Krankenkasse zuständig für Schulbegleitung eines schwer an Diabetes erkrankten Grundschulkindes

Bundesland
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Kategorie
Pressemitteilungen


Sowohl im Wege eines Eilverfahrens als nunmehr auch in der Hauptsache obsiegte eine 7-jährige Klägerin gegen ihre Krankenkasse. Die Grundschülerin leidet seit über zwei Jahren an Diabetes mellitus Typ 1. Sie ist insulinpflichtig, wobei die Insulingabe in ihrem Fall besonders schwer einstellbar ist. Sie verfügt deshalb über ein Gerät zur elektronischen Blutzuckermessung, Protokollierung und Warnung bei zu hohen oder zu niedrigen Blutzuckerwerten. Zur Sicherstellung der Insulintherapie und zur Überwachung vor allem aufgrund einer möglichen Unterzuckerung ist sie im Grundschulalter noch auf die Unterstützung durch Erwachsene angewiesen, die ggf. rechtzeitig eingreifen und so Gefahren für das Kind abwenden können.

Bisher erfolgloser Antrag bei der Krankenkasse

Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung einer Schulbegleitung bei ihrer Krankenkasse blieb zunächst erfolglos. Zwar besteht kein Streit darüber, dass die Überwachung durch Erwachsene zwingend erforderlich ist, um zeitnah und adäquat bei Unterzuckerung durch schnelle Verabreichung von Kohlenhydrateinheiten eingreifen zu können, fraglich war aber die Zuständigkeit der Krankenkasse für die Schulbegleitung. Diese hielt den Träger der Eingliederungshilfe, in diesem Fall den Landkreis, für zuständig, während der Landkreis wiederum die Krankenkasse in der Leistungspflicht sah. Der Schulbesuch der Klägerin war zunächst nur deshalb sichergestellt, weil eine Lehrerin bereit war, die Überwachung zusätzlich zu ihren pädagogischen Aufgaben sicherzustellen. In insgesamt drei gerichtlichen Eilverfahren vor dem Sozialgericht Darmstadt gewann die Klägerin gegen ihre Krankenkasse und erhielt jeweils vorläufig eine Schulbegleitung. 

Obsiegen auch in der Hauptsache

In einem Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Darmstadt vom 7. Februar 2025 (Az.: S 13 KR 262/23) setzte die Klägerin nun in erster Instanz auch in der Hauptsache ihren Anspruch gegen die Krankenkasse durch. Das Gericht geht davon aus, dass die Schulbegleitung ein Fall der „häuslichen Krankenpflege“ ist. Diese kann auch außerhalb der eigenen Wohnung, bspw. in der Schule, gewährt werden. Im Gegensatz zur Rechtsauffassung der Krankenkasse geht das Sozialgericht Darmstadt nicht davon aus, dass die Schulbegleitung ein Fall der „außerklinischen Intensivpflege“ sei, weil die Überwachung nicht durch eine Pflegefachkraft durchgeführt werden müsse, sondern ein lediglich angelernter Erwachsener in Betracht käme.

Ferner sei auch nicht der Landkreis als Träger der Eingliederungshilfe zuständig. Die Abgrenzung zwischen Leistungen der Krankenpflege einerseits und Leistungen der Eingliederungshilfe andererseits erfolge anhand der Zielrichtung der Leistung. Leistungen, die der Bewältigung der Anforderungen des Schulalltags dienten, sind dabei der Eingliederungshilfe zuzuordnen (Integrationshelfer/Teilhabeassistent). Leistungen, die der Beobachtung der körperlichen Situation und gegebenenfalls medizinisch-pflegerischen Intervention dienten, seien Teil der Krankenpflege. Seien Maßnahmen unabhängig vom Schulbesuch medizinisch notwendig, so fehle es an der für die Eingliederungshilfe erforderlichen unmittelbaren Verknüpfung mit dem Schulbesuch; die Eingliederungshilfe ist im Zusammenhang mit dem Schulbesuch nämlich auf Teilhabe an Bildung gerichtet.

Ebenso könne nicht von den Lehrerinnen und Lehrern erwartet werden, dass diese die Blutzuckerkontrolle und Überwachung mit übernehmen. Dies zähle zum einen nicht zu den Aufgaben einer Lehrerkraft. Im Übrigen könnten Lehrkräfte diese Aufgabe nicht hinreichend ohne Vernachlässigung ihrer Lehr- und Aufsichtsverpflichtung gegenüber den übrigen Kindern in der Grundschulklasse wahrnehmen.
 

Hinweise zur Rechtslage

§ 37 SGB V
Häusliche Krankenpflege

Abs. 2: Versicherte erhalten in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch in Werkstätten für behinderte Menschen als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist. 2§ 10 der Werkstättenverordnung bleibt unberührt. 3Der Anspruch nach Satz 1 besteht nicht für Versicherte mit einem besonders hohen Bedarf an medizinischer Behandlungspflege, die Anspruch auf Leistungen nach § 37c haben, soweit diese Leistungen tatsächlich erbracht werden. 

37c SGB V
Außerklinische Intensivpflege

Abs. 1: Versicherte mit einem besonders hohen Bedarf an medizinischer Behandlungspflege haben Anspruch auf außerklinische Intensivpflege. 2Ein besonders hoher Bedarf an medizinischer Behandlungspflege liegt vor, wenn die ständige Anwesenheit einer geeigneten Pflegefachkraft zur individuellen Kontrolle und Einsatzbereitschaft oder ein vergleichbar intensiver Einsatz einer Pflegefachkraft erforderlich ist. 3Der Anspruch auf außerklinische Intensivpflege umfasst die medizinische Behandlungspflege, die zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist, sowie eine Beratung durch die Krankenkasse, insbesondere zur Auswahl des geeigneten Leistungsorts nach Absatz 2. 4Die Leistung bedarf der Verordnung durch eine Vertragsärztin oder einen Vertragsarzt, die oder der für die Versorgung dieser Versicherten besonders qualifiziert ist. 5Die verordnende Vertragsärztin oder der verordnende Vertragsarzt hat das Therapieziel mit dem Versicherten zu erörtern und individuell festzustellen, bei Bedarf unter Einbeziehung palliativmedizinischer Fachkompetenz.  8Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 bis zum 31. Oktober 2021 jeweils für Kinder und Jugendliche bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres, für junge Volljährige, bei denen ein Krankheitsbild des Kinder- und Jugendalters weiterbesteht oder ein typisches Krankheitsbild des Kinder- und Jugendalters neu auftritt oder ein dem Kindesalter entsprechender psychomotorischer Entwicklungsstand vorliegt, und für volljährige Versicherte getrennt das Nähere zu Inhalt und Umfang der Leistungen sowie die Anforderungen

Sozialgericht Darmstadt, Gerichtsbescheid vom 7.2.2025 – Az. S 13 KR 262/23–
www.lareda.hessenrecht.hessen.de
 

Ab Datum
Bis Datum
Saved