S 17 R 91/22

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
SG Altenburg (FST)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Altenburg (FST)
Aktenzeichen
S 17 R 91/22
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Bei der Feststellung einkommensgerechter Beiträge selbständig Tätiger zur gesetzlichen Rentenversicherung ist eine rückwirkende Neuberechnung der Beiträge für das Jahr, für welches der vorgelegte Einkommensteuerbescheid erteilt wurde, aufgrund der Regelung in § 165 Abs. 1 S. 3 und 8 SGB VI ausgeschlossen.

Im Rahmen der Prüfung der Verjährung nach § 25 Abs. 1 S. 2 SGB IV kann nicht aus allgemeinen Erwägungen auf den Vorsatz geschlossen werden; der subjektive Tatbestandes ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls individuell zu ermitteln (vgl. BSG, Urteil vom 30.03.2000, B 12 KR 14/99 R, Rn. 24).

Die Bescheide vom 19.07.2019, 27.01.2020 in der Fassung des Bescheides vom 20.07.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.01.2022 werden insoweit aufgehoben, wie damit Säumniszuschläge festgesetzt wurden und 

der Bescheid vom 11.06.2020 in der Fassung des Bescheides vom 20.07.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.01.2022 wird aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die Bescheide vom 13.05.2019 und 18.06.2019 hinsichtlich der Festsetzung von Beitragspflichten für den Zeitraum 01.01.2013-31.12.2013 und hinsichtlich der Festsetzung von Säumniszuschlägen zurückzunehmen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. 

Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu ¼ zu tragen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten vorliegend über die Nachforderung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung und Erhebung von Säumniszuschlägen betreffend den Zeitraum 01.01.2013 bis 12.12.2019. Streitig sind vor allem die Fragen der Berechnung der Beitragshöhe, der Verjährung und der Rechtfertigung von Säumniszuschlägen.

Der 1983 geborene Kläger ist seit 2006 selbständig tätig. Zunächst hatte er sein Gewerbe mit dem Tätigkeitsgebiet Hausmeisterdienste und Einbau genormter Baufertigteile angemeldet, in 2007 kam der Handel mit Holz, Holzwerkstoffen und Holzschutzmitteln dazu. Mit Gewerbeummeldung vom 25.03.2008 wurde die Zimmerei mit aufgenommen. In 2/2013 kamen noch der Betrieb eines Sägewerks und Mobilsägewerks dazu.

Ab 01.04.2008 war der Kläger als Zimmerer in der Handwerksrolle bei der Handwerkskammer für Ostthüringen eingetragen. Am 02.04.2009 erwarb der Kläger den Meistertitel im Zimmerer-Handwerk (Meisterbrief vom 07.04.2009, Bl. 12 VA).

Am 27.04.2017 sprach der Kläger bei der Auskunfts- und Beratungsstelle der Deutschen Rentenversicherung in G vor. Die dortige Beraterin fertigte hierüber einen Vermerk, worin sie u. a. festhielt, dass der Kläger seit dem 02.04.2009 Zimmerermeister sei und somit in dieser Tätigkeit grundsätzlich der Versicherungspflicht unterliege, was dem Kläger aber erst zum jetzigen Zeitpunkt bekannt geworden sei. Der Gesamtgewinn für die Jahre von 2009-lfd. betrage durchschnittlich ca. 7.000 Euro, worin auch die Einkünfte aus Handel und Sägewerk enthalten seien. Möglicherweise seien die Einkünfte aus der Zimmerei auch im Rahmen der Geringfügigkeitsgrenze. Wenn Versicherungspflicht eintreten sollte, wünsche der Versicherte eine einkommensgerechte Beitragszahlung für die Einkünfte aus der Zimmerei. Der Vermerk endet wie folgt: „Bitte teilen Sie L schriftlich mit, welche Unterlagen bzw. Nachweise benötigt werden.“

Dieser Vermerk ging im Referat Beitragsverfahren der Beklagten am 05.05.2017 ein, wurde aber bis zum 07.05.2018 dort nicht bearbeitet. Mit Schreiben vom 25.05.2018 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass der Vorsprachevermerk von G versehentlich verlegt worden sei. Leider habe auch die Beklagte von der Handwerkskammer G zum Zeitpunkt der Änderung der Eintragung keine Mitteilung erhalten. Aufgrund der Eintragung in der Handwerksrolle habe sie über die Versicherungspflicht nach § 2 S. 1 Nr. 8 SGB VI und die Höhe der Beitragszahlung zu entscheiden. Die Beiträge vom 01.04.2008 bis 31.12.2013 seien verjährt. Für die einkommensgerechte Beitragszahlung werde der Kläger um Übersendung der Einkommenssteuerbescheide ab 2014 gebeten. Beigefügt waren ein Fragebogen zur Feststellung der Versicherungspflicht von Gewerbetreibenden in Handwerksbetrieben V0010 und ein Merkblatt zur Versicherungspflicht der Gewerbetreibenden in Handwerksbetrieben V0015.

Die Steuerbescheide für 2014-2016 und den ausgefüllten Fragebogen (unterschrieben am 26.07.2018) übersandte der Kläger am 30.07.2018, wobei er in letzterem ankreuzte, dass sein monatliches Arbeitseinkommen (Gewinn) regelmäßig 450 Euro übersteige.

Auf Anfrage der Beklagten übersandte das Finanzamt Altenburg eine Auskunft vom 17.08.2018 über die Einkünfte des Klägers aus Gewerbebetrieb – Zimmerei – unter Angabe der Daten der Steuerbescheide und festgestellten Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Es waren folgende Einkommenssteuerbescheide mit jeweiligen Einkünften aus Gewerbebetrieb ergangen:

  • Bescheid vom 29.08.2012 für 2010 – 22.632 Euro
  • Bescheid vom 18.01.2013 für 2011 – 6.565 Euro
  • Bescheid vom 23.12.2013 für 2012 – 6.689 Euro
  • Bescheid vom 11.05.2015 für 2013 – 6.196 Euro
  • Bescheid vom 13.04.2016 für 2014 – 13.312 Euro
  • Bescheid vom 08.03.2017 für 2015 – 9.757 Euro
  • Bescheid vom 28.05.2018 für 2016 – 11.930 Euro.

 

Mit Bescheid vom 27.08.2018 stellte die Beklagte fest, dass ab 01.01.2013 nach § 2 S. 1 Nr. 8 SGB VI Rentenversicherungspflicht bestehe und nahm eine einkommensgerechte Beitragsberechnung vor. Auf den Widerspruch des Klägers, der über einen Rentenberater eingelegt wurde, nahm die Beklagte diesen Bescheid am 09.10.2018 wieder zurück, da von einem fehlerhaften Beginn der Versicherungspflicht ausgegangen und die Steuerbescheide falsch eingearbeitet worden seien.

Mit Bescheid vom 13.05.2019 stellte die Beklagte nun gegenüber dem Kläger die Versicherungspflicht nach § 2 S. 1 Nr. 8 SGB VI ab 01.04.2008 fest. Ab dem 01.01.2013 seien einkommensgerechte Beiträge zu zahlen; die Höhe des Monatsbeitrags und die bisher fälligen Beiträge könnten der Beitragsrechnung entnommen werden, die Bestandteil des Bescheides sei. Bis zum 31.05.2019 hatten sich Beiträge von insgesamt 12.029,84 Euro ergeben. Zudem wurde mitgeteilt, dass die Beiträge der Monate 4/2008-12/2012 nach § 25 SGB IV verjährt seien. Säumniszuschläge gemäß § 24 Abs. 1 SGB IV seien auch für die Vergangenheit zu erheben, wenn der Kläger nicht innerhalb der Rechtsbehelfsfrist die Forderung vollständig begleiche. Über die Berechnung der Säumniszuschläge ergehe ein gesonderter Bescheid.

Nachdem der Kläger zunächst nicht reagierte, erging am 18.06.2019 ein weiterer Bescheid, mit dem nunmehr eine Forderung von 16.459,34 Euro geltend gemacht wurde, einschließlich Säumniszuschlägen für die Betragsrückstände ab 01.01.2013 bis 31.05.2019 i. H. v. 4.429,50 Euro. Widersprüche gegen die ergangenen Bescheide sind nicht aktenkundig.

Am 19.07.2919 forderte die Beklagte vom Kläger den Monatsbeitrag für 6/2019 i. H. v. 198,78 Euro und einen Säumniszuschlag von 122 Euro.

Am 02.08.2019 legte der Rentenberater Widerspruch gegen den Bescheid vom 19.07.2019 ein. Auch sei der gegen den Bescheid vom 18.06.2019 eingelegte Widerspruch noch unbearbeitet und es werde um Stundung gebeten. Die Beklagte teilte dem Rentenberater mit, dass ein Widerspruch gegen den Bescheid vom 18.06.2019 nicht vorliege und übersandte einen Fragebogen zur Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse, um über den Stundungsantrag befinden zu können.

Dieser ging ausgefüllt am 13.12.2019 bei der Beklagten ein. Der Kläger teilte mit, dass er zu einer Ratenzahlung i. H. v. 500 Euro monatlich ab 1/2020 bereit sei. Beigefügt waren eine Kurz-BWA für 1-12/2018, die einen Verlust von 35,51 Euro auswies und eine für 1-9/2019 mit einem vorläufigen Verlust von 7.105,47 Euro. Die Beklagte wies den Kläger über seinen zwischenzeitlich bevollmächtigten Rechtsanwalt am 24.01.2020 darauf hin, dass Versicherungsfreiheit wegen Geringfügigkeit in Betracht komme. Hierfür seien eine Gewinn- und Verlustrechnung auch für 10-12/2019 und eine Prognose des Einkommens in 2020 erforderlich. Der Klägerbevollmächtigte wies auf den Gewinn in 2019 unter der Geringfügigkeitsgrenze hin und dass die Prognose für 2020 ähnlich aussehe.

Zwischenzeitlich hatte der Klägerbevollmächtigte mit Schreiben vom 15.11.2019 auch den Widerspruch begründet. Die Säumniszuschläge seien rechtswidrig, da der Kläger keine Kenntnis von der Rentenversicherungspflicht gehabt habe. Er habe nicht gewusst, dass Selbständige überhaupt versicherungspflichtig seien. Weder von der Beklagten noch von der Handwerkskammer sei ein Hinweis dazu erfolgt. Die Verjährung der Beiträge sei auch für 2013 und 2014 eingetreten, da eine Hemmung erst mit dem Bescheid vom 13.05.2019 erfolgt sei. § 198 SGB VI finde keine Anwendung bei Pflichtversicherungsbeiträgen. Jedenfalls sei erstmals mit Schreiben vom 25.05.2018 eine Prüfung eingeleitet worden, zuvor sei noch keine nach außen gerichtete Aktivität hinsichtlich eines Beitragsverfahrens erfolgt. Die Vorsprache am 27.04.2017 sei nur eine informative Besprechung gewesen. Der Entschluss zur Einleitung des Verfahrens sei erst später gefallen und nach außen sichtbar geworden. Die Höhe der Beiträge sei fehlerhaft, da bei einer rückwirkenden Veranlagung die tatsächlichen Einkünfte maßgebend seien. § 165 Abs. 1 S. 3 und 8 SGB VI seien hier nicht einschlägig, da sie nur für laufende Beitragsfestsetzungsverfahren vorgesehen seien, wenn die Steuerbescheide noch nicht vorliegen. Hier könnten die Einkünfte den Steuerbescheiden für das jeweilige Jahr entnommen werden und auch eine Dynamisierung müsse nicht erfolgen. Es werde zudem Überprüfungsantrag gestellt betreffend den Bescheid vom 13.05.2019 und sämtliche Bescheide bezüglich der Versicherungspflicht und der Höhe der Beiträge, falls dagegen noch kein Widerspruch anhängig sei.

Mit Bescheid vom 27.01.2020 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass ab 13.12.2019 Versicherungsfreiheit nach § 5 Abs. 2 SGB VI bestehe, da die selbständige Tätigkeit im geringfügigen Umfang ausgeübt werde. Der Kläger schulde einen Betrag von 17.853,53 Euro, darin enthalten Beiträge bis 12.12.2019 und Säumniszuschläge bis 6/2019, was der anliegenden Beitragsrechnung zu entnehmen ist.

Hiergegen legte der Kläger über den Bevollmächtigten am 28.02.2020 Widerspruch ein. Ab 1/2020 zahlte der Kläger monatliche Raten von 500 Euro auf die rückständigen Forderungen.

Mit Bescheid vom 11.06.2020 lehnte die Beklagte den Überprüfungsantrag des Klägers ab. Es ergebe sich hinsichtlich der im bindend gewordenen Bescheid vom 13.05.20219 festgesetzten Beitragspflicht keine Änderung. Diese sei gemäß § 165 SGB VI unter Beachtung der Verjährung gemäß § 25 SGB IV i. V. m. § 198 SGB VI richtig erfolgt. Hier sei Hemmung mit der Vorsprache am 27.04.2017 eingetreten. Maßgeblich für die einkommensgerechte Beitragszahlung sei das durch Steuerbescheid nachgewiesene Einkommen, spätestens ab dem dritten Monat nach dessen Ausfertigung. Dies gelte auch bei rückwirkenden Festsetzungen, um eine Gleichbehandlung mit Versicherten zu gewährleisten, die laufend Pflichtbeiträge gezahlt haben. Die Erhebung von Säumniszuschlägen nach § 24 SGB IV stehe nicht im Ermessen des Rentenversicherungsträgers. Da die Beiträge nicht fristgemäß entrichtet wurden, seien Säumniszuschläge gemäß Bescheid vom 19.07.2019 entstanden. Somit seien der Bescheid vom 13.05.2019 über die Beitragsfestsetzung und der Bescheid vom 19.07.2019 über die Erhebung von Säumniszuschlägen korrekt und eine Rücknahme ausgeschlossen. Hiergegen legte der Klägerbevollmächtigte am 06.07.2020 Widerspruch ein.

Zwischenzeitlich reichte der Kläger weitere aktuelle Nachweise zu seinem Einkommen ein, u. a. eine Kurz-BWA für 1-9/2020 mit einem voraussichtlichen Gewinn von 8.580,88 Euro und eine Ertragsvorschau für 2021. Am 17.06.2021 legte der Kläger auch die weiteren Steuerbescheide mit folgenden ausgewiesenen Einkünften vor:

  • Bescheid vom 25.09.2018 für 2017 – 6.239 Euro
  • Bescheid vom 02.09.2020 für 2018 – 3.005 Euro.

 

Mit Bescheid vom 20.07.2021 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass in dessen Beitragszahlung ab 01.12.2018 eine Änderung eintrete. Wegen Vorlage des Steuerbescheides vom 25.09.2018 hätten sich die Beiträge ab 01.12.2018 bis 12.12.2019 geändert und seien die Säumniszuschläge für 12/2018-6/2019 neu zu berechnen gewesen.

Ab dem 01.07.2020 wurde der Kläger wieder zur Versicherungspflicht veranlagt unter Zugrundelegung der Einkommen nach den Steuerbescheiden für 2017 und 2018 (Bescheid vom 21.07.2021).

Mit Geldeingängen am 28.09.2021 und 18.10.2021 wurden seitens des Klägers sämtliche offenen Betragsforderungen und Säumniszuschläge beglichen. Dies geschah nach Angabe des Klägerbevollmächtigten zur Vermeidung weiterer Säumniszuschläge; die Widersprüche wurden aufrechterhalten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 06.01.2022 wies die Beklagte alle anhängigen Widersprüche zurück, soweit keine Abhilfe erfolgt sei. Kosten würden nicht übernommen, da die Abhilfe nicht ursächlich auf die Widersprüche, sondern die neuen Steuerbescheide zurückginge.

Hinsichtlich des nach § 15 Abs. 1 SGB IV maßgeblichen Arbeitseinkommens verwies die Beklagte nochmals auf die Regelungen des § 165 Abs. 1 S. 3, 4 und 8 SGB VI. Sie stellte die jeweils am Jahresanfang erfolgte Dynamisierung und die jeweils ab dem 3. Kalendermonat nach Ausfertigung des jeweiligen Steuerbescheides angepasste Beitragsberechnung dar. Eine Berücksichtigung des Einkommens, welches für das jeweilige Jahr im Einkommenssteuerbescheid ausgewiesen ist, sei nach § 165 Abs. 1 S. 8 SGB VI ausgeschlossen. Die vierjährige Verjährungsfrist des § 25 Abs. 1 SGB IV sei hier nach § 198 S. 2 1. Hs SGB VI mit der Vorsprache des Klägers bei der Beklagten gehemmt worden, da er signalisiert habe, dass eine Prüfung der Versicherungspflicht erfolgen solle. Damit habe das Beitragsverfahren tatsächlich begonnen. Die Beitragszahlungspflicht sei daher zu Recht ab 2013 festgestellt worden. Die Säumniszuschläge seien allein an die Tatsache der Nichtzahlung der Beiträge geknüpft, auf ein Verschulden komme es nicht an. Der Bescheid vom 19.07.2019, vom 27.01.2020 und der Überprüfungsbescheid seien durch den Teilabhilfebescheid vom 20.07.2021 geändert worden und in der letzten Fassung rechtmäßig ergangen.

Hiergegen hat der Kläger unter dem 24.01.2022 Klage zum Sozialgericht Altenburg erhoben mit dem zunächst formulierten Ziel der Aufhebung der Bescheide vom 19.07.2019, 27.01.2020 und 11.06.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.01.2022. Zur Begründung hat er im Wesentlichen seinen Vortrag aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt, nochmals auf die Verjährung der Beiträge für 2013 und 2014 verwiesen und darauf, dass er keine Kenntnis von der Rentenversicherungspflicht gehabt habe. Daher seien Säumniszuschläge nach § 24 Abs. 2 SGB IV nicht zu erheben. Zudem habe der Gewinn in 2018 mit 3.005 Euro und 2019 mit 520 Euro die Geringfügigkeitsgrenze unterschritten, so dass für diese Jahre Beitragsfreiheit bestehe. Zu Beginn des Jahres 2019 sei bereits erkennbar und klar gewesen, dass der Kläger unter der Geringfügigkeitsgrenze lag. Bei einer rückwirkenden Beitragserhebung müsse auf die objektiven Umstände zu Beginn des jeweiligen Zeitraums geblickt werden. Auf die Kenntnis des Rentenversicherungsträgers könne es nicht ankommen. Das gelte auch für die Berechnung der Beiträge nach dem für die jeweiligen Jahre durch Einkommenssteuerbescheid festgestellten Einkommen. Beim Ausfüllen des Fragebogens am 26.07.2018 sei der Kläger sehr unsicher gewesen und habe die Angabe zur Höhe des Einkommens eher vorsorglich getätigt.

Der Kläger beantragt,

die Bescheide vom 19.07.2019, 27.01.2020 und 11.06.2020 in der Fassung des Bescheides vom 20.07.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.01.2022 aufzuheben und

die Beklagte zu verpflichten, insbesondere die Bescheide vom 13.05.2019 und 18.06.2019 hinsichtlich der Festsetzung der Beitragszahlungspflicht in den Jahren 2013 und 2014 und der Festsetzung von Säumniszuschlägen insgesamt zurückzunehmen und für das Jahr 2019 die Versicherungs- und Beitragsfreiheit wegen Geringfügigkeit festzustellen und die zu zahlenden Beiträge unter Zugrundelegung der in den Einkommenssteuerbescheiden jeweils ausgewiesenen tatsächlichen Einkommen neu festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält an ihren Entscheidungen fest und verweist auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid. Die Berechnung der Beitragshöhe sowie die Bestimmung der Verjährung und Erhebung der Säumniszuschläge seien entsprechend der gesetzlichen Vorgaben erfolgt. Der Kläger sei selbst verpflichtet gewesen, der Beklagten die Eintragung in der Handwerksrolle mitzuteilen. Mit dem Meistertitel habe er auch über wirtschaftliche und rechtliche Kenntnisse verfügt; diese seien im Teil III des Meisterlehrgangs vermittelt worden. Es überzeuge daher nicht, wenn er angibt, ihm sei die Versicherungspflicht nicht bekannt gewesen. Für eine etwaige Feststellung der Geringfügigkeit der Beschäftigung nach § 8 SGB IV sei eine vorausschauende Betrachtung vorzunehmen; dies gelte auch für rückwirkende Entscheidungen. Hier sei nicht erkennbar, dass bei Beginn des Zeitraums 2018-12.12.2019 das Einkommen regelmäßig unter 450 Euro gelegen habe. Im Fragebogen vom 26.07.2018 habe der Kläger selbst ein regelmäßiges Einkommen von über 450 Euro monatlich angegeben. Auch im weiteren Verwaltungsverfahren sei – bis 12/2019 – ein geringfügiges Einkommen nie thematisiert worden, obwohl der Kläger durch einen Rentenberater vertreten war. Es sei daher von den bis 2018 vorliegenden Einkommenssteuerbescheiden auszugehen gewesen. Rückwirkende Änderungen wegen später vorgelegter Steuerbeschiede könnten nicht erfolgen.

Zudem komme nach nochmaliger Prüfung auch die 30jährige Verjährungsfrist nach § 25 Abs. 1 S. 2 SGB IV in Betracht, wofür genügt, wenn die Beitragspflicht für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen wurde. Der Kläger habe am 27.04.2017 mitgeteilt, dass ihm die Versicherungspflicht als Selbständiger jetzt erst bekannt geworden sei. Zudem habe er einkommensgerechte Bezahlung beantragt. Somit habe er die Beitragsschuld bereits für möglich gehalten.

Das Gericht hat die Handwerkskammer für Ostthüringen um Auskünfte gebeten. Mit Schreiben vom 30.03.2023 (Bl. 112f GA) hat diese mitgeteilt, dass nicht mehr nachvollzogen werden könne, ob nach Eintragung des Klägers mit dem Zimmerer-Handwerk am 01.04.2008 eine Mitteilung an die DRV oder ein Hinweis an den Kläger zur Versicherungspflicht erfolgt sei. Allgemein könne gesagt werden, dass seit etlichen Jahren mit der Handwerkskarte auch ein Infoblatt über die Rentenversicherungspflicht übersandt werde. Im Meisterkurs Teil III werde die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung thematisiert, was grundsätzlich im Kurs und in der kursbegleitenden Literatur erfolge. Die Handwerkskammer hat einen Auszug aus der Handwerker-Fibel (47. Aufl. 2008) zum Verfahren übersandt. Diese werde den Teilnehmern zur Verfügung gestellt. 

Am 25.10.2023 hat Termin zur mündlichen Verhandlung stattgefunden, in dem der Kläger ausführlich persönlich angehört wurde. Hierbei hat er u. a. angegeben, dass er erst durch ein Gespräch mit einem bekannten Dachdecker auf die Versicherungspflicht aufmerksam geworden sei und sich dann um einen Termin bei der DRV bemüht habe. Er habe gedacht, dass Selbständige alle Versicherungen privat abschließen müssten. Er habe mit mehreren privaten Versicherungen für die Rente vorgesorgt und auch eine Berufsunfähigkeits-Versicherung. An die Thematisierung der Rentenversicherungspflicht im Meisterkurs könne er sich nicht mehr erinnern. Das Gespräch in der Auskunfts- und Beratungsstelle sei kein richtiges Beratungsgespräch gewesen, da die dortige Mitarbeiterin selbst einen solchen Fall noch nicht gehabt hätte und keine verbindlichen Angaben gemacht habe. Es sei eher eine Aufnahme der Fakten gewesen; ihm sei gesagt worden, dass sich jemand bei ihm melden werde. Für ihn sei es auch da noch unklar gewesen, ob er überhaupt Beiträge müsse, auch wegen der nur geringen Höhe der Einkünfte. Hinsichtlich der weiteren Angaben des Klägers wird auf das gefertigte Sitzungsprotokoll verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten, welche dem Gericht bei der Verhandlung und Entscheidung vorlagen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und wie aus dem Tenor ersichtlich teilweise begründet. Die angefochtenen Bescheide vom 19.07.2019 und 27.01.2020 idF. v. 20.07.2021 sind insoweit, wie sie Säumniszuschläge festsetzen und der Überprüfungsbescheid vom 11.06.2020 ist insoweit rechtswidrig, wie damit die früheren Bescheide nicht hinsichtlich der Beitragspflicht für 2013 und der Säumniszuschläge zurückgenommen wurden. Im Übrigen sind die angefochtenen Bescheide rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.

I. Streitgegenständlich sind die Bescheide vom 19.07.2019 und 27.01.2020 idF. v. 20.07.2021, soweit damit die Beiträge für 6/2019 bzw. 7/2019-12.12.2019 und die Säumniszuschläge bis 6/2019 festgesetzt werden. Hierwegen wendet sich der Kläger zulässig mit der statthaften Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 SGG).

Des Weiteren ist der Bescheid vom 11.06.2020 streitgegenständlich. Damit hat die Beklagte über den Überprüfungsantrag des Klägerbevollmächtigten im Schreiben vom 15.11.2019 gemäß § 44 SGB X entschieden. Statthafte Klageart ist insoweit die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 Alt 1 und 3 SGG).

Nach § 44 Abs. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.

Der Bevollmächtigte hatte im Schreiben vom 15.11.2019 einen umfassenden Überprüfungsantrag hinsichtlich „sämtlicher“ früheren, die Versicherungspflicht des Klägers und Beitrage betreffenden Bescheide gestellt, gegen welche noch kein Widerspruch anhängig sei. Dies ergab sich daraus, dass er selbst erst während des bereits laufenden Verwaltungsverfahrens in 9/2021 beauftragt wurde, nachdem der Kläger zuvor durch einen Rentenberater vertreten war und offenkundig Unklarheit über die bereits eingelegten Widersprüche bestand. Nach verständiger Auslegung des Überprüfungsbegehrens war der Antrag nicht auf den Bescheid vom 13.05.2019 beschränkt, zumal sich der Bevollmächtigte auf diesen nur „insbesondere“ bezog. Nach der Argumentation im Schreiben vom 15.11.2019 beanstandete der Klägerbevollmächtigte vor allem auch die erhobenen Säumniszuschläge nach § 24 SGB IV. Die Beklagte ging in ihrer Überprüfungsentscheidung vom 11.06.2020 und auch im Widerspruchsbescheid vom 06.01.2022 ausdrücklich auf die Rechtmäßigkeit der Säumniszuschläge ein. Die maßgebliche Regelung hierzu, also die Festsetzung von Säumniszuschlägen auf die rückständigen Beträge für 1/2013 bis 6/2016 fand sich im Bescheid vom 18.06.2019, so dass davon auszugehen ist, dass die Beklagte diesen in ihre Entscheidung vom 11.06.2020 mit einbezogen hat. Auch der Bescheid vom 18.06.2019 ist daher im Rahmen des Zugunstenverfahrens durch das Gericht zu beurteilen.

Hinsichtlich der konkreten, in den jeweiligen Bescheiden enthaltenen (und somit anfechtbaren und im Klageverfahren zu prüfenden) Verfügungssätze ist genau zu differenzieren, da einzelne Inhalte – wie die Monatsbeträge der Beiträge und Säumniszuschläge – in mehreren Bescheiden wiederholt aufgeführt sind. Insoweit ist zu beachten, ob es sich um erstmalige Festsetzungen oder nur um die Übernahme bereits früherer Bestimmungen handelt. Wenn Festsetzungen ohne nochmalige Sachaufklärung oder Begründung aus früheren Bescheiden übernommen werden, liegen keine selbständigen Regelungen vor. Diese können dann auch nicht gesondert mit Rechtsbehelfen angefochten werden (vgl. z. B. LSG Hamburg, Urt. v. 14.02.2017 – L 3 R 59/16, Rn. 11 mwN).

Vorliegend wurde die Beitragspflicht für den Zeitraum 1/2013 – 5/2019 erstmals im Bescheid vom 13.05.2019 geregelt und in der Beitragsrechnung die Höhe der Beiträge festgesetzt. Soweit diese monatlichen Beiträge in den angefügten Beitragsrechnungen der Bescheide vom 18.06.2019, 27.01.2020 bzw. 20.07.2021 (bis 11/2018) nochmals aufgeführt sind, handelt es sich lediglich um Wiederholungen der bereits am 13.05.2019 erfolgten Festsetzungen, so dass insofern nicht nochmals ein eigener Regelungsgehalt der nachfolgenden Bescheide besteht. Genauso verhält es sich mit der Beitragsfestsetzung für 6/2019, die ausschließlich im Bescheid vom 19.07.2019 als Regelung enthalten ist. Die Beiträge ab 7/2019 bis 12.12.2019 sind wiederum Regelungsgegenstand des Bescheides vom 27.01.2020. Die genannten Regelungen wurden, soweit es die Beiträge für 12/2018-12.12.2019 betrifft, sodann durch den  Änderungsbescheid vom 20.07.2021 abgeändert.

Die Säumniszuschläge (betreffend die ausstehenden Beiträge für 1/2013-5/2019) wurden demgegenüber erstmals mit Bescheid vom 18.06.2019 erhoben, dessen Regelungsgehalt sich somit darauf beschränkt. Der Säumniszuschlag für 6/2019 wurde mit Bescheid vom 19.07.2019 festgesetzt. Da die Säumniszuschläge ab 12/2018 mit Bescheid vom 20.07.2021 neu berechnet wurden, sind die Bescheide vom 18.06.2019 und 19.07.2019 entsprechend abgeändert worden.

II. Die für den Kläger wegen der Eintragung in der Handwerksrolle grundsätzlich bestehende Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 2 S. 1 Nr. 8 SGB VI ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Danach sind selbständig tätige Gewerbetreibende, die in die Handwerksrolle eingetragen sind und in ihrer Person die für die Eintragung in die Handwerksrolle erforderlichen Voraussetzungen erfüllen, versicherungspflichtig. Der Kläger war ab 01.04.2008 als Zimmerer zunächst vorläufig, nach Bestehen der Meisterprüfung ab 28.10.2009 endgültig in die Handwerksrolle eingetragen (vgl. Bl. 13 VA; Bl. 112 GA). Der Kläger führte das Gewerbe auch durchgehend aus. Die entsprechende Feststellung der grundsätzlichen Versicherungspflicht im Bescheid vom 13.05.2019 ist zudem nicht angefochten und daher für die Beteiligten bindend.

Streitig sind zwischen den Beteiligten der Beginn der noch möglichen rückwirkenden Beitragspflicht bzw. des Eintritts der Verjährung (s. hierzu unter 2.), die Höhe der Beiträge (siehe unter 1.), eine mögliche Versicherungsfreiheit wegen geringfügigen Einkommens in 2019 (siehe unter 3.) und die Voraussetzungen zur Erhebung von Säumniszuschlägen (siehe unter 4.).

1. Die Kammer schließt sich den Ausführungen der Beklagten hinsichtlich der Ermittlung und Festsetzung der einzelnen – antragsgemäß einkommensgerechten - Beiträge in den Bescheiden vom 13.05.2019 (betreffend 1/2013-5/2019), 19.07.2019 (für 6/2019) und 21.07.2020 (für 7/2019-12.12.2019) in der Fassung des Bescheides vom 20.07.2021 an. Nach eingehender eigener Prüfung des Gerichts ist die Berücksichtigung der nachgewiesenen Einkommen, die vorgenommene Dynamisierung und die Berechnung der monatlichen Höhe korrekt erfolgt und nicht zu beanstanden. Die Kammer schließt sich insoweit vollumfänglich den in den genannten Bescheiden und im Widerspruchsbescheid vom 06.01.2022 enthaltenen Aufstellungen und Begründungen der Beklagten an und verweist gemäß § 136 Abs. 3 SGG auf die dortigen Ausführungen.

Nur ergänzend soll bekräftigt werden, dass die Berechnung gemäß § 165 Abs. 1 S. 3 und 8 SGB VI auch bei einer rückwirkenden Beitragsfestsetzung – wie hier – zu erfolgen hat und nicht auf ein mit späterem Steuerbescheid für das betreffende Jahr festgestelltes Einkommen abgestellt werden kann.

Nach § 165 SGB VI sind die sich aus dem letzten Einkommenssteuerbescheid für das zeitnaheste Kalenderjahr ergebenden Einkünfte solange maßgebend, bis ein neuer Einkommenssteuerbescheid oder eine Bescheinigung des Finanzamtes vorliegt. Im Übrigen erfolgt eine Dynamisierung. An diese gesetzlich vorgegebene Verfahrensweise hat sich die Beklagte gehalten. Die rückwirkende Neuberechnung der Beiträge für das Jahr, für das der Einkommensteuerbescheid erteilt wurde, ist aufgrund der Regelung in § 165 Abs. 1 S. 8 SGB VI ausgeschlossen. Dies dient der Verwaltungsvereinfachung und ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. Wißing in: jurisPK-SGB VI, 3. Aufl. 2021, § 165 Rn. 130). Besteht für einen vergangenen Zeitraum Versicherungspflicht, müssen die entsprechenden Rechengrößen des Bestimmungszeitraumes zugrunde gelegt werden. Hierdurch wird eine Gleichbehandlung mit den Versicherten erreicht, die laufend Pflichtbeiträge gezahlt haben (vgl. Wißing, a. a. O. Rn. 139).

Für eine andere Handhabung bzw. eine nachträgliche Korrektur fehlt eine entsprechende gesetzliche Regelung, die der Gesetzgeber im Interesse einer eindeutigen und verlässlichen Feststellung, aber auch zur Vermeidung eines erheblichen Verwaltungsaufwandes, den eine ständige Nachberechnung verursachen würde, nicht geschaffen hat (vgl. LSG Niedersachsen, Urt. v. 14.12.2005 - L 1 RA 6/04).

Zwar trifft es zu, dass das Einkommen grundsätzlich von einem früheren Einkommen veranlagt wird, das auch über dem gegenwärtigen Einkommen liegen kann. Bei einem schwankenden Geschäftsverlauf gleicht sich diese belastende Wirkung aber aus. Durch die Veranlagung nach dem (jüngsten) Einkommenssteuerbescheid wird der Beitragspflichtige in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG nicht unverhältnismäßig betroffen. Die damit bezweckte Vereinfachung der Einkommensermittlung und eine Beitragserhebung auf verlässlicher Grundlage lassen sich nicht anders erreichen (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v 22.08.2007 – L 1 R 316/04).

Als Einkommen hat die Beklagte in nicht zu beanstandender Weise die in den Steuerbescheiden ausgewiesenen „Einkünfte aus Gewerbebetrieb“ herangezogen. Es war insbesondere nicht nur das zu versteuernde Einkommen zugrunde zu legen. Nach § 15 SGB IV ist Arbeitseinkommen der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit. Steuerliche Vorschriften, die die Höhe der aus dem Gewinn zu zahlenden Steuern regeln, sind nach § 15 SGB IV insgesamt unbeachtlich, weil danach Arbeitseinkommen mit Gewinn gleichgesetzt und nicht auf denjenigen Teil des Gewinns beschränkt wird, von dem letztlich Steuern zu zahlen sind. Die Einschränkung in § 15 S. 2 SGB VI, dass steuerliche Vergünstigungen unbeachtlich bleiben, bezieht sich auf steuerliche Vorschriften, die im Rahmen der Gewinnermittlung wirksam werden (vgl. BSG, Urt. v 17.12.1985 – 12 RK 43/84, Rn. 20).

Zudem war es vorliegend auch richtig, sämtliche in den Steuerbescheiden ausgewiesenen „Einkünfte aus Gewerbebetrieb“ der Berechnung der Beiträge zugrunde zu legen und nicht danach zu differenzieren, dass bzw. inwieweit bestimmte Einkommensanteile auf die Zimmerei bzw. auf die anderen Tätigkeiten des Klägers wie die Hausmeister- oder Sägewerksarbeiten zurückgingen. Es handelt sich hier um nicht voneinander trennbare selbständige Tätigkeiten.

Bei mehreren voneinander trennbaren selbstständigen Tätigkeiten, von denen ggf. nur eine (wie hier die Zimmerei) versicherungspflichtig ist, ist grds. nur das auf die versicherungspflichtige Tätigkeit entfallende Einkommen heranzuziehen. Voraussetzung ist jedoch, dass die Tätigkeiten organisatorisch und sachlich voneinander abgrenzbar sind. Maßgebliche Kriterien hierfür sind die Einheit des Betriebsinhabers, der Betriebsleitung, des Betriebszwecks, eine einheitliche Personalverwaltung, gemeinsame Arbeitsmittel und das Ausmaß der betriebsorganisatorischen Verflechtung (vgl. BSG, Urt. v. 22.10.1987 – 12 RK 22/85, Rn. 21; LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 06.03.2019 – L 1 R 434/16, Rn. 35; Wehrhahn in: BeckOGK, SGB VI, Stand 8/2022, § 165 Rn. 11). Nach Auffassung der Kammer liegt bei den vom Kläger ausgeübten Tätigkeiten eine technisch-organisatorische Einheit vor. Der Kläger hat eine gegenteilige Beurteilung auch nicht geltend gemacht. Nach dessen Angaben in der mündlichen Verhandlung wird die gesamte Buchhaltung einheitlich vorgenommen, eine irgendwie geartete Trennung von Einnahmen oder Ausgaben oder der Betriebsmittel nach einzelnen Tätigkeitsinhalten bestehe nicht.

2. Entgegen der Auffassung der Beklagten sind die Beiträge nicht nur bis zum Jahr 2012, sondern auch noch für das Jahr 2013 verjährt gemäß § 25 Abs. 1 S. 1 SGB IV, so dass der Bescheid vom 13.05.2019 insoweit rechtswidrig und von der Beklagten zurückzunehmen ist.

§ 25 SGB IV unterscheidet zwischen einer kurzen vierjährigen Verjährungsfrist und einer langen 30jährigen Verjährungsfrist. Nach Satz 1 des § 25 Abs. 1 SGB IV verjähren Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Vorsätzlich vorenthaltene Beiträge verjähren dagegen nach Satz 2 der Vorschrift in 30 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind.

a) Vorliegend greift nicht die 30jährige Verjährungsfrist nach § 25 Abs. 1 S. 2 SGB VI, wie es die Beklagte – erst – im Klageverfahren geltend gemacht hat, da ein dafür notwendiger Vorsatz beim Kläger nicht mit der hinreichenden Sicherheit feststellbar war.

Vorsätzlich handelt zum einen, wer in Kenntnis seiner Zahlungspflicht bewusst und gewollt die Beitragsentrichtung unterlässt, aber auch der, der seine Beitragspflicht für möglich hält, jedoch billigend in Kauf nimmt, dass die Beiträge nicht entrichtet werden (bedingter Vorsatz, vgl. BSG, Urt. v. 13.08.1996 – 12 RK 76/94; BSG, Urt. v. 30.03.2000 – B 12 KR 14/99 R, Rn. 23). Es genügt, wenn der Vorsatz zum Vorenthalten der Beiträge vor Ablauf der vierjährigen Verjährungsfrist eingetreten ist, auch wenn der Beitragsschuldner anfänglich gutgläubig war. Hat der Beitragsschuldner bei Eintritt der Fälligkeit noch keinen Vorsatz zur Vorenthaltung, läuft zunächst vom folgenden Kalenderjahr an eine vierjährige Verjährungsfrist. Diese verlängert sich jedoch durch eine rückwirkende Umwandlung in die 30jährige Verjährungsfrist, wenn der Beitragsschuldner noch vor Ablauf der vierjährigen Verjährungsfrist bösgläubig wird (vgl. BSG, Urt. v. 30.03.2000 – B 12 KR 14/99 R, Rn. 19 mwN). Bloße Fahrlässigkeit schließt jedoch die Anwendung der 30jährigen Verjährungsfrist aus. Dies gilt auch für die Form der „bewussten Fahrlässigkeit“, bei welcher der Handelnde die Möglichkeit der Pflichtverletzung zwar erkennt, jedoch darauf vertraut, die Pflichtverletzung werde nicht eintreten (vgl. BSG, Urt. v. 16.12.2015 – B 12 R 11/14 R, Rn. 65).

Hinsichtlich des Vorsatzes ist das Vorliegen des inneren (subjektiven) Tatbestandes anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls individuell zu ermitteln, allgemein geltende Aussagen sind ausgeschlossen (vgl. BSG, Urt. v 30.03.2000, B 12 RK 14/99 R; LSG Baden-Württemberg, Urt. v 23.02.2016 – L 11 R 1934/15, Rn. 29). Die Feststellungslast (Beweislast) für den subjektiven Tatbestand trifft im Zweifel den Versicherungsträger, der sich auf die für ihn günstige lange Verjährungsfrist beruft. Ausgeschlossen ist es, aus allgemeinen rechtlichen Erwägungen auf Vorsatz zu schließen, ohne zu prüfen, welche Erwägungen der Betreffende selbst angestellt hat (vgl. BSG, Urt. v. 30.03.2000 – B 12 KR 14/99 R, Rn. 24f).

Vorliegend kann unter Berücksichtigung der Gesamtumstände und Würdigung des Geschehensablaufs sowie der Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung nicht mit der notwendigen Sicherheit davon ausgegangen werden, dass der Kläger seine Rentenbeitragspflicht kannte oder auch nur für möglich gehalten und die Nichtabführung der Beiträge billigend in Kauf genommen hat.

Die Beklagte hat zwar zurecht darauf abgestellt, dass in der Meisterausbildung, dem Theorie-Teil III u. a. die Rentenversicherungspflicht selbständiger Handwerker thematisiert werde. Dies hat auch die Handwerkskammer für Ostthüringen im Schreiben vom 30.03.2023 gegenüber dem Gericht bestätigt und zudem auf die Handwerker-Fibel verwiesen. Allein aus dieser allgemeinen Feststellung lässt sich jedoch nicht ableiten, dass diese Informationen auch tatsächlich den Kläger erreicht haben bzw. er sich dessen bewusst war. In seiner Anhörung durch das Gericht hat er mitgeteilt, sich an den entsprechenden Ausbildungsinhalt nicht mehr erinnern zu können. Der theoretische Teil der Meisterausbildung hatte offenbar in Vollzeit von Januar bis März 2009 stattgefunden, wobei der Kläger nach eigenen Angaben nach den achtstündigen Lehrgangstagen jeweils noch mehrere Stunden in seinem Betrieb gearbeitet habe. Es ist daher nicht auszuschließen, dass die Frage der Sozialversicherungspflicht beim Kläger in der Fülle der Lerninhalte „untergegangen“ ist. Nach dem persönlichen Eindruck, den sich die Kammer vom Kläger machen konnte und unter Würdigung seiner Aussagen im Ganzen erachtet die Kammer es als glaubhaft, dass dem Kläger tatsächlich nicht bewusst gewesen ist, dass es eine gesetzliche Versicherungspflicht für ihn mit Eintragung als Zimmerer in der Handwerksrolle gab. Spontan gab er an, dass er davon ausgegangen sei, Selbständige hätten insgesamt privat vorzusorgen. Insofern habe er mehrere private Versicherungen zur Altersvorsorge und eine Berufsunfähigkeitsversicherung. Er schilderte detailreich nicht nur den Anlass, der ihn hinsichtlich der Versicherungspflicht stutzig gemacht habe – das Gespräch mit dem bekannten Dachdeckermeister. Auch die Schilderung des Gesprächs bei der Auskunfts- und Beratungsstelle am 27.04.2017 ergaben für die Kammer ein plastisches und schlüssiges Bild des Geschehens. Der Kläger sprach über Details und Redewendungen, die nicht für eine einstudierte Aussage sprechen. Auch bei Nachfragen des Gerichts blieb er authentisch und gab in eigenen Worten seinen persönlichen Eindruck wieder. Für die Glaubhaftigkeit seiner Angaben spricht zudem, dass der Kläger sich offenbar aus eigenem Antrieb zur Beklagten begab, um die Frage der Versicherungspflicht klären zu lassen. Ohne eine solche Eigeninitiative hätte er – sofern ihm die Beitragspflicht bewusst gewesen wäre – eine Beitragszahlung weiter vermeiden können. Dass ihn auch der Steuerberater nicht auf die Pflichtversicherung hingewiesen habe, kann letztlich nicht widerlegt werden. Ebenso konnte die Handwerkskammer nicht mehr nachvollziehen, ob eine konkrete Information mit Eintragung in die Handwerksrolle an den Kläger übersandt wurde. Der Umstand, dass auch die Beklagte keine Meldung der Handwerkskammer erreichte, spricht eher dafür, dass hier insgesamt die vorgesehenen Mitteilungen unterlassen worden waren.

Die Kammer geht damit zum einen davon aus, dass beim Kläger bei Fälligkeit der streitigen Beiträge kein bedingter Vorsatz im Sinne eines Vorenthaltens nach § 25 Abs. 1 S. 2 SGB IV vorlag. Zum anderen ist ein solcher auch nicht als Folge des Gesprächs mit der Mitarbeiterin der Auskunfts- und Beratungsstelle am 27.04.2017 festzustellen. Nur dadurch wäre noch im Lauf der vierjährigen Verjährungsfrist für die Beiträge für 2013 durch Umwandlung in die 30jährige Verjährungsfrist eine Verjährung für 2013 auszuschließen.

Der Kläger erscheint auch insofern glaubwürdig, wenn er davon spricht, dass das Gespräch keine konkrete Aufklärung für ihn erbracht hat. Es sei keine wirkliche Beratung, lediglich eine Aufnahme der Informationen zur Weiterleitung an die zuständige Stelle gewesen. Offenbar war thematisiert worden, dass auch die Einkommenshöhe und die Tatsache eine Rolle spielt, dass der Kläger mehrere Gewerbe, nicht nur die Zimmerei betreibt. Auch sei von Mindestbeiträgen die Rede gewesen. Laut Vermerk der Beraterin war die einkommensgerechte Beitragszahlung vom Kläger gewünscht, „wenn Versicherungspflicht eintreten sollte“. Dies spricht für die Angaben des Klägers, dass hier noch keine konkreten Auskünfte erteilt, sondern auf die weitere Prüfung der Beitragsabteilung verwiesen wurde. Auch weitere Unterlagen und Nachweise sollten erst durch die zuständige Abteilung vom Kläger angefordert werden. In dieser Lage, in der der Kläger zunächst aus seiner Sicht alles Erforderliche getan hatte und nun auf eine Meldung der Rentenstelle wartete, kann nach Auffassung der Kammer nicht davon ausgegangen werden, dass er eine Beitragspflicht für möglich gehalten und die Nichtzahlung billigend in Kauf genommen hat. Insbesondere bestand nach Annahme des Klägers auch die Möglichkeit, dass er wegen der sehr geringen Einkünfte und der damit fehlenden Gewerbesteuerpflicht gar keine Beiträge zu zahlen habe. Die Beraterin hatte zudem die Frage der Geringfügigkeit wegen der Fokussierung auf die Einnahmen aus Zimmerei ins Spiel gebracht. Für den Kläger bestanden daher keine hinreichend sicheren Anhaltspunkte, dass er Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung ab 2013 und aktuell tatsächlich schulden könnte.

Der aufrecht erhaltene Verweis der Beklagten auf die mögliche Kenntnis aus dem Meisterlehrgang ist als allgemeine Annahme daher allein nicht geeignet, den subjektiven Tatbestand beim Kläger im Sinne eines zumindest bedingten Vorsatzes zu begründen. Es genügt im Sinne der o. g. Rechtsprechung des BSG gerade nicht, schlechthin zu unterstellen, dass der Kläger die entsprechenden Informationen hatte und eine Verletzung der Beitragspflicht in Kauf nahm. Die Kammer sieht hier eher Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger auf die Klärung der Rechtslage zu seinen Gunsten vertraute. Das reine Abwarten einer Rückmeldung der Beklagten macht ihn nicht bösgläubig.

b) Die insofern einschlägige vierjährige Verjährungsfrist wurde auch nicht bereits durch die Vorsprache des Klägers bei der Auskunfts- und Beratungsstelle in G am 27.04.2017 nach § 198 SGB VI gehemmt. Gemäß § 198 S. 2 i. V. m. S.1 SGB VI hemmt ein Beitragsverfahren oder ein Verfahren über einen Rentenanspruch auch die Verjährung des Anspruchs auf Zahlung von Beiträgen (§ 25 Abs. 1 SGB IV).

Für Beitragsverfahren, als Ausprägung des sozialrechtlichen Verwaltungsverfahrens gemäß § 8 SGB X ist eine nach außen wirkende Tätigkeit der Behörde, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und insbesondere den Erlass eines Verwaltungsakts gerichtet ist, notwendig. Zwar muss noch nicht notwendig eine Regelung gegenüber dem Verfahrensbeteiligten ergehen. Eine Außenwirkung ist aber dann anzunehmen, wenn eine Tätigkeit der Behörde erfolgt, die unmittelbar aus dem Bereich der Verwaltung heraus in die Sphäre des Bürgers hineinwirkt, so u. a. bei konkreter Ermittlungstätigkeit im Einzelfall (vgl. z. B. BSG, Urt. v. 16.12.2015 – B 12 R 11/14 R, Rn. 73). Das BSG hat eine solche Ermittlungsmaßnahme z. B. in der Anforderung der Einkommensteuerbescheide durch die Beklagte gesehen (vgl. BSG, Urt. v. 27.07.2011 − B 12 R 19/09 R, Rn. 13f). Kein Beitragsverfahren ist das bloße Ersuchen um Beratung und Auskunft (vgl. Mutschler in: jurisPK-SGB VI, § 198 Rn. 21, 27 m. w. N.) oder nur die Ankündigung einer Prüfung (vgl. BSG, Urt. v. 16.12.2015, a. a. O.). 

Vorliegend ist davon auszugehen, dass die Beklagte erstmals mit dem Schreiben vom 25.05.2018 in diesem Sinne „nach außen wirksam“ tätig geworden ist. Zuvor hatte lediglich die Beraterin in der Auskunfts- und Beratungsstelle am 27.04.2017 den Sachverhalt nach den Schilderungen des Klägers aufgenommen. Diesem wurde mitgeteilt, dass er weitere Nachricht bekommt, was dann über ein Jahr nicht der Fall war. Der Vermerk wurde an das Beitragsreferat mit der Bitte gesandt, dem Kläger mitzuteilen, welche weiteren Unterlagen und Nachweise benötigt werden, woraus zu schließen ist, dass ihm am 27.04.2017 noch keine Formulare oder konkrete Mitwirkungsaufforderungen übergeben worden sind. Durch diesen Kontakt mit dem Kläger war daher noch kein nach außen wirkendes Verwaltungshandeln der Beklagten gegeben. Das Gespräch hatte lediglich informativen Charakter und hatte sich, nach den glaubwürdigen Angaben des Klägers, auch höchstens auf ganz allgemeine Feststellungen zur Versicherungspflicht und mögliche Mindestbeiträge beschränkt. Konkrete Angaben zur Versicherungs- und Beitragspflicht des Klägers selbst waren hier noch nicht gemacht worden. In die diesbezügliche Prüfung stieg die Beklagte erst im Mai 2018 ein mit der Anfrage bei der Handwerkskammer bzw. mit dem Schreiben vom 25.05.2018 an den Kläger, mit dem Steuerbescheide abgefordert wurden. Erst mit diesem Schreiben ist dem Kläger in Bezug auf die Prüfung der Beitragspflicht für die Vergangenheit ein Verwaltungshandeln als solches tatsächlich bekannt geworden (vgl. ähnlich in BSG, Urt. v. 27.07.2011 – B 12 R 19/09 R, Rn. 14).

3. Der Kläger kann mit seinem Begehren auf Feststellung der Versicherungs- und Beitragsfreiheit für das Jahr 2019 nicht durchdringen. Gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI sind Personen versicherungsfrei, die eine geringfügige selbständige Tätigkeit nach § 8 Abs. 3, 1 SGB IV ausüben. Gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 SGB IV (idF. v. 05.12.2012) lag in 2019 eine geringfügige Beschäftigung vor, wenn das Arbeitsentgelt aus der selbständigen Tätigkeit regelmäßig im Monat 450 Euro nicht überstieg.

Ob die für die Geringfügigkeit maßgebende Entgeltgrenze regelmäßig im Monat oder nur gelegentlich unterschritten bzw. regelmäßig im Monat oder nur gelegentlich überstiegen wird, beurteilt sich im Wege einer vorausschauenden Betrachtung. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG erfordert die Beurteilung der Versicherungsfreiheit wegen Geringfügigkeit eine Prognose bzw. vorausschauende Schätzung (vgl. BSG, Urt. v. 27.07.2011 – B 12 R 15/09 R, Rn. 15f). Dies gilt auch für rückwirkende Entscheidungen. Ist im Nachhinein zu entscheiden, ob etwa während eines in der Vergangenheit liegenden Zeitraums Versicherungsfreiheit wegen Geringfügigkeit bestand, so ist nachträglich eine vorausschauende Betrachtung vorzunehmen. Auszugehen ist dabei von dem Erkenntnisstand, der damals vorhanden war. Danach besteht eine Versicherungsfreiheit wegen Geringfügigkeit erst ab dem Zeitpunkt, zu dem aus damaliger Sicht mit hinreichender Sicherheit feststand, dass die Entgeltgrenze regelmäßig im Monat unterschritten wird (vgl. BSG, a. a. O. Rn. 18).

Davon ausgehend ist vorliegend nicht erkennbar, dass zu Beginn des hier insofern noch streitigen Zeitraums, also zu Beginn des Jahres 2019 vorausschauend ein Arbeitseinkommen des Klägers aus seinem Gewerbebetrieb in der Zeit vom 01.01. bis zum 31.12.2019 zu schätzen war, das regelmäßig im Monat 450 Euro nicht übersteigen würde. Bei selbständiger Tätigkeit, bei der das Einkommen fast immer schwankend ist, darf hier für die auf das Jahr bezogene Prognose von dem bekannten letzten Jahreseinkommen ausgegangen werden. Das BSG stellt insofern darauf ab, welche Umstände der Beklagten zu Beginn des Jahres bekannt waren (vgl. BSG, a. a. O., Rn. 22). Maßgebend ist der aufgrund der Angaben des Versicherten verfahrensfehlerfrei ermittelte Kenntnisstand der Behörde (vgl. BSG, Urt. v. 18.10.2022 – B 12 KR 2/21 R, Rn. 17). Nicht der Versicherte hat die Prognose zu treffen, sondern lediglich die Tatsachen mitzuteilen, die für eine (Änderung der) Prognose maßgebend sind. Auf dieser Grundlage hat der Rentenversicherungsträger zu entscheiden (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 17.04.2013 – L 22 R 1149/11, Rn. 73). 

Hier lagen der Beklagten zu Beginn von 2019 lediglich die Steuerbescheide für die Jahre bis 2016 vor, wobei letzterer ein Einkommen von 11.930 Euro auswies. Darüber hinaus hatte der Kläger selbst im Fragebogen vom 26.07.2018 angegeben, dass sein Gewinn regelmäßig 450 Euro monatlich übersteigt. Sonstige, sicher vorhersehbare Umstände, die ein anderes regelmäßiges monatliches Arbeitseinkommen in 2019 erwarten ließen, also ein solches, das die für die Geringfügigkeit geltende Entgeltgrenze unterschritt, lagen im maßgeblichen Zeitpunkt Ende 2018/Anfang 2019 nicht vor und mussten sich der Beklagten auch nicht aufdrängen, so dass sie sich zu weiteren Ermittlungen hätte veranlasst sehen müssen. Die Beklagte wendet in diesem Zusammenhang zurecht ein, dass der Kläger zu diesem Zeitpunkt bereits rechtlich durch einen Rentenberater vertreten war, trotzdem jedoch keinerlei Anmerkung im Verwaltungsverfahren zu dem aktuell ggf. nur geringfügigen Einkommen erfolgte. Mangels anderweitiger Erkenntnisse konnte daher aus Sicht Anfang 2019 davon ausgegangen werden, dass der Kläger weiterhin Einkünfte oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze haben würde. Erst aufgrund des Stundungsantrags im Schreiben vom 30.07.2019 war es die Beklagte, die nach den aktuellen wirtschaftlichen Verhältnissen des Klägers nachfragte. In der Folge gingen (wiederum sehr verzögert erst) im Dezember 2019 die Nachweise in Form der BWA für 2018 und vorläufigen Gewinn- und Verlustrechnung für 1-9/2019 ein. Dies hatte dann die Befreiung von der Versicherungspflicht ab 13.12.2019 zur Folge.

Es wäre mit dem Grundsatz der Vorhersehbarkeit des sozialversicherungsrechtlichen Status nicht vereinbar, bei Prüfungen für die Vergangenheit im Nachhinein bekannt gewordene Verhältnisse rückwirkend zu berücksichtigen, obwohl auf Grundlage eines verfahrensfehlerfrei herbeigeführten früheren Erkenntnisstands eine andere Prognose veranlasst und zutreffend war (vgl. BSG, Urt. v. 18.10.2022 – B 12 KR 2/21 R, Rn. 21).

4. Die Erhebung von Säumniszuschlägen in den Bescheiden vom 18.06.2019 (betreffend 1/2013-5/2019) und 19.07.2019 (für 6/2019) in der Fassung des Bescheides vom 20.01.2021 ist rechtswidrig und von der Beklagten aufzuheben. Die Kammer ist zur Überzeugung gelangt, dass sich der Kläger gemäß § 24 Abs. 2 SGB IV exkulpieren kann.

Danach ist, wenn eine Beitragsforderung durch Bescheid mit Wirkung für die Vergangenheit festgestellt wird, ein darauf entfallender Säumniszuschlag nicht zu erheben, soweit der Beitragsschuldner glaubhaft macht, dass er unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte. Die fehlende Kenntnis von der Zahlungspflicht ist dann unverschuldet, wenn dem Beitragsschuldner nicht zumindest bedingter Vorsatz vorzuwerfen ist. Er darf seine Zahlungspflicht nicht für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben. (vgl. Urt. v. 13.03.2023 – B 12 R 7/21 R, Rn. 27). Dem Begriff der „Zahlungspflicht“ ist über das Wissen der sie begründenden Tatsachen hinaus eine rechtliche Wertung im Sinne des Erkennens einer konkreten Verhaltensanforderung immanent (vgl. BSG, Urt. v. 12.12.2018 – B 12 R 15/18 R, Rn. 16). Insoweit sieht das BSG in § 24 Abs. 2 SGB IV mit § 14 Abs. 2 und § 25 Abs. 1 S. 2 SGB IV einen einheitlichen Regelungskomplex mit der Folge eines einheitlichen Haftungsmaßstabs (vgl. BSG, Urt. v. 12.12.2018 – B 12 R 15/18 R, Rn. 16). Fahrlässigkeit, auch grobe Fahrlässigkeit, reicht nicht aus (vgl. z. B. Zieglmeier, BeckOGK, SGB IV, § 24 Rn. 42).

Gemessen daran hat der Kläger eine unverschuldete Unkenntnis von seiner Zahlungspflicht glaubhaft gemacht. Es fehlten für ihn ausreichende Anhaltspunkte für seine konkrete Beitragsschuld. Es wird insoweit auf die obigen Ausführungen zum Verschuldensvorwurf im Rahmen des § 25 Abs. 1 S. 2 SGB IV (unter 2. a) Bezug genommen. Auch nach dem Gespräch bei der Auskunfts- und Beratungsstelle kann allenfalls davon ausgegangen werden, dass der Kläger Kenntnis von einer grundsätzlich geltenden Versicherungspflicht für in der Handwerksrolle eingetragene Zimmerer hatte. Dass er nach den vagen Auskünften bzw. der Ankündigung weiterer Prüfung mit einer eigenen Zahlungspflicht tatsächlich rechnete, kann nicht festgestellt werden, gerade weil hier mehrere Punkte offengeblieben waren wie die mögliche Trennung des Einkommens nach ausgeübten Tätigkeiten bzw. die Frage der Geringfügigkeit. Der Kläger hatte mit der Kontaktaufnahme zur DRV zunächst das für eine Prüfung der Beitragspflicht Erforderliche getan. Es war legitim, auf die angekündigte Rückmeldung der Beklagten zu warten, so dass er auch nicht allein durch den Zeitablauf bis Mai 2018 bösgläubig werden konnte. 

Nach allem war der Klage teilweise stattzugeben. 

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183193 SGG. Im Rahmen der hier zu treffenden Ermessensentscheidung hat die Kammer zum einen berücksichtigt, dass der Klageantrag zunächst auf die vollständige Aufhebung der streitgegenständlichen Bescheide gerichtet war und erst im Verhandlungstermin beschränkt wurde. Zum anderen wurde die Ermittlung der Beitragshöhe für den gesamten streitigen Zeitraum beanstandet, womit der Kläger nicht durchdringen konnte. Schließlich war er mit der begehrten Feststellung der Versicherungs- und Beitragsfreiheit für 2019 nicht erfolgreich. In Anlehnung an das Verhältnis, in dem die nunmehr durch das Urteil entfallenden Zahlungspflichten des Klägers (Beiträge für 2013 und Säumniszuschläge i. H. v. rund 4.500 Euro) zu der ursprünglichen Gesamtforderung stehen, erachtet die Kammer die Kostentragung durch die Beklagte zu 1/4 für angemessen und billig.

Rechtskraft
Aus
Saved