Tenor:
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 04.05.2023 geändert.
Der Klägerin wird für das Klageverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Wojak, Troisdorf, beigeordnet.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrte im inzwischen erledigten Hauptsacheverfahren Leistungen nach dem SGB XII.
Die 0000 geborene Klägerin bezog zunächst gemeinsam mit ihrem Ehemann Grundsicherung nach dem SGB II. Das Jobcenter ging aufgrund einer ärztlichen Stellungnahme davon aus, dass sie nicht mehr erwerbsfähig sei. Am 08.04.2022 beantragte sie Rente wegen Erwerbsminderung bei der DRV. Diese lehnte den Antrag mit Bescheid vom 16.08.2022 ab. Die Klägerin könne noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein. Der Widerspruch der Klägerin wurde im März 2023 zurückgewiesen.
Mit Bescheid vom 14.04.2022 hob das Jobcenter die Bewilligung der Leistungen nach dem SGB II ab dem 01.05.2022 auf, da die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr erwerbsfähig sei. Ein neuer Antrag wurde mit Bescheid vom 13.06.2022 abgelehnt, nach der Zurückweisung ihres Widerspruchs erhob die Klägerin Klage bei dem Sozialgericht Düsseldorf (S 46 AS 1707/22).
Am 23.04.2022 beantragte die Klägerin Leistungen nach dem SGB XII bei der Beklagten. Diese lehnte mit Bescheid vom 15.09.2022 sowohl Hilfe zum Lebensunterhalt als auch Grundsicherung nach dem SGB XII ab, da die Klägerin als Erwerbsfähige gem. § 21 SGB XII keine Leistungen für den Lebensunterhalt beanspruchen könne. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 25.10.2022 zurückgewiesen. Die Klägerin sei nach dem Bescheid der DRV vom 16.08.2022 erwerbsfähig, diese Feststellung sei für den Sozialhilfeträger bei der Entscheidung über die Grundsicherung bindend. Als Erwerbsfähige könne sie auch keine Hilfe zum Lebensunterhalt beanspruchen.
Die Klägerin hat am 23.11.2022 Klage erhoben und Prozesskostenhilfe beantragt. Sie sei aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr erwerbsfähig. Da das Jobcenter die Leistungen ebenfalls abgelehnt habe, sei sie völlig mittellos.
Am 03.05.2023 hat die Klägerin mitgeteilt, das Jobcenter habe in vollem Umfang Leistungen nach dem SGB II bewilligt. Das Verfahren könne daher für erledigt erklärt werden.
Das Sozialgericht hat den Antrag auf Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 04.05.2023 abgelehnt. Die Klage habe von Anfang an keine Aussicht auf Erfolg gehabt, da die Klägerin als Erwerbsfähige nur Leistungen nach dem SGB II habe beanspruchen können. Diese seien zwischenzeitlich vom zuständigen Jobcenter bewilligt worden.
Dagegen richtet sich die Beschwerde vom 08.05.2023. Sowohl das Jobcenter als auch die Beklagte hätten die Leistungen abgelehnt. Die Klägerin sei daher gezwungen gewesen, vorsorglich zwei Klagen zu erheben.
II.
Die zulässige Beschwerde der Klägerin ist begründet. Das Sozialgericht hat es zu Unrecht abgelehnt, der Klägerin für die Durchführung des Klageverfahrens Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
Gem. § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 114 ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Dabei dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussichten nicht überspannt werden (BVerfG Beschluss vom 13.03.1990 – 2 BvR 94/88). Hinreichende Erfolgsaussichten sind grundsätzlich zu bejahen, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von einer schwierigen, bisher ungeklärten Rechtsfrage abhängt oder wenn von Amts wegen weitere Ermittlungen durchzuführen sind, bevor die streiterheblichen Fragen abschließend beantwortet werden können, und keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Ermittlungen mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Antragstellers ausgehen würden (vgl. BVerfG Beschluss vom 20.02.2001 – 1 BvR 1450/00; Beschlüsse des Senats vom 22.04.2021 – L 9 SO 418/20 B und vom 28.05.2013 – L 9 AS 541/13 B).
Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe scheidet nicht bereits aus, weil das Verfahren für erledigt erklärt worden ist. Zwar ist Prozesskostenhilfe grundsätzlich nur für die Zukunft, das heißt für die beabsichtigte Rechtsverfolgung zu bewilligen. Der Wortlaut des § 114 ZPO nimmt mit den Worten „beabsichtigte Rechtsverfolgung" und „Aussicht auf Erfolg" Bezug auf ein zukünftiges prozessuales Geschehen. Folge der Prozesskostenhilfe ist, dass nach § 121 Abs. 1 und 2 ZPO der Partei ein Rechtsanwalt beigeordnet wird. Diese Beiordnung macht nur Sinn, wenn die Prozessführung noch in der Zukunft liegt. Schließlich liegen Sinn und Zweck der Prozesskostenhilfe darin, eine effektive Prozessführung zu ermöglichen, nicht aber nachträglich für die Partei oder ihren Anwalt das Verfahren wirtschaftlich abzusichern. Wortlaut, Gesetzessystematik und Sinn und Zweck des § 114 ZPO lassen somit (grundsätzlich) nur die Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit Wirkung für die Zukunft zu (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 19.04.2012 – L 2 SB 83/12 B; LSG Thüringen Beschluss vom 11.12.2005 – L 2 B 67/05 R).
Eine rückwirkende Bewilligung kommt ausnahmsweise auch nach Abschluss des Verfahrens in Betracht, wenn das Gericht die Prozesskostenhilfe bereits vor Beendigung hätte bewilligen müssen. Voraussetzung dafür ist, dass der Prozesskostenhilfeantrag zum Zeitpunkt der Erledigung des Verfahrens im Sinne der Bewilligung entscheidungsreif gewesen ist (vgl. hierzu BVerfG Beschluss vom 14.04.2010 - 1 BvR 362/10 mwN). Denn maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung der Erfolgsaussicht ist in der Regel der Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs, diese liegt jedenfalls dann vor, wenn der Antragsteller einen bewilligungsreifen Antrag vorgelegt und der Gegner nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt hat (LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 30.11.2015 – L 19 AS 1570/15 B). Die Klägerin hat bereits mit der Klageerhebung einen bewilligungsreifen Antrag auf Prozesskostenhilfe gestellt und die Beklagte hatte Gelegenheit zur Stellungnahme. Für den vorliegenden Fall nicht von Belang ist, dass die Bewilligungsreife der Prozesskostenhilfe unter Umständen – insbesondere in Eilfällen – auch bereits vorliegen kann, wenn der Gegner noch keine Gelegenheit zur Stellungnahme hatte (so zutreffend LSG Rheinland-Pfalz Beschluss vom 09.06.2023 – L 3 AS 148/22 B).
Die Klage hatte Aussicht auf Erfolg. Die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 15.09.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.10.2022 steht nicht fest.
Eine Rechtswidrigkeit folgt nicht bereits daraus, dass die Beklagte das in § 45 SGB XII vorgesehene Verfahren nicht eingehalten hat. Danach ersucht der zuständige Sozialhilfeträger den nach § 109a Abs. 2 SGB VI zuständigen Träger der Rentenversicherung, die medizinischen Voraussetzungen des § 41 Abs. 3 SGB XII zu prüfen, wenn es auf Grund der Angaben und Nachweise des Leistungsberechtigten als wahrscheinlich erscheint, dass diese erfüllt sind und das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen nicht ausreicht, um den Lebensunterhalt vollständig zu decken. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt, denn das Jobcenter hatte die Leistungen aufgrund fehlender Erwerbsfähigkeit abgelehnt und die Klägerin war hilfebedürftig, da sie zuvor Leistungen nach dem SGB II bezogen hatte.
Die Beklagte musste dennoch nicht gem. § 45 Satz 1 SGB XII ein Ersuchen an die Rentenversicherung richten. Nach § 45 Satz 3 Nr. 1 SGB XII erfolgt ein Ersuchen nicht, wenn ein Träger der Rentenversicherung bereits die Voraussetzungen des § 41 Abs. 3 SGB XII im Rahmen eines Antrags auf eine Rente wegen Erwerbsminderung festgestellt hat. Die Vorschrift erfasst auch den Fall, dass der Rentenantrag – wie hier - abgelehnt wurde, weil keine dauerhafte volle Erwerbsminderung vorliegt. Denn in einer solchen Konstellation war der Rentenversicherungsträger bereits mit der Prüfung des Erwerbsvermögens befasst (Blüggel in: jurisPK-SGB XII, § 45 Rn. 50).
Die Entscheidung der DRV ist gem. § 45 Satz 2 SGB XII bindend für die Beklagte. Dies gilt indes nicht für die Gerichte. Denn wenn ein Antragsteller entgegen der "Entscheidung" des Rentenversicherungsträgers, die zur Ablehnung von Leistungen nach §§ 41 ff SGB XII geführt hat, geltend macht, er sei auf Dauer erwerbsgemindert, haben die Gerichte die verminderte Erwerbsfähigkeit des Hilfebedürftigen aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes von Amts wegen selbst zu überprüfen (BSG Urteil vom 23.03.2010 – B 8 SO 17/09 R). Das Sozialgericht hätte bei Fortführung der Klage daher ermitteln müssen, ob die Klägerin erwerbsgemindert ist, ggfs. durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Anlass zu solchen Ermittlungen bestand, nachdem das Jobcenter aufgrund einer ärztlichen Stellungnahme davon ausgegangen ist, dass es an der Erwerbsfähigkeit fehlt.
Den Erfolgsaussichten der Klage steht nicht entgegen, dass die Klägerin in dem Parallelverfahren einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II geltend gemacht hat. Zwar setzt dieser Anspruch gem. §§ 7 Abs. 1 Nr. 2, 8 SGB II Erwerbsfähigkeit voraus, so dass sich die Klägerin mit ihrem Sachvortrag im vorliegenden Verfahren in Widerspruch zu ihrem Vorbringen in dem Parallelverfahren setzen würde. Macht ein Betroffener einander gegenseitig ausschließende Ansprüche bei unklarer Sach- oder Rechtslage geltend, kann ihm jedoch zur Vermeidung der Bestandskraft (§ 77 SGG) einer der beiden Ablehnungsbescheide aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes nicht verwehrt werden, beide Ansprüche gerichtlich zu verfolgen und hierfür bei Vorliegen der sonstigen Umstände Prozesskostenhilfe zu beanspruchen.
Auch der Umstand, dass das Jobcenter aufgrund der Nahtlosigkeitsregelung des § 44a Abs. 1 Satz 7 SGB II zur Leistungsfortzahlung verpflichtet war, steht einer Erfolgsaussicht des gegen das Sozialamt gerichteten Klageverfahrens nicht entgegen. Die Jobcenter sind über den Wortlaut dieser Vorschrift hinaus verpflichtet, auch ohne das Vorliegen eines Widerspruchs eines anderen Trägers Nahtlosigkeitsleistungen zu erbringen, wenn sie zwar vom Fehlen der Erwerbsausfähigkeit ausgehen, die Zuständigkeit aber nicht mit dem nach ihrer Auffassung zuständigen Träger geklärt haben (LSG Nordrhein-Westfalen Beschlüsse vom 03.12.2020 – L 6 AS 1651/17 und vom 17.04.2014 – L 19 AS 485/14 B ER; Brems in: jurisPK-SGB II, § 44a Rn. 80 mwN). Das Jobcenter hätte daher weiter leisten müssen und hat diese Verpflichtung in dem Parallelverfahren schließlich auch anerkannt. Erfolgsaussichten für die vorliegende Klage bestanden jedoch auch nach der Zahlungsaufnahme durch das Jobcenter. Denn wäre im vorliegenden Verfahren festgestellt worden, dass die Klägerin dauerhaft voll erwerbsgemindert ist, wäre der Sozialhilfeträger trotz der vom Jobcenter nach § 44a Abs. 1 Satz 7 SGB II erbrachten Leistungen der eigentlich leistungsverpflichtete Träger (LSG Hamburg Beschluss vom 01.10.2020 – L 4 AS 66/19; Brems in: jurisPK SGB II, § 44a Rn. 79).
Die Klägerin erfüllt auch die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe, die sie mit der Erklärung vom 23.11.2022 dargelegt hat.
Kosten im Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe sind nicht erstattungsfähig (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 127 Abs. 4 ZPO).
Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).