L 10 KR 10005/21

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Abteilung
10.
1. Instanz
SG Itzehoe (SHS)
Aktenzeichen
S 20 KR 499/18
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 10 KR 10005/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Die zeitgleiche Versorgung mit einem Rollstuhl und einem Rehabuggy zum mittelbaren Behinderungsausgleich stellt für einen Versicherten, der beide Hilfsmittel nicht selbständig zur Fortbewegung nutzen kann, eine funktionsgleiche Mehrfachversorgung dar.

2. Eine funktionsgleiche Mehrfachversorgung ist neben den Voraussetzungen in A. § 6 Abs 8 HilfsM-RL nur möglich, wenn das bereits vorhandene Hilfsmittel nicht oder nur unzumutbar schwer transportiert werden kann.

3. Soweit Gründe in der Konstitution der für die Nutzung des Hilfsmittels notwendigen Begleitperson sich auf den Anspruch eines Versicherten auf ein Hilfsmittel oder dessen Ausstattung im Einzelfall auswirken können, begründen solche bei einer Nutzung eines Rehabuggys im Vergleich zur Nutzung eines Rollstuhls in der Regel keinen Anspruch auf eine funktionsgleiche Mehrfachversorgung.

4. Ein Anspruch auf einen Rehabuggy neben einem Rollstuhl kann zur Sicherung der sozialen Teilhabe bestehen, wenn er für Aktivitäten genutzt wird, für die ein Rollstuhl konstruktionsbedingt nicht eingesetzt werden kann.

 

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 3. Mai 2021 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Kosten sind im Klage- und Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 

Streitig ist die Kostenerstattung für einen Rehabuggy.

 

Bei dem bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherten Kläger (geb ________ 2004) besteht eine spastisch-dystone Cerebralparese (ICD-10 G80.8) mit Entwicklungsretardierung, Anfallsleiden und Kleinwüchsigkeit. Eine selbständige Fortbewegung ist dem Kläger nicht möglich. Ihm wurden ein GdB von 100 sowie die Merkzeichen aG, G, H und B zuerkannt; außerdem erhält er Pflegeleistungen (MDK-Gutachten vom 31. März 2011; Pflegestufe III) und wurde 2018 zu Lasten der Beklagten mit einem Swingbo VTI Rollstuhl (HMV 18.50.03.2011) versorgt.

 

Nach der Verordnung eines Rehabuggys nach Maß (durch die Fachärzte für Orthopädie Prof. Dr. D____ ua vom 22. Mai 2018) legte der Leistungserbringer A___________ H______ der Beklagten einen elektronischen Kostenvoranschlag iHv 2.248,28 Euro brutto für einen Rehabuggy Multiroller mit eingh. Sitz, Rückenverlängerung, Fußbank mit Verlängerung, Fußriemen, Ablagetasche (ArtNr HMV 18.99.01.1045) vor (Kostenvoranschlag vom 24. Mai 2018). Die Beklagte lehnte die Kostenübernahme ab (Bescheid vom 1. Juni 2018, Widerspruchsbescheid vom 27. Sep­tember 2018, Mitteilung an Leistungserbringer vom 1. Juni 2018).

 

Auf die am 25. Oktober 2018 bei dem Sozialgericht (SG) Itzehoe eingegangene Klage hat das SG Beweis erhoben durch ein Sachverständigengutachten der Fachärztin für Chirurgie, Unfallchirurgie und Orthopädie, Sozialmedizin Dr. S_______ (Gutachten vom 23. April 2020). Diese hat festgestellt, der Rehabuggy habe gegenüber dem Kinderrollstuhl keinen medizinisch relevanten Gebrauchsvorteil. Insbesondere eröffne er dem Kläger gegenüber dem Kinderrollstuhl keine weitergehende Möglichkeit, sich einen körperlichen Freiraum zu erschließen. Im Übrigen seien weder ein Rollstuhl noch ein Rehabuggy für einen behinderten Menschen geeignet, mit ihnen Treppen zu bewältigen.

 

Das SG Itzehoe hat der Klage mit Urteil vom 3. Mai 2021 dennoch stattgegeben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger den im Kostenvoranschlag vom 24. Mai 2018 benannten Rehabuggy zu gewähren. Dieser diene dem mittelbaren Behinderungsausgleich und sei für den Kläger notwendig, um die ihn behandelnden Ärzte zu erreichen. Seinen Eltern sei es nicht zumutbar, den unhandlichen Kinderrollstuhl mit einem Gewicht von 20 kg in den ersten Stock zu tragen. Der Inklusionsgedanke schließe es aus, ihn auf die Nutzung von Lastenrollstühlen zu verweisen. Eine Doppelversorgung liege nicht vor.

 

Gegen das ihr am 19. August 2021 zugestellte Urteil richtet sich die am 30. August 2021 eingelegte Berufung der Beklagten. Sie betont, als Krankenkasse im Bereich des mittelbaren Behinderungsausgleichs nur für einen Basisausgleich von Behinderungsfolgen eintrittspflichtig zu sein und hält an ihrer Auffassung fest, dass die Versorgung mit einem Rehabuggy zur Befriedigung des Grundbedürfnisses auf Erschließung eines körperlichen Freiraums (Bewegungsmöglichkeit in der eigenen Wohnung und im umliegenden Nahbereich) eine unwirtschaftliche und daher unzulässige Mehrfachversorgung mit einem funktionsgleichen Hilfsmittel sei. Die Mobilität des Klägers sei mit dem Kinderrollstuhl gewährleistet. Sie stützt sich bei dieser Bewertung auch auf das Gutachten von Dr. S______. Nach Schließung der alten Kinderarztpraxis sei die den Kläger nunmehr versorgende Praxis (Dr. H1______ in P_______) barrierefrei zugänglich. Da Leistungen der Osteopathie grundsätzlich keine von ihr zu erbringenden Leistungen seien, habe sie auch nicht den Transport zu Praxen mit diesem Angebot sicherzustellen. Die Teilnahme an sozialen Veranstaltungen sei erstmals im Juni 2024 vorgetragen worden.

 

Auf Antrag der Beklagten vom 12. April 2022 hat der Senat die Vollstreckung des Urteils vom 3. Mai 2021 vorläufig ausgesetzt, da ausgehend von der Anspruchsgrundlage in § 33 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) im Bereich des mittelbaren Behinderungsausgleichs das Grundbedürfnis auf Erschließung eines körperlichen Freiraums die Bewegungsmöglichkeit in der eigenen Wohnung und in einem umliegenden – abstrakt zu bestimmenden – Nahbereich umfasse. Diesen abstrakten Nahbereich könne der Kläger sich im Rollstuhl sitzend mit Hilfe seiner Eltern erschließen. Für den Transport zu Arztpraxen sei die Beklagte nach § 60 Abs 1 Satz 2, Abs 2 Satz 1 Nr 4 SGB V iVm § 8 Abs 3 der Krankentransport-Richtlinie des G-BA zuständig. Im Übrigen ermögliche auch ein Rehabuggy keine Erweiterung der Mobilität, da der Kläger auch nicht in diesem Hilfsmittel sitzend, sondern nur von diesem getrennt getragen werden könne (Beschluss vom 6. Mai 2022 – L 10 KR 7/22).

 

Die Beklagte beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 3. Mai 2021 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

 

 

Der Kläger beantragt,

 

            die Berufung zurückzuweisen.

 

Der Kläger vertieft seine bisherige Argumentation. Bei der Entscheidung seien der „neue Behinderungsbegriff“ (BSG, Urteil vom 7. Mai 2020 – B 3 KR 7/19 R) sowie das Recht auf persönliche Mobilität aus Art 20 und ein sicherzustellendes Höchstmaß an Unabhängigkeit gemäß Art 26 Abs 1 der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) zu berücksichtigen. Danach dürfe das Grundbedürfnis des Nahbereichs nicht zu eng gefasst werden in Bezug auf die Art und Weise, wie sich Versicherte den Nahbereich der Wohnung zumutbar und in angemessener Weise erschließen. Ein Versorgungsanspruch komme bereits in Betracht, wenn das Hilfsmittel wesentlich dazu beitrage oder dem Versicherten zumindest maßgebliche Erleichterung verschaffe, sein Umfeld in zumutbarer und angemessener Weise zu erschließen. Der vorhandene Kinderrollstuhl könne zwar mit dem PKW seiner Mutter transportiert werden, sei jedoch nicht zur Mitnahme in dem PKW seines Vaters geeignet. Der alte Rehabuggy sei zu klein. Der Rehabuggy diene seinem Transport am Zielort, dh zu nicht barrierefreien Arztpraxen mit Treppen. Seine Mutter könne ihn und den Rehabuggy nur getrennt, sein Vater hingegen könne ihn in dem Rehabuggy sitzend eine Treppe hochtragen. Der Rehabuggy könne außerdem anstelle des sperrigen Rollstuhls auch für die Bewältigung kurzer Wege genutzt werden. Ferner unternehme er seit einigen Jahren diverse Aktivitäten (Kegeln, Jugendclub, Diskothek und U- bzw S-Bahnfahren), für die er den zwischenzeitlich beschafften Rehabuggy nutze.

 

Der Kläger hat sich zwischenzeitlich den Rehabuggy Josi-Wismi (HMV 18.99.01.2092) selbst beschafft (Rechnung vom 30. August 2022: 3.600 Euro).

 

Der Senat hat mit Beschluss vom 22. Juli 2024 den Kreis Pinneberg beigeladen. Dem Kläger wird von diesem als Leistung der Eingliederungshilfe ein persönliches Budget gewährt (Bescheid vom 1. Juli 2024: monatlich 1.726,85 Euro ohne Kostenbeteiligung des Klägers), das er für Begleitung zu Freizeitaktivitäten nutzt. Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und nicht zur Sache vorgetragen.

 

Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge der Beklagten vorgelegen. Für die weiteren Einzelheiten wird auf die aktenkundigen Unterlagen und Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen. Sie sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

 

Entscheidungsgründe

 

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG) eingegangen, und begründet.

 

1. Gegenstand des Berufungsverfahrens sind zum einen das Urteil des Sozialgerichts, durch das die Beklagte zu der von dem Kläger beantragten Versorgung mit einem Rehabuggy verurteilt worden ist, und zum anderen der Bescheid der Beklagten vom 1. Juni 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. September 2018, durch den die begehrte Versorgung mit einem Rehabuggy abgelehnt worden ist. Nachdem sich der Kläger im August 2022 auf eigene Kosten einen Rehabuggy verschafft hat, ist sein Klagebegehren zulässigerweise auf Kostenerstattung gerichtet, ohne dass eine Klageänderung vorliegt (vgl § 99 Abs 3 Nr 3 SGG; BSG, Urteil vom 7. Mai 2020 – B 3 KR 7/19 R – juris Rn 10). Für sein Begehren ist eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG) statthaft. Dabei ist maßgeblich auf die Sach- und Rechtslage abzustellen, die im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung – im Fall des Klägers August 2022 –vorliegt bzw gültig ist (BSG, Urteil vom 18. Mai 2011 – B 3 KR 12/10 R – juris Rn 8 zu Leistungen nach dem SGB V; BSG, Urteil vom 2. Februar 2012 – B 8 SO 9/10 R – juris Rn 19 zu Leistungen der Eingliederungshilfe).

 

2. Das Sozialgericht hat der Klage mit Urteil vom 3. Mai 2021 zu Unrecht stattgegeben. Die Beklagte lehnte einen Anspruch des Klägers auf die Versorgung mit dem im Kostenvoranschlag vom 24. Mai 2018 genannten Rehabuggy mit ihrem Bescheid vom 1. Juni 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. September 2018 zu Recht ab mit der Folge, dass dem Kläger für die zwischenzeitlich im August 2022 erfolgte Selbstbeschaffung des Rehabuggy Josi-Wismi kein Kostenerstattungsanspruch gegen die Beklagte zusteht.

 

3. Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruchs auf Kostenerstattung für die im August 2022 erfolgte Selbstbeschaffung ist § 18 Abs 6 Satz 1 Alt 2 iVm Satz 2 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX; in der ab 1. Januar 2018 geltenden Fassung durch das Bundesteilhabegesetz vom 23. Dezember 2016, BGBl I S 3234). Danach sind dann, wenn ein Rehabilitationsträger eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch Leistungsberechtigten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, diese in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Der Anspruch auf Erstattung richtet sich gegen den Rehabilitationsträger, der zum Zeitpunkt der Selbstbeschaffung über den Antrag entschieden hat. Zuständig für die Kostenerstattung ist daher die Beklagte (vgl § 18 Abs 6 Satz 2 SGB IX; § 13 Abs 3 Satz 2 SGB V). Ob die begehrte Leistung zu Unrecht abgelehnt wurde, richtet sich nach dem für den jeweiligen Rehabilitationsträger geltenden Leistungsrecht. Der ursprüngliche Sachleistungsanspruch wandelt sich dann in einen Kostenerstattungsanspruch um (vgl nur BSG, Urteil vom 7. Mai 2020 – B 3 KR 7/19 R – Rn 11). Maßstab für einen Kostenerstattungsanspruch ist dabei der Grundsatz, dass über die Geltendmachung einer Kostenerstattung kein weitergehender Anspruch erreicht werden kann als bei einer Versorgung mit einer Sachleistung, die den Regelfall der Versorgung darstellt (vgl § 2 Abs 2 Satz 1 SGB V). Ein Kostenerstattungsanspruch setzt daher – ua neben dem Versicherten tatsächlich entstandenen Kosten – voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die gesetzlichen Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben, und zwischen der rechtswidrigen Ablehnung und der Kostenlast des leistungsberechtigten Versicherten ein Ursachenzusammenhang besteht (vgl BSG, Urteil vom 18. Dezember 2018 – B 1 KR 34/17 R – juris Rn 10; BSG Urteil vom 7. Mai 2020 – B 3 KR 7/19 R – juris Rn 11).

 

Anhaltspunkte für eine anspruchsausschließende Vorfestlegung des Klägers vor der Entscheidung der Beklagten liegen angesichts des zeitlichen Ablaufs – Antragstellung 2018, Selbstbeschaffung 2022 – nicht vor.

 

4. Rechtsgrundlage für einen Sachleistungsanspruch des Klägers auf Versorgung mit dem Hilfsmittel Rehabuggy sind § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB V sowie § 33 SGB V. Nach § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs 4 SGB V ausgeschlossen sind.

 

a) Bei der Erforderlichkeit eines Hilfsmittels zum Behinderungsausgleich iS der hier einschlägigen dritten Variante von § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V (vgl hierzu auch die Regelung in § 47 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB IX) wird nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung weiterhin zwischen dem unmittelbaren Behinderungsausgleich, bei dem das Hilfsmittel unmittelbar dem Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion selbst dient, und dem mittelbaren Behinderungsausgleich, bei dem das Hilfsmittel zum Ausgleich der direkten und indirekten Behinderungsfolgen eingesetzt wird, unterschieden. Diese Differenzierung ist notwendig, weil unter Einbeziehung einer historischen Betrachtung unzweifelhaft ist, dass der Ausfall einer Körperfunktion den Krankheitsbegriff in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erfüllt und es daher zum Aufgabenbereich der GKV gehört, ausgefallene oder beeinträchtigte Körperfunktionen soweit wie möglich wiederherzustellen oder zu verbessern. Beim mittelbaren Behinderungsausgleich geht es demgegenüber darum, einem behinderten Menschen, dessen Funktionsbeeinträchtigung durch medizinische Maßnahmen einschließlich des Einsatzes von Hilfsmitteln nicht weiter behoben werden kann, das Leben mit den Folgen dieser Beeinträchtigung zu erleichtern. Dabei liegt es auf der Hand, dass es nicht Aufgabe der GKV sein kann, jegliche Behinderungsfolgen in allen Lebensbereichen auszugleichen. So ist es beispielsweise Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme, einen Ausgleich für spezielle berufliche Anforderungen zu schaffen. Es ist auch nicht Sache der GKV, alle Auswirkungen der Behinderung beispielsweise im Hinblick auf spezielle Sport- oder Freizeitinteressen durch Hilfsmittel auszugleichen (vgl hierzu ua BSG, Urteil vom 6. Februar 1997 – 3 RK 3/96 – Druckbeatmungsgerät für Campingurlaub; BSG, Urteil vom 25. Juni 2009 – B 3 KR 10/08 R – Salzwasserprothese; BSG, Urteil vom 18. Mai 2011 – B 3 KR 10/10 R – Sportrollstuhl; BSG, Urteil vom 21. März 2013 – B 3 KR 3/12 R – jeweils juris; BSG Urteil vom 7. Mai 2020 – B 3 KR 7/19 R – juris Rn 27 Spezialtherapierad). Auch nach dem der Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen gewidmeten SGB IX ist die GKV nur für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie für unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen, nicht aber für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und für Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zuständig (vgl hierzu die Regelungen in § 6 Abs 1 Nr 1 iVm § 5 Nrn 1 und 3 SGB IX).

 

b) Dabei ist ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich von der GKV zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mindert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft (vgl hierzu auch die Regelung in § 47 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB IX). Zu diesen elementaren Grundbedürfnissen eines Menschen gehören das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, die Nahrungsaufnahme, das Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbständige Wohnen sowie das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums. Zum Grundbedürfnis der Erschließung eines geistigen Freiraums gehört ua die Aufnahme von Informationen, die Kommunikation mit anderen Menschen sowie das Erlernen eines lebensnotwendigen Grundwissens bzw eines Schulwissens. Zur Erschließung des körperlichen Freiraums gehört insbesondere die Fähigkeit, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und sie zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang "an die frische Luft zu kommen" oder um die – üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden – Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind (Versorgungswege, zB Supermarkt, Arzt, Apotheke, Geldinstitut, Post), nicht aber die Bewegung außerhalb dieses Nahbereichs (ua BSG, Urteil vom 18. April 2024 – B 3 KR 13/22 R – juris Rn 26 mwN). Soweit für den Radius des Nahbereichs früher typisierend auf einen für nicht behinderte Menschen zu Fuß erreichbares Umfeld abgestellt wurde (vgl hierzu beispielhaft BSG, Urteil vom 16. September 2004 – B 3 KR 10/03 R – juris; BSG, Urteil vom 7. Mai 2020 – B 3 KR 7/19 R – Rn 28), wird mittlerweile dem in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherten Risiko des Verlusts der Gehfähigkeit ein Radius über die Wege zur Erledigung der bisher anerkannten maßgeblichen Alltagsgeschäfte hinaus zugeordnet, wenn die Fortbewegung unter Einsatz der eigenen (Rest-)Körperkraft erfolgen soll. Damit werden die bisher als Freizeitwege umschriebenen Wege zur Aufrechterhaltung der körperlichen Vitalfunktionen und der Erschließung des für die seelische Gesundheit elementaren geistigen Freiraums dem zwischenzeitlich veränderten Bewegungsverhalten vieler nicht mobilitätsbeeinträchtigter Personen angeglichen, sofern Versicherte den anzuerkennenden Nahbereich der Wohnung in Ausübung ihres Wunsch- und Wahlrechts (§ 8 SGB IX) unter Einsatz ihrer Körperkraft, zB mit einem Handkurbelrollstuhlzuggerät, erschließen möchten (BSG, Urteil vom 18. April 2024 – B 3 KR 13/22 R – juris Rn 30: offen gelassen für rein motorgetriebene Mobilitätshilfen).

 

c) Bei der Prüfung eines Anspruchs auf ein Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich darf das zu befriedigende Grundbedürfnis der Erschließung des Nahbereichs nicht zu eng gefasst werden in Bezug auf die Art und Weise, wie sich Versicherte den Nahbereich der Wohnung zumutbar und in angemessener Weise erschließen. Dies folgt unter Beachtung der Teilhabeziele (vgl § 11 Abs 2 Satz 3 SGB V, § 1 SGB IX), insbesondere ein selbstbestimmtes und selbständiges Leben zu führen, aus dem verfassungsrechtlichen Benachteiligungsverbot des Art 3 Abs 3 Satz 2 GG als Grundrecht und objektive Wertentscheidung iVm dem Recht auf persönliche Mobilität nach Art 20 UN-Behindertenrechtskonvention. Dem ist dadurch Rechnung zu tragen, dass im Rahmen des Behinderungsausgleichs zu prüfen ist, ob der Nahbereich ohne ein Hilfsmittel nicht in zumutbarer und angemessener Weise erschlossen werden kann und insbesondere durch welche Ausführung der Leistung diese Erschließung des Nahbereichs für einen behinderten Menschen durch ein Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich verbessert, vereinfacht oder erleichtert werden kann. Hinzu kommt ggf die Prüfung, ob eine über den Nahbereich hinausgehende Mobilität zur Wahrnehmung eines anderen Grundbedürfnisses notwendig ist. Dabei ist dem Wunsch- und Wahlrecht des behinderten Menschen (vgl § 8 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB IX iVm § 33 SGB I) volle Wirkung zu verschaffen. Dies bedeutet auch, dass die Leistung dem Leistungsberechtigten viel Raum zu eigenverantwortlicher Gestaltung der Lebensumstände lässt, die Selbstbestimmung fördert (vgl § 9 Abs 3 SGB IX aF) und behinderte Personen weitgehend unabhängig von fremder Hilfe sein lässt. Der Anspruch auf ein Hilfsmittel der GKV zum Behinderungsausgleich ist danach nicht von vornherein auf einen Basisausgleich im Sinne einer Minimalversorgung beschränkt. Vielmehr kommt ein Anspruch auf Versorgung im notwendigen Umfang bereits in Betracht, wenn das begehrte Hilfsmittel wesentlich dazu beiträgt oder zumindest maßgebliche Erleichterung verschafft, Versicherten auch nur den Nahbereich im Umfeld der Wohnung in zumutbarer und angemessener Weise selbständig und ohne Hilfe durch Dritte oder gar fremde Personen zu erschließen (BSG, Urteil vom 7. Mai 2020 – B 3 KR 7/19 R – Rn 29 – 31 mwN; BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 30. Januar 2020 – 2 BvR 1005/18 – juris Rn 42 zur Mitnahme eines Führhundes bei Blindheit, um Anfassen oder Führen durch fremde Dritte zu vermeiden).

 

Die Bewegungsmöglichkeit in der eigenen Wohnung und im umliegenden Nahbereich wird gehbehinderten Personen regelmäßig – wie im Fall des Klägers – durch einen Rollstuhl gewährleistet und ggfs durch Hilfsmittel ergänzt, die mit eigener (Rest-)Körperkraft genutzt werden können wie Therapieräder (dem Grunde nach BSG, Urteil vom 7. Mai 2020 – B 3 KR 7/19 R – juris) oder Rollstuhlzuggeräte (zur selbständigen schmerzfreien Erledigung von wesentlichen Versorgungs- und Gesunderhaltungswegen BSG, Urteil vom 18. April 2024 – B 3 KR 13/22 R – juris Rn 18).

 

d) Angesichts der bereits im Jahr 2018 erfolgten und im August 2022 immer noch vorhanden gewesenen Versorgung des Klägers mit einem Swingbo VTI Rollstuhl (HMV 18.50.03.2011), mit dem er sich zwar nicht selbständig fortbewegen konnte, der es aber ermöglichte, ihn mit Hilfe einer Begleitperson zwischen zwei Standorten zu bewegen, wurde der Kläger bereits mit einem Hilfsmittel zur Befriedigung des Grundbedürfnisses, sich einen körperlichen Freiraum im Nahbereich zu erschließen, vorsorgt. Ein Rehabuggy, den er nicht mit eigener (Rest-)Körperkraft, sondern ebenfalls nur mit Hilfe einer Begleitperson nutzen kann, dient demselben Grundbedürfnis. Diese Überzeugung stützt der Senat auf das Gutachten von Dr. S______ (verwertet im Wege des Sachverständigenbeweises - § 118 Abs 2 SGG iVm §§ 402ff ZPO) und die eingesehenen Produktinformationen für die beiden Hilfsmittel Rehabuggy und Rollstuhl Swingbo VTI. Die Sachverständige hat dabei unter Würdigung der Beeinträchtigungen des Klägers überzeugend ausgeführt, dass der Rehabuggy dem Kläger keinen medizinisch relevanten Gebrauchsvorteil verschaffe. Auch soweit der Rehabuggy Josi-Wismi sich für den Außenbereich auf befestigten und unbefestigten Wegen, gepflasterten Gehwegen sowie auf Fahrradwegen eignet (Gebrauchsanleitung für Fachhandel und Nutzer – Josi-Wismi Rehakarre, Stand Mai 2022, Seite 3), begründet allein dieser Umstand aus Sicht des Senats keinen Anspruch des Klägers auf Versorgung nach § 33 Abs 1 SGB V gegen die Beklagte im August 2022. Denn der Swingbo VTI Rollstuhl mit den Antriebsrädern und Lenkrädern ist auch für den Außenbereich geeignet, ohne dass Einschränkungen für die Verwendung auf unbefestigten Untergründen gelistet werden (Hoggi - Swingbo VTI – Serviceanleitung, Seite 8). Ein den Behinderungsausgleich (§ 33 Abs 1 Satz 1 Var 3 SGB V) ergänzender therapeutischer Nutzen dieses Hilfsmittels zur Sicherung des Erfolges einer Krankenbehandlung (§ 33 Abs 1 Satz 1 Var 1 SGB V) oder zur Vorbeugung einer drohenden Behinderung (§ 33 Abs 1 Satz 2 Var 2 SGB V) sind schließlich weder vorgetragen noch nach Aktenlage ersichtlich. Im Ergebnis stellt damit eine mit einem Rollstuhl zeitgleiche Versorgung mit einem Rehabuggy im Fall des Klägers eine funktionsgleiche Mehrfachversorgung dar.

 

e) Ein Anspruch des Klägers auf eine solche ist aber nicht gegeben. Denn es liegen weder eine der anerkannten Konstellationen für einen Anspruch auf eine funktionsgleiche Mehrfachversorgung <dazu aa)> noch andere Gründe – zB in der Konstitution der Begleitperson <dazu bb)> oder in dem Alter und Entwicklungsstand des Klägers <dazu cc)> - vor.

 

aa) Zunächst ist keiner der in der Hilfsmittelrichtlinie anerkannten Gründe für eine Mehrfachversorgung mit funktionsgleichen Hilfsmitteln zu bejahen. Nach A. § 6 Abs 8 Hilfsmittelrichtlinie (HilfsM-RL) (in der hier maßgeblichen Fassung vom 21. Dezember 2011/15. März 2012, zuletzt geändert am 18. März 2021 veröffentlicht im Bundesanzeiger (BAnz AT 15.04.2021 B3) in Kraft getreten am 1. April 2021) kann eine Mehrfachausstattung mit funktionsgleichen Hilfsmitteln (nur) dann verordnet werden, wenn dies aus medizinischen, hygienischen oder sicherheitstechnischen Gründen notwendig oder aufgrund der besonderen Beanspruchung durch die oder den Versicherten zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Anhaltspunkte für das Vorliegen einer der drei Gründe sind weder vorgetragen noch nach Aktenlage ersichtlich.

 

Die im Jahr 2005 maßgebliche – und noch enger gefasste – Bestimmung in der HilfsM-RL zur Mehrfachausstattung mit Hilfsmitteln wurde vom BSG nicht als abschließende Regelung verstanden, weil sie ersichtlich lückenhaft gewesen sei und der sich aus § 33 SGB V ergebenden Rechtslage nur unvollkommen entsprochen habe, bei rein wörtlicher Auslegung also rechtswidrig und damit unwirksam gewesen sei. Eine Mehrfachversorgung mit einem Hilfsmittel könne im Einzelfall zB auch wegen fehlender oder nur unter unzumutbaren Erschwernissen denkbarer Transportierbarkeit eines Hilfsmittels sowie aus sonstigen medizinischen oder technischen Gründen in Betracht kommen (zur Zweitversorgung eines schulpflichtigen behinderten Kindes mit einem rund 17 kg schweren Therapiestuhl BSG, Urteil vom 3. November 2011 – B 3 KR 8/11 R – juris Rn 27; BSG, Urteil vom 3. November 2011 – B 3 KR 4/11 R – juris Rn 21). Auch dieser anerkannte – und durch die Neufassung der Hilfsmittelrichtlinie nicht obsolet gewordene – Grund für eine Mehrfachversorgung – das Gewicht und die erschwerte Transportierbarkeit des Hilfsmittels – scheidet nach der Auffassung des Senats aus. Der Rehabuggy ist mit einem Leergewicht von 19 kg bereits schwerer als der Swingbo VTI Rollstuhl mit einem Leergewicht von 12 kg bzw einem Gewicht der Grundausstattung von 15 kg (Gewichtsangaben nach den Produktinformationen zu Positionsnummern 18.99.01.2092 bzw 18.50.03.2011 im Rehadat GKV-Hilfsmittelverzeichnis, Recherche im November 2024; Prospekt Hoggi, Swingbo VTI, Abruf November 2024 „Leichtes Eigengewicht“ – grundausgestattet nur 15 kg, Seite 4). Ferner ist der Rehabuggy mit einer Spurbreite von 79 cm breiter und mit einer Länge von 167 cm länger als der Rollstuhl (Breite 60 cm: Sitzschale 32 cm plus 28 cm; Länge: Raddurchmesser 60 cm plus max 60 cm). Der Rehabuggy ist damit nicht wendiger als der Rollstuhl und somit nach Auffassung des Senats nicht besser zur Teilnahme an Aktivitäten im Nahbereich geeignet als der Rollstuhl. Sowohl der Rollstuhl als auch der Rehabuggy sind nach den Bedienungsanleitungen ohne Verwendung von Werkzeug klappbar und damit bei Bedarf, zB in einem Fahrzeug, gleichermaßen transportierbar.

 

bb) Auch der Umstand, dass die Fortbewegung des Klägers in einem Rehabuggy nach seinem Vortrag auf weniger leichtgängigem Untergrund oder zur Überwindung von Stufen leichter sei als mit dem Rollstuhl Swingbo VTI, führt nicht zu einem Anspruch des Klägers gegen die Beklagte. Da der Kläger selbst den Rollstuhl nicht selbständig bewegen kann, kann es dabei nur darauf ankommen, ob das Schieben des Rollstuhls für die Begleitperson schwerer ist als das Schieben des Rehabuggys.

 

Zwar kann bei der Versorgung eines teilhabebeeinträchtigten Leistungsberechtigten auch die Konstitution der erforderlichen Begleitperson relevant sein. So wurde ein Anspruch auf einen zweisitzigen Rollstuhl zur qualitativen Erweiterung des persönlichen Freiraums im Nahbereich für eine blinde Versicherte bejaht, die von einer gehbehinderten Person begleitet wurde (BSG Urteil vom 24. Mai 2006 – B 3 KR 12/05 R – juris Rn 24). Ferner kann für einen Anspruch auf Versorgung mit einer Brems- und Schiebehilfe einer im Rollstuhl fortzubewegenden Person mit normalem Körpergewicht bedeutsam sein, dass diese Person ein Auswahlrecht zwischen mehreren Begleitpersonen mit unterschiedlicher körperlicher Konstitution hat (Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 6. Dezember 2012 – L 1 KR 189/10 – juris Rn 33, 34). Auch einem Autoschwenksitz wurde von seiner Konstruktion und seinem Verwendungszweck her ein eigenständiger Nutzen für den Versicherten und seine Begleitperson beigemessen (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 4. Juni 2019 – L 9 KR 363/17 – juris Rn 39, 45).

 

Sofern bei der Ausstattung mit einem Hilfsmittel danach nicht nur auf Gebrauchsvorteile bei der selbständigen Nutzung des Hilfsmittels durch den Versicherten abgestellt wird, sondern auch der Konstitution der gewählten Begleitperson Rechnung getragen werden kann, vermag der Senat nicht zu erkennen, welchen relevanten Gebrauchsvorteil der im August 2022 beschaffte Rehabuggy gegenüber dem vorhandenen Rollstuhl insoweit hat. Ein Unterschied bei der Bewältigung von Wegstrecken mit unebenem Untergrund reicht nicht aus, zumal der Rehabuggy – wie bereits festgestellt – weder leichter noch wendiger ist als der Rollstuhl. Die Verfügbarkeit nur eines für den Transport des Rollstuhls geeigneten PKW – anstelle von zwei gleich geeigneten – ist nach Auffassung des Senats unbeachtlich. Ferner ist zu bedenken, dass das Wahlrecht des Versicherten für eine Begleitperson und dessen Konstitution sich allenfalls auf die Auswahl zwischen mehreren im Übrigen gleich geeigneten Hilfsmitteln auswirken kann, jedoch keinen Anspruch auf eine Mehrfachversorgung begründet, die alle potentiellen Begleitpersonen gleichermaßen mit einem funktionsgleichen Hilfsmittel ausstattet, die sich lediglich in an die Begleitperson angepassten Nuancen unterscheiden. Der Versicherte hat allenfalls ein Wahlrecht (vgl § 8 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB IX aF iVm § 33 SGB I) für die Ausstattung mit demjenigen zweier funktionsgleicher Hilfsmittel, das der Konstitution seiner Begleitperson(en) besser gerecht wird.

 

cc) Schließlich begründen auch die besonderen Maßstäbe für die Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Hilfsmitteln keinen Anspruch des Klägers.

 

Als ein weiteres allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens wird die entwicklungsbedingt notwendige Integration teilhabebeeinträchtigter Kinder und Jugendlicher im Kreis Gleichaltriger und der Familie gesehen. Insoweit ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass bei Kindern und Jugendlichen ein Anspruch auf Hilfsmittelversorgung besteht, sofern der Versicherte auf Grund seiner Behinderung nicht oder allenfalls nur sehr einschränkt am üblichen Leben seiner Altersgruppe teilnehmen kann, sodass ihm dadurch die Isolation droht. Dass bei einer solchen Integration immer auch eine erwachsene Person anwesend ist, steht der Geeignetheit eines Hilfsmittels für die Befriedigung dieses Grundbedürfnisses nicht im Wege (zu einem Anspruch auf ein Therapietandem Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 5. August 2021 – L 1 KR 195/20 juris Rn 36 - 37 mwN aus der Rspr des BSG).

 

Auch unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe stellte eine Versorgung mit einem Rehabuggy bei Antragstellung im Mai 2018 für den damals 14-jährigen Kläger und im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung im August 2022 für den dann 18-jährigen Kläger eine funktionsgleiche Zweitversorgung ohne einen objektivierbaren Gebrauchsvorteil für ihn dar. Für die Teilnahme an den geschilderten Freizeitaktivitäten – Diskothek, Jugendclub, Kegeln, S- und U-Bahn-Fahren – stand im August 2022 der für den Innen- und Außenbereich gleichermaßen geeignete Rollstuhl Swingbo VTI zur Verfügung. Der Senat vermag nicht zu erkennen, dass der – wie beschrieben weniger wendige – Rehabuggy dem Kläger bei der Ausübung dieser Aktivitäten mit Gleichaltrigen im Mai 2018 oder im Zeitpunkt der Beschaffung im August 2022 einen Vorteil für die Integration unter Gleichaltrigen bot, den der vorhandene Rollstuhl Swingbo VTI nicht sicherstellen konnte.

 

f) Letztlich bestand auch kein Anspruch unter dem Gesichtspunkt der Ersatzbeschaffung im Sinne von § 33 Abs 1 Satz 3 SGB V für den alten – zwischenzeitlich zu kleinen – Rehabuggy. Denn für einen Anspruch im Zeitpunkt der Beschaffung reicht es nicht aus, dass das bisherige Hilfsmittel funktionsunfähig geworden ist; zusätzlich sind alle Leistungsvoraussetzungen inklusive des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 Abs 1 SGB V) zu prüfen. Die Ersatzbeschaffung kann auch dann nicht verlangt werden, wenn schon die erstmalige Bereitstellung dieses Hilfsmittels zum jetzigen Zeitpunkt nicht (mehr) beansprucht werden könnte. Etwas anderes kann allenfalls gelten, wenn die Krankenkasse in einer Art Grundbescheid festgestellt hat, dass ein Versicherter ein bestimmtes Hilfsmittel auf Dauer beanspruchen kann (vgl BSG, Urteil vom 20. November 1996 – 3 RK 5/96 – juris Rn 17; BSG, Urteil vom 25. Juni 2009 – B 3 KR 2/08 R – juris Rn 16). Ein solcher Grundbescheid, der abweichend von der unter a) bis e) durchgeführten Einzelfallprüfung einen Anspruch begründen könnte, liegt nicht vor.

 

5. Schließlich hatte die Beklagte den Kläger weder bei Antragstellung im Mai 2018 noch im August 2022 nach den Grundsätzen einer Hilfsmittelausstattung zur sozialen Teilhabe mit einem bzw dem im August 2022 beschafften Rehabuggy zu versorgen, weil sie wegen der unterbliebenen Weiterleitung des Antrags auf Versorgung mit einem Rehabuggy nach § 14 Abs 1 Satz 2 iVm Abs 2 SGB IX an den Beigeladenen zuständig wurde. Für die noch nicht bei Antragstellung im Mai 2018, jedoch später im Laufe des Verfahrens vorgetragenen Freizeitaktivitäten des Klägers – Kegeln, Besuch der Diskothek und des Jugendclubs sowie Fahren mit S- und U-Bahn – besteht kein Versorgungsanspruch nach § 113 SGB IX (idF durch Gesetz vom 27. September 2021).

 

a) Nach § 113 Abs 1 Satz 1 SGB IX werden Leistungen zur Sozialen Teilhabe erbracht, um eine gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, soweit sie nicht nach den Kapiteln 3 bis 5 (Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, zur Teilhabe am Arbeitsleben und zur Teilhabe an Bildung) erbracht werden. Hierzu gehört, Leistungsberechtigte zu einer möglichst selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Lebensführung im eigenen Wohnraum sowie in ihrem Sozialraum zu befähigen oder sie hierbei zu unterstützen (§ 113 Abs 1 Satz 2 SGB IX). Leistungen zur Sozialen Teilhabe sind unter anderem Hilfsmittel (§ 113 Abs 2 Nr 8 SGB IX), wobei die Hilfsmittel erforderlich sein müssen, um eine durch die Behinderung bestehende Einschränkung einer gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft auszugleichen (§§ 113 Abs 3 SGB IX, 84 Abs 1 Satz 1 SGB IX). Die Leistungen zur sozialen Teilhabe haben zum Ziel, dem Leistungsberechtigten eine individuelle Lebensführung zu ermöglichen, die der Würde des Menschen entspricht, und die volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern. Die Leistung soll sie befähigen, ihre Lebensplanung und -führung möglichst selbstbestimmt und eigenverantwortlich wahrnehmen zu können (§ 90 Abs 1 und 5 SGB IX). „Befähigen“ meint die Förderung der individuellen Selbsthilfepotentiale des behinderten Menschen. „Unterstützen“ meint eine auf den Lebensalltag des behinderten Menschen bezogene Begleitung desselben mit Maßnahmen, die dazu dienen, Defizitsituationen im sozialen und privaten Nahbereich des behinderten Menschen bestmöglich zu kompensieren oder abzumildern. Bedeutsam sind insoweit die sozialen Kontextfaktoren des teilhabebeeinträchtigten Menschen, so dass ein individueller und personenzentrierter Maßstab gilt (Luthe in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 4. Aufl., § 113 SGB IX (Stand: 1. Oktober 2023), Rn 44, 45; BSG, Urteil vom 19. Mai 2022 – B 8 SO 13/20 R – juris Rn 18).

 

b) In Abgrenzung zu Hilfsmitteln der medizinischen Rehabilitation (§ 33 Abs 1 Satz 1 Var 3 SGB V, § 47 Abs 1 Nr 3 SGB IX) dienen "andere" Hilfsmittel iSv § 113 Abs 2 Nr 8 SGB IX über die Aufgabenbestimmung nach § 47 SGB IX hinaus der gesamten Alltagsbewältigung; sie haben die Aufgabe, dem behinderten Menschen den Kontakt mit seiner Umwelt, nicht nur mit Familie und Nachbarschaft, sowie die Teilnahme am öffentlichen und kulturellen Leben zu ermöglichen und hierdurch insgesamt die Begegnung und den Umgang mit nichtbehinderten Menschen zu fördern. Die Hilfsmittel iS von § 113 SGB IX entfalten insoweit ihre Wirkung immer erst im Bereich der Behebung der Folgen einer Behinderung. Ihre Zweckbestimmung überschneidet sich dabei zwangsläufig mit der des Hilfsmittels iSv § 47 SGB IX (vgl BSG, Urteil vom 19. Mai 2009 – B 8 SO 32/07 R – juris Rn 17; Luthe in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 4. Aufl., § 84 SGB IX (Stand: 1. Oktober 2023) Rn 8). Einem Hilfsmittel als Leistung der Sozialen Teilhabe kommt insoweit gegenüber einem Hilfsmittel zur medizinischen Rehabilitation eine Komplementärfunktion zu (zu einem Rollstuhlzuggerät: Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 23. Februar 2021 – L 10 KR 8/17 – juris).

 

Auch Hilfsmittel als Leistung zur Sozialen Teilhabe werden für eine Doppelausstattung (nur) erbracht, soweit es im Einzelfall erforderlich ist (§ 84 Abs 3 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV)). Eine Doppelausstattung kann vor allem dann geboten sein, wenn sich der behinderte Mensch an unterschiedlichen Orten aufhält und die Mitnahme des Hilfsmittels sich als unmöglich oder nicht zumutbar erweist (Luthe in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 4. Aufl., § 84 SGB IX (Stand: 1. Oktober 2023), Rn 18).

 

c) Gemessen an diesen Grundsätzen und bei individueller Betrachtung der sozialen Kontextfaktoren des Klägers ist der Senat der Auffassung, dass der Rehabuggy dem Kläger keine soziale Teilhabe an den Freizeitaktivitäten Kegeln, Besuch eines Jugendclubs und Diskothek, Fahren mit S- und U-Bahn ermöglicht, die nicht bereits durch den Rollstuhl Swingbo VTI gewährleistet wird. Der Rehabuggy erweitert nicht das dem Kläger bereits mit dem vorhandenen Rollstuhl erschließbare Spektrum von Sozialkontakten und Freizeitaktivitäten. Seinen Begleitpersonen wird es seit August 2022 lediglich ermöglicht, alternativ zu dem vorhandenen Rollstuhl Swingbo VTI auf den Rehabuggy zurückzugreifen. Die Mitnahme des Rollstuhls Swingbo VTI ist jedoch objektiv weder unmöglich noch unzumutbar. Individuelle Umstände, die eine abweichende Bewertung rechtfertigen, liegen nicht vor und werden insbesondere nicht dadurch begründet, über nur einen PKW zu verfügen, in dem der Rollstuhl Swingbo VTI transportiert werden kann. Dass der Kläger durch den Rehabuggy in Freizeitaktivitäten integriert werden soll, die mit dem Rollstuhl nicht möglich sind, zB Teilnahme an Fahrradausflügen der Familie, wurde weder vorgetragen noch ist es ansonsten ersichtlich.

 

Nach allem hat das Begehren des Klägers keinen Erfolg haben können und ist die Entscheidung des Sozialgerichts Itzehoe auf die Berufung der Beklagten aufzuheben gewesen.

 

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG und berücksichtigt den Ausgang des Verfahrens.

 

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 SGG) liegen nicht vor. Der Senat weicht nicht von Rechtsprechung des BSG ab und klärt keine entscheidungserheblichen Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung.

 

Rechtskraft
Aus
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