Eine sehbehinderte Versicherte, die an einer spastischen Zerebralparese leidet, kann für die Teilnahme am Schulunterricht die Versorgung mit einem „Schülerarbeitsplatz“ beanspruchen.
Gericht: |
Sozialgericht Heilbronn |
Datum: |
26.06.2024 |
Aktenzeichen: |
Entscheidungsart: |
Urteil |
Normenkette: |
Titelzeile: |
Krankenversicherung - Hilfsmittelversorgung - Anspruch auf Versorgung mit einem „Schülerarbeitsplatz“ zur Teilnahme am Schulunterricht |
Leitsatz: |
Eine sehbehinderte Versicherte, die an einer spastischen Zerebralparese leidet, kann für die Teilnahme am Schulunterricht die Versorgung mit einem „Schülerarbeitsplatz“ beanspruchen. |
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Tenor: |
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 20.04.2023 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 29.11.2023 und des Bescheides vom 21.06.2023 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 29.11.2023 verurteilt, die Klägerin mit der Vergrößerungssoftware SuperNova Magnifier & Speech, einem Notebook, zwei Monitoren, zwei Schwenkarmen, zwei Anschlusskabel und MS Office zu versorgen.
Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. |
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Versorgung mit der Vergrößerungssoftware SuperNova Magnifier &Speech, mit einem Notebook, zwei Monitoren, zwei Schwenkarmen, zwei Anschlusskabel und MS Office.
Die 2015 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie hat eine hochgradige Sehbehinderung und besucht die S.-Schule in N., ein sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung. Sie besucht die Außenklasse an der L.-Schule in B. Seit dem 09.03.2023 ist bei ihr der Pflegegrad 4 festgestellt (Pflegegutachten des Medizinischen Dienstes [MD] Baden-Württemberg vom 26.06.2023).
Am 03.04.2023 beantragte die Klägerin bei der Beklagten unter Vorlage des Kostenvoranschlages und des Angebots der Firma R. vom 03.04.2024 (3.976,00 Euro), der augenärztlichen Verordnung der Sehbehindertenambulanz des Universitätsklinikums T. vom 27.02.2023 sowie der Stellungnahme des Sonderpädagogischen Dienstes der N. vom 31.03.2023 die Versorgung mit der Vergrößerungssoftware SuperNova Magnifier &Speech, mit einem Notebook, zwei Monitoren, zwei Schwenkarmen, zwei Anschlusskabel und MS Office.
Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 20.04.2023 ab. Die Kosten für die beantragte Versorgung dürften nicht übernommen werden, da die Klägerin eine Sonderschule für Kinder mit einer körperlichen Behinderung besuche und diese für die Bereitstellung behinderungsspezifischer Hilfsmittel zuständig sei. Die Klägerin möge sich an den Schulträger wenden.
Hiergegen erhob die Klägerin am 17.05.2015 Widerspruch.
Am 07.06.2023 beantragte die Klägerin bei der Beklagten unter Vorlage des Kostenvoranschlages der Firma R. vom 07.06.2023 (1.618,05 Euro) sowie der augenärztlichen Verordnung der Sehbehindertenambulanz des Universitätsklinikums T. vom 25.05.2023 die Versorgung mit der Vergrößerungssoftware SuperNova Magnifier &Speech.
Die Beklagte lehnte auch diesen Antrag durch Bescheid vom 21.06.2023 mit inhaltsgleicher Begründung ab. Die Kosten für die beantragte Versorgung dürften nicht übernommen werden, da die Klägerin eine Sonderschule für Kinder mit einer körperlichen Behinderung besuche und diese für die Bereitstellung behinderungsspezifischer Hilfsmittel zuständig sei. Die Klägerin möge sich an den Schulträger wenden.
Hiergegen erhob die Klägerin am 27.06.2023 Widerspruch.
Die Beklagte führte mit Schreiben vom 31.07.2023 ergänzend aus, dass es sich bei den begehrten Hilfsmitteln um Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens handle.
Daraufhin führte die Klägerin zur Begründung ihrer Widersprüche im Wesentlichen aus, dass die Vergrößerungssoftware kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens sei. Sie sei im Hilfsmittelverzeichnis aufgeführt und habe die Funktion Sehschwäche und -behinderung bei der Computer-Nutzung zu kompensieren. Zudem ließen sich Texte auch durch eine Audioausgabe vorlesen. Hinsichtlich der anderen Position handle es sich zwar um Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens, jedoch habe die Beklagte den Antrag nicht innerhalb von 14 Tagen weitergeleitet. Damit sei sie formal zuständig geworden. Die beantragten Hilfen seien gemäß § 112 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) Leistungen zur Teilhabe an Bildung. Gemäß § 112 Abs. 1 Satz 5 SGB IX seien hiervon auch Gegenstände und Hilfsmittel umfasst, die wegen der gesundheitlichen Beeinträchtigung zur Teilhabe an Bildung erforderlich seien. Bei der Kostenübernahme von solchen Gegenständen ist zu berücksichtigen, dass der Begriff „Gegenstände“ im Gesetz nicht definiert sei. In Betracht kämen in Abgrenzung zum Hilfsmittelbegriff somit auch allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens und Gegenstände außerhalb des Hilfsmittelverzeichnisses insofern diese den Zugang oder die Wahrnehmung von Bildungsangeboten erleichterten oder ermöglichten (vgl. Luthe in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB- IX, 4. Aufl. 2023, Stand: 21.11.2023, § 112 SGB IX, Rn. 81). Hierbei sei darauf abzustellen, ob der benötigte Gegenstand speziell als Kompensation einer gesundheitlichen Beeinträchtigung erforderlich sei und hierdurch ein positiver Effekt auf die Teilhabe an Bildung zu verzeichnen sei. Bei ihr läge eine nachgewiesene Sehbehinderung vor, weshalb sie einen diesbezüglichen Förderbedarf habe. Aus der Stellungnahme der Nikolauspflege vom 31.03.2023 gehe hervor, dass die beantragten Hilfen notwendig für die Beschulung seien. Die Versorgung habe auch nicht durch den Schulträger zu erfolgen. Die Stephen-Hawkins-Schule sei eine Förderschule mit dem Förderschwerpunkt „körperliche und motorische Entwicklung“, welche gerade keine Hilfsmittel für den Förderschwerpunkt „Sehen“ vorzuhalten habe. Diese gehörten nicht zur Sachausstattung dieser Schule. Daher habe sie Anspruch auf die beantragte Gesamtversorgung mit einem Schülerarbeitsplatz.
Die Widersprüche wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheiden vom 29.11.2023 als unbegründet zurück. Die angefochtenen Entscheidungen seien nicht zu beanstanden.
Dagegen hat die Klägerin am 19.12.2023 Klagen zum Sozialgericht (SG) Heilbronn erhoben. Diese sind zunächst unter den Aktenzeichen S 10 KR 2680/23 und S 10 KR 2681/23 geführt worden. Zu deren Begründung hat sie im Wesentlichen ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt.
Die Klägerin beantragt (Klageschriften vom 19.12.2023),
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20.04.2023 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 29.11.2023 und des Bescheides vom 21.06.2023 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 29.11.2023 verurteilt, sie mit der Vergrößerungssoftware SuperNova Magnifier & Speech, mit einem Notebook, zwei Monitoren, zwei Schwenkarmen, zwei Anschlusskabel und MS Office zu versorgen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte trägt vor, dass die angefochtenen Entscheidungen rechtmäßig seien. Bei den für einen Schülerarbeitsplatz beantragten Positionen handle es sich um allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens. Das in einem gerichtlichen Hinweis angeführte Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen-Bremen vom 01.04.2020 (Az. L 4 KR 187/18, in juris) habe eine Spracherkennungssoftware zum Gegenstand gehabt. Daher seien die Sachverhalte nicht zu vergleichen. Bei dem hier begehrten Schülerarbeitsplatz seien die einzelnen Teilbestandteilen gesondert zu prüfen und zu bewerten. Diese könnten nicht allgemein pauschal als zur Sicherung und Herstellung der Schulfähigkeit eingestuft werden.
Das Gericht hat die beiden Klageverfahren durch Beschluss vom 13.05.2024 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
Die Beteiligten haben gegenüber dem Gericht schriftsätzlich ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und zur Darstellung des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akte des SG und die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht kann nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, da die Beteiligten das hierzu erforderliche Einverständnis erteilt haben.
Die zulässigen Klagen sind begründet.
Der Bescheid der der Beklagten vom 19.05.2023 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 28.09.2023 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat Anspruch auf Versorgung mit der Vergrößerungssoftware SuperNova Magnifier & Speech, mit einem Notebook, zwei Monitoren, zwei Schwenkarmen, zwei Anschlusskabel und MS Office.
Der Anspruch der Klägerin richtet sich vorliegend nach den Regelungen der Hilfsmittelversorgung. Der Leistungsanspruch der Klägerin folgt aus § 33 Abs. 1 Satz 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V). Demnach haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Für Hilfsmittel im Sinne des für die Krankenkassen gleichermaßen bedeutsamen Rechts der Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen konkretisiert § 47 Abs. 1 SGB IX den Anspruch weitgehend inhaltsgleich. Soweit das Hilfsmittel nicht dazu dient, die beeinträchtigte Körperfunktion unmittelbar wiederherzustellen oder auszugleichen, ist es nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) im Rahmen eines nur die Folgen der Behinderung betreffenden, mittelbaren Behinderungsausgleichs von der gesetzlichen Krankenversicherung allerdings nur zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft. Dazu gehören das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnehmen, Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen sowie die Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums (st. Rspr., vgl. nur BSG, Urteil vom 18.05.2011 – B 3 KR 7/10 R –, juris Rn. 32). Zu den seit langer Zeit anerkannten Aufgaben der gesetzlichen Krankenversicherung gehört die Herstellung und die Sicherung der Schulfähigkeit eines Schülers bzw. der Erwerb einer elementaren Schulausbildung (vgl. dazu u.a. BSG, Urteil vom 22.07.2004 – B 3 KR 13/03 R –, juris). Benötigt ein Schüler aufgrund einer Krankheit oder Behinderung ein – von der Schule nicht vorzuhaltendes – Hilfsmittel, um am Unterricht in der Schule erfolgreich teilzunehmen bzw. die Hausaufgaben erledigen zu können, hat die Krankenkasse dieses Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen, weil es um die Herstellung und Sicherung der Schulfähigkeit geht. Schulfähigkeit bzw. der Erwerb einer elementaren Schulausbildung ist als ein allgemeines Grundbedürfnis eines Schülers anerkannt. Betroffen sind Kinder und Jugendliche, die als Grund- und Hauptschüler, Realschüler, Gymnasiasten oder Sonderschüler den Unterricht noch im Rahmen ihrer Schulpflicht besuchen (vgl. zum Ganzen LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 01.04.02020 – L 4 KR 187/18 –, juris Rn.22).
Insgesamt ist bei Kindern und Heranwachsenden ein großzügigerer Maßstab anzulegen, um ihrer weiteren Entwicklung Rechnung zu tragen (vgl. Pitz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl. 2020, Stand: 20.07.2023, § 33 SGB V Rn. 36).
Das LSG Niedersachsen-Bremen hat in seinem Urteil vom 01.04.02020 – das die Kostenerstattung für die Spracherkennungssoftware „Dragon“ zum Gegenstand hatte – ausgeführt (Az. L 4 KR 187/18, in juris Rn.24 ff.):
Die Notwendigkeit der Hilfsmittelversorgung ergibt sich insbesondere aus dem Gesichtspunkt der Integration des behinderten Jugendlichen in das Lebensumfeld nicht behinderter Gleichaltriger (vgl. BSG, SozR 2200 § 182 B Nr. 13). In der Entwicklungsphase von Kindern und Jugendlichen, zumindest bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres, lassen sich die Lebensbereiche nicht in der Weise trennen wie bei Erwachsenen, nämlich in die Bereiche Beruf, Gesellschaft und Freizeit. In der Rechtsprechung des BSG ist stets nicht nur die Teilnahme am allgemeinen Schulunterricht als Grundbedürfnis von Kindern und Jugendlichen anerkannt worden (BSG, SozR 2200 § 182 Nr. 73: Sportbrille; SozR 3-2500 § 33 Nr. 22: Computer), sondern anerkannt worden ist auch ein Grundbedürfnis der Teilnahme an der sonstigen üblichen Lebensgestaltung Gleichaltriger als Bestandteil des sozialen Lernprozesses (BSG, SozR 3-2500 § 33 Nr. 27). Der durch die Hilfsmittelversorgung anzustrebende Behinderungsausgleich ist auf eine möglichst weitgehende Eingliederung des behinderten Kindes bzw. Jugendlichen in den Kreis Gleichaltriger ausgerichtet. Er setzt nicht voraus, dass das begehrte Hilfsmittel nachweislich unverzichtbar ist, eine Isolation des Kindes zu verhindern. Denn der Integrationsprozess ist ein multifaktorielles Geschehen, bei dem die einzelnen Faktoren nicht isoliert betrachtet und bewertet werden können. Es reicht deshalb aus, wenn durch das begehrte Hilfsmittel die gleichberechtigte Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft wesentlich gefördert wird.
Die Klägerin leidet unter einer spastischen Zerebralparese, die sowohl die Beweglichkeit der Beine als auch der Hände beeinträchtigt. Aufgrund der dadurch eingeschränkten Gehfähigkeit ist sie auf einen Rollstuhl oder einen Rollator angewiesen. Zum Zwecke der Betreuung während der Unterrichtszeit ist ihr durch den Landkreis Friesland Eingliederungshilfe in Form von Übernahme der Kosten für eine Integrationshelferin gewährt worden (vgl. Bescheid vom 11. Juli 2017). Aufgabe der Integrationshelferin ist es u.a. längere Schreibaufträge (z.B. Aufsätze) für die Klägerin zu übernehmen. Ausweislich des Beratungsgutachtens der K. -Schule, Förderzentrum ist die Klägerin aufgrund ihrer Erkrankung nicht in der Lage, so schnell zu reagieren und so schnell zu reden wie andere Kinder. Sie habe aufgrund ihrer Erkrankung keine formklare, gut lesbare Handschrift. Die Integration der Klägerin in den Kreis der gleichaltrigen Schüler rechtfertigt vorliegend die Gewährung der begehrten Spracherkennungssoftware.
Die Integration in den Kreis gleichaltriger Jugendlicher ist nicht schon dann erreicht, wenn der Jugendliche überhaupt in der Lage ist, den Schulbesuch zu absolvieren. Die Teilnahme an Schulbesuchen reduziert sich nicht nur darauf, an den schulischen Pflichtveranstaltungen teilzunehmen; benötigt ein behinderter Jugendlicher erheblich mehr Zeit, um den Anforderungen des Schulunterrichts gerecht zu werden, so ist nach allgemeiner Lebenserfahrung die Bereitschaft seiner in der Klasse anwesenden Altersgenossen als sehr begrenzt anzusehen, mit einem Maß an Toleranz und Rücksichtnahme zu reagieren. Mit der Spracheingabesoftware kann die Klägerin wenigstens im Bereich des Verfassens von Kurz- oder Langtexten in die Lage versetzt werden, entsprechend ihrer Fähigkeiten dem Unterricht zu folgen und trotz der eingeschränkten Beweglichkeit der Hände den schriftlichen Anforderungen im Schulunterricht gerecht zu werden. Dadurch kann sie im Klassenverbund, der ausweislich des Beratungsgutachtens aus insgesamt 10 Schülern mit und ohne Förderbedarf im Bereich Lernen besteht, eine einigermaßen gleichgestellte Leistungsfähigkeit erreichen.
Die Versorgung ist im Einzelfall der Klägerin auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil das Hilfsmittel als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens anzusehen ist. Bei der hier begehrten Spracherkennungssoftware handelt es sich ausweislich der Produktinformationen des Herstellers „Nuance“ um eine besonders leistungsstarke Spracherkennung, die den Anwender insbesondere bei der Bewältigung von Büroaufgaben beim Dokumentieren und Schreiben auf dem Computer produktiver machen soll. Sie soll das Erstellen und Bearbeiten von Dokumenten auch außerhalb des Büros ermöglichen. Für die zum Zeitpunkt der Anschaffung 9-jährige und inzwischen 13-jährige Schülerin handelt es sich nach der herstellereigenen Zweckbestimmung und aus der Sicht der Nutzer nicht um ein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Nach der Rechtsprechung des BSG kommt es darauf an, ob das Mittel spezifisch der Bekämpfung einer Krankheit und dem Ausgleich einer Behinderung dient. Was daher regelmäßig auch von Gesunden benutzt wird, fällt auch bei hohen Kosten nicht in die Leistungspflicht der Krankenversicherung (vgl. dazu Beck/Pitz, a.a.O., Rdnr. 45ff, m.w.N.). Bei der Ermittlung des Vorliegens der Eigenschaft eines Hilfsmittels der Krankenversicherung ist danach allein auf die Zweckbestimmung des Gegenstandes abzustellen, die einerseits aus der Sicht der Hersteller, andererseits aus der Sicht der tatsächlichen Benutzer zu bestimmen ist. Im Einzelfall der Klägerin soll allerdings das Hilfsmittel dazu dienen, ihre Behinderung, insbesondere die motorischen Einschränkungen der Hände auszugleichen und so eine einigermaßen gleichgestellte Leistungsfähigkeit im schulischen Bereich zu ermöglichen. Es soll der Gewährleistung gleichwertiger Entwicklungsmöglichkeiten dienen. Zu diesem Zwecke wird die Spracherkennungssoftware Dragon Naturally Speaking üblicherweise nicht von Kindern genutzt.
Die Voraussetzungen für einen Ausschluss gemäß § 34 Abs. 4 SGB V liegen ebenfalls nicht vor. Zudem kann die Klägerin nicht auf die Sprachsteuerung ihres Computers verwiesen werden, die jedenfalls im Mitte 2016 noch nicht so entwickelt war, dass bereits das Erstellen und Verfassen von Kurz- und Langtexten für ein Kind unproblematisch möglich war; es ist nicht ausgeschlossen, dass dieses unter Berücksichtigung der Weiterentwicklung z.B. der Windows Sprachsteuerung heute anders zu bewerten wäre (vgl. etwa Liste der Sprachbefehle Windows- Spracherkennung, Microsoft). Dies muss allerdings vom Senat nicht entschieden werden.
Aus den genannten Gründen handelt es sich auch nicht um einen Gegenstand der üblicherweise vom Schulträger zur Verfügung zu stellen ist.
Diesen überzeugenden Ausführungen schließt sich die Kammer nach eigener Prüfung vollumfänglich an. Ausweislich des Pfleggutachten des MD-Gutachtens vom 26.06.2023 kam die Klägerin in der 32. Schwangerschaftswoche mit Notkaiserschnitt zur Welt. Im weiteren Verlauf wurde eine periventrikuläre Leukomalazie festgestellt. Entwicklungsschritte erfolgten verzögert. Sie konnte mit zwei Jahren sitzen. Es zeigte sich eine deutliche rechtsbetonte spastische Zerebralparese. Als weitere Diagnosen werden Hüftgelenkluxation, Epilepsie, die nicht medikamentös behandelt ist, sowie eine Optikusatrophie und ein Strabismus genannt. Die Klägerin ist mit folgenden Hilfsmitteln versorgt: Brille, Therapiestuhl, Rollstuhl, Posterior Walker, Bildschirmlesegerät, elektr. Lupe, Hellfeldlupe, Stehständer, Fußorthese, Hüftorthese, Motomed, Duschstuhl, Angepasster Autositz, Duschstuhl sowie Lupe. In der Stellungnahme der N. vom 31.03.2023 wird ausgeführt, dass die Klägerin seit dem ersten Schuljahr mit einer elektronischen Lupe versorgt ist. Diese ermöglichte ihr den schulischen Einstieg. Mit fortschreitenden Lernanforderungen kann die Klägerin jedoch aufgrund ihres hohen Vergrößerungsbedarfs mit den oben genannten Hilfsmitteln keine Details erkennen. Außerdem können damit nur zwei-, und somit keine dreidimensionalen Objekte vergrößert werden. Da für die Lernentwicklung ein handlungsorientierter Unterricht mit vielfältigen Anschauungsobjekten von fundamentaler Bedeutung ist, benötigt die Klägerin ein Vergrößerungssystem, unter dem man auch konkrete Gegenstände vergrößern kann. Das Kamera-Lese-System ist notwendig um der Klägerin den Zugang zur schulischen Bildung weiter zu gewährleisten. Diese Vergrößerungssoftware für Sehbehinderte ermöglicht der Klägerin, die Oberfläche und die Funktionen des Windowsprogramm gemäß ihres Vergrößerungs- und Kontrastbedarfs (z.B. Anzeige von Texten, Fenster, Symbole) individuell einzustellen. Außerdem können digitale Texte auch per Sprachausgabe vorgelesen oder diktiert werden. Sie stellt somit eine wesentliche Entlastung für die Augen dar. Damit sie die Vorlesefunktion im Unterricht nutzen kann, benötigt die Klägerin einen Kopfhörer. Andernfalls würde sie ihre Mitschüler dabei stören. Die zweifache Ausstattung mit Monitoren und Schwenkarmen ist deshalb notwendig, weil der Unterricht sowohl im Klassenzimmer als auch im „Kooperationszimmer“ stattfindet. Zusammenfassend wird ausgeführt, dass die Ausstattung zwingend erforderlich und notwendig ist, um den Zugang zur schulischen Bildung für die Klägerin zu gewährleisten und sie somit ihre Nachteile aufgrund ihrer Seh- und Körperbehinderung bestmöglich kompensieren.
Die Klägerin hat daher nach Auffassung der erkennenden Kammer Anspruch auf Versorgung mit einem „Schülerarbeitsplatz“ durch die Beklagte. Die Vergrößerungssoftware ist ein Hilfsmittel (vgl. Pitz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl. 2020, Stand: 20.07.2023, § 33 SGB V Rn. 121) auf das die Klägerin einen Anspruch auf Versorgung durch die ihre Krankkasse hat nebst der Ausstattung mit dem erforderlichen Zubehör, das den bestimmungsgemäßen Gebrauch des Hilfsmittels erst ermöglicht (vgl. hierzu Pitz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl. 2020, Stand: 20.07.2023, § 33 SGB V Rn. 27). Nur so ist nach Auffassung der erkennenden Kammer die Schulfähigkeit der Klägerin sichergestellt.
Da die Klägerin bei Zugrundelegung des für Kinder und Heranwachsenden geltenden großzügigeren Maßstabs Anspruch auf die begehrte Hilfsmittelversorgung hat, waren die angefochtenen Entscheidungen aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Hauptsache.