Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
149
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 149 AS 21300/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
T
Tatbestand:
Die Klägerin wehrt sich gegen die Rückforderung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) von ihr als Erbin.
Der am. 1946 geborene Vater der Klägerin stellte am 13. Oktober 2004 einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II bei dem Beklagten. Insgesamt erhielt er ab Januar 2005 bis zu seinem Tod zwischen dem Oktober 2006 und dem ... November 2006 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 11.918,04 EUR von dem Beklagten (ohne Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung), davon 7.896,53 EUR Regelleistung und 4.021,51 EUR für Kosten der Unterkunft. Zum Zeitpunkt der Antragstellung hatte der Vater der Klägerin ein Vermögen in Höhe von insgesamt 22.122,81 EUR (Bl. 23 der Leistungsakte des Vaters der Klägerin). Die Klägerin erhielt zu keinem Zeitpunkt selbst Leistungen nach dem SGB II.
Ende November 2006 erfuhr die Klägerin von dem Tod ihres Vaters, mit dem sie keinen Kontakt hatte. Neben ihrem Bruder war sie Alleinerbin zur Hälfte des Nachlasses (Bl. 25 der Verwaltungsakte). Mit Schreiben vom 11. Dezember 2006 informierte die Klägerin den Beklagten über den Tod ihres Vaters und bat um Mitteilung von eventuell bestehenden Forderungen des Beklagten (Bl. 10 der Verwaltungsakte). Mit Schreiben an das Finanzamt Schöneberg vom 31. Januar 2007 bat der Beklagte um Mitteilung des Werts des Nachlasses. Mit weiterem Schreiben an das Amtsgericht Hohenschönhausen vom 31. Januar 2007 bat der Beklagte um Mitteilung, wer das Erbe angetreten hat.
Mit Schreiben an die Klägerin vom 1. Februar 2007 teilte der Beklagte mit, dass die laufenden Leistungen nach der Mitteilung des Tods des Vaters nicht mehr rechtzeitig eingestellt werden konnten, so dass über den Todestag hinaus Leistungen gewährt wurden. Daher seien insgesamt 522,65 EUR überwiesen worden, die nicht mehr zustanden. Dieser Betrag gehöre nicht zum Nachlass, so dass er auch nicht auf die Erben übergegangen sei. Der Beklagte bat um die Überweisung des genannten Betrags. Hinweise auf weitere Rückforderungen enthielt das Schreiben nicht. Für Einzelheiten wird auf Bl. 18 der Verwaltungsakte verwiesen.
Mit Schreiben vom 6. Juli 2007 teilte das Finanzamt Schöneberg mit, dass noch keine Mitteilung über einen Nachlass eingegangen sei. Mit Schreiben an das Finanzamt Schöneberg vom 18. Juli 2007 bat der Beklagte erneut um Mitteilung des Werts des Nachlasses. Mit Schreiben an die Klägerin von demselben Tag bat der Beklagte um Rücksendung eines Nachlassprotokolls, um einen eventuellen Ersatzanspruch gem. § 35 SGB II zu prüfen (Bl. 31 der Verwaltungsakte). Am 23. Juli 2007 gab die Klägerin persönlich eine Aufstellung der Nachlassgegenstände nebst Belegen beim Beklagten ab (Bl. 33-48 der Verwaltungsakte). Der Beklagte wertete das anlässlich dieser Gelegenheit stattfindende Gespräch als Anhörung und notierte dies handschriftlich in der Akte (Bl. 33 der Verwaltungsakte). Auf Grundlage der Angaben der Klägerin ermittelte der Beklagte einen Nachlasswert nach Abzug von Nachlassverbindlichkeiten in Höhe von 5.161,51 EUR von insgesamt 19.852,26 EUR (Bl. 49 der Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 26. Juli 2007 forderte der Beklagte die Klägerin als Gesamtschuldnerin zur Rückzahlung von 11.918,04 EUR auf Grundlage von § 35 SGB II auf (Bl. 50 der Verwaltungsakte). Mit Schreiben vom 12. August 2007 legte die Klägerin dagegen Widerspruch ein (Bl. 56 der Verwaltungsakte), welchen sie mit Schreiben vom 6. November 2007 näher begründete (Bl. 88 der Verwaltungsakte). Mit Widerspruchsbescheid vom 12. Juni 2008 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Für Einzelheiten wird auf den Widerspruchsbescheid verwiesen (Bl. a der Gerichtsakte).
Mit ihrer am 7. Juni 2008 beim Sozialgericht eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Anliegen weiter. Zur Begründung führt sie an, dass sie sich auf Vertrauensschutz berufen könne, weil sie im Dezember 2006 von dem Beklagten eine telefonische Auskunft erhalten hätte, dass keine weiteren Ansprüche gegen sie bestünden und das Schreiben vom 1. Februar 2007 ebenfalls keine Hinweise auf weitere Forderungen enthielt. Die Vorschrift des § 35 SGB II verstieße außerdem gegen das in Art. 14 GG garantierte Erbrecht. Schließlich habe der Beklagte zu Unrecht die Berücksichtigung eines Freibetrags in Höhe von 1.700,00 EUR abgelehnt. Die Klägerin sei alleinerziehend und habe zwei Kinder im Alter von 13 und 19 Jahren. Sie sei selbstständig tätig und verdiene monatlich ungefähr netto 800,00 EUR.
Mit Bescheid vom 31. November 2008 hat er Beklagte die Forderung um 1.700,00 EUR auf 10.218,04 EUR reduziert (Bl. 44 der Gerichtsakte).
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Bescheid des Beklagten vom 26. Juli 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Juni 2008 und den Änderungsbescheid vom 13. November 2008 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist er auf den Widerspruchsbescheid. Ergänzend weist er darauf hin, dass die Klägerin keinen Vertrauensschutz genieße.
Im Rahmen einer Erörterungstermins am 18. Januar 2011 haben die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Mit unmittelbar an die Klägerin gerichteten Schreiben vom 30. Januar 2011 hat der Beklagte die Klägerin zu der Rückforderung und den einzelnen ihr zugrunde liegenden Tatsachen unter Einräumung einer Frist zur Äußerung von vier Wochen nachträglich angehört (Bl. 73 der Gerichtsakte). Nach Ablauf dieser Frist und einer – dem Gericht nicht vorliegenden – Äußerung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegenüber dem Beklagten hat der Beklagte der Kläger mit Schreiben vom 16. März 2011 mitgeteilt, dass auch aufgrund ihrer Äußerungen an dem Rückforderungsbescheid vom 26. Juli 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Juni 2008 und dem Änderungsbescheid vom 13. November 2008 festgehalten wird (Bl. 80 der Gerichtsakte).
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Prozessakte sowie der Verwaltungsakten des Beklagten einschließlich eines Auszugs aus den Leistungsakten des Vaters der Klägerin Bezug genommen. Er war Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte gem. § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich damit einverstanden erklärt haben.
Die in Form einer Anfechtungsklage (§ 51 Abs. 1 SGG) zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 26. Juli 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Juni 2008 ist rechtmäßig. Soweit die Klage sich gegen den Änderungsbescheid vom 13. November 2008 richtet, ist die Klägerin dadurch schon nicht beschwert. Mit dem Änderungsbescheid reduziert der Beklagte lediglich die geltend gemachte Forderung.
Rechtsgrundlage für den Bescheid vom 26. Juli 2007 ist § 35 Abs. 1 SGB II in der im streitgegenständlichen Zeitraum geltenden Fassung. Danach ist der Erbe einer Person, die Leistungen nach diesem Buch erhalten hat, zum Ersatz der Leistungen verpflichtet, soweit diese innerhalb der letzten zehn Jahre vor dem Erbfall erbracht worden sind und 1.700,00 Euro übersteigen. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Der Rückforderungsbescheid des Beklagten ist formell rechtmäßig. Der Bescheid ist zunächst hinreichend bestimmt. Nach der Rechtsprechung des BSG ist ein Bescheid über den Kostenersatz durch Erben schon dann hinreichend bestimmt, wenn der Adressat des Verwaltungsakts die Höhe der Haftungsschuld erkennen kann. Neben der Höhe des Kostenersatzes ist weder die konkrete Benennung des Haftungsgrundes noch die Bezeichnung des Zeitraums erforderlich, für den Kostenersatz begehrt wird, und detailliert aufzulisten, wann und in welcher Höhe die jeweiligen Sozialhilfeleistungen erbracht worden sind (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 23. März 2010, Az. B 8 SO 2/09 R, juris Rz. 11).
Außerdem ist der angefochtene Bescheid nicht wegen eines Verstoßes gegen das Anhörungserfordernis gem. § 24 Abs. 1 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) formell rechtswidrig. Zwar stellt das handschriftlich dokumentierte Gespräch vom 23. Juli 2007 nach Ansicht der Kammer keine wirksame Anhörung dar. Es fehlt schon an der erforderlichen Anhörungsfrist, welche durch die Notiz nicht dokumentiert wird (zu der Anhörungsfrist, vgl. BSG, Urteil vom 6. August 1992, Az. 8/5a RKnU 1/87). Allerdings ist im vorliegenden Fall zweifelhaft, ob eine Anhörung überhaupt erforderlich ist. Gem. § 24 Abs. 2 Nr. 3 SGB X kann von der Anhörung abgesehen werden, wenn von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll. Dies könnte hier der Fall sein. Die Ermittlung des Nachlasswerts, auf die sich der geltend gemachte Rückforderungsanspruch stützt, beruht auf den Angaben der Klägerin. Andererseits ist nicht erkennbar, dass die Klägerin Angaben zu ggf. vorliegenden Ausschlussgründen gem. § 35 Abs. 2 SGB II machen konnte.
Im Ergebnis kann allerdings offen bleiben, ob eine Anhörung erforderlich war. Jedenfalls hat der Beklagte die Anhörung wirksam nachgeholt. Eine unterbliebene Anhörung kann auch noch im gerichtlichen Verfahren gem. § 41 Abs. 2 iVm. Abs. 1 Nr. 3 SGB X nachgeholt werden. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts setzt die Nachholung der fehlenden Anhörung außerhalb des Verwaltungsverfahrens voraus, dass die Handlungen, die an sich nach § 24 Abs. 1 SGB X bereits vor Erlass des belastenden Verwaltungsaktes hätten vorgenommen werden müssen, von der Verwaltung bis zum Abschluss der gerichtlichen Tatsacheninstanz vollzogen werden. Ein während des Gerichtsverfahrens zu diesem Zweck durchzuführendes förmliches Verwaltungsverfahren liegt vor, wenn die beklagte Behörde dem Kläger in angemessener Weise Gelegenheit zur Äußerung zu den entscheidungserheblichen Tatsachen gegeben hat und sie danach zu erkennen gibt, ob sie nach erneuter Prüfung dieser Tatsachen am bisher erlassenen Verwaltungsakt festhält. Dies setzt regelmäßig voraus, dass die Behörde den Kläger in einem gesonderten "Anhörungsschreiben" alle Haupttatsachen mitteilt, auf die sie die belastende Entscheidung stützen will und sie ihm eine angemessene Frist zur Äußerung setzt. Ferner ist erforderlich, dass die Behörde das Vorbringen des Betroffenen zur Kenntnis nimmt und sich abschließend zum Ergebnis der Überprüfung äußert (BSG, Urteil vom 9. November 2010, Az. B 4 AS 37/09 R, juris Rz. 15).
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt. Der Beklagte hat der Klägerin außerhalb des Gerichtsverfahrens mit einem unmittelbar an sie gerichteten Schreiben alle Haupttatsachen mitgeteilt, auf die er die belastende Entscheidung stützen will und ihr eine angemessene Frist zur Äußerung von vier Wochen gesetzt. Nach Ablauf dieser Frist und einer Äußerung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegenüber dem Beklagten hat er sich abschließend zum Ergebnis der Überprüfung geäußert.
Die einzelnen Voraussetzungen für eine Rückforderung der dem Vater der Klägerin gewährten Leistungen nach § 35 SGB II a.F. liegen vor. Der Vater der Klägerin hat Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 11.918,04 EUR erhalten. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Gewährung dieser Leistungen nicht rechtmäßig erfolgte, so dass für eine Rückforderung die §§ 45, 50 SGB X vorrangig anwendbar wären (vgl. Conradis in LPK-SGB II, 3. Aufl. 2009, § 35 Rz. 3; zu der vergleichbaren Vorschrift in § 92c des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG), vgl. BSG, Urteil vom 23. März 2010, Az. B 8 SO 2/09 R, juris Rz. 11). Der Vater der Klägerin verfügte bereits zum Zeitpunkt seines ersten Leistungsantrags über Vermögen in Höhe von insgesamt 22.122,81 EUR. Dieses Vermögen stand einem Leistungsanspruch nicht entgegen. Dem Vater der Klägerin kam aufgrund seines Geburtsjahrgangs 1946 ein Vermögensfreibetrag gem. § 12 Abs. 2 Nr. 1 SGB II zugute, welcher sein Vermögen überstieg. Nach § 65 Abs. 5 SGB gilt § 12 Abs. 2 Nr. 1 SGB II mit der Maßgabe, dass für die in § 4 Abs. 2 S. 2 der Arbeitslosenhilfe-Verordnung vom 13. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3734) in der Fassung vom 31. Dezember 2004 genannten Personen an die Stelle des Grundfreibetrags in Höhe von 200,00 Euro je vollendetem Lebensjahr ein Freibetrag von 520,00 Euro, an die Stelle des Höchstfreibetrags in Höhe von jeweils 13.000,00 Euro ein Höchstfreibetrag in Höhe von 33.800,00 Euro tritt. Bei den in § 4 Abs. 2 S. 2 der Arbeitslosenhilfe-Verordnung genannten Personen handelt es sich um Personen, die bis zum 1. Januar 1948 geboren sind.
Die Klägerin ist Erbin ihres Vaters. Gem. § 2058 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) haftet sie für gemeinschaftliche Nachlassverbindlichkeiten als Gesamtschuldnerin (§ 421 BGB). Dies trifft auch hier zu. Gem. § 1967 Abs. 2 BGB gehören zu den Nachlassverbindlichkeiten auch die den Erben als solchen treffenden Verbindlichkeiten (offen gelassen bezüglich § 92c BSHG in BSG, Urteil vom 23. März 2010, Az. B 8 SO 2/09 R, juris Rz. 14).
Die Leistungen sind auch innerhalb von zehn Jahren vor dem Erbfall erbracht worden und übersteigen den Betrag von 1.700,00 EUR. Die vom Beklagten zurückgeforderte Summe erreicht im Übrigen nicht den Wert des Nachlasses im Zeitpunkt des Erbfalles (§ 35 Abs. 1 S. 2 SGB II).
Es liegen auch keine Ausschlussgründe für die Geltendmachung des Ersatzanspruches gem. § 35 Abs. 2 SGB II vor. § 35 Abs. 2 Nr. 1 SGB II ist schon nicht einschlägig, weil der Wert des Nachlasses über 15.500,00 EUR lag. Im Übrigen hat die Klägerin mit ihrem Vater nicht in häuslicher Gemeinschaft gelebt und ihn nicht gepflegt. Auch die Voraussetzungen von § 35 Abs. 2 Nr. 2 SGB II liegen nicht vor. Es ist nicht ersichtlich, dass die Inanspruchnahme der Klägerin nach der Besonderheit des Einzelfalles eine besondere Härte bedeutet. Eine solche Härte ist bei einer auffallenden Atypik des zu beurteilenden Sachverhalts anzunehmen, die es unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls als unbillig erscheinen lässt, den Erben für den Ersatz der Kosten der Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen. Die Härte muss besonders gewichtig sein, also objektiv besonders schwer wiegen (BSG, Urteil vom 23. März 2010, Az. B 8 SO 2/09 R, juris Rz. 27; Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg, Urteil vom 22. Dezember 2010, Az. L 2 SO 5548/08, juris Rz. 43). Dafür liegen hier keine Anhaltspunkte vor.
Dass die Klägerin alleinstehend ist mit zwei Kindern und nur ein geringes Einkommen besitzt, stellt keine besondere Härte dar. Es werden keine selbsterworbenen Mittel der Klägerin zurückgefordert. Die Rückforderung ist auf den Wert des Nachlasses beschränkt. Der Klägerin und ihrem miterbenden Bruder verbleibt auch nach der Rückforderung noch ein (Rest-) Erbe. Keine besondere Härte ergibt sich auch daraus, dass das Erbe für die Klägerin selbst Schonvermögen wäre (dazu vgl. BSG, Urteil vom 23. März 2010, Az. B 8 SO 2/09 R, juris Rz. 28; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22. Dezember 2010, Az. L 2 SO 5548/08, juris Rz. 47). Die Klägerin ist selbst nicht hilfebedürftig. Sonstige Anhaltspunkte für eine besondere Härte, die über eine einfache Härte hinausgeht, liegen nicht vor.
Der Beklagte hat auch die Frist nach § 35 Abs. 3 SGB II gewahrt.
Die Klägerin kann sich gegen die Rückforderung schließlich nicht auf Vertrauensschutz berufen. Das aus dem Rechtsstaatsprinzip gem. Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) fließende Gebot des Vertrauensschutzes genießt nach der Rechtsprechung des Bundes¬verfassungsgerichts (BVerfG) Verfassungsrang (BVerfG, Beschluss vom 11. April 2001, Az. 1 BvR 1646/97). Jedoch geht der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz nicht so weit, den Staats¬bürger vor jeglicher Enttäuschung seiner Erwartung in die Dauerhaftigkeit der Rechts¬lage zu schützen (BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 2010, Az. 1 BvR 2628/07, juris Az. 43). Die konkrete Ausprägung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes ergibt sich in erster Linie aus dem einfachen Recht. Im Sozialverfahrensrecht hat der Gesetzgeber den Gedanken des Vertrauensschutzes, soweit es um die Reichweite der materiellen Bestandskraft begünstigender Verwaltungsakte geht, etwa in den §§ 45, 48 SGB X in besonderer Weise ausgestaltet (BVerfG, Beschluss vom 20. Februar 2002, Az. 1 BvL 11/98). Der verfassungs¬rechtliche Vertrauensschutzgrundsatz kommt daneben in Form einer Inhaltskontrolle der Ausgestaltung und Anwendung des einfachen Rechts zum Tragen.
§ 35 SGB II enthält – anders als die §§ 45, 48 SGB X – keine ausdrückliche Vertrauensschutzregelung. Die Vorschrift sieht vielmehr lediglich vor, dass der Ersatzanspruch drei Jahre nach dem Tod des Leistungsempfängers erlischt. Innerhalb dieser Frist genießt der Erbe nach der gesetzlichen Konzeption keinen Vertrauensschutz. Es kommt hier im Ergebnis auch nicht darauf an, ob sich ein Vertrauensschutz unmittelbar aus Verfassungsrecht ergeben könnte. Jedenfalls fehlt es an einer schützenswerten Vertrauensposition der Klägerin. Der Klägerin ist zu keiner Zeit in rechtlich schützenswerter Weise zugesagt worden, dass sie den Nachlass ihres Vaters nach Rückzahlung der über den Todestag hinaus gewährten Leistungen vollständig behalten darf.
Soweit die Klägerin sich darauf beruft, dass ihr der Beklagte dies telefonisch versichert habe, wäre eine solche telefonische Auskunft unwirksam. § 34 Abs. 1 S. 1 SGB X sieht für eine von der zuständigen Behörde erteilte Zusage, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen oder zu unterlassen, zwingend die Schriftform vor. Diese Vorschrift ist hier zumindest entsprechend anwendbar. Eine Aussage, dass keine weiteren Forderungen geltend gemacht werden, entspricht der Zusicherung, dass keine entsprechenden Bescheide erlassen werden sollen.
Eine schützenswerte Vertrauensposition ergibt sich auch nicht aus dem Schreiben des Beklagten vom 1. Februar 2007. Dieses Schreiben bezieht sich ausschließlich auf die über den Todestag hinaus gewährten Leistungen. Es wird an keiner Stelle zugesichert, dass darüber hinaus nicht noch weitere Forderungen bestehen könnten. Auch wenn es vielleicht wünschenswert gewesen wäre, einen Hinweis auf die Prüfung möglicher Ansprüche aus § 35 SGB II in das Schreiben aufzunehmen, ergibt sich daraus noch keine verfassungsrechtlich schützenswerte Vertrauensposition. Eine solche Position könnte sich nur aus einer positiven Aussage über die Nichtgeltendmachung weiterer Forderungen ergeben. Schützenswert ist jeweils ein bestimmter Bestand. Bloße Erwartungshaltungen und Interpretationen, die sich aus dem Fehlen einer positiven Aussage ergeben, genießen demgegenüber höchstens einen verminderten Schutz.
Es ist auch nicht rechtsmissbräuchlich, dass der Beklagte sich erst mit Schreiben vom 18. Juli 2007 an die Klägerin wegen möglicher Ansprüche gem. § 35 SGB II gewandt hat. Der Beklagte musste erst einmal ermitteln, ob überhaupt ein Nachlass vorhanden ist, welchen Wert dieser hat und wer das Erbe angetreten hat. Die dafür erforderlichen Ermittlungsschritte hat der Beklagte nach Kenntnis des Tods des Vaters der Klägerin unverzüglich durch die Schreiben an das Finanzamt Schöneberg und das Amtsgericht Hohenschönhausen eingeleitet. Die Geltendmachung von Ansprüchen nach § 35 SGB II steht schließlich nicht im Ermessen des Beklagten.
Anhaltspunkte für Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 35 SGB II sind nicht ersichtlich. Die Vorschrift orientiert sich an dem ehemaligen § 92c BSHG. Sie beruht auf der legitimen Erwägung, dass sich das den Hilfebedürftigen belassene Schönvermögen nicht zugunsten der Erben auswirken soll, was vom Gesetzgeber insbesondere bei einem fehlenden Näheverhältnis zwischen Erben und Hilfeempfänger als nicht gerechtfertigt empfunden wurde (BSG, Urteil vom 23. März 2010, Az. B 8 SO 2/09 R, juris Rz. 21). Eine verfassungswidrige Beeinträchtigung des Erbrechts ist nicht erkennbar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG iVm. § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Klägerin gehört nicht zu dem in § 183 SGG genannten Personenkreis, weil sie nicht in der Eigenschaft als Versicherte, Leistungs¬empfängerin oder Sonderrechtsnachfolgerin nach § 56 des Ersten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB I) klagt, sondern als Erbin in Anspruch genommen wird und sich in dieser Funktion gegen die von dem Beklagten geltend gemachten Ersatzansprüche zur Wehr setzt (BSG, Urteil vom 23. März 2010, Az. B 8 SO 2/09 R, juris Rz. 30).
Die Entscheidung über den Streitwert stützt sich auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG iVm. §§ 52 Abs. 3, 63 Abs. 2 S. des Gerichtskostengesetzes (GKG).
Tatbestand:
Die Klägerin wehrt sich gegen die Rückforderung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) von ihr als Erbin.
Der am. 1946 geborene Vater der Klägerin stellte am 13. Oktober 2004 einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II bei dem Beklagten. Insgesamt erhielt er ab Januar 2005 bis zu seinem Tod zwischen dem Oktober 2006 und dem ... November 2006 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 11.918,04 EUR von dem Beklagten (ohne Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung), davon 7.896,53 EUR Regelleistung und 4.021,51 EUR für Kosten der Unterkunft. Zum Zeitpunkt der Antragstellung hatte der Vater der Klägerin ein Vermögen in Höhe von insgesamt 22.122,81 EUR (Bl. 23 der Leistungsakte des Vaters der Klägerin). Die Klägerin erhielt zu keinem Zeitpunkt selbst Leistungen nach dem SGB II.
Ende November 2006 erfuhr die Klägerin von dem Tod ihres Vaters, mit dem sie keinen Kontakt hatte. Neben ihrem Bruder war sie Alleinerbin zur Hälfte des Nachlasses (Bl. 25 der Verwaltungsakte). Mit Schreiben vom 11. Dezember 2006 informierte die Klägerin den Beklagten über den Tod ihres Vaters und bat um Mitteilung von eventuell bestehenden Forderungen des Beklagten (Bl. 10 der Verwaltungsakte). Mit Schreiben an das Finanzamt Schöneberg vom 31. Januar 2007 bat der Beklagte um Mitteilung des Werts des Nachlasses. Mit weiterem Schreiben an das Amtsgericht Hohenschönhausen vom 31. Januar 2007 bat der Beklagte um Mitteilung, wer das Erbe angetreten hat.
Mit Schreiben an die Klägerin vom 1. Februar 2007 teilte der Beklagte mit, dass die laufenden Leistungen nach der Mitteilung des Tods des Vaters nicht mehr rechtzeitig eingestellt werden konnten, so dass über den Todestag hinaus Leistungen gewährt wurden. Daher seien insgesamt 522,65 EUR überwiesen worden, die nicht mehr zustanden. Dieser Betrag gehöre nicht zum Nachlass, so dass er auch nicht auf die Erben übergegangen sei. Der Beklagte bat um die Überweisung des genannten Betrags. Hinweise auf weitere Rückforderungen enthielt das Schreiben nicht. Für Einzelheiten wird auf Bl. 18 der Verwaltungsakte verwiesen.
Mit Schreiben vom 6. Juli 2007 teilte das Finanzamt Schöneberg mit, dass noch keine Mitteilung über einen Nachlass eingegangen sei. Mit Schreiben an das Finanzamt Schöneberg vom 18. Juli 2007 bat der Beklagte erneut um Mitteilung des Werts des Nachlasses. Mit Schreiben an die Klägerin von demselben Tag bat der Beklagte um Rücksendung eines Nachlassprotokolls, um einen eventuellen Ersatzanspruch gem. § 35 SGB II zu prüfen (Bl. 31 der Verwaltungsakte). Am 23. Juli 2007 gab die Klägerin persönlich eine Aufstellung der Nachlassgegenstände nebst Belegen beim Beklagten ab (Bl. 33-48 der Verwaltungsakte). Der Beklagte wertete das anlässlich dieser Gelegenheit stattfindende Gespräch als Anhörung und notierte dies handschriftlich in der Akte (Bl. 33 der Verwaltungsakte). Auf Grundlage der Angaben der Klägerin ermittelte der Beklagte einen Nachlasswert nach Abzug von Nachlassverbindlichkeiten in Höhe von 5.161,51 EUR von insgesamt 19.852,26 EUR (Bl. 49 der Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 26. Juli 2007 forderte der Beklagte die Klägerin als Gesamtschuldnerin zur Rückzahlung von 11.918,04 EUR auf Grundlage von § 35 SGB II auf (Bl. 50 der Verwaltungsakte). Mit Schreiben vom 12. August 2007 legte die Klägerin dagegen Widerspruch ein (Bl. 56 der Verwaltungsakte), welchen sie mit Schreiben vom 6. November 2007 näher begründete (Bl. 88 der Verwaltungsakte). Mit Widerspruchsbescheid vom 12. Juni 2008 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Für Einzelheiten wird auf den Widerspruchsbescheid verwiesen (Bl. a der Gerichtsakte).
Mit ihrer am 7. Juni 2008 beim Sozialgericht eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Anliegen weiter. Zur Begründung führt sie an, dass sie sich auf Vertrauensschutz berufen könne, weil sie im Dezember 2006 von dem Beklagten eine telefonische Auskunft erhalten hätte, dass keine weiteren Ansprüche gegen sie bestünden und das Schreiben vom 1. Februar 2007 ebenfalls keine Hinweise auf weitere Forderungen enthielt. Die Vorschrift des § 35 SGB II verstieße außerdem gegen das in Art. 14 GG garantierte Erbrecht. Schließlich habe der Beklagte zu Unrecht die Berücksichtigung eines Freibetrags in Höhe von 1.700,00 EUR abgelehnt. Die Klägerin sei alleinerziehend und habe zwei Kinder im Alter von 13 und 19 Jahren. Sie sei selbstständig tätig und verdiene monatlich ungefähr netto 800,00 EUR.
Mit Bescheid vom 31. November 2008 hat er Beklagte die Forderung um 1.700,00 EUR auf 10.218,04 EUR reduziert (Bl. 44 der Gerichtsakte).
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Bescheid des Beklagten vom 26. Juli 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Juni 2008 und den Änderungsbescheid vom 13. November 2008 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist er auf den Widerspruchsbescheid. Ergänzend weist er darauf hin, dass die Klägerin keinen Vertrauensschutz genieße.
Im Rahmen einer Erörterungstermins am 18. Januar 2011 haben die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Mit unmittelbar an die Klägerin gerichteten Schreiben vom 30. Januar 2011 hat der Beklagte die Klägerin zu der Rückforderung und den einzelnen ihr zugrunde liegenden Tatsachen unter Einräumung einer Frist zur Äußerung von vier Wochen nachträglich angehört (Bl. 73 der Gerichtsakte). Nach Ablauf dieser Frist und einer – dem Gericht nicht vorliegenden – Äußerung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegenüber dem Beklagten hat der Beklagte der Kläger mit Schreiben vom 16. März 2011 mitgeteilt, dass auch aufgrund ihrer Äußerungen an dem Rückforderungsbescheid vom 26. Juli 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Juni 2008 und dem Änderungsbescheid vom 13. November 2008 festgehalten wird (Bl. 80 der Gerichtsakte).
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Prozessakte sowie der Verwaltungsakten des Beklagten einschließlich eines Auszugs aus den Leistungsakten des Vaters der Klägerin Bezug genommen. Er war Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte gem. § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich damit einverstanden erklärt haben.
Die in Form einer Anfechtungsklage (§ 51 Abs. 1 SGG) zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 26. Juli 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Juni 2008 ist rechtmäßig. Soweit die Klage sich gegen den Änderungsbescheid vom 13. November 2008 richtet, ist die Klägerin dadurch schon nicht beschwert. Mit dem Änderungsbescheid reduziert der Beklagte lediglich die geltend gemachte Forderung.
Rechtsgrundlage für den Bescheid vom 26. Juli 2007 ist § 35 Abs. 1 SGB II in der im streitgegenständlichen Zeitraum geltenden Fassung. Danach ist der Erbe einer Person, die Leistungen nach diesem Buch erhalten hat, zum Ersatz der Leistungen verpflichtet, soweit diese innerhalb der letzten zehn Jahre vor dem Erbfall erbracht worden sind und 1.700,00 Euro übersteigen. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Der Rückforderungsbescheid des Beklagten ist formell rechtmäßig. Der Bescheid ist zunächst hinreichend bestimmt. Nach der Rechtsprechung des BSG ist ein Bescheid über den Kostenersatz durch Erben schon dann hinreichend bestimmt, wenn der Adressat des Verwaltungsakts die Höhe der Haftungsschuld erkennen kann. Neben der Höhe des Kostenersatzes ist weder die konkrete Benennung des Haftungsgrundes noch die Bezeichnung des Zeitraums erforderlich, für den Kostenersatz begehrt wird, und detailliert aufzulisten, wann und in welcher Höhe die jeweiligen Sozialhilfeleistungen erbracht worden sind (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 23. März 2010, Az. B 8 SO 2/09 R, juris Rz. 11).
Außerdem ist der angefochtene Bescheid nicht wegen eines Verstoßes gegen das Anhörungserfordernis gem. § 24 Abs. 1 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) formell rechtswidrig. Zwar stellt das handschriftlich dokumentierte Gespräch vom 23. Juli 2007 nach Ansicht der Kammer keine wirksame Anhörung dar. Es fehlt schon an der erforderlichen Anhörungsfrist, welche durch die Notiz nicht dokumentiert wird (zu der Anhörungsfrist, vgl. BSG, Urteil vom 6. August 1992, Az. 8/5a RKnU 1/87). Allerdings ist im vorliegenden Fall zweifelhaft, ob eine Anhörung überhaupt erforderlich ist. Gem. § 24 Abs. 2 Nr. 3 SGB X kann von der Anhörung abgesehen werden, wenn von den tatsächlichen Angaben eines Beteiligten, die dieser in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen werden soll. Dies könnte hier der Fall sein. Die Ermittlung des Nachlasswerts, auf die sich der geltend gemachte Rückforderungsanspruch stützt, beruht auf den Angaben der Klägerin. Andererseits ist nicht erkennbar, dass die Klägerin Angaben zu ggf. vorliegenden Ausschlussgründen gem. § 35 Abs. 2 SGB II machen konnte.
Im Ergebnis kann allerdings offen bleiben, ob eine Anhörung erforderlich war. Jedenfalls hat der Beklagte die Anhörung wirksam nachgeholt. Eine unterbliebene Anhörung kann auch noch im gerichtlichen Verfahren gem. § 41 Abs. 2 iVm. Abs. 1 Nr. 3 SGB X nachgeholt werden. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts setzt die Nachholung der fehlenden Anhörung außerhalb des Verwaltungsverfahrens voraus, dass die Handlungen, die an sich nach § 24 Abs. 1 SGB X bereits vor Erlass des belastenden Verwaltungsaktes hätten vorgenommen werden müssen, von der Verwaltung bis zum Abschluss der gerichtlichen Tatsacheninstanz vollzogen werden. Ein während des Gerichtsverfahrens zu diesem Zweck durchzuführendes förmliches Verwaltungsverfahren liegt vor, wenn die beklagte Behörde dem Kläger in angemessener Weise Gelegenheit zur Äußerung zu den entscheidungserheblichen Tatsachen gegeben hat und sie danach zu erkennen gibt, ob sie nach erneuter Prüfung dieser Tatsachen am bisher erlassenen Verwaltungsakt festhält. Dies setzt regelmäßig voraus, dass die Behörde den Kläger in einem gesonderten "Anhörungsschreiben" alle Haupttatsachen mitteilt, auf die sie die belastende Entscheidung stützen will und sie ihm eine angemessene Frist zur Äußerung setzt. Ferner ist erforderlich, dass die Behörde das Vorbringen des Betroffenen zur Kenntnis nimmt und sich abschließend zum Ergebnis der Überprüfung äußert (BSG, Urteil vom 9. November 2010, Az. B 4 AS 37/09 R, juris Rz. 15).
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt. Der Beklagte hat der Klägerin außerhalb des Gerichtsverfahrens mit einem unmittelbar an sie gerichteten Schreiben alle Haupttatsachen mitgeteilt, auf die er die belastende Entscheidung stützen will und ihr eine angemessene Frist zur Äußerung von vier Wochen gesetzt. Nach Ablauf dieser Frist und einer Äußerung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegenüber dem Beklagten hat er sich abschließend zum Ergebnis der Überprüfung geäußert.
Die einzelnen Voraussetzungen für eine Rückforderung der dem Vater der Klägerin gewährten Leistungen nach § 35 SGB II a.F. liegen vor. Der Vater der Klägerin hat Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 11.918,04 EUR erhalten. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Gewährung dieser Leistungen nicht rechtmäßig erfolgte, so dass für eine Rückforderung die §§ 45, 50 SGB X vorrangig anwendbar wären (vgl. Conradis in LPK-SGB II, 3. Aufl. 2009, § 35 Rz. 3; zu der vergleichbaren Vorschrift in § 92c des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG), vgl. BSG, Urteil vom 23. März 2010, Az. B 8 SO 2/09 R, juris Rz. 11). Der Vater der Klägerin verfügte bereits zum Zeitpunkt seines ersten Leistungsantrags über Vermögen in Höhe von insgesamt 22.122,81 EUR. Dieses Vermögen stand einem Leistungsanspruch nicht entgegen. Dem Vater der Klägerin kam aufgrund seines Geburtsjahrgangs 1946 ein Vermögensfreibetrag gem. § 12 Abs. 2 Nr. 1 SGB II zugute, welcher sein Vermögen überstieg. Nach § 65 Abs. 5 SGB gilt § 12 Abs. 2 Nr. 1 SGB II mit der Maßgabe, dass für die in § 4 Abs. 2 S. 2 der Arbeitslosenhilfe-Verordnung vom 13. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3734) in der Fassung vom 31. Dezember 2004 genannten Personen an die Stelle des Grundfreibetrags in Höhe von 200,00 Euro je vollendetem Lebensjahr ein Freibetrag von 520,00 Euro, an die Stelle des Höchstfreibetrags in Höhe von jeweils 13.000,00 Euro ein Höchstfreibetrag in Höhe von 33.800,00 Euro tritt. Bei den in § 4 Abs. 2 S. 2 der Arbeitslosenhilfe-Verordnung genannten Personen handelt es sich um Personen, die bis zum 1. Januar 1948 geboren sind.
Die Klägerin ist Erbin ihres Vaters. Gem. § 2058 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) haftet sie für gemeinschaftliche Nachlassverbindlichkeiten als Gesamtschuldnerin (§ 421 BGB). Dies trifft auch hier zu. Gem. § 1967 Abs. 2 BGB gehören zu den Nachlassverbindlichkeiten auch die den Erben als solchen treffenden Verbindlichkeiten (offen gelassen bezüglich § 92c BSHG in BSG, Urteil vom 23. März 2010, Az. B 8 SO 2/09 R, juris Rz. 14).
Die Leistungen sind auch innerhalb von zehn Jahren vor dem Erbfall erbracht worden und übersteigen den Betrag von 1.700,00 EUR. Die vom Beklagten zurückgeforderte Summe erreicht im Übrigen nicht den Wert des Nachlasses im Zeitpunkt des Erbfalles (§ 35 Abs. 1 S. 2 SGB II).
Es liegen auch keine Ausschlussgründe für die Geltendmachung des Ersatzanspruches gem. § 35 Abs. 2 SGB II vor. § 35 Abs. 2 Nr. 1 SGB II ist schon nicht einschlägig, weil der Wert des Nachlasses über 15.500,00 EUR lag. Im Übrigen hat die Klägerin mit ihrem Vater nicht in häuslicher Gemeinschaft gelebt und ihn nicht gepflegt. Auch die Voraussetzungen von § 35 Abs. 2 Nr. 2 SGB II liegen nicht vor. Es ist nicht ersichtlich, dass die Inanspruchnahme der Klägerin nach der Besonderheit des Einzelfalles eine besondere Härte bedeutet. Eine solche Härte ist bei einer auffallenden Atypik des zu beurteilenden Sachverhalts anzunehmen, die es unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls als unbillig erscheinen lässt, den Erben für den Ersatz der Kosten der Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen. Die Härte muss besonders gewichtig sein, also objektiv besonders schwer wiegen (BSG, Urteil vom 23. März 2010, Az. B 8 SO 2/09 R, juris Rz. 27; Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg, Urteil vom 22. Dezember 2010, Az. L 2 SO 5548/08, juris Rz. 43). Dafür liegen hier keine Anhaltspunkte vor.
Dass die Klägerin alleinstehend ist mit zwei Kindern und nur ein geringes Einkommen besitzt, stellt keine besondere Härte dar. Es werden keine selbsterworbenen Mittel der Klägerin zurückgefordert. Die Rückforderung ist auf den Wert des Nachlasses beschränkt. Der Klägerin und ihrem miterbenden Bruder verbleibt auch nach der Rückforderung noch ein (Rest-) Erbe. Keine besondere Härte ergibt sich auch daraus, dass das Erbe für die Klägerin selbst Schonvermögen wäre (dazu vgl. BSG, Urteil vom 23. März 2010, Az. B 8 SO 2/09 R, juris Rz. 28; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22. Dezember 2010, Az. L 2 SO 5548/08, juris Rz. 47). Die Klägerin ist selbst nicht hilfebedürftig. Sonstige Anhaltspunkte für eine besondere Härte, die über eine einfache Härte hinausgeht, liegen nicht vor.
Der Beklagte hat auch die Frist nach § 35 Abs. 3 SGB II gewahrt.
Die Klägerin kann sich gegen die Rückforderung schließlich nicht auf Vertrauensschutz berufen. Das aus dem Rechtsstaatsprinzip gem. Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) fließende Gebot des Vertrauensschutzes genießt nach der Rechtsprechung des Bundes¬verfassungsgerichts (BVerfG) Verfassungsrang (BVerfG, Beschluss vom 11. April 2001, Az. 1 BvR 1646/97). Jedoch geht der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz nicht so weit, den Staats¬bürger vor jeglicher Enttäuschung seiner Erwartung in die Dauerhaftigkeit der Rechts¬lage zu schützen (BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 2010, Az. 1 BvR 2628/07, juris Az. 43). Die konkrete Ausprägung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes ergibt sich in erster Linie aus dem einfachen Recht. Im Sozialverfahrensrecht hat der Gesetzgeber den Gedanken des Vertrauensschutzes, soweit es um die Reichweite der materiellen Bestandskraft begünstigender Verwaltungsakte geht, etwa in den §§ 45, 48 SGB X in besonderer Weise ausgestaltet (BVerfG, Beschluss vom 20. Februar 2002, Az. 1 BvL 11/98). Der verfassungs¬rechtliche Vertrauensschutzgrundsatz kommt daneben in Form einer Inhaltskontrolle der Ausgestaltung und Anwendung des einfachen Rechts zum Tragen.
§ 35 SGB II enthält – anders als die §§ 45, 48 SGB X – keine ausdrückliche Vertrauensschutzregelung. Die Vorschrift sieht vielmehr lediglich vor, dass der Ersatzanspruch drei Jahre nach dem Tod des Leistungsempfängers erlischt. Innerhalb dieser Frist genießt der Erbe nach der gesetzlichen Konzeption keinen Vertrauensschutz. Es kommt hier im Ergebnis auch nicht darauf an, ob sich ein Vertrauensschutz unmittelbar aus Verfassungsrecht ergeben könnte. Jedenfalls fehlt es an einer schützenswerten Vertrauensposition der Klägerin. Der Klägerin ist zu keiner Zeit in rechtlich schützenswerter Weise zugesagt worden, dass sie den Nachlass ihres Vaters nach Rückzahlung der über den Todestag hinaus gewährten Leistungen vollständig behalten darf.
Soweit die Klägerin sich darauf beruft, dass ihr der Beklagte dies telefonisch versichert habe, wäre eine solche telefonische Auskunft unwirksam. § 34 Abs. 1 S. 1 SGB X sieht für eine von der zuständigen Behörde erteilte Zusage, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen oder zu unterlassen, zwingend die Schriftform vor. Diese Vorschrift ist hier zumindest entsprechend anwendbar. Eine Aussage, dass keine weiteren Forderungen geltend gemacht werden, entspricht der Zusicherung, dass keine entsprechenden Bescheide erlassen werden sollen.
Eine schützenswerte Vertrauensposition ergibt sich auch nicht aus dem Schreiben des Beklagten vom 1. Februar 2007. Dieses Schreiben bezieht sich ausschließlich auf die über den Todestag hinaus gewährten Leistungen. Es wird an keiner Stelle zugesichert, dass darüber hinaus nicht noch weitere Forderungen bestehen könnten. Auch wenn es vielleicht wünschenswert gewesen wäre, einen Hinweis auf die Prüfung möglicher Ansprüche aus § 35 SGB II in das Schreiben aufzunehmen, ergibt sich daraus noch keine verfassungsrechtlich schützenswerte Vertrauensposition. Eine solche Position könnte sich nur aus einer positiven Aussage über die Nichtgeltendmachung weiterer Forderungen ergeben. Schützenswert ist jeweils ein bestimmter Bestand. Bloße Erwartungshaltungen und Interpretationen, die sich aus dem Fehlen einer positiven Aussage ergeben, genießen demgegenüber höchstens einen verminderten Schutz.
Es ist auch nicht rechtsmissbräuchlich, dass der Beklagte sich erst mit Schreiben vom 18. Juli 2007 an die Klägerin wegen möglicher Ansprüche gem. § 35 SGB II gewandt hat. Der Beklagte musste erst einmal ermitteln, ob überhaupt ein Nachlass vorhanden ist, welchen Wert dieser hat und wer das Erbe angetreten hat. Die dafür erforderlichen Ermittlungsschritte hat der Beklagte nach Kenntnis des Tods des Vaters der Klägerin unverzüglich durch die Schreiben an das Finanzamt Schöneberg und das Amtsgericht Hohenschönhausen eingeleitet. Die Geltendmachung von Ansprüchen nach § 35 SGB II steht schließlich nicht im Ermessen des Beklagten.
Anhaltspunkte für Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 35 SGB II sind nicht ersichtlich. Die Vorschrift orientiert sich an dem ehemaligen § 92c BSHG. Sie beruht auf der legitimen Erwägung, dass sich das den Hilfebedürftigen belassene Schönvermögen nicht zugunsten der Erben auswirken soll, was vom Gesetzgeber insbesondere bei einem fehlenden Näheverhältnis zwischen Erben und Hilfeempfänger als nicht gerechtfertigt empfunden wurde (BSG, Urteil vom 23. März 2010, Az. B 8 SO 2/09 R, juris Rz. 21). Eine verfassungswidrige Beeinträchtigung des Erbrechts ist nicht erkennbar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG iVm. § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Klägerin gehört nicht zu dem in § 183 SGG genannten Personenkreis, weil sie nicht in der Eigenschaft als Versicherte, Leistungs¬empfängerin oder Sonderrechtsnachfolgerin nach § 56 des Ersten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB I) klagt, sondern als Erbin in Anspruch genommen wird und sich in dieser Funktion gegen die von dem Beklagten geltend gemachten Ersatzansprüche zur Wehr setzt (BSG, Urteil vom 23. März 2010, Az. B 8 SO 2/09 R, juris Rz. 30).
Die Entscheidung über den Streitwert stützt sich auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG iVm. §§ 52 Abs. 3, 63 Abs. 2 S. des Gerichtskostengesetzes (GKG).
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