S 14 AS 22/10

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
14
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 14 AS 22/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 1061/11
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Sozialgericht Aachen, Urteil vom 26.05.2011, S 14 AS 22/10 – nicht rechtskräftig - Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Der am 00.00.0000 geborene Kläger steht seit 2005 gemeinsam mit seinen Eltern und seinem 0000 geborenen Bruder im laufenden Bezug von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).

Mit Bewilligungsbescheid vom 03.01.2008 wurden der Bedarfsgemeinschaft Leistungen für den Zeitraum vom 01.01.2008 bis zum 31.05.2008 bewilligt. Darin wurde Einkommen der Mutter des Klägers aus deren Tätigkeit beim Diakonischen Werk angerechnet. Ab dem 14.04.2008 ging auch der Vater des Klägers einer Beschäftigung bei der Firma D. nach. Hierauf wurden die Leistungen mit Änderungsbescheid vom 30.04.2008 für die Monate April und Mai 2008 neu festgesetzt. Im Juni 2008 legte der Vater des Klägers hierüber Verdienstbescheinigungen vor, aus denen sich im April 2008 zugeflossenes Entgelt in Höhe von 1.126,27 Euro brutto ergab, im Mai 2008 in Höhe von 2.316,26 Euro brutto.

Nach entsprechender Anhörung hob der Beklagte mit Bescheid vom 06.02.2009 die Bewilligungen für die Monate April und Mai 2008 in Bezug auf den Kläger teilweise auf und forderte von ihm die Erstattung von 113,24 Euro (April) und 220,96 Euro (Mai), insgesamt 334,20 Euro. Mit Bescheiden vom selben Datum wurden die Leistungen auch für die Eltern und den Bruder entsprechend aufgehoben. Gegen den Bescheid vom 06.02.2009 legte der Kläger am 17.02.2009 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 11.12.2009 zurückgewiesen wurde.

Hiergegen hat der Kläger am 10.01.2010 Klage erhoben.

Der Kläger hat zunächst vorgetragen, die Erstattung sei in Bezug auf die Unterkunftskosten in Anwendung der Vorschrift des § 40 Abs. 2 SGB II jedenfalls anteilig zu reduzieren.

Hierauf hat der Beklagte ein Anerkenntnis dahingehend abgegeben, dass die Rückforderung um 56,14 Euro reduziert wird und nur noch ein Betrag von 278,06 Euro bei Übernahme von einem Fünftel der außergerichtlichen Kosten des Klägers dem Grunde nach. Dieses Teilanerkenntnis hat der Kläger mit Schriftsatz vom 18.04.2011 angenommen.

Der Kläger trägt nunmehr vor, er sei im Zeitpunkt des streitgegenständlichen Aufhebungszeitraums minderjährig gewesen. Soweit er sich als nunmehr Volljähriger der Rückforderung des Beklagten ausgesetzt sehe erhebe er die Einrede des § 1629a Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), wonach die Haftung auf das Vermögen bei Eintritt in die Volljährigkeit beschränkt sei. Vermögen habe er nicht. Diese Einrede sei auch auf materiell-rechtlicher Ebene geltend zu machen und lasse die Rückforderung somit entfallen.

Der Kläger beantragt schriftlich unbeschadet des angenommenen Teilanerkenntnisses,

den Bescheid vom 06.02.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.12.2009 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt schriftlich sinngemäß,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte trägt vor, er sei gesetzlich dazu verpflichtet, Rückzahlungsansprüche auch gegenüber Minderjährigen rechtlich zu sichern, auch wenn zwischenzeitlich die Volljährigkeit des Verpflichteten eingetreten sei. Die Prüfung, ob die Forderung sodann weiter verfolgt werde, obliege den regionalen Forderungseinzügen der Bundesagentur.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die beigezogene Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten hiermit übereinstimmend einverstanden erklärt haben, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die zulässige Klage ist unbegründet. Nachdem der Kläger das Teilanerkenntnis des Beklagten angenommen hat und die Erstattungsforderung auf 278,06 Euro reduziert ist, ist der Kläger durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da diese rechtmäßig sind.

Soweit dabei im Schriftsatz des Beklagten vom 24.03.2011 von einer Forderung von 276,06 Euro die Rede ist handelt es sich um einen bloßen Schreibfehler, nach dem vorhergehenden Schreiben vom 08.06.2010 und in Anbetracht des gerichtlichen Schreibens vom 17.03.2011 war offensichtlich der (rechnerisch richtige) Betrag von 278,06 Euro gemeint.

Grundlage für die teilweise Aufhebung des Bewilligungsbescheide vom 03.01.2008 und vom 30.04.2008 für die Monate April und Mai 2008 ist § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) in Verbindung mit § 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II und § 330 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung (SGB III). Grundsätzlich bestimmt § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X, dass ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Dabei bestimmt § 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II in Verbindung mit § 330 Abs. 3 SGB III, dass die Entscheidung über die Rücknahme eines Bewilligungsbescheids über Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II bei Vorliegen der Voraussetzungen nicht im Ermessen der Behörde steht, sondern zwingend ist. Nach § 50 Abs. 1 SGB X sind, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben ist, bereits erbrachte Leistungen zu erstatten.

Nach diesen Grundsätzen ist die Aufhebung zu Recht erfolgt.

Der Bedarfsgemeinschaft ist in den Monaten April und Mai 2008 Einkommen zugeflossen, das zur Minderung des Leistungsanspruchs des Klägers geführt hat. Die Einkommenszuflüsse durch den Verdienst des Vaters des Klägers bei der Firma D. in Höhe von 1.126,27 Euro bzw. 2.316,26 Euro ergeben sich aus den Verdienstbescheinigungen und sind zwischen den Beteiligten dem Inhalt nach unstreitig. Ebenfalls unstreitig ist die grundsätzliche Höhe der Anrechnung nach Bereinigung des Einkommens und nach dem Teilanerkenntnis des Beklagten die Höhe der Erstattungsforderung, bei der nunmehr zutreffend die Regelung des § 40 Abs. 2 SGB II in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung berücksichtigt wird, wonach nur 56 Prozent der Kosten der Unterkunft mit Ausnahme der Heizkosten zu erstatten sind.

Die streitgegenständlichen Bescheide sind insbesondere auch nicht in Anbetracht von § 1629a Abs. 1 Satz 1 BGB aufzuheben.

Nach dieser Norm beschränkt sich die Haftung für Verbindlichkeiten, die die Eltern im Rahmen ihrer gesetzlichen Vertretungsmacht oder sonstige vertretungsberechtigte Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht durch Rechtsgeschäft oder eine sonstige Handlung mit Wirkung für das Kind begründet haben, oder die auf Grund eines während der Minderjährigkeit erfolgten Erwerbs von Todes wegen entstanden sind, auf den Bestand des bei Eintritt der Volljährigkeit vorhandenen Vermögens des Kindes. Es handelt sich dabei, wie der Verweis in Abs. 1 Satz 2 auf die §§ 1990, 1991 BGB zeigt, um eine dauerhafte rechtshemmende (peremptorische) Einrede, die die Durchsetzbarkeit eines an sich bestehenden Anspruchs entfallen lässt.

Bereits hieraus ergibt sich, dass sich die Regelung in einer Konstellation wie der vorliegenden grundsätzlich nicht auf die Aufhebungsentscheidung an sich, sondern vielmehr nur auf die Erstattung gemäß § 50 Abs. 1 SGB X beziehen kann, denn der zugrundeliegende Anspruch bleibt auch bei Erhebung der Einrede bestehen.

Aber auch die Erstattungsforderung hat der Beklagte zu Recht geltend gemacht. Dabei kann dahinstehen, auf welchen Zeitpunkt für das Entstehen der Verbindlichkeiten abzustellen ist, ob auf den Zeitpunkt der bloßen Beantragung der Grundsicherungsleistungen durch die Eltern, den des die Erstattungsforderung auslösenden Ereignisses des Einkommenszuflusses oder den der tatsächlichen Aufhebungsentscheidung, und damit insbesondere auch wie es sich auswirkt, dass der Kläger während des streitgegenständlichen Zeitraumes am 06.05.2008 volljährig geworden ist. Denn selbst dann, wenn die Verbindlichkeit aus der streitgegenständlichen Erstattungsforderung bereits zu einer Zeit entstanden ist, in der der Kläger noch minderjährig war, ist die Regelung des § 1629a Abs. 1 Satz 1 BGB nicht zu Gunsten des nunmehr vermögenslos in die Volljährigkeit übergetretenen Klägers anwendbar. Nach Abs. 2 gilt Abs. 1 Satz 1 nämlich nicht für Verbindlichkeiten aus Rechtsgeschäften, die allein der Befriedigung der persönlichen Bedürfnisse des Minderjährigen dienten. Die von den Eltern des Klägers beantragten und vom Kläger bezogenen Leistungen dienten als Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II aber gerade unmittelbar der Sicherung der persönlichen Existenz des Klägers. Eine Haftungsbeschränkung ist dann nicht gerechtfertigt, weil ihm der Gegenwert unmittelbar zu Gute gekommen ist (BT-Drucksache 13/5625 S. 13; vgl. auch Diederichsen in: Palandt, BGB, 69. Auflage 2010, § 1629a Rn. 11; so auch Bayerisches LSG, Urteil vom 01.07.2010, Az. L 11 AS 162/09).

Dies sieht die Kammer vom Ergebnis her auch als gerechtfertigt an, denn es geht bei der Gewährung von Leistungen nach dem SGB II um die Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums. Hierfür werden monatliche Leistungen gewährt. War die Bedarfsgemeinschaft wegen Einkommens eines ihrer Mitglieder im Nachhinein rechnerisch tatsächlich aber nicht in dem Maße hilfebedürftig wie ursprünglich zugrunde gelegt, hätten jedem Mitglied eigentlich weniger von der Allgemeinheit finanzierte Grundsicherungsleistungen zugestanden, was zu einer Erstattung der Leistungen führt, §§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, 50 Abs. 1 SGB X. Es ist dann nicht einzusehen, wieso allein die Tatsache, dass ein Hilfebedürftiger zunächst von den Eltern vertreten wurde und sodann volljährig wird, zu dem Ergebnis führen soll, dass die erhaltenen, der Sicherung seiner persönlichen Existenz dienenden Leistungen nicht erstattet werden müssen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Minderjährigen (das tragender Grund für die zur Schaffung des § 1629a BGB führenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, Urteil vom 13.05.1986, Az. 1 BvR 1542/84 war) steht dem nicht entgegen. Insbesondere geht es auch nicht um eine Verschuldenszurechnung.

Der Beklagte kann hiernach zu Recht aus § 50 Abs. 1 SGB X die Erstattung von 278,06 Euro fordern.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und berücksichtigt, dass der Beklagte im Rahmen des Teilanerkenntnisses bereits dem Grunde nach ein Fünftel der Kosten übernommen hat.

Die Berufung war zuzulassen, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes die in § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG vorgesehene Berufungssumme 750,00 EUR nicht übersteigt, die Rechtssache aber über den Einzelfall hinaus grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG hat, vgl. dazu das anhängige Verfahren BSG, Az. B 14 AS 144/10 R.
Rechtskraft
Aus
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