S 37 SO 1596/21

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Sozialhilfe
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 37 SO 1596/21
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Eine Unterbringung nach dem Psychisch Krankengesetz Berlin steht der Annahme eines medizinischen Eilfalls im Rahmen der Nothilfe nicht entgegen. Die Kenntnis der Polizei Berlin ist keine Kenntnis des Sozialhilfeträgers i.S.d. § 18 SGB XII.

GSW

Sozialgericht Berlin

 

 

S 37 SO 1596/21

 

verkündet am
23. Januar 2025

 

 

 

 

 

 

 

Im Namen des Volkes

Urteil

In dem Rechtsstreit

         … GmbH,
vertreten durch die Geschäftsführung …

… Berlin,
 

In Sachen: E., H.,

- Klägerin -

Proz.-Bev.:

… Rechtsanwälte … mbB,  

Kurfürstendamm 195, 10707 Berlin,
 

gegen

         das Land Berlin vertreten durch das Bezirksamt Lichtenberg von Berlin,
Amt für Soziales -Rechtsstelle-

Alt-Friedrichsfelde 60, 10315 Berlin,
 

- Beklagter -

 

 

hat die 37. Kammer des Sozialgerichts Berlin auf die mündliche Verhandlung am 23. Januar 2025 durch die Richterin … sowie den ehrenamtlichen Richter Herrn … und die ehrenamtliche Richterin Frau … für Recht erkannt:

I. Der Überprüfungsbescheid vom 7. Juli 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Oktober 2021 wird aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, den Bescheid vom 20. Juni 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. August 2019 wegen der stationären Behandlung des Patienten Herrn E. in der Zeit vom 26. Mai 2019 bis zum 27. Mai 2019 aufzuheben und der Klägerin 577,92 Euro zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Der Beklagte hat der Klägerin 38 Prozent der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

 

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Erstattung von Kosten einer Nothilfe wegen der Behandlung von Herrn H. E. (im Folgenden: Patient).

Der Patient ist ein im November 1989 geborener tunesischer Staatsangehöriger. Er reiste am 24. Januar 2011 in das Bundesgebiet ein, sein Asylantrag wurde am 6. Mai 2011 abgelehnt und die Aufenthaltsgestattung erlosch damit. Eine Abschiebungsandrohung erging am 10. Mai 2011, eine Erwerbstätigkeit ist dem Patienten nicht gestattet.

Die Klägerin nahm am 26. Mai 2019, einem Sonntag, um 19:28 Uhr den Patienten auf, der von der Polizei in die Rettungsstelle gebracht wurde. Der Patient wies im Zeitpunkt der Krankenhausaufnahme eine akute Intoxikation durch mehrere Stimulanzien auf, es erfolgte eine 5-Punkt-Fixierung und die Gabe von 10 mg H. Bereits am nächsten Tag verließ der Patient das Krankenhaus auf eigenen Wunsch gegen ärztlichen Rat. Am 12. Juli 2019, einem Freitag, um 9:44 Uhr, wurde der Patient erneut von der Polizei in das Krankenhaus der Klägerin gebracht. Erneut wurden besondere Sicherungsmaßnahmen zur Überwachung des Patienten angeordnet. Der Patient wurde am 23. August 2019 entlassen.

Die Klägerin beantragte bzgl. des ersten Krankenhausaufenthaltes mit Kostenübernahmeantrag vom 28. Mai 2019 bei dem Landratsamt Bautzen Kostenerstattung als Nothelferin. Diesen Antrag lehnte das Landratsamt Bautzen am 5. Juni 2019, der Klägerin am 11. Juni 2019 zugegangen, mit der Begründung ab, der Patient erhalte keine Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und befinde sich nicht in seinem Zuständigkeitsbereich. Daraufhin wandte sich die Klägerin mit einem entsprechenden Antrag vom 14. Juni 2019 (eingegangen am 19. Juni 2019) an den Beklagten. Auch der Beklagte lehnte nach einer erfolglosen Adressanfrage den Antrag mit Bescheid vom 20. Juni 2019 ab und verwies darauf, dass für den Patienten eine Versicherungspflicht bestehe, die auch rückwirkend gelte. Anhand der eingereichten Unterlagen könne die Einkommens- und Vermögenssituation des Patienten nicht überprüft werden und die Klägerin habe den Notfall nicht rechtzeitig angezeigt.

Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin am 8. Juli 2019 Widerspruch. Darin trat sie der Annahme entgegen, sie habe den Eilfall nicht rechtzeitig angezeigt. So sei es unmöglich gewesen, den Eilfall am Aufnahmetag anzuzeigen, weil der Beklagte am Sonntag keine Dienstbereitschaft gehabt habe. Auch eine Pflichtversicherung stünde dem Patienten nicht zur Verfügung, da dafür ein gültiger Aufenthaltsstatus für „Nicht EU-Ausländer“ vorliegen müsste. Mit Widerspruchsbescheid vom 1. August 2019, der Klägerin am 9. August 2019 zugegangen, wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin bzgl. des ersten Aufenthaltes zurück. Zur Begründung führte er aus, dass die Anzeige des Eilfalls zu spät erfolgt sei und nicht nachzuprüfen sei, ob der Patient zum Zeitpunkt der Behandlung hilfebedürftig gewesen sei.

Auch für die zweite Behandlung ab dem 12. Juli 2019 beantragte die Klägerin zunächst unter dem 17. Juli 2019 die Übernahme der Kosten beim Landratsamt Bautzen. Dieser lehnte gleichfalls die Kostenübernahme mit Bescheid vom 24. Juli 2019 ab. Ergänzend zu beiden Kostenanträgen schickte die Klägerin dem Beklagten mit Schreiben vom 30. Juli 2019 einen ausgefüllten Fragebogen zu den persönlichen Verhältnissen des Patienten, den dieser am 25. Juli 2019 ausgefüllt hatte. Darin gab er an, sich seit 2014 in Berlin aufzuhalten und teilte seine Adresse und Handynummer mit. Eine Versicherung bei einer Krankenkasse verneinte er. Die Klägerin beantragte mit Schreiben vom 20. August 2019 für den Behandlungszeitraum seit dem 12. Juli 2019 die Kostenübernahme zunächst beim Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf, welches das Schreiben an das Bezirksamt Lichtenberg weiterleitete. Auch diesen Antrag lehnte das Bezirksamt Lichtenberg mit Schreiben vom 29. Oktober 2019 ab und gab zur Begründung an, dass der Eilfall nicht rechtzeitig gemeldet worden sei.

Am 17. Oktober 2019 bestellte das Amtsgericht Charlottenburg dem Patienten einen rechtlichen Betreuer. Seit dem 19. Juni 2020 befand sich der Patient im Krankenhaus des Maßregelvollzugs und stellte von dort am 26. Juni 2020 einen Antrag auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bei dem Beklagten. Diese bewilligte er mit Bescheid vom 9. Juli 2020.

Mit Schreiben vom 30. Dezember 2020 stellte die Klägerin Überprüfungsanträge hinsichtlich des Widerspruchsbescheide vom 1. August 2019 bzgl. des ersten Aufenthaltes und hinsichtlich des Bescheides vom 29. Oktober 2019 bzgl. des zweiten Aufenthaltes. Die Überprüfungsanträge lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 7. Juli 2021 ab. Dagegen erhob die Klägerin unter dem 20. Juli 2021 Widersprüche, welche der Beklagte mit Widerspruchsbescheiden vom 1. Oktober 2021 – der Klägerin am 11. Oktober 2021 zugegangen – zurückwies.

Dagegen hat die Klägerin unter dem 11. November 2021 Klage beim Sozialgericht Berlin erhoben und verfolgt ihr Begehren weiter.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung der Überprüfungsbescheide vom 7. Juli 2019 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 1. Oktober 2019 zu verpflichten, den Bescheid vom 20. Juni 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. August 2019 sowie den Bescheid vom 21. August 20189 aufzuheben und wegen der stationären Behandlung des Patienten Herrn E. in der Zeit vom 26. Mai 2019 bis zum 27. Mai 2019 sowie vom 12. Juli 2019 bis zum 23. August 2019 insgesamt 1.516,09 Euro zu bewilligen.

 

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte trägt vor, dass es sich bei der stationären Aufnahme um eine Unterbringung und Sicherungsmaßnahme handele, so dass unter Berücksichtigung der Kenntnis der Ordnungsbehörde bereits am Sonntag, dem 26. Mai 2019, kein medizinischer Eilfall vorgelegen habe. Besondere Sicherungsmaßnahmen seien von dem Nothelferanspruch nicht erfasst. Denn der Kostenerstattungsanspruch des Nothelfers erfasse nicht sämtliche Leistungen, die eine Person benötige, um eine aktuelle Notlage abzuwenden. Die Sicherungsmaßnahmen bezweckten den Schutz der Allgemeinheit und der Gefahrenabwehr vor strafbaren Handlungen des Patienten.  Ein Kostenübernahmeanspruch gegenüber einem Sozialhilfeträger für die Unterbringung eines Hilfebedürftigen in einer stationären Einrichtung komme jedenfalls dann nicht mehr im Rahmen eines Nothelferanspruchs in Betracht, wenn der Aufenthalt in der Einrichtung dem Schutz der Allgemeinheit vor möglichen Straftaten des Betroffenen diente.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen. Diese haben der Kammer vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.

 

Entscheidungsgründe

 

Die als Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Klage ist begründet, soweit eine Übernahme der Kosten für die stationäre Krankenhausbehandlung des Patienten in der Zeit vom 26. Mai 2019 bis zum 27. Mai 2019 begehrt wird. Im Übrigen ist die Klage unbegründet.

1. Der Überprüfungsbescheid vom 7. Juli 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Oktober 2021, mit dem die Kostenübernahme für den stationären Aufenthalt des Patienten in der Zeit vom 26. Mai 2019 bis zum 27. Mai 2019 abgelehnt wird, ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 SGG). Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung der Kosten für die stationäre Krankenhausbehandlung des Patienten in der Zeit vom 26. Mai 2019 bis zum 27. Mai 2019 in Höhe von 577,92 Euro gegen den Beklagten.

Als Anspruchsgrundlage kommt allein § 25 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) in Betracht. Danach hat eine Person einen Anspruch auf Erstattung ihrer Aufwendungen in gebotenem Umfang, wenn sie in einem Eilfall einem anderen Leistungen erbracht hat, die bei rechtzeitigem Einsetzen der Sozialhilfe nicht zu erbringen gewesen wären, wenn sie sie nicht aufgrund rechtlicher oder sittlicher Pflicht selbst zu tragen hat. Dies gilt nur, wenn die Erstattung innerhalb angemessener Frist beim zuständigen Sozialhilfeträger beantragt wird. Der Anspruch richtet sich gegen den für die Sozialhilfeleistung zuständigen Sozialhilfeträger.

a) Der Beklagte war gem. § 98 Abs. 1 und 2 Satz 3 SGB XII zuständig. Danach ist bei einem Eilfall der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, in dessen Bereich sich der Leistungsberechtigte tatsächlich aufhält. Der Patient hielt sich ab dem Frühjahr des Jahres 2019 tatsächlich in Berlin auf. Er selbst gab an, nach einer dreijährigen Haftstraße, die er bis zum Februar 2019 verbüßt habe, sich in Berlin aufzuhalten. Auf den § 10a Abs. 3 Satz 4 AsylbLG und die Zuweisungsentscheidung der Landesdirektion Chemnitz vom 3. Mai 2011 kommt es wegen der Vorrangregelung des § 98 Abs. 2 Satz 3 SGB XII nicht an.

b) Ein medizinischer Eilfall lag am Sonntag, dem 26. Mai 2019 vor. Die sofortige medizinische Hilfe war durch die akute Intoxikation des Patienten durch mehrere Stimulanzien erforderlich. Ausweislich des Verlegungsberichtes fiel der Patient Passanten auf, weil er in den fließenden Verkehr gelaufen sei. Er habe verwirrt gewirkt, die Passanten laut angeschrien und sei verbal nicht erreichbar gewesen, weshalb die Polizei ihn in die Rettungsstelle brachte. Eine ärztliche Behandlung erfolgte auch mit der oralen Gabe des Medikaments H.

Gegen das Vorliegen eines medizinischen Eilfalles spricht nicht, dass beim Patienten gem. § 39 Psychisch Krankengesetz Berlin (PsychKG) besondere Sicherungsmaßnahmen erforderlich waren. Die Unterbringung einer Person nach dem PsychKG erfolgt nicht allein zum Schutz der Allgemeinheit und der Gefahrenabwehr, sondern dient auch der medizinischen Behandlung der untergebrachten Person. Dies folgt bereits aus § 16 PsychKG, der als Zweck der Unterbringung auch stets die Heilung, Besserung oder Linderung oder Verhütung einer Verschlimmerung der psychischen Krankheit oder der psychischen Störung der untergebrachten Person nennt. In diesem Sinne heißt es in der Gesetzesbegründung zu § 16 PsychKG, dass der Rehabilitationszweck gleichwertig neben dem Sicherungszweck stehe (vgl. Drs. 17/2696 vom 28. Januar 2016, S. 83 f.) Im Vordergrund steht nach der Rechtslage in Berlin der Gedanke der Fürsorge (§ 3 PsychKG) sowie der Krankenbehandlung (§ 10 PsychKG), wonach eine chancengleiche Beteiligung psychisch Kranker an der Gesundheitssicherung ermöglicht werden soll (so auch das OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30. Januar 2013, OVG 5 B 9.11, Rn. 30, juris; vgl. auch OLG Rostock, Beschluss vom 15. Dezember 2021, 4 W 31/21, Rn. 22 f., juris mit Verweis auf den fast gleichlautenden § 11 PsychKG MV).

Soweit der Beklagte dem mit Verweis auf das Urteil des SG Karlsruhe vom 27. Januar 2015, S 4 SO 4416/12, Rn. 35, juris entgegentritt, greift dieser Einwand nicht. Zwar hat das SG Karlsruhe ausgeführt, dass ein Kostenübernahmeanspruch gegen einen Sozialhilfeträger für die Unterbringung eines Hilfebedürftigen in einer stationären Einrichtung jedenfalls dann nicht mehr im Rahmen eines Nothelferanspruchs in Betracht kommt, wenn der Aufenthalt in der Einrichtung nicht mehr der Behandlung dient, sondern nur noch zum Schutz der Allgemeinheit vor möglichen Straftaten des Betroffenen. Ebenso wie in dem hiesigen Fall ging das SG Karlsruhe jedoch davon aus, dass bei der Aufnahme des Patienten ein Eilfall vorgelegen habe (SG Karlsruhe, a.a.O. Rn. 34) Strittig war dort, ob dieser Eilfall noch andauerte, als das Krankenhaus erkannt hatte, dass es den Patienten nicht weiter behandeln konnte und es nur noch um die Klärung einer weiteren Unterbringung des Patienten ging. Vorliegend war aber der medizinische Eilfall noch nicht beendet.

c) Am Sonntag, dem 25. Mai 2019, lag ebenfalls ein sozialhilferechtliches Moment vor. Das sozialhilferechtliche Moment erfordert, dass eine rechtzeitige Leistung des Sozialhilfeträgers objektiv nicht zu erlangen war, der Sozialhilfeträger also nicht eingeschaltet werden konnte (BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013, B 8 SO 13/12 R, Rn. 17, juris). Der Anspruch des Nothelfers besteht in Abgrenzung zum Anspruch des Hilfebedürftigen nur dann, wenn der Sozialhilfeträger keine Kenntnis vom Leistungsfall hat und ein Anspruch des Hilfebedürftigen gegen den Sozialhilfeträger (nur) deshalb nicht entsteht. Der Mangel der Kenntnis des Trägers der Sozialhilfe wird tatbestandlich von § 25 Satz 1 SGB XII vorausgesetzt („... bei rechtzeitigem Einsetzen der Sozialhilfe ...“), weil mit der Kenntnis i.S. des § 18 SGB XII bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen für einen Anspruch nach dem SGB XII die Sozialhilfe „einsetzt“ (BSG, Urteil vom 30. Oktober 2013, B 7 AY 2/12 R). Die Kenntnis des Sozialhilfeträgers bildet damit die Zäsur für die sich gegenseitig ausschließenden Ansprüche des Nothelfers und des Hilfebedürftigen. Ein Eilfall liegt deshalb nur dann vor, wenn keine Zeit zur Unterrichtung des zuständigen Sozialhilfeträgers verbleibt, um zunächst dessen Entschließung über eine Gewährung der erforderlichen Hilfe abzuwarten bzw. um die Voraussetzungen für die Gewährung von Sozialhilfe zu schaffen. Das war hier der Fall, da es der Klägerin am Sonntagabend unmöglich war, den Beklagten über den Hilfefall zu unterrichten, da keine Dienstbereitschaft bestand.

Die Kenntnis der Polizei über den medizinischen Eilfall schließt das sozialhilferechtliche Moment nicht. Für die Kenntnis nach § 18 SGB XII ist zwar nur erforderlich, dass der „Träger der Sozialhilfe“ Kenntnis erlangt hat. Träger der Sozialhilfe im Sinne des Gesetzes meint auch nicht die einzelne Dienststelle, d.h. nicht lediglich das Sozialamt, sondern die Gesamtverwaltung (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12. Januar 201, L 20 SO 569/10 B, Rn. 14, juris; Krohn, in: Hauck/Noftz SGB XII, 5. EL 2024, § 18 SGB 12, Rn. 7). Dies schließt auch das Jugendamt, das Gesundheitsamt, den Allgemeinen Sozialdienst oder die Betreuungsbehörden ein (vgl. zur Kenntnis der Ordnungsbehörde: LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 25. November 2020, L 12 SO 9/18; juris sowie zur Kenntnis des Zurführdienstes: VG Hamburg, Urteil vom 2. August 2023, 2 K 618/23, Rn. 30; juris). Auch diese Dienststellen des zuständigen Sozialhilfeträgers haben den gesetzlichen Auftrag, zugunsten hilfebedürftiger Menschen das Sozialamt einzuschalten. Die Polizei im organisatorischen Sinne ist in Berlin allerdings die „Polizei Berlin“ (vgl. § 5 Abs. 1 Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz [ASOG]). Ordnungsbehörden sind nach § 2 Abs. 2 und 3 ASOG die Senatsverwaltungen, die Bezirksämter und Sonderbehörden. Wegen des damit bestehenden organisatorischen Dualismus‘, gehört die Polizei Berlin gerade nicht zu der von § 18 SGB XII gemeinten Verwaltung (vgl. auch die Rechtsprechung zu Konstellationen in denen die Kenntnis der Polizei nicht ausreichte, ohne es explizit zu entscheiden: LSG Hamburg, Urteil vom 6. Mai 2021, L 4 SO 46/20, Rn. 12; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22. Juni 2017, L 9 SO 137/15, Rn. 43; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20. Oktober 2016, L 7 SO 2156/13, alle zitiert nach juris).

d) Der Patient war auch hilfebedürftig. Der Anspruch nach § 25 SGB XII setzt das Vorliegen aller weiteren Voraussetzungen eines Anspruchs des Betroffenen, insbesondere die Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB XII, voraus. Die Beweislast für das Vorliegen dieser Voraussetzungen trägt der Nothelfer (BSG, Urteil vom 18. November 2014, B 8 SO 9/13 R, Rn. 17, juris) und zwar selbst dann, wenn der Sozialhilfeträger den Sachverhalt nicht in hinreichender Weise aufklärt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. Dezember 1996, 5 B 202/95, juris). Denn dem Krankenhaus obliegt es schon nach den Vorschriften des Fünften Buch Sozialgesetzbuch, bei Aufnahme eines Patienten sich auch über den Krankenversicherungsstatus des Patienten, kurz über die Finanzierung der Behandlung, Sicherheit zu verschaffen. Kommt es zu dem Schluss, dass die Kostentragung durch eine Krankenversicherung zweifelhaft ist, obliegt es ihm, den Sozialhilfeträger entsprechend zu informieren (BSG, Urteil vom 23. August 2013, B 8 SO 19/12 R, Rn. 20 ff.; juris). Verschafft aber das Krankenhaus dem Sozialhilfeträger die Kenntnis vom Eilfall, obliegt dem Sozialhilfeträger – nicht anders als im Falle der Vermittlung der Kenntnis durch den Hilfebedürftigen selbst – die weitere Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen (BSG, Urteil vom 18. November 2014, B 8 SO 9/13 R, Rn. 17; juris; Urteil vom 23. August 2013, B 8 SO 19/12 R, Rn. 24; juris). Kommt der Sozialhilfeträger seiner Ermittlungspflicht nur unzureichend nach, muss er dies im Rahmen der Beweiswürdigung gegen sich gelten lassen. Dabei bleibt es dem Tatsachengericht im Rahmen seiner freien richterlichen Beweiswürdigung überlassen, je nach den Besonderheiten des maßgebenden Einzelfalls schon einzelne Beweisanzeichen, im Extremfall ein Indiz für die Feststellung einer Tatsache oder der daraus abgeleiteten Bejahung der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs ausreichen zu lassen (LSG Hamburg, Urteil vom 28. April 2022, L 4 SO 18/21, L 4 SO 30/21, L 4 SO 40/21; jeweils unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 27. Mai 1997, 2 RU 38/96, Rn. 23 f., alle zitiert nach juris).

Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe steht nach Überzeugung der Kammer fest, dass der Patient hilfebedürftig war. Der Patient wies im Zeitpunkt der Krankenhausaufnahme eine akute Intoxikation durch mehrere Stimulanzien auf. Bei ihm wurde eine psychotische Störung (F 15.5) diagnostiziert und es erfolgte eine Intensivbehandlung bei psychischen und psychosomatischen Störungen (OPS 9-61B). Weitere Krankenhausaufenthalte fanden am 1. Juni 2019 bis 3. Juni 2019, am 6. Juni 2019, am 20. Juni 2019 bis zum 27. Juni 2019 in der Friedrich von Bodelschwingh-Klinik statt. Am 17. Oktober 2019 wurde Rechtsanwalt Dr. B. zum Betreuer des Patienten bestellt. Eine Erwerbstätigkeit war dem Patienten nicht gestattet, dies geht aus der Bescheinigung des Landratsamtes Bautzen vom 14. November 2019 über den vorübergehenden Aufenthalt ohne amtliches Aufenthaltsdokument hervor. Er gab selbst an, seinen Lebensunterhalt durch das Sammeln von Flaschen und Spenden von Freunden bestritten zu haben. Diese Umstände sprechen dafür, dass der Patient in prekären Verhältnissen gelebt hat und keiner Erwerbstätigkeit nachging. Das Vorhandensein von Vermögen hat der Patient verneint, dies ist angesichts der Lebensumstände auch überzeugend. Nach dem der Patient aus dem Krankenhaus des Maßregelvollzuges Berlin Asylbewerberleistungen beantragt hatte, ging auch der Beklagte im Juli 2020 davon aus, dass der Patient hilfebedürftig war und gewährte seit dem 1. Juli 2020 Sozialhilfe.

Anhaltspunkte für eine Anrechnung von Einkommen des Partners wegen des Bestehens einer Bedarfsgemeinschaft liegen nicht vor. Der Gesetzgeber knüpft nicht an jedes Zusammenleben von einander nicht zur materiellen Unterstützung verpflichteten Personen unter einem Dach die dargestellten Rechtsfolgen, sondern lediglich an das Zusammenleben in einer Bedarfsgemeinschaft. Die Bedarfsgemeinschaft ist als eine Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft zu verstehen, die über die Beziehungen in einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgeht. Im Anschluss an diese Rechtsprechung schließt der Gesetzgeber bei Vorliegen bestimmter typisierter (familiär geprägter) Lebensumstände auf (typisierte) Haushaltseinsparungen und Unterstützungsleistungen innerhalb der Gemeinschaft, die die Gewährung staatlicher Hilfe nicht oder nur noch in eingeschränktem Umfang gerechtfertigt erscheinen lassen. Vor dem Hintergrund der dargestellten staatlichen Verpflichtung aus Art. 1 i.V.m. Art. 20 GG bedarf es indes einer besonderen Rechtfertigung, weshalb typisierend von so engen Bindungen ausgegangen werden kann, dass von den Mitgliedern dieser Gemeinschaft ein Einstehen in den Not- und Wechselfällen des Lebens erwartet werden kann. Eine entsprechende gesetzgeberische Typisierung muss in den Lebensumständen der (ansonsten ggf.) hilfebedürftigen Personen im Einzelfall ihren Niederschlag finden (BSG, Urteil vom 14. März 2012, B 14 AS 17/11 R, Rn. 23; juris). Das bloße Bestehen einer Partnerschaft reicht dafür nicht. Der Partner hatte den Patienten nach eigenen Angaben bei sich wohnen lassen, eine polizeiliche Anmeldung erfolgte nicht. Auch gab der der Patient an, „Spenden“ von Freunden zu erhalten. Ein besonderes Einstehen des Partners für das finanzielle Auskommen des Patienten kann darin nicht gesehen werden. Auch liegen keine Erkenntnisse dazu vor, ob der Patient und sein Partner gemeinsam gewirtschaftet hatten und füreinander Verantwortung übernehmen wollten. Der Partner gab an, selbst Angst vor dem Patienten zu haben.

Die geltend gemachten Kosten der Klägerin entsprechen ersichtlich auch dem gebotenen Umfang.

2. Im Übrigen bleibt die Klage erfolglos. Der Überprüfungsbescheid vom 7. Juli 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Oktober 2021, mit dem die Kostenübernahme für den stationären Aufenthalt des Patienten in der Zeit vom 12. Juli 2019 bis zum 23. August 2019 abgelehnt wird, ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 SGG). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung der Kosten für die stationäre Krankenhausbehandlung des Patienten in der Zeit vom 12. Juli 2019 bis zum 23. August 2019 in Höhe von 938,17 Euro gegen den Beklagten.

Ein Anspruch nach § 25 SGB XII besteht nicht, da die Klägerin bereits am 12. Juli 2019 dem Beklagten Kenntnis hätte verschaffen können. Auch bei einer erst späteren tatsächlichen Kenntnisverschaffung ist der Anspruch bereits ab dem Tag ausgeschlossen, an dem die Obliegenheit zur Kenntnisverschaffung bei dem dienstbereiten Beklagten bestand (vgl. BSG, Urteil vom 18. November 2014, B 8 SO 9/13 R, Rn. 16, juris; Waldhorst-Kahnau, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, Stand: 1. Mai 2024, § 25 Rn. 26 ff.). Der Patient wurde am 12. Juli 2019, einem Freitag, um 9:44 Uhr von der Klägerin aufgenommen. Der Beklagte hätte noch am Freitag bis zum Dienstschluss informiert werden können.

Es kommt auch nicht darauf an, ob eine Entscheidung über die Leistungsgewährung aus medizinischen Gründen nicht abgewartet werden konnte. Vielmehr fehlt es am sozialhilferechtlichen Moments eines Eilfalles im Sinne des § 25 Satz 1 SGB XII, wenn dem dienstbereiten Sozialhilfeträger Kenntnis verschafft wird oder die Obliegenheit zur Kenntnisverschaffung bestanden hat mit der Folge, dass sowohl für den gesamten Tag der Kenntnisverschaffung bzw. der Obliegenheit hierzu sowie für die Folgetage ein Anspruch ausscheidet (vgl. BSG a.a.O.). Es besteht auch dann kein Raum für eine Erstattung von Aufwendungen des Nothelfers auf der Grundlage des § 25 SGB XII, wenn dieser die entstandenen Kosten letztlich deshalb nicht erhält, weil der Leistungsberechtigte die Sozialhilfeleistung tatsächlich nicht in Anspruch nimmt. Das Risiko hierfür hat der Nothelfer wie jeder andere Hilfeleistende selbst zu tragen. Der Gesetzgeber ist auch dem Vorschlag des Gesundheitsausschusses im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens zum Gesetz zur Reform des Sozialhilferechts vom 23. Juli 1996 (BGBl. I, S. 1088), § 121 Bundessozialhilfegesetz – der Vorgängerregelung des § 25 SGB XII – den Satz „Mit Zustimmung des Leistungsberechtigen sind die Aufwendungen auch für den Zeitraum bis zur Entscheidung über die Gewährung von Sozialhilfe zu erstatten; […]“ anzufügen (siehe BT-Drs. 13/3904, S. 22, 48) gerade nicht gefolgt (vgl. BSG, Urteil vom 30. Oktober 2013, B 7 AY 2/12 R, Rn. 19; juris).

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und dem Ausgang des Verfahrens.

 

 

 

 

Rechtskraft
Aus
Saved