L 9 KR 94/23

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 221 KR 1185/22
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 94/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Besteht Streit darüber, wer Partner eines Vertrages nach § 134a SGB V ist, entscheidet hierüber vorrangig die Schiedsstelle nach § 134a Abs. 4 SGB V. Gerichtlicher Rechtsschutz kann hinsichtlich der Frage der Vertragspartnerschaft erst nach der Entscheidung der Schiedsstelle zulässig in Anspruch genommen werden. 

Auf die Berufung des Beigeladenen wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. Januar 2023 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

 

Der Kläger trägt die Kosten des gesamten Verfahrens einschließlich der Kosten des Beigeladenen.

 

Die Revision wird zugelassen.

 

 

 

 

 

Tatbestand

 

Streitig ist die Berechtigung des beigeladenen N  e.V., den Vertrag über die Versorgung mit Hebammenhilfe nach § 134a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) (iF Hebammenhilfe-Vertrag, von den Beteiligten auch als „Rahmenvertrag“ bezeichnet) zu verhandeln und zu schließen.

 

Der Kläger ist ein maßgeblicher Berufsverband der Hebammen i.S.d. § 134a Abs. 1 Satz 1 SGB V, der Beigeladene ein Verband von Hebammen geleiteter Einrichtungen (iF HgE) auf Bundesebene. Vereinszweck des Beigeladenen ist nach § 2a seiner Satzung unter anderem die „Vertretung der wirtschaftlichen und beruflichen Interessen der Geburtshäuser/HgE sowie der in diesen tätigen Hebammen gegenüber Politik, Öffentlichkeit, Verbänden und anderen Organisationen“. Ihm gehören 59 HgE/Geburtshäuser und 54 Einzelhebammen als Mitglieder an.

 

Die Hebammenhilfe wird derzeit – auf der Grundlage des § 134a Abs. 1 Satz 1 SGB V – wesentlich durch zwei Verträge geregelt, den Hebammenhilfe-Vertrag und einen „Ergänzungsvertrag nach § 134a SGB V über Betriebskostenpauschalen bei ambulanten Geburten in von Hebammen geleiteten Einrichtungen und die Anforderungen an die Qualitätssicherung in diesen Einrichtungen“ (iF Ergänzungsvertrag). An dem Hebammenhilfe-Vertrag wurden bisher der Kläger, der Beklagte und der B f H D e.V. nicht aber der Beigeladene, als Vertragspartner beteiligt. Dieser Vertrag wurde zum 31. Dezember 2021 gekündigt, gilt aber bis zum Inkrafttreten eines neuen Vertrages weiter (§ 16 Abs. 3 Hebammenhilfe-Vertrag). An dem Ergänzungsvertrag wurde der Beigeladene, anders als an dem Hebammenhilfe-Vertrag, als Vertragspartner beteiligt.

 

Mit Schreiben an den Kläger vom 10. Mai 2021 beanspruchte der Beigeladene den Status eines Vertragspartners auch hinsichtlich des Hebammenhilfe-Vertrags. Der Kläger lehnte diesen Status ab.

 

Der Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 9. Dezember 2021 seine Auffassung mit, dass der Beigeladene die Voraussetzungen eines Vertragspartners i.S.d. § 134a Abs. 1 Satz 1 SGB V auch hinsichtlich des Hebammenhilfe-Vertrages erfülle.

 

Auf Veranlassung des Beklagten nahm das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) am 23. März 2022 zum Vertragspartnerstatus des Beigeladenen Stellung: § 134a SGB V sehe als Vertragspartner unter anderem die Verbände der von Hebammen geleiteten Einrichtungen auf Bundesebene vor. Der Beigeladene sei der einzige Verband der Geburtshäuser auf Bundesebene. Damit handele es sich bei dem Beigeladenen grundsätzlich um einen Vertragspartner des Hebammenhilfe-Vertrages. Der Normtext biete keinen Anhaltspunkt für eine Differenzierung zwischen Inhalten des Hebammenhilfe-Vertrages und des Ergänzungsvertrages. Es sei auch nicht ersichtlich, weshalb der Beigeladene Teil der gemeinsam gebildeten Schiedsstelle sei, nicht aber zuvor selbst Vertragsverhandlungen führen solle. In diesem Fall komme es zu einer ungerechtfertigten Entscheidungsmacht des Beigeladenen. Die im Gesetzestext vorgesehene Möglichkeit, mehrere Verträge zu schließen, beziehe sich nicht auf die Vertragspartner, sondern auf die Vertragsinhalte.

 

Der Kläger hat am 12. Juli 2022 Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhoben. Er hat begehrt festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, die Verhandlungen zum Hebammenhilfe-Vertrag ohne die Beteiligung des Beigeladenen zu führen. Zur Begründung hat er geltend gemacht: Der Hebammenhilfe-Vertrag, der unmittelbar die hebammenhilfliche Leistungserbringung betreffe, sei seit jeher ausschließlich zwischen dem Beklagten sowie dem Kläger und dem  geschlossen worden. Der Beigeladene sei lediglich Vertragspartner des Ergänzungsvertrages. Darüber habe in der Vergangenheit Einigkeit bestanden. Die Beteiligung des Beigeladenen am Ergänzungsvertrag gehe zurück auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 21. Februar 2006 (B 1 KR 34/04 R) sowie auf die anschließende Änderung des § 134a Abs. 1 Satz 1 SGB V. Die Änderung dieser Vorschrift habe der Gesetzgeber ausdrücklich damit begründet, dass der Beigeladene (nur) für den Bereich der Betriebskosten maßgeblicher Vertragspartner sei (Verweis auf BT-Drs. 16/3100, S. 145). Die Beteiligung des Beigeladenen (nur) am Ergänzungsvertrag sei auch sachgerecht, weil die Geburtshäuser und HgE ausschließlich die Betriebskostenpauschale gegenüber den gesetzlichen Krankenversicherungen abrechneten, nicht aber hebammenhilfliche Leistungen. Ihr wirtschaftliches Interesse beziehe sich daher in erster Linie auf die Betriebskosten und die damit verbundenen Qualitätsanforderungen. Hinsichtlich des Hebammenhilfe-Vertrages erfülle der Beigeladene die Voraussetzungen der Vertragspartnerschaft nach § 134a Abs. 1 Satz 1 SGB V nicht. Der Beigeladene sei hinsichtlich dieses Vertrages kein maßgeblicher Berufsverband der Hebammen. Da er keine größere Zahl von Mitgliedern habe, sei bereits fraglich, ob es sich bei ihm um einen Verband handele. Zudem sei die Zahl der Mitglieder des Beigeladenen zu gering, um diesen als maßgeblichen Verband qualifizieren zu können. Die Vertragspartnerschaft folge auch nicht daraus, dass der Beigeladene Mitglied der Schiedsstelle nach § 134a Abs. 4 SGB V sei. Es stelle eine nicht gerechtfertigte Gleichbehandlung dar, wenn der Kläger und der Beigeladene gleichberechtigt über den Hebammenhilfe-Vertrag verhandeln dürften.   

 

Der Beklagte hat darauf im Wesentlichen Folgendes erwidert: Die Klage sei bereits unzulässig, da zuvor der Konfliktlösungsmechanismus der Schiedsstelle genutzt werden müsse (Verweis auf BSG, Urteil vom 8. August 2019, B 3 KR 16/18 R). Sie sei zudem unbegründet. Der Beigeladene habe einen Anspruch darauf, als Vertragspartner an den Verhandlungen zum Hebammenhilfe-Vertrag beteiligt zu werden und diesen zu zeichnen. Dies ergebe sich – wie auch das BMG festgestellt habe – unmittelbar aus dem Wortlaut des § 134a Abs. 1 Satz 1 SGB V, der die Berufsverbände der Hebammen und die Verbände der von Hebammen geleiteten Einrichtungen gleichberechtigt als Vertragspartner für sämtliche Regelungsgegenstände nenne. Soweit der Kläger ausführe, der Beigeladene müsse einen maßgeblichen Berufsverband der Hebammen darstellen, gehe dies an der Sache vorbei. Der Beigeladene beanspruche die Vertragspartnerschaft nicht in der Funktion eines Berufsverbandes, sondern aufgrund seiner Eigenschaft als „Verband der von Hebammen geleiteten Einrichtungen“. Der Beigeladene werde in der BT-Drs. 16/3100 (S. 145) namentlich als solcher bezeichnet. Darüber hinaus sei auch der Beigeladene durch den Hebammenhilfe-Vertrag betroffen und deshalb als Vertragspartner einzubeziehen. Unter anderem dürften HgE, entgegen der Darstellung des Klägers, Leistungen nach Maßgabe des Hebammenhilfe-Vertrages abrechnen (Verweis auf § 1 Abs. 1 lit. b und § 3 der Anlage 4 Ergänzungsvertrag). Zahlreiche Regelungen des Hebammenhilfe-Vertrages seien auch für HgE bindend (Verweis auf Anlage 1.2 Hebammenhilfe-Vertrag und § 2 Ergänzungsvertrag). Das Bundessozialgericht habe hervorgehoben, dass auch Organisationen wie der Beigeladene, die auf spezifische schützenswerte Interessen ihrer Mitglieder ausgerichtet seien, repräsentiert sein müssten (Verweis auf BSG, Urteil vom 8. August 2019, B 3 KR 16/18 R). Der Vertragspartnerstatus des Beigeladenen ergebe sich zudem bei systematischer Auslegung des § 134a Abs. 1 Satz 1 SGB V anhand der Regelungen über das Schiedsstellenverfahren.

 

Ferner hat der Beigeladene ausgeführt: Der Vertragspartnerstatus des Beigeladenen sei in der Vergangenheit nicht abschließend geklärt worden. Alle weiteren Vertragspartner (einschließlich des ) und auch das BMG bejahten den Vertragspartnerstatus des Beigeladenen hinsichtlich des Hebammenhilfe-Vertrages. Dass der Beigeladene bisher tatsächlich nicht Vertragspartner des Hebammenhilfe-Vertrages geworden sei, habe allein historische Gründe. Der Beigeladene sei seit Ende 2015 (wenn auch teilweise nur in vorbereitender Funktion) durchgehend an Verhandlungen und Arbeitsgruppen zu sämtlichen Themen des Hebammenhilfe-Vertrages und des Ergänzungsvertrags sowie zu den Pauschalen zur Finanzierung von Kosten für die Ausbildung von Hebammenstudierenden, den Corona-Sondervereinbarungen, zur Anbindung an die Telematikinfrastruktur und zur Übergangsvereinbarung Videobetreuung eingebunden gewesen. Die Klage sei wegen des Vorrangs des Schiedsstellenverfahrens unzulässig und zudem unbegründet. Der Beigeladene sei insgesamt als Vertragspartner an den Verhandlungen zu den bundeseinheitlichen Kollektivverträgen nach § 134a SGB V zu beteiligen. Der Gesetzgeber habe Sonderzuständigkeiten für nur einzelne der in § 134a SGB V genannten Aufgaben weder festgelegt noch gewollt. Als maßgeblicher Interessenverband der von Hebammen geleiteten Einrichtungen müsse der Beigeladene nicht gleichzeitig ein Berufsverband der Hebammen sein. § 134a SGB V nenne Verbände der HgE ausdrücklich als vertragsschließende Parteien. Eine (bloße) Sonderzuständigkeit ergebe sich auch nicht aus der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 16/3100, S. 145). Hätte der Gesetzgeber die vom Kläger behauptete Zuständigkeitstrennung nach einzelnen Regelungsgegenständen gewollt, hätte er dies auch so festlegen müssen. Im Gegensatz zu § 125 SGB V, der Sonderzuständigkeiten vorsehe („Die für den jeweiligen Heilmittelbereich zuständigen maßgeblichen Spitzenorganisationen haben den Vertrag gemeinsam zu schließen“), übertrage § 134a SGB V den Verbänden der HgE zusammen mit dem GKV-Spitzenverband und den maßgeblichen Berufsverbänden der Hebammen einen einheitlichen Gestaltungsauftrag und Verantwortungsbereich. Darauf ließen auch weitere Gesetzesänderungen schließen (Verweis auf BT-Drs. 17/10170, S. 26, sowie auf § 134a Abs. 1c SGB V). Die Verwendung des Plurals „Verträge“ in § 134a SGB V bedeute nur, dass die(selben) Vertragspartner mehrere Vereinbarungen treffen müssten. Es sei auch sachgerecht, den Beigeladenen als Vertragspartner des Hebammenhilfe-Vertrages anzusehen. Dieser betreffe auch den Beigeladenen. Die Verträge seien untrennbar miteinander verbunden. Unter anderem regele § 2 des Ergänzungsvertrages, dass bei der Umsetzung dieses Vertrages der Vertrag über die Versorgung mit Hebammenhilfe zu beachten sei. Die von den HgE abrechenbaren Leistungsziffern und deren Leistungsvoraussetzungen (z.B. Hilfe bei einer außerklinischen Geburt in einer von Hebammen geleiteten Einrichtung) befänden sich in der Anlage 1.3 zum Hebammenhilfe-Vertrag. Der Träger einer HgE könne gemäß § 3 Anlage 4 des Ergänzungsvertrages neben der Betriebskostenpauschale auch die in einer HgE erbrachten geburts- und hebammenhilflichen Leistungen nach dem Hebammenhilfe-Vertrag unter seinem Institutskennzeichen abrechnen. Für die Einbeziehung des Beigeladenen als Vertragspartner spreche darüber hinaus die gesetzliche Systematik. Da der Beigeladene der Schiedsstelle gemäß § 134a Abs. 4 SGB V angehöre, könne er von den vorhergehenden Vertragsverhandlungen nicht ausgeschlossen sein.

 

Das Sozialgericht hat der Klage mit Urteil vom 25. Januar 2023 stattgegeben. Es hat festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet sei, die Verhandlungen zum Hebammenhilfe-Vertrag nebst Anlagen ohne Beteiligung des Beigeladenen fortzuführen. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt: Die Klage sei zulässig. Der Kläger habe ein berechtigtes Interesse an der von ihm begehrten Feststellung. Welche weiteren Vertragspartner der Beklagte zu den Vertragsverhandlungen heranziehe, berühre seine ihm durch § 134a SGB V verliehene Rechtsposition, die Ökonomie der Verhandlungsführung und den § 134a SGB V innewohnenden Partnerschaftsgedanken. Die Klage sei nicht im Hinblick darauf unzulässig, dass kein Schiedsverfahren durchgeführt worden sei. Abgesehen davon, dass keiner der Beteiligten die Schiedsstelle angerufen habe, sei diese für die Frage der Vertragspartnerschaft auch nicht zuständig. Die Schiedsstelle entscheide lediglich im Falle eines vertragslosen Zustandes über den Vertragsinhalt. Die Klage sei auch begründet. Der Beigeladene sei ein Verband der von Hebammen geleiteten Einrichtungen auf Bundesebene. In § 134a Abs. 1 Satz 1 SGB V sei nicht geregelt, dass alle dort genannten Verbände gleichermaßen Vertragspartner in allen Regelungsbereichen seien. Zwar differenziere die Norm sprachlich nicht hinsichtlich Regelungsgehalten und Vertragspartnern. In der Gesetzesbegründung BT-Drs. 16/3100, S. 145, habe der Gesetzgeber jedoch ausdrücklich eine in Bezug auf die Betriebskosten reduzierte Regelungskompetenz formuliert. Dieses Argument werde durch § 134a Abs. 4 SGB V, wonach alle Verbände eine gemeinsame Schiedsstelle bildeten, nicht entkräftet. Denn anders als im Regelungsbereich des Abs. 1, wonach die Vertragspartner im Status der Gleichordnung agierten, entscheide die Schiedsstelle im Über-Unterordnungsverhältnis. Gegen die Einbeziehung des Beigeladenen als Vertragspartner sprächen auch Sinn und Zweck der Norm. Für den Regelungsbereich des Hebammenhilfe-Vertrages sei der Beigeladene kein maßgeblicher Verband. Es sei sachgerecht, dass der Beigeladene nicht über das  Einfallstor der Betriebskostenpauschale zum Vertragspartner im originären Leistungsbereich der Hebammen werde. Die gegenteilige Ansicht führe zu einer Überbetonung der Partikularinteressen des Arbeitsortes HgE, zumal lediglich 1,5 Prozent der Geburten dort stattfänden.

 

Gegen das ihm am 14. Februar 2023 zugestellte Urteil hat der Beigeladene am 9. März 2023 Berufung eingelegt. Der Beigeladene wiederholt im Wesentlichen sein erstinstanzliches Vorbringen. Die Klage sei – anders als das Sozialgericht meine – bereits unzulässig, da zunächst die Schiedsstelle nach § 134a SGB V festlegen müsse, ob der Beigeladene Vertragspartner sei. Die Schiedsstelle werde tätig, wenn sich die Vertragsparteien über neu zu verhandelnde Verträge oder Vertragsinhalte nicht einigen könnten. Dies schließe die Vorfrage des richtigen Vertragspartnerkreises ein. Die Klage sei zudem unbegründet. Das Sozialgericht habe verkannt, dass der Beigeladene als Vertragspartner an den Verhandlungen zu den bundeseinheitlichen Kollektivverträgen nach § 134a SGB V insgesamt zu beteiligen sei. Dies folge – wie bereits in erster Instanz vorgetragen – aus dem Wortlaut, dem Sinn und Zweck und der Entstehungsgeschichte des § 134a SGB V sowie aus der Gesetzessystematik. Auch das Bundessozialgericht gehe von einem umfassenden Vertragspartnerstatus der Verbände der HgE aus (Verweis auf BSG, Urteil vom 22. Februar 2023, B 3 KR 13/21 R).

 

Der Beigeladene beantragt sinngemäß,

 

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 25. Januar 2023 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Der Kläger beantragt sinngemäß,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Er weist darauf hin, dass die Schiedsstelle nach § 134a SGB V zur Bestimmung des Vertragspartnerkreises nicht berufen sei. Dem stehe insbesondere die Rechtshängigkeit des vorliegenden Verfahrens entgegen.

 

Der Beklagte hat keinen Antrag gestellt. Er führt – unter Bezugnahme auf sein erstinstanzliches Vorbringen und das Vorbringen des Beigeladenen – im Wesentlichen aus: Die Klage sei unzulässig, weil die Schiedsstelle zuvor anzurufen sei. Unabhängig davon sei der Beigeladene Vertragspartner in Bezug auf sämtliche Regelungsgegenstände des § 134a SGB V. Dies ergebe sich insbesondere aus dem eindeutigen Wortlaut der Norm, der alle drei Vertragspartner(typen) und Regelungsgegenstände gleichberechtigt nenne, sowie aus der Änderungshistorie des § 134a SGB V. Für dieses Verständnis spreche der Zusammenhang mit den Regelungen zur Schiedsstelle und dass eine Überbetonung der Partikularinteressen des Beigeladenen nicht zu befürchten sei, da er schützenswerte Sonderbelange innerhalb einer heterogenen Leistungserbringergruppe repräsentiere.

 

Da – nach Kündigung des Hebammenhilfe-Vertrages zum 31. Dezember 2021 – über den Inhalt eines neuen Hebammenhilfe-Vertrages in Verhandlungen teilweise keine Einigung erzielt worden ist, hat der Kläger mit Schriftsatz vom 25. November 2024 die Schiedsstelle nach § 134a Abs. 4 SGB V angerufen und die Festsetzung von Inhalten des Hebammenhilfe-Vertrages durch die Schiedsstelle beantragt.

 

 

Die Beteiligten haben mit Schreiben vom 22. Januar 2025 einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

 

Hinsichtlich der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten verwiesen.

 

 

 

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten dieser Verfahrensweise zugestimmt haben.

 

Die gemäß § 143 SGG statthafte und nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beigeladenen gegen das Urteil des Sozialgerichts vom 25. Januar 2023 ist begründet. Das Sozialgericht hat zu Unrecht festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, die Verhandlungen zum Hebammenhilfe-Vertrag ohne Beteiligung des Beigeladenen fortzuführen. Die vom Kläger erhobene Feststellungsklage ist – wovon der Beklagte und der Beigeladene zutreffend ausgehen – bereits unzulässig.

 

Dem Kläger fehlt für die gerichtliche Geltendmachung des von ihm verfolgten Anspruchs, den Beigeladenen nicht als Vertragspartner an den Verhandlungen zum Hebammenhilfe-Vertrag zu beteiligen, das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis.

 

Das Rechtsschutzbedürfnis ist Zulässigkeitsvoraussetzung einer jeden Klage; es ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, vor § 51 Rn. 16a-20). Trotz Vorliegens einer (formellen) Beschwer kann das Rechtsschutzbedürfnis fehlen, wenn der Rechtsweg unnötig, zweckwidrig oder missbräuchlich beschritten wird (vgl. BSG, Urteil vom 28. August 2013, B 6 KA 41/12 R, zitiert nach juris, Rn. 24 m.w.N.).

 

Vorliegend beschreitet der Kläger den Rechtsweg unnötig und zweckwidrig und damit unzulässig, weil ihm zur Geltendmachung seines Anspruchs das in § 134a Abs. 3 SGB V vorgesehene Schiedsstellenverfahren zur Verfügung steht (vgl. zur Unzulässigkeit einer Klage bei möglicher Durchführung eines Schiedsverfahrens LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. August 2021, L 5 KR 2044/19, zitiert nach juris, Rn. 34).

 

Nach § 134a Abs. 3 Satz 1 SGB V wird der Vertragsinhalt durch die Schiedsstelle nach Abs. 4 festgesetzt, wenn ein Vertrag nach Abs. 1 ganz oder teilweise nicht zu Stande kommt. Ein solches Schiedsverfahren hat der Kläger mit Schiedsantrag vom 25. November 2024 bereits eingeleitet. Er begehrt die Festsetzung von Inhalten des Hebammenhilfe-Vertrags durch die Schiedsstelle nach § 134a Abs. 4 SGB V.

 

Die Schiedsstelle darf und muss im (hier bereits eingeleiteten) Schiedsstellenverfahren – vor einer Festsetzung von Inhalten des Hebammenhilfe-Vertrages – klären, ob der Beigeladene Vertragspartner des Hebammenhilfe-Vertrages i.S.d. § 134a SGB V ist. Denn die Festsetzung impliziert notwendigerweise auch eine Entscheidung der Schiedsstelle darüber, welche Verbände in Bezug auf den Hebammenhilfe-Vertrag zu den in § 134a Abs. 1 Satz 1 SGB V genannten maßgeblichen Berufsverbänden der Hebammen und den Verbänden der von Hebammen geleiteten Einrichtungen auf Bundesebene gehören. Durch die Entscheidungsbefugnis der Schiedsstelle über die zu beteiligenden Verbände wird die Festsetzung des Inhalts des Hebammenhilfe-Vertrages nicht blockiert, sondern in dem vom Gesetz vorgegebenen Verfahren überhaupt erst ermöglicht, weil die Beteiligung einer bestimmten Organisation an der Ausgestaltung des Hebammenhilfe-Vertrags auch Einfluss auf den Inhalt dieses Vertrags haben kann. Da Streit über den Vertragspartnerstatus des Beigeladenen besteht, ist die Schiedsstelle insbesondere dazu berechtigt, die Entscheidung über das präjudizielle Rechtsverhältnis zwischen dem Beigeladenen und den anerkannten Vertragspartnern in Form einer förmlichen Vorabfeststellung zu treffen (vgl. zur Schiedsstelle nach § 130 b Abs. 9 Satz 5 SGB V aF BSG, Urteil vom 8. August 2019, B 3 KR 16/18 R, zitiert nach juris, Rn. 28 ff., sowie das zugrunde liegende Urteil des Senats vom 24. Mai 2018, L 9 KR 303/15 KL, zitiert nach juris, Rn. 56 f.; aA noch SG Berlin, Urteil vom 11. September 2013, S 81 KR 1172/13, zitiert nach juris, Rn. 38). Sowohl der Beigeladene als auch der Kläger und der Beklagte sind befugt, bei der Schiedsstelle einen Antrag auf Feststellung des Vertragspartnerstatus zu stellen (vgl. zur Klagebefugnis im gerichtlichen Verfahren SG Berlin, Urteil vom 11. September 2013, S 81 KR 1172/13, zitiert nach juris, Rn. 30 ff.).

 

Über die streitige Frage der Vertragspartnerschaft hat die Schiedsstelle nach dem Zweck des Schiedsstellenverfahrens auch vorrangig gegenüber dem Gericht zu entscheiden. Denn mit der Einrichtung einer Schiedsstelle setzt der Gesetzgeber ersichtlich auf das Konsensprinzip und eine Entscheidung durch sachnahe Schiedspersonen und erst zweitrangig auf das Prinzip gerichtlicher Streitentscheidung (vgl. Luthe in: Hauck/Noftz SGB V, Stand 12. EL 2024, § 134a SGB V, Rn. 72). Für einen Vorrang des Schiedsverfahrens spricht ferner, dass der gerichtliche Rechtsschutz uneinheitlich wäre, wenn die streitige Frage des Vertragspartnerstatus wahlweise sowohl vom Sozialgericht (unabhängig von der Durchführung eines Schiedsverfahrens) als auch von der Schiedsstelle entschieden werden könnte. Denn im ersten Fall wäre das Sozialgericht in erster Instanz zuständig, während für die Überprüfung der Entscheidung der Schiedsstelle über den Vertragspartnerstatus das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg erstinstanzlich berufen wäre (§ 29 Abs. 4 Nr. 3 SGG). Zudem gilt es in der vorliegenden Konstellation eines bereits eingeleiteten Schiedsverfahrens, divergierende Entscheidungen der Schiedsstelle und des Gerichts dadurch zu vermeiden, dass zunächst die (ohnehin angerufene und zur Entscheidung über den Vertragspartnerstatus berufene) Schiedsstelle das streitige präjudizielle Verhältnis beurteilt.

 

Die vorherige Durchführung des Schiedsverfahrens zur Klärung der Vertragspartnerschaft ist dem Kläger zumutbar (vgl. zu diesem Kriterium BSG, Urteil vom 10. September 2020, B 3 KR 11/19 R, zitiert nach juris, Rn. 49). Die damit verbundene zeitliche Verzögerung ist begrenzt. Der Kläger hat die Schiedsstelle bereits angerufen. Für ein sich möglicherweise anschließendes gerichtliches Verfahren wäre – wie dargestellt – sogleich das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg zuständig.

 

Die Verweisung des Klägers auf das Schiedsverfahren begegnet auch verfassungsrechtlich keinen Bedenken. Das Grundgesetz gewährleistet, dass überhaupt ein Rechtsweg zu den Gerichten eröffnet ist, und garantiert darüber hinaus die Effektivität des Rechtsschutzes. Die Rechtsschutzgewährung durch die Gerichte bedarf der normativen Ausgestaltung durch eine Verfahrensordnung. Deren Regelungen können für ein Rechtsschutzbegehren besondere formelle Voraussetzungen aufstellen und sich dadurch für den Rechtsuchenden einschränkend auswirken. Der Gesetzgeber ist nicht gehalten, nur kontradiktorische Verfahren vorzusehen. Er kann auch – wie im vorliegenden Fall durch § 134a Abs. 3 SGB V – Anreize für eine einverständliche Streitbewältigung schaffen, etwa um die Konfliktlösung zu beschleunigen, den Rechtsfrieden zu fördern oder die staatlichen Gerichte zu entlasten. Der Weg zu einer Streitentscheidung durch die staatlichen Gerichte muss nur ergänzend eröffnet bleiben (vgl. BSG, Urteil vom 23. Juni 2015, B 1 KR 26/14 R, zitiert nach juris, Rn. 26).

 

Die Klage ist aufgrund des fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig und das stattgebende Urteil daher aufzuheben. Anlass, das Verfahren vor der Schiedsstelle abzuwarten oder das vorliegende Berufungsverfahren bis zur Entscheidung der Schiedsstelle (nach § 114 SGG) auszusetzen, besteht nicht. Eine Aussetzung würde dazu führen, dass die streitige Frage, ob hinsichtlich des Vertragspartnerstatus vorrangig ein Schiedsverfahren durchzuführen ist und das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage bei nicht durchgeführtem Schiedsverfahren fehlt, nicht geklärt würde. Auch  betrifft das vorliegende Berufungsverfahren einen Feststellungsantrag, über den bereits in erster Instanz vom Sozialgericht entschieden worden ist. Die prozessuale Situation nach einem Schiedsspruch mit Verwaltungsaktcharakter (vgl. BSG, Urteil vom 8. August 2019, B 3 KR 16/18, zitiert nach juris, Rn. 22) und einer erstinstanzlichen Zuständigkeit des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg wäre eine gänzlich andere und insbesondere nicht mit der Situation vergleichbar, in der eine Klage vor Durchführung eines erforderlichen Widerspruchsverfahrens erhoben wird (vgl. zur Aussetzung in diesem Fall BSG, Beschluss vom 1. Juli 2014, B 1 KR 99/13 B, zitiert nach juris, Rn. 12).

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Der Kläger trägt die Kosten des Beigeladenen auch in erster Instanz, weil der Beigeladene das Verfahren bereits in erster Instanz maßgeblich gefördert hat.

 

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, da die Frage des Vorrangs eines Schiedsverfahrens in Bezug auf einen Streit um die Vertragspartner eines Kollektivvertrags und die damit einhergehende Frage der prozessualen Konsequenzen des Vorrangs für ein anhängiges Gerichtsverfahren bisher, soweit ersichtlich, nicht höchstrichterlich entschieden worden sind (vgl. BSG, Urteil vom 8. August 2019, B 3 KR 16/18 R, zitiert nach juris, Rn. 30: „Darauf, ob der Kläger die begehrte Feststellung auch auf einem anderen Weg hätte erhalten können – etwa durch eine ohne Einschaltung der Schiedsstelle unmittelbar erhobene Feststellungsklage – kommt es in diesem Zusammenhang nicht an“; vgl. auch BSG, Urteil vom 14. Juli 2022, B 3 KR 2/22 R, zitiert nach juris, Rn. 8: „Ob die Ersetzungsklage in einer Konstellation wie hier schon unzulässig ist, kann mangels Entscheidungserheblichkeit offenbleiben“).

Rechtskraft
Aus
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