S 12 KA 75/23

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 75/23
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze


Bei Fehlern im Gutachterverfahren gemäß § 4 BMV-Z i. V. m. Anlage 6 (hier: Unterlassene Mitteilung des Untersuchungstermins) kommt die Festsetzung eines Regresses nur dann in Betracht, wenn die Fehlerhaftigkeit der Behandlung auch unabhängig von den Feststellungen des Gutachters objektiv durch eigene Anschauung der Kammer nachvollzogen werden kann (Fortführung von SG Marburg, Urteil vom 19.01.2011, S 12 KA 318/10). 


Der Bescheid vom 04.10.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.01.2023 wird aufgehoben.

Die Beklagte hat die Gerichtskosten sowie die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen. Im Übrigen findet keine Kostenerstattung statt.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten um eine Regressforderung wegen der Behandlung der Patientin F. Z.-J.

Die Klägerin ist eine zahnärztliche Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) bestehend aus den Zahnärzten Herrn Dr. B. B. Dietrich und Frau Dr. A. A., die mit einer Praxis in A-Stadt vertragszahnärztlich tätig ist.

In ihrer Praxis behandelten sie unter anderem die Patientin F. Z.-J. Diese wandte sich mit einem Schreiben vom 10.01.2022 an ihre Krankenkasse und beanstandete die durch die Klägerin erfolgte prothetische Behandlung.

Die Krankenkasse erteilte hierauf einen Auftrag zur Begutachtung durch den Zahnarzt Dr. M. Dieser kam in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass die ausgeführten prothetischen Leistungen nicht frei von Fehlern und Mängeln sei. Die Patientin gebe an, dass sie ständig Schmerzen beim Abbeißen habe und dass die Brücke beweglich sei. Die Ränder der Brücke seien klinisch regelgerecht. Der Approximalkontakt zwischen 13 und 14 sei nicht vorhanden. Es bestehe eine ca. 1mm große Lücke. Die gefertigten Röntgenaufnahmen würden eine dezente apikale Veränderung und mesial einen Spalt (Abplatzung) am Zahn 13 zeigen. Die Brücke zeige eine Beweglichkeit von I. Der PSI habe folgende Werte: 1-1-1 1-1-1. Nach einer endodontischen Behandlung sei eine Neuanfertigung indiziert.

Die Klägerin beantragte die Einholung eines Obergutachtens und widersprach dem Ergebnis des bisherigen Gutachters. Inhaltlich wandte sie ein, weder habe beim letzten Termin von Frau Z.-J. in ihrer Praxis am 18.02.2022 ein Lockerungsgrad der Brückenpfeiler bestanden, noch habe sich ein Spalt zwischen den Zähnen 14 und 13 gezeigt. Auch die vom Gutachter beschriebene „Abplatzung" am Zahn 13 selbst sehe sie nicht. Selbst bei Bestätigung genannter Veränderungen wäre eine Neuherstellung der Brücke nicht zielführend. Eine etwaige Lücke könne durch eine Erneuerung der Füllung 14 geschlossen werden. Der Zahn 13 habe faktisch keine apikale Veränderung, sei vital und somit eine Wurzelbehandlung nicht indiziert. Auch beim angeblichen Lockerungsgrad sei eine Erneuerung der bestehenden Versorgung wohl der falsche Weg. Frau Z.-J. sei nach bereits ständig wechselnden Behandlern im Februar 2021 in ihre Praxis gekommen — der parodontal wie prothetisch mangelhafte Gebisszustand sei durch Röntgenbilder und Bildaufnahmen dokumentiert. Bereits während und nach Zahnextraktion habe Frau Z.-J. keinerlei Akzeptanz der vorher hinlänglich besprochenen Maßnahmen gezeigt, sondern fortlaufend mit dem Verlust der extrahierten Zähne gehadert. Dies habe sich trotz reibungslosen Ablaufs und deutlicher Verbesserung der Ausgangssituation über die gesamte Behandlungszeit fortgesetzt. Nichtsdestotrotz sei immer wieder von Behandlerseite alles versucht worden, so etwa vorübergehende langzeitprovisorische Versorgung, parodontale Keimbestimmung etc.

Die Beklagte beauftragte auf Wunsch der Patientin Herrn Dr. H. mit der Erstellung eines Obergutachtens. Dieser erstattete am 28.05.2022 sein Obergutachten und bestätigte darin das erste Gutachten. In seiner Begutachtung führte er aus, die Gestaltung der Brücke lasse bei den Verblockungen zwischen 22, 23 und der Verbindung des Brückengliedes zwischen 13, 12 keinen ausreichenden Raum für die Interdentalpapillen. Die beobachteten Sondierungstiefen von 4-5 mm mit Schwellung, Rötung und Blutung der Papillen würden hiermit in einem ursächlichen Zusammenhang stehen. Die Behandlerpraxis hätte wegen der persistierenden Gingivitis im gesamten Bereich der Brücke einen bakteriologischen Abstrich genommen und eine darauf gegründete antibiotische Therapie (Amoxicillin/Metronidazol für 10 Tage) durchgeführt. Ohne Erfolg. Auch dies belege, dass der Grund für die persistierende massive Gingivitis nicht originär bakteriologisch begründet sei, sondern auf die mangelbehaftete Gestaltung der Brücke und damit Einengung des Raumes für die Interdentalpapillen und zudem fehlenden Zugangs zur Zwischenraumpflege zurückzuführen sei. Der im Untersuchungstermin (und auch vom Erstgutachter) beobachtete fehlende Approximalkontakt zwischen 14 mesial und 13 distal von 1 mm Breite führe zur Impaktierung von Speisen. Da der Behandler angeben würde, selbst keinen Spalt beobachtet zu haben, sei dies auf eine Protrusionswanderung der Brücke und insbesondere des Pfeilers 13 zurückzuführen. Das stimme mit der vorgefundenen Lockerung Grad I/II und der unausgeglichenen Okklusion überein. Eine Neuanfertigung aller Kronen und der Brücke sei notwendig. 

Die Klägerin nahm hierzu anwaltlich vertreten Stellung. Sie teilte mit, beide Gutachten seien inhaltlich unzutreffend und würden nicht akzeptiert. Der Beklagten sei bekannt, dass es bereits in der Vergangenheit in einigen Fällen Unstimmigkeiten bezüglich der Begutachtungen durch Herrn Dr. M. und Herrn Dr. H. gekommen sei. 

Im Einzelnen führte sie zu den Gutachten wie folgt aus:
Der Gutachter Herr Dr. M. bemängele, dass der Approximalkontakt zwischen Zahn 13 und 14 nicht vorhanden sei und eine ca. 1 mm große Lücke bestehe. Eine solche Lücke sei beim Einsetzen des Zahnersatzes und auch während der weiteren Behandlungszeit nicht vorhanden gewesen. Anhand der angefertigten Röntgenbilder lasse sich erkennen, dass dort kein 1mm breiter Spalt vorhanden sei. Zu bemerken sei jedoch, dass die Patientin selbst aufgrund der fehlenden Akzeptanz des Zahnersatzes Manipulationen an den Zähnen vorgenommen hätte. Des Weiteren wolle der Gutachter Herr Dr. M. auf den Röntgenaufnahmen eine dezente apikale Veränderung und mesial einen Spalt (Abplatzung am Zahn 13) erkannt haben. Von diesen Veränderungen sei im Obergutachten keine Rede mehr. Auch auf den Röntgenbildern lasse sich eine dezente apikale Veränderung oder ein mesialer Spalt an Zahn 13 nicht erkennen. Des Weiteren rüge der Gutachter eine Beweglichkeit der Brücke Grad I. Zum Zeitpunkt des Einsetzens und auch während der langwierigen Nachbehandlung habe zu keinem Zeitpunkt eine Beweglichkeit Grad I festgestellt werden können. Ob sich eine solche Beweglichkeit nach Ende ihre Behandlung durch habituelle Veränderungen am Zahnersatz eingestellt habe, vermöge sie nicht zu sagen und könne ihr auch nicht angelastet werden.

Der Gutachter Herr Dr. H. schildere in seiner Anamnese Beschwerden der Patientin, die diese größtenteils ihr gegenüber nicht geäußert hätte. Die von ihm angegebenen Sondierungstiefen würden außerdem nicht mit den von Dr. M. erhobenen Befunden übereinstimmen. Dieser habe keine pathologischen Sondierungstiefen angegeben. Nach dem Obergutachten solle bei Zahn 13 ein Lockerungsgrad von I-II vorliegen, der vom Erstgutachter nicht festgestellt worden sei. Es sei fraglich, wie ein solcher Lockerungsgrad in so kurzer Zeit entstanden sein solle. Die Mundhygiene der Patientin sei bei Beginn der Behandlung schlecht gewesen und es habe eine starke Gingivitis vorgelegen. Diese hätte sich während der Behandlung verbessert und sei sicher nicht durch die prothetische Neuversorgung entstanden. Die Okklusion sei bei Eingliederung des Zahnersatzes regelgerecht. Eine fehlerhafte Okklusion sei auch im Erstgutachten nicht festgestellt worden. Eine apikale Aufhellung habe der Obergutachter im Gegensatz zum Erstgutachter bei Zahn 13 nicht feststellen können. Der Vorwurf die Brücke lasse nicht genug Raum für die Interdentalpapillen, sei nicht zutreffend. Bei Remontagen und der Neuherstellung sei in ihrer Praxis explizit auf ausreichenden Raum für die Interdentalpapillen geachtet worden. Möglicherweise sei dieser Eindruck durch eine interdentale Schwellung infolge unzureichender Mundhygiene entstanden. Das Obergutachten lasse unberücksichtigt, dass der Keimtest den Nachweis pathologischer Keimbesiedelung erbracht habe. Diese Keimbesiedelung zeige die anhaltend schlechte Mundhygiene der Patientin. Falsch sei auch, dass die antibiotische Therapie keinen Erfolg erbracht hätte. Den Krankenunterlagen sei eine vorübergehende Verbesserung des Zahnfleischzustandes zu entnehmen. Der Obergutachter siehe die Ursache einer Spaltbildung im Bereich 13 und 14 in einer Protrusionswanderung, für die jedoch keinesfalls die streitgegenständliche Neuversorgung oder sie selbst verantwortlich gemacht werden könne.

Die Patientin selbst hätte in erster Linie ihr gegenüber das trotz der Behandlung noch gerötete Zahnfleisch beanstandet. Die Kronenränder würden als Ursache für diese Symptomatik ausscheiden. Fakt sei jedoch, dass die Patientin sich nach ständig wechselnden Vorbehandlern im Februar 2021 mit einem parodontal und prothetisch mangelhaften Gebisszustand bei ihr vorgestellt hätte. Die persönliche Mundhygiene der Patientin habe sehr zu wünschen übriggelassen. Nach erforderlicher Zahnextraktion sei die Patientin intensiv über die erforderlichen Maßnahmen zur Mundhygiene informiert worden. Die parodontale Situation hätte sich zwar während der Behandlung verbessert, durch fehlende Compliance der Patientin habe jedoch eine gute parodontale Situation nicht erreicht werden können. Dieser Umstand sei jedoch nicht auf ein behandlungsfehlerhaftes Vorgehen ihrerseits zurückzuführen. Die Versorgung und Behandlung sei lege artis erfolgt.

Die Krankenkasse, DAK-Gesundheit, stellte am 08.08.2022 einen Antrag auf Rückforderung des Kassenanteils in Höhe von 2.154,08 € und verwies auf das Ergebnis des Gutachterverfahrens.

Die Beklagte wiederum leitete der Klägerin mit Schreiben vom 04.10.2022 den Regressantrag weiter und wies darauf hin, dass das zweistufige Gutachterverfahren mit der Erstellung des Obergutachtens abgeschlossen sei. Das klägerische Schreiben könne deshalb nur als Widerspruch gegen das Regressbegehren der Krankenkasse gewertet werden.

Weiter teilte sie in dem Schreiben vom 04.10.2022 ihre Rechtsauffassung mit. Rechtsgrundlage für die Festsetzung eines Schadensregresses gegen einen Vertragszahnarzt wegen mangelhafter prothetischer Versorgung sei § 136a Abs. 4 Satz 3 SGB V i. V. m. § 4 Bundesmantelvertrag-Zahnärzte (BMV-Z) und Anlage 6 zum BMV-Z. Die Patientin habe gegenüber ihrer Krankenkasse angegeben, dass ihr der von Klägerin eingegliederte Zahnersatz Beschwerden bereite. Sowohl der Erstgutachter als auch der Obergutachter hätten in dem aufgrund der Patientenbeschwerde eingeleiteten Verfahren festgestellt, dass die von der Klägerin ausgeführte prothetische Versorgung bei der Patientin vom 20.07.2021 im Ergebnis mängelbehaftet gewesen sei und eine Neuanfertigung erforderlich sei. Maßgeblich sei dabei aber nur die Beurteilungen im Obergutachten, weshalb es keiner rechtlichen Würdigung bzgl. einer etwaigen Befangenheit des Erstgutachters, Herrn Dr. M. bedürfe.

Die Klägerin hat hiergegen anwaltlich vertreten mit Schreiben vom 28.10.2022 Widerspruch eingelegt. In dem Schreiben wies sie darauf hin, dass beide Gutachter bei der Bewertung der zahnmedizinischen Versorgung allein auf den vermeintlichen Ist-Zustand zum Zeitpunkt der Begutachtung abgestellt und in keiner Weise die von ihr vorgelegten Fotografien, Röntgenbilder und die Behandlungsdokumentation berücksichtigt hätten. Die Untersuchungen durch den Gutachter hätten mehrere Monate nach dem letzten Vorstellungstermin der Patientin in ihrer Praxis stattgefunden. Die Gutachter hätten in keiner Weise berücksichtigt, dass es in diesen Monaten zu erheblichen Veränderungen insbesondere des parodontalen Zustandes bei der Patientin gekommen sein könne. Die unzureichende Mundhygiene der Patientin sei durch die Dokumentation belegbar. Diese sei nach Ende der Behandlung in ihrer Praxis jedoch nicht mehr beeinflussbar, gleiches gelte für eine angeblich zum Zeitpunkt der Begutachtung bestehende Gingivitis. Sie möchte zudem darauf hinweisen, dass grundsätzlich die behandelnden Zahnärzte berechtigt seien, bei der Begutachtung anwesend zu sein. Ihr sei eine solche Teilnahme aber nicht ermöglicht worden, wodurch das Vorgehen seitens der Gutachter regelwidrig sei.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23.01.2023 zurück. Zu den Einwänden der Klägerin gegen die Gutachten erklärte sie, unter Parodontalbefund" führe der Obergutachter eine „allgemein gute Mundhygiene" der Patientin an, ebenso würden unter „Material" die von der Klägerin übermittelten vier digitalen Zahnfilme aufgeführt und somit bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt. Da laut Obergutachten keine allgemeine Verschlechterung des parodontalen Zustandes bei der Patientin vorgelegen hätte, habe dies auch nicht entsprechend vermerkt werden müssen. Definitiv festgestellt habe der Obergutachter jedoch, dass sich nur im Bereich der Zähne 14, 13, 22, 23, 24 entzündete Taschen mit Rötung, Schwellung und Blutung auf Sondierung gezeigt hätten. Daher sei die fachliche Schlussfolgerung, dass dies im ursächlichen Zusammenhang mit einer mangelhaften Gestaltung der Versorgung stehe, nachvollziehbar und schlüssig. Die im Obergutachten dokumentierten Mängel könnten nur durch eine Neuanfertigung behoben werden. Der Kostenanteil der DAK-Gesundheit sei zurückzuführen, da die Versicherte nicht bereit sei, sich erneut in klägerische Behandlung zu begeben. Die Unzumutbarkeit der Nacherfüllung ergebe sich hier aus einem gestörten Vertrauensverhältnis. In ihrer Stellungnahme würde die Klägerin die Aussagen der Gutachter bezweifeln und angeben, dass der festgestellte Mangel nicht von ihr zu vertreten sei, sondern sich insbesondere auf die mangelnde Mundhygiene der Patientin zurückführen lasse. Auch wenn die Ausführung der Patientin nicht zugänglich gemacht worden sei, sei das Vertrauensverhältnis jedoch objektiv betrachtet nachhaltig gestört.

Die Klägerin hat anschließend Klage erhoben. Sie wiederholt dabei im Wesentlichen ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren und betont noch einmal, dass die von ihr angefertigten Röntgenbilder deutlich erkennen lassen würden, dass zwischen Zahn 13 und 14 kein 1mm breiter Spalt vorhanden sei. Eine angeblich vorhandene Lücke an dieser Stelle sei daneben auch kein Grund für eine Neuanfertigung der Brücke, da die Lücke durch eine Erneuerung der Füllung 14 geschlossen werden könne.

Höchst vorsorglich weise sie darauf hin, dass sich die behaupteten Mängel nur auf die Brückenversorgung, nicht jedoch auf die Einzelkronen im Oberkiefer beziehen würden. Es bestehe daher keinesfalls ein Regressanspruch auf Rückzahlung des kompletten Kassenanteils.

Das Gericht hat die DAK-Gesundheit mit Beschluss vom 15.03.2023 zum Verfahren beigeladen.

Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 04.10.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.01.2023 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Die Beklagte verweist zur Begründung auf das eingeholte Obergutachten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen ist.


Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Bescheid vom 04.10.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.01.2023 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Der von der Beklagten festgesetzte Regress war aufzuheben.

Anders als noch im Widerspruchsbescheid aufgeführt, ist der streitgegenständliche Regress nicht mit einem Bescheid vom 08.08.2022, sondern mit Bescheid vom 04.10.2022 festgesetzt worden. Hierüber besteht auch nach Durchführung der mündlichen Verhandlung Einigkeit zwischen den Beteiligten. Zwar ist das Schreiben vom 04.10.2022 nicht als Bescheid bezeichnet und enthält auch keine Rechtsbehelfsbelehrung. Davon abgesehen enthält das Schreiben jedoch die Voraussetzungen eines Verwaltungsaktes, insbesondere die notwendige Regelungswirkung. Es lässt (konkludent) erkennen, dass die Beklagte dem Regressantrag der Beigeladenen vom 08.08.2022 folgt und diesen für begründet hält. Auch die rechtlichen Ausführungen, warum dem Regressantrag gefolgt wird, sind enthalten.

Für den Erlass des entsprechenden Bescheides war die Beklagten grundsätzlich nach den bundesmantelvertraglichen Regelungen als allgemeine Vertragsinstanz, der (auch) die Feststellung obliegt, ob Vertragszahnärzte ihre vertragszahnärztlichen Pflichten verletzen und dadurch der betroffenen Krankenkasse des Versicherten einen Schaden verursacht haben, zuständig (vgl. Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 10.05.2017, B 6 KA 15/16 R, Rn. 21 Juris).

Rechtsgrundlage für die Festsetzung des Schadensregresses ist nach ständiger Rechtsprechung des BSG der Gesamtzusammenhang der Vorschriften des Bundesmantelvertrags-Zahnärzte (<BMV-Z>, vgl. nur BSG, Urteil vom 27.06.2012, B 6 KA 35/11 R, Rn. 11 Juris m. w. N. und BSG, B 6 KA 15/16 R, Rn. 24 Juris), hier insbesondere § 136a Abs. 4 Satz 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) i. V. m. § 4 BMV-Z i. V. m. der Anlage 6 zum BMV-Z. Danach ist ein Zahnarzt, der seine öffentlich-rechtlichen Pflichten schuldhaft verletzt, indem er eine dem zahnärztlichen Standard nicht genügende prothetische Versorgung durchführt, zum Schadensersatz verpflichtet (vgl. BSG, B 6 KA 15/16 R, Rn. 24 Juris).

Inhaltliche Voraussetzung der Ersatzpflicht ist eine schuldhafte Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten, die darin liegen kann, dass eine prothetische Versorgung dem zahnärztlichen Standard nicht genügt. Zudem muss eine Nachbesserung – wegen Unbrauchbarkeit des Arbeitsergebnisses – nicht möglich und / oder eine Nachbesserung bzw. Neuanfertigung durch den bisher behandelnden Vertragszahnarzt nicht zumutbar sein (vgl. BSG, B 6 KA 35/11 R, Rn. 14 Juris).

Zur Feststellung, ob die durchgeführte prothetische Versorgung dem zahnärztlichen Standard entspricht, haben die Vertragspartner im BMV-Z bzw. genauer hier in der Anlage 6 „Vereinbarung über das Antrags- bzw. Genehmigungsverfahren sowie das Gutachterwesen bei der Versorgung mit Zahnersatz und Zahnkronen“ in der Fassung vom 25.04.2018 (in Kraft getreten am 01.07.2018) Verfahrensregelungen aufgestellt. Nach § 2 Abs. 3 Satz 1 Anlage 6 BMV-Z kann die Krankenkasse in begründeten Einzelfällen bei Regel- und gleichartigen Versorgungen ausgeführte prothetische Leistungen bei vermuteten Planungs- oder Ausführungsmängeln innerhalb von 24 Monaten nach der definitiven Eingliederung von Zahnersatz begutachten lassen. Regelungen zum einzuholenden (Erst-) Gutachten enthält § 4 Anlage 6 BMV-Z. Nach dessen Absatz 3 hat der Gutachter grundsätzlich eine Untersuchung des Versicherten durchzuführen. Der Untersuchungstermin wird vom Gutachter in Abstimmung mit dem Versicherten festgelegt. Der Vertragszahnart und die Krankenkasse sind vom Gutachter hiervon zu unterrichten. Der Vertragszahnarzt kann an der Untersuchung teilnehmen.

Gemäß § 5a Satz 1 Anlage 6 BMV-Z können sowohl der Vertragszahnarzt als auch die Krankenkasse gegen die Stellungnahme des Gutachters binnen eines Monats schriftlich Einspruch bei der Kassenzahnärztlichen Vereinigung zum Zwecke der Einholung eines Obergutachtens einlegen. Das Obergutachten wird nach denselben Maßgaben wie das Erstgutachten erstattet, d.h. es gilt auch hier, dass eine Untersuchung des Versicherten stattzufinden hat und der Untersuchungstermin dem Vertragszahnarzt mitzuteilen ist.

Hinsichtlich der Auswahl des Sachverständigen verweist § 87 Abs. 1c Satz 6 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) ebenfalls auf die Regelungen im BMV-Z. Näheres findet sich in § 4 BMV-Z. Nach § 4 Abs. 5 BMV-Z sollen die Gutachter über eine zum Bestellungszeitpunkt mindestens seit vier Jahren ununterbrochen bestehende vertragszahnärztliche Zulassung verfügen. Sie sollen in dem Leistungsbereich, für den sie bestellt werden, über eine ausreichende Erfahrung verfügen und eine angemessene Anzahl an Behandlungsfällen vorweisen können. Gutachter und Obergutachter für Kieferorthopädie sollen die Anerkennung als Fachzahnarzt für Kieferorthopädie besitzen. Die Gutachter sind verpflichtet, an den Gutachter- bzw. Obergutachtertagungen der sie bestellenden KZV/KZBV teilzunehmen und gegenüber dieser jährlich die Teilnahme an fachbezogenen Fortbildungsmaßnahmen in dem jeweiligen Leistungsbereich nachzuweisen. Die Gutachter haben bei der Bestellung zu versichern, dass sie ihre Tätigkeit fachlich unabhängig und weisungsungebunden ausüben werden. Im ersten Jahr der Tätigkeit als Gutachter werden die erstellten Gutachten der KZV bzw. dem von ihr bestellten Fachberater zur Beratung hinsichtlich einer kontinuierlichen Qualitätssicherung vorgelegt.

Die geltenden formalen Bestimmungen wurden vorliegend verletzt. So wurde die Klägerin weder über den Untersuchungstermin im Erstgutachten- noch im Obergutachtenverfahren in Kenntnis gesetzt, sodass für sie nicht die Möglichkeit bestand, an den Untersuchungen teilzunehmen. Die Beklagte bzw. die Beigeladene hat die Klägerin zwar noch über die jeweilige Beauftragung der Gutachter unterrichtet, eine Mitteilung des konkreten Untersuchungstermins lässt sich der Verwaltungsakte aber nicht entnehmen. Hierin liegt ein wiederholter Verstoß gegen § 4 Abs. 3 Satz 2 bis 4 der Anlage 6 BMV-Z, der sowohl im Rahmen des Erst- als auch im Rahmen des Obergutachtens (vgl. § 5a der Anlage 6 BMV-Z) Anwendung findet.

Dieser Verfahrensverstoß führt nicht zwangsweise zur Unbrauchbarkeit des (Ober-) Gutachtens. Denn jedenfalls dann, wenn die Fehlerhaftigkeit der Behandlung auch unabhängig von den Feststellungen des Gutachters durch eigene Anschauung der Kammer etwa anhand des Röntgenbefundes nachvollzogen werden kann, ist es nicht sachgerecht, zur Unbrauchbarkeit der vom Obergutachter festgestellten Mängel zu kommen, da es entscheidend auf die objektive Fehlerhaftigkeit der Behandlung ankommt (vgl. SG Marburg, Urteil vom 19.01.2011, S 12 KA 318/10, Rn. 29 Juris). Im vorliegenden Fall jedoch konnte sich die Kammer nicht vom Vorliegen der im Obergutachten dargelegten Mängel überzeugen.

Die fachkundig besetzte Kammer hat die in der Verwaltungsakte befindlichen und im Vorfeld der mündlichen Verhandlung von der Klägerin übersandten Behandlungsunterlagen in Augenschein genommen und sich dabei insbesondere mit den vorgelegten Röntgenbildern auseinandergesetzt. Der Röntgenbefund lässt nach Auffassung der Kammer keinen Mangel der prothetischen Versorgung erkennen. Objektiv – das heißt alleine aufgrund der vorgelegten medizinischen Unterlagen – ist eine fehlerhafte Behandlung durch die Klägerin nicht belegt, sodass es entscheidend auf die vom (Ober-) Gutachter festgestellten Mängel nach der Untersuchung der Patientin ankommt. Aufgrund des festgestellten Verfahrensverstoß sind die Aussagen des (Ober-) Gutachters insoweit aber unverwertbar.

Selbst für den Fall, dass man den Verfahrensverstoß als weniger schwerwiegend ansehen wollte und das Obergutachten deswegen nicht von vorneherein für unverwertbar halten würde, so könnte die Kammer vorliegend der Einschätzung des Obergutachters nicht folgen. Dessen Befundung und die anschließenden Feststellungen sind nämlich für die Kammer nicht nachvollziehbar. So stellt der Obergutachter im Rahmen der Befundaufnahme fest, dass eine klinische Überprüfung der Passgenauigkeit der Kronenränder durch Sondierung aufgrund schmerzhafter Reaktion nur eingeschränkt möglich gewesen sei. In diesem Fall hätte der Obergutachter nach Auffassung der Kammer die Sondierung nach örtlicher Betäubung durchführen müssen, um aussagekräftige Befundergebnisse zu erhalten. Auch die Aussage, dass „soweit beurteilbar“ keine Stufen an den Kronenrändern tastbar seien, verstärkt den Eindruck einer unvollständigen Befundung. Aber auch die Feststellung des Obergutachters, dass der von ihm festgestellte Approximalabstand von 1mm auf eine Protrusionswanderung der Brücke zurückzuführen sei, ist für die Kammer nur schwer vorstellbar. Wäre dies der Fall gewesen, so hätte der Obergutachter auch eine sog. Mittellinie feststellen müssen. Weiter ist die Aussage des Gutachters, dass die festgestellte Gingivitis auf die mangelhafte Brücke zurückzuführen sei, für die Kammer nicht nachvollziehbar. Gleiches gilt für die gemessenen Taschentiefen, die sich so nicht den Röntgenbildern entnehmen lassen.

Zudem besteht eine erhebliche Diskrepanz zwischen Erst- und Obergutachten. Zwar kommt es hinsichtlich der Feststellung der Fehlerhaftigkeit primär auf das Ergebnis des Obergutachters an, die Kammer kommt aber nicht umhin, die erheblichen Unterschiede zwischen den beiden Gutachten kritisch zu hinterfragen. Dies betrifft vor allem die festgestellten Sondierungstiefen und die Befundung der Ränder, die im Erstgutachten noch als klinisch regelgerecht bezeichnet wurde. Es ist insoweit fraglich, ob die im Obergutachten festgestellten Mängel tatsächlich auf einen Fehler der Klägerin bei der prothetischen Versorgung zurückzuführen sind.

Selbst wenn aber ein solcher Fehler vorhanden gewesen sein sollte, ist es für die Kammer nicht nachvollziehbar, warum eine komplette Neuherstellung der prothetischen Versorgung notwendig gewesen sein sollte. Wie auch die Klägerin sieht die Kammer hier eine Erneuerung der Füllung als ausreichend an, um eine etwaige Lücke zu schließen. In diesem Zusammenhang weist die Kammer zudem darauf hin, dass eine Unzumutbarkeit der Nacherfüllung durch die Klägerin nicht erkennbar ist. Der behandelnde Arzt, Dr. B., hat in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar seine Bemühungen bei der Behandlung der Patientin geschildert und glaubhaft ausgeführt, auch eine entsprechende Nachbesserung durchzuführen.

Insgesamt lässt sich zur Überzeugung der Kammer weder anhand der vorliegenden medizinischen Unterlagen noch aus den beiden Gutachten eine Mangelhaftigkeit der prothetischen Versorgung objektiv nachvollziehen. Dahingestellt bleiben kann daher, ob zusätzlich auch noch eine Befangenheit eines der Gutachter vorliegt. Die Kammer sieht jedenfalls die Beauftragung des Obergutachters auf Initiative der Patientin als bedenklich an, denn durch den Umstand, dass die Beauftragung nicht nur auf Wunsch der Patientin, sondern proaktiv von dieser gesteuert wurde, indem sie selbstständig noch vor der Bestellung als Obergutachter sich mit Herrn Dr. H. in Verbindung setzte, einen Begutachtungstermin vereinbarte und so die Beklagte vor vollendete Tatsachen stellte, sodass diese die – schnellere Begutachtung bei Herrn Dr. G. – absagte und Herrn Dr. H. zum Obergutachter bestimmte, konnte vorliegend der Eindruck einer fehlenden Objektivität entstehen. Von einem neutralen Obergutachter wäre es nach Auffassung der Kammer zu erwarten gewesen, dass eine Vereinbarung eines Begutachtungstermins erst nach tatsächlicher Bestellung als Gutachter erfolgt. Die vorherige Absprache und Kontaktaufnahme mit der Patientin führt hingegen dazu, dass sich für die Kammer die Besorgnis der Befangenheit aufdrängt.

Letztendlich ist der Bescheid formell und materiell rechtswidrig. Die Voraussetzungen zur Festsetzung des Schadensregresses liegen nicht vor, da weder nachgewiesen wurde, dass die prothetische Versorgung nicht dem zahnärztlichen Standard genügte, noch eine Nachbesserung ausgeschlossen bzw. unzumutbar war.

Der Klage war daher stattzugeben und der Bescheid mit dem der Schadensersatz festgesetzt wurde, aufzuheben.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 197a SGG in Verbindung mit § 154 VwGO und folgt der Entscheidung in der Hauptsache. Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen ist hingegen nicht veranlasst, weil diese im Verfahren keine Anträge gestellt hat.
 

Rechtskraft
Aus
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