der Klägerin von ihrem E1, der M4 sowie der K1 negativer eingeschätzt wird als von H1, folgt der Senat deren Leistungsbeurteilung nicht. Der Beurteilung der beruf­lichen Leistungsfähigkeit eines Versicherten durch gerichtliche Sachverständige kommt nach ständiger Rechtsprechung des Senats grundsätzlich ein höherer Beweiswert zu als der Ein­schätzung der behandelnden Ärzte. Bei der Untersuchung von Patienten unter therapeu­tischen Gesichtspunkten spielt die Frage nach der Einschätzung des beruflichen Leistungs­vermögens in der Regel keine Rolle. Dagegen ist es die Aufgabe des Sach­verständigen, die Untersuchung gerade im Hinblick darauf vorzunehmen, ob und in welchem Ausmaß gesundheitliche Beschwerden zu einer Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens führen. In diesem Zusammenhang muss der Sachverständige auch die Beschwerdeangaben eines Versicherten danach überprüfen, ob und inwieweit sie sich mit dem klinischen Befund erklären lassen.

(4) Ob der Klägerin ein Arbeitsplatz vermittelt werden kann oder nicht, ist für den geltend gemachten Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nicht erheblich. Die jeweilige Arbeitsmarktlage ist nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Maßgebend ist, ob die Klägerin mit dem ihr verbliebenen Restleistungsvermögen - wenn auch mit qualitativen Einschränkungen - in der Lage ist, zumindest körperlich leichte Tätigkeiten arbeitstäglich für mindestens sechs Stunden zu verrichten, sie also in diesem zeitlichen Umfang unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts erwerbstätig sein kann, wovon im Regelfall ausgegangen werden kann (vgl. z.B. BSG 19.10.2011, B 13 R 78/09 R, juris, Rn. 31). Dies bejaht der Senat wie zuvor dargelegt.

(5) Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegen nicht vor. In einem solchen Fall kann der Arbeitsmarkt selbst bei einem noch vorhandenen sechsstündigen Leistungsvermögen ausnahmsweise als verschlossen gelten (siehe BSG 30.11.1983, 5a RKn 28/82, BSGE 56, 64; siehe insbesondere auch hierzu den bestätigenden Beschluss des Großen Senats vom 19.12.1996, BSGE 80, 24). Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Verweisung auf ein noch vorhandenes Restleistungsvermögen nur dann möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten.

Dies ist hier nicht der Fall. Bei der Klägerin liegen zwar - wie dargelegt - einige qualitative Leistungseinschränkungen vor, diese sind jedoch nicht als ungewöhnlich zu bezeichnen. Darin ist weder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung noch eine Summierung ungewöhn­licher Leistungseinschränkungen zu sehen. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt nur vor, wenn bereits eine erhebliche (krankheitsbedingte) Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt. Hierzu können - unter besonderer Berücksichtigung der jeweiligen Einzelfallumstände - beispielsweise Einäugigkeit, Einarmigkeit und Ein­schränkungen der Arm- und Handbeweglichkeit sowie besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz zählen (vgl. BSG 09.05.2012, B 5 R 68/11 R, juris, Rn. 28 m.w.N.). Der Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit bedarf es nicht, wenn - wie hier - typische Verrichtungen wie z.B. das Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen möglich sind. Einschränkungen, die dem entgegenstehen könnten, lassen sich den vorliegenden Gutachten des H1 nicht entnehmen.


(6) Auch die Wegefähigkeit der Klägerin ist gegeben. Neben der zeitlich ausreichenden Einsetzbarkeit eines Versicherten am Arbeitsplatz gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle in zumutbarer Zeit aufsuchen zu können. Das BSG hat dieses Vermögen nur dann für gegeben erachtet, wenn es dem Versicherten möglich ist, Entfernungen von über 500 Metern zu Fuß zurückzulegen, weil davon auszugehen ist, dass derartige Wegstrecken üblicherweise erforderlich sind, um Arbeitsstellen oder Haltestellen eines öffentlichen Verkehrsmittels zu erreichen (zum Ganzen z.B. BSG 17.12.1991, 13/5 RJ 73/90, juris, Rn. 16 ff.; 12.12.2011, B 13 R 21/10 R, juris, Rn. 21 f.; 12.12.2011, B 13 R 79/11 R, juris, Rn. 19 f.).

Eine rentenrechtlich relevante Einschränkung der Wegefähigkeit ist nach den oben genannten Befunden nicht gegeben und wurde auch von H1 verneint.

Der Vortrag der Klägerin, sie traue sich nicht öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, führt nicht zu einer eingeschränkten Wegefähigkeit. Eine Angsterkrankung wurde bei der Klägerin nicht festgestellt, weder vom Gutachter H1 noch von den behandelnden Ärzten. Die Klägerin berichtete H1 gegenüber auch nicht über phobische Ängste. Objektive Gründe, warum die Klägerin öffentliche Verkehrsmittel nicht nutzen können sollte, sind somit nicht ersichtlich.

(7) Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt; die vorhandenen Gutachten und Arztauskünfte bilden eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Senats. Das vorliegende Gutachten des H1 sowie die aktenkundigen medizinischen Unterlagen über die Klägerin haben dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs. 1 Zivilprozessordnung [ZPO]). Das Gutachten geht von zutreffenden tatsächlichen Voraus­setzungen aus, enthält keine unlösbaren inhaltlichen Widersprüche und gibt auch keinen Anlass, an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Gutachters zu zweifeln; weitere Beweiserhebungen waren daher von Amts wegen nicht mehr notwendig.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

5. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen. 



 

Rechtskraft
Aus
Saved