1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt vom Beklagten die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 01.07.2021 bis zum 31.07.2021 in gesetzlicher Höhe.
Der im Jahr 1960 geborene Kläger bezieht beim Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II.
Mit Schreiben vom 05.05.2021 wies der Beklagte den Kläger darauf hin, dass der aktuelle Bewilligungsabschnitt zum 30.06.2021 ende und ein Weiterbewilligungsantrag dem Leistungsträger frühzeitig vor Ablauf des aktuellen Bewilligungszeitraums vorliegen müsse.
Mit E-Mail vom 01.08.2021 stellte der Kläger beim Beklagten einen Weiterbewilligungsantrag für Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum ab Juli 2021. Er teilte mit, dass er sich außerstande sähe, irgendwelche Unterlagen zu erstellen oder zu scannen, da er am Freitag einen Schlüsselbeinbruch erlitten habe und sich auch nicht mehr an seine Zugangsdaten für das Online Portal erinnere. Eine Operation des Schlüsselbeinbruchs fände am 04.08.2021 statt – bis dahin bestünde auch Arbeitsunfähigkeit. Mit Bescheid vom 30.08.2021 bewilligte der Beklagte dem Kläger aufgrund seines Antrags vom 01.08.2021 Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.08.2021 bis zum 31.01.2022 in Höhe von monatlich insgesamt 807,84 €. Mit weiterem Bescheid vom 30.08.2021 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers vom 01.08.2021 hinsichtlich der Leistungsgewährung für den Zeitraum vom 01.07.2021 bis zum 31.07.2021 unter der Begründung ab, dass Leistungen nach dem SGB II erst ab Antragstellung erbracht werden würden. § 27 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) fände keine Anwendung, da es sich beim Ablauf des Bewilligungszeitraumes nicht um eine Frist handele. Selbst, wenn § 27 SGB X Anwendung fände könne keine Rückwirkung erfolgen, da eine dauerhafte Verhinderung für den Zeitraum zwischen der Kenntnis der gesetzten Frist und dem Ablauf der Frist nicht vorliege.
Eine lediglich temporäre Verhinderung im Sinne von wenigen Tagen, falle nicht unter die Verhinderung im Sinne des § 27 SGB X. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch unter der Begründung, dass das Ende der Frist, um seinen Weiterbewilligungsantrag zu stellen, der 31.07.2021 und somit ein Samstag gewesen sei. Daher ende der Ablauf dieser Frist erst mit Ablauf des nächsten Werktages, also am Montag, den 02.08.2021. Der Beklagte wies den Widerspruch des Klägers unter dem 06.10.2021 zurück. Zur Begründung führte er aus, dass ein Leistungsanspruch für Juli 2021 nicht bestanden habe, da der Weiterbewilligungsantrag des Klägers erst am 01.08.2021 beim Beklagten eingegangen sei. § 26 SGB X sei nicht anwendbar, da es sich bei der Antragsfrist nach § 37 SGB II nicht um eine behördliche oder gesetzliche Frist im Sinne des § 26 SGB X handele. Daher könne § 27 SGB X ebenfalls keine Anwendung finden. § 37 SGB II regele keine Frist, sondern das Verhältnis zwischen dem Leistungsbeginn und der Antragstellung. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch bestehe auch nicht, da dem Beklagten kein Fehler in der Beratungspflicht oder Auskunftspflicht vorzuwerfen sei. Der Kläger sei im Bescheid vom einen 28.01.2021 und mit Schreiben vom 05.05.2021 darauf hingewiesen worden, dass rechtzeitig vor Ablauf des Bewilligungszeitraums bis zum 30.06.2021 ein Weiterbewilligungsantrag gestellt werden müsse. Auch die nachgewiesene Arbeitsunfähigkeit ändere daran nichts, da der Kläger im Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit den Antrag per E-Mail tatsächlich gestellt habe.
Der Kläger hat am 04.11.2021 gegen den Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 30.08.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.10.2021 Klage beim Sozialgericht Darmstadt erhoben. Der Kläger ist der Auffassung, dass durch die Neufassung des § 37 SGB II eine Fristeigenschaft entstehe und daher die §§ 26, 27 SGB X anzuwenden seien. Da der 31.07.2021 ein Samstag gewesen sei, habe die Frist zur Antragstellung auf Leistungen für den Monat Juli 2021 erst am Montag, 02.08.2021, geendet. Der Antrag vom 01.08.2021 sei rechtszeitig beim Beklagten eingegangen. Der Kläger verweist auf das Urteil des LSG NRW, Urteil vom 14.09.2017 – L 19 AS 360/17 und auf das Urteil des BSG, Urteil vom 11.07.2019 – B 14 AS 51/18 R. Zudem führt er aus, dass ihm auf seinen Antrag vom 01.08.2021 auch Leistungen nach dem Wohngeldgesetz ab 01.07.2021 bewilligt worden seien.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 30.08.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.10.2021 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger Leistungen zu Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch für den Zeitraum vom 01.07.2021 bis zum 31.07.2021 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist der Beklagte auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vortrags der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die jeweils Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die gemäß § 54 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Klage ist zulässig, aber unbegründet.
1.
Streitgegenstand ist vorliegend der Bescheid des Beklagten vom 30.08.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.10.2021, mit dem der Beklagte die Leistungsgewährung nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.07.2021 bis zum 31.07.2021 ablehnte. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass der Kläger seinen Antrag auf Weiterbewilligung von Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum ab Juli 2021 am 01.08.2021 per E-Mail gestellt hat. Die Beteiligten streiten vorliegend einzig darüber, ob die §§ 26, 27 SGB X auf das Ende eines Bewilligungszeitraumes Anwendung finden.
2.
Die Klage ist unbegründet, da der Antrag des Klägers vom 01.08.2021 nicht auf den 01.07.2021 zurückwirkt.
Gemäß § 37 Abs. 1 S. 1 SGB II werden Leistungen nach dem SGB II auf Antrag erbracht. § 37 Abs. 2 S. 1, S. 2 SGB II bestimmt, dass Leistungen nach dem SGB II nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht werden und der Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auf den Ersten des Monats zurückwirkt.
Aus dem Regelungszusammenhang und dem Wortlaut von § 37 Abs. 2 SGB II ergibt sich zunächst, dass die Rückwirkung auf den Monatsersten als Ausnahme zur Regel – keine Leistungsgewährung vor Antragstellung – nur im Falle von Leistungen zu Sicherung des Lebensunterhaltes greift. Auch der Monatserste ist nach Auffassung der Kammer eindeutig und nicht auslegungsfähig festgelegt als der erste Tag des Monats, in dem der Antrag auf Leistungen gestellt wurde.
Hier stellte der Kläger – unstreitig – seinen Leistungsantrag am 01.08.2021, dem Monatsersten des Antragsmonats August. Eine Rückwirkung auf den 01.07.2021 ist nach Überzeugung der Kammer aufgrund des eindeutigen Wortlauts von § 37 Abs. 2 SGB II ausgeschlossen. Denn der Antragsmonat war vorliegend August 2021 und eben gerade nicht Juli 2021.
Insofern kann dahinstehen, ob § 37 Abs. 2 SGB II eine gesetzliche Frist regelt oder nicht. Zwar sprechen nach Auffassung der Kammer mehr Argumente gegen eine Fristenregelung durch § 37 Abs. 2 SGB II als dafür. Fristen sind abgrenzbare bestimmte oder bestimmbare nicht notwendig zusammenhängende Zeitspannen zwischen zwei oder mehreren Zeitpunkten, was in § 37 Abs. 2 S. 2 SGB II nicht geregelt wird (Aubel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 37 (Stand: 24.01.2023), Rn. 56; Valgolio in: Hauck/Noftz SGB II, 5. Ergänzungslieferung 2023, § 37 SGB 2, Rn. 18). Vielmehr geht es auch nach Einführung von § 37 Abs. 2 S. 2 SGB II nur um das Verhältnis zwischen Leistungsbeginn und Antragstellung und den Ausschluss von Leistungen vor dem Monat der Antragstellung (BSG, Urteil vom 18. Januar 2011 – B 4 AS 99/10 R –, SozR 4-4200 § 37 Nr 5, Rn. 23; BSG, Urteil vom 16. Mai 2012 – B 4 AS 166/11 R –, SozR 4-4200 § 7 Nr 31, Rn. 32). Der Antrag selbst ist nicht fristgebunden.
Nach Auffassung der Kammer ist § 37 Abs. 2 S. 2 SGB II allerdings selbst, wenn man davon ausginge, dass es sich beim Ende eines Bewilligungszeitraumes um eine Frist handele, lex specialis zu § 26 SGB X. Hierfür spricht, dass nach dem in § 37 Abs. 2 S. 1 SGB II zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers Leistungen vor dem Monat der Antragstellung ausscheiden sollen.
Könnte ein Antrag unter Anwendung von § 26 Abs. 3 SGB X noch im Folgemonat gestellt werden, würde das gesetzgeberische Grundprinzip ausgehebelt (Aubel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 37 (Stand: 15.03.2022), Rn. 62).
Selbst, wenn man davon ausgeht, dass § 37 Abs. 2 SGB II eine Frist regele, lägen auch die Voraussetzungen des § 27 SGB X nicht vor, da beim Kläger kein dauerhafter Verhinderungsgrund vorgelegen hatte. Zudem hat er den Antrag auf Leistungen nach dem SGB II tatsächlich am 01.08.2021 – während seiner Arbeitsunfähigkeit gestellt.
Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch des Klägers besteht ebenfalls nicht, da der Beklagte seinen Beratungs- und Auskunftspflichten nachgekommen ist und den Kläger frühzeitig davon in Kenntnis gesetzt hat, dass ein Antrag auf Weiterbewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II bis zum Ablauf des aktuellen Bewilligungszeitraumes beim Beklagten eingehen müsse, um Unterbrechungen der Leistungsgewährung zu vermeiden. Ein fehlerhaftes Verwaltungshandeln ist vorliegend für die Kammer nicht erkennbar.
Auch sprechen nach Überzeugung der Kammer keinerlei Anhaltspunkte dafür, dem Kläger im Wege des richterrechtlichen Instituts der Nachsichtgewährung Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.07.2021 bis zum 31.07.2021 zuzusprechen.
Nach alledem war die Klage vollumfänglich abzuweisen.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache.