Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Stuttgart (BWB)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
20
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 20 SO 1922/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
Eine Anfechtungs- und Leistungsklage ist als unzulässig abzuweisen, wenn das erforderliche Vorverfahren nicht durchgeführt worden ist. Die Aussetzung des gerichtlichen Verfahrens bis zum Erlass eines Widerspruchsbescheides ist auch aus Gründen der Prozessökonomie nicht geboten.
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Höhe der Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung.
Die 1970 geborene Klägerin ist dauerhaft voll erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Ihre Tochter J. lebt beim geschiedenen Ehemann der Klägerin in H., ihr Sohn K. wurde nach der Geburt von Dritten an Kindes statt angenommen, ihr Sohn P. ist in einer Pflegefamilie untergebracht. Seit Februar 2007 steht sie bei der Beklagten im Leistungsbezug nach dem vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII). Der monatliche Regelsatz wurde ihr in mehreren Raten ausgezahlt. Die Kosten für die Hotels in S., in denen die Klägerin jedenfalls seit Februar 2010 wieder wohnt, wurden von der Beklagten direkt an den Hotelbetreiber überwiesen.
Auf den Weiterbewilligungsantrag vom 7.6.2010 bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 9.6.2010 in der Fassung des Bescheides vom 15.9.2010 Grundsicherungsleistungen für die Zeit vom 1.7.2010 bis 30.6.2011 in Höhe von monatlich insgesamt 1.039,90 Euro. Dabei wurde geregelt, dass die Auszahlung des monatlichen Regelsatzes von 359 Euro in zwei Teilbeträgen von 259 Euro zum 1. des Monats und weiterer 100 Euro zum 15. des Monats durch Überweisung auf das Girokonto der Klägerin bei der P.-Bank erfolgt. Außerdem wurde festgelegt, dass die Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 138,40 Euro direkt an den Versicherer und die tatsächlichen Kosten der Unterkunft im Hotel in Höhe von 542,50 Euro direkt an den Hotelbetreiber gezahlt werden. Die Klägerin wurde sowohl mit Bescheid vom 9.6.2010 als auch mit Bescheid vom 15.9.2010 über ihr Recht belehrt, hiergegen innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe bei der Landeshauptstadt S. mit Sitz in S. schriftlich oder zur Niederschrift Widerspruch einlegen zu können. Davon machte die Klägerin keinen Gebrauch.
Mit Schreiben vom 6.10.2010 bat die Klägerin die Beklagte, "die Gesamtsumme [von] 364 Euro auf einmal in einem Monat auf mein Konto zu überweisen [und] nicht mehr auf zwei Raten." Mit undatiertem, am 8.10.2010 befördertem Schreiben, dem keine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt war, teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass für die Gewährung eines um fünf Euro auf 364 Euro erhöhten Regelsatzes keine Rechtsgrundlage bestehe.
Am 30.3.2011 hat die Klägerin vor dem erkennenden Gericht Klage erhoben und zugleich einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt, der mit Beschluss vom 15.4.2011 abgelehnt worden ist (Az.: S 20 SO 1923/11 ER). Sie beantragt die Gewährung höherer Leistungen, behauptet, alleinerziehend zu sein, und meint, dass deshalb ein Mehrbedarf anzuerkennen sei. Außerdem behauptet sie, Leistungen lediglich in Höhe von 259 Euro erhalten zu haben. Diese reichten nicht aus, um die im März und April anfallenden Ausgaben von 298 Euro zu decken. Insbesondere könne sie nicht zum Frauenarzt gehen, da sie dort noch 15 Euro bezahlen müsse. Des weiteren seien ihre Leistungen entgegen der Ankündigung der Beklagten nicht erhöht worden.
Mit Änderungsbescheid vom 4.4.2011 hat die Beklagte der Klägerin für die Zeit vom 1.1.2011 bis 30.4.2011 eine Nachzahlung von insgesamt 20 Euro und für die Zeit vom 1.5.2011 bis 30.6.2011 monatliche Leistungen in Höhe von 502,40 Euro bewilligt. Der dabei zugrundegelegte Regelbedarf von 364 Euro wird in zwei Raten zum 1. (264 Euro) und zum 15. des Monats (100 Euro) auf das Konto der Klägerin überwiesen, die Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 138,40 Euro werden weiterhin direkt an den Träger der Versicherung geleistet.
Die Klägerin beantragt (sinngemäß), den am 8.10.2010 beförderten Bescheid aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 9.6.2010 in der Fassung der Bescheide vom 15.9.2010 und 4.4.2011 zu verurteilen, der Klägerin Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt.
Mit Schreiben vom 14.4.2011 sind die Beteiligten über die Absicht des Gerichts, den Rechtsstreit nach Ablauf des 6.5.2011 durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, in Kenntnis gesetzt worden. Sie haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vortrags der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die für die Klägerin geführte Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage hat keinen Erfolg.
I.
Das Gericht kann den Rechtsstreit nach Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid entscheiden, da der Sachverhalt geklärt ist und die Sache weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht besondere Schwierigkeiten aufweist (§ 105 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichts¬gesetz (SGG)).
II.
Streitgegenstand ist die Aufhebung des am 8.10.2010 beförderten Bescheides und die Abänderung des Bescheids vom 9.6.2010 in der Fassung der Bescheide vom 15.9.2010 und 4.4.2010 (§ 96 SGG) hinsichtlich der Höhe der darin bewilligten Grundsicherungsleistungen. Das Schreiben der Klägerin vom 6.10.2010 ist als Überprüfungsantrag im Sinne des § 44 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) auszulegen. Der Wortlaut des Schreibens lässt mit hinreichender Deutlichkeit den Willen der Klägerin erkennen, dass die Beklagte der Klägerin einen monatlichen Regelsatz von 364 Euro bewilligen soll. Dies setzt notwendigerweise die Abänderung des Bescheides vom 9.6.2010 in der Fassung der Bescheide vom 15.9.2010 und 4.4.2011 und die rückwirkende Gewährung höherer Hilfen zum Lebensunterhalt voraus. Ein solcher Überprüfungsantrag ist auch vor Eintritt der Bestandskraft des Bescheides vom 15.9.2010 zulässig ("auch nachdem er unanfechtbar geworden ist"). Dass die Klägerin mit dem Schreiben vom 6.10.2010 Widerspruch gegen den Bescheid vom 15.9.2010 erheben wollte, ist dagegen nicht anzunehmen. Wenngleich der Rechtsbehelf nicht ausdrücklich als Widerspruch zu bezeichnen ist, um als solcher zu gelten, muss in dem Schriftstück doch zum Ausdruck kommen, dass sich die Klägerin durch einen Verwaltungsakt beeinträchtigt fühlt und gerade im Wege eines förmlichen Rechtsbehelfs eine Überprüfung durch die Verwaltung anstrebt (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer (Hrsg.), Sozialgerichtsgesetz, 9. Aufl. 2008, § 84 Rn. 2). Dies ist hier nicht der Fall. Das Schreiben der Klägerin vom 6.10.2010 enthält keinen Hinweis auf den Bescheid vom 15.9.2010 oder einen sonstigen Verwaltungsakt. Es ist nicht zu erkennen, dass die Klägerin gerade einen förmlichen Rechtsbehelf gegen eine bestimmte Verwaltungsentscheidung einlegen wollte. Demgegenüber ist das am 8.10.2010 beförderte Schreiben der Beklagten ist als Verwaltungsakt im Sinne des § 31 Satz 1 SGB X einzuordnen, mit dem die Änderung der Bescheide vom 9.6.2010 und 15.9.2010 hinsichtlich der Regelsatzhöhe abgelehnt wird. Da auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung gemäß § 38 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) i. V. m. § 17 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i. V. m. § 41 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ein Anspruch besteht, ist zur Verwirklichung dieses Klagebegehrens die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß §§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4, 56 SGG statthafte Klageart.
Eine weitergehende Fassung des Streitgegenstandes ist nicht angezeigt. Denn soweit die Klägerin in der Klageschrift über die Höhe der Grundsicherungsleistungen hinaus auch Art und Maß der Leistungserbringung (Auszahlung des monatlichen Regelsatzes in zwei Raten, keine Übersendung der Zusicherungen für die Übernahme der Hotelkosten an die Wohnanschrift der Klägerin) rügt, wäre die am 30.3.2011 anhängig gewordene Klage, über die hier zu entscheiden ist, wegen doppelter Rechtshängigkeit unzulässig (§ 202 SGG i. V. m. § 261 Abs. 3 Nr. 1 Zivilprozessordnung (ZPO), § 17 Abs. 1 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG)). Denn diesbezüglich hat die Klägerin bereits am 28.3.2011 eine unter dem Aktenzeichen S 20 SO 1877/11 geführte Klage erhoben.
III.
Die Klage ist unzulässig. Bis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung sind Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des am 8.10.2010 beförderten Bescheides in der Fassung des Bescheides vom 4.4.2011 (§ 96 SGG), mit dem die Bescheide vom 9.6.2010 und 15.9.2010 für die Zeit ab 1.1.2011 hinsichtlich der Höhe des Regelsatzes abgeändert, die Bewilligung höherer Leistungen (insbesondere für die Zeit bis zum 31.12.2010) jedoch abgelehnt worden ist, nicht in einem Vorverfahren nachgeprüft worden.
Die Durchführung des Vorverfahrens stellt jedoch gemäß §§ 78 Abs. 3, 1 Satz 1 SGG eine unverzichtbare Sachurteilsvoraussetzung dar (vgl. BSG, Urteil vom 25.4.2007 - B 12 AL 2/06 R -, in: juris, Rn. 20). Durchgeführt ist ein Vorverfahren erst dann, wenn im Anschluss an eine Nachprüfung der mit dem Widerspruch angefochtenen Verwaltungsentscheidung ein auf diese bezogener Widerspruchsbescheid ergangen ist (vgl. BSG, a. a. O., in: juris, Rn. 15). Hieran fehlt es. Auch in der am 30.3.2011 erhobenen Klage ist nicht zugleich die - innerhalb der hier laufenden Jahresfrist gemäß § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG zulässige - Einlegung eines Widerspruchs gegen den am 8.10.2010 beförderten Bescheid zu sehen. Denn die Klägerin nimmt hierauf mit keinem Wort Bezug und legte jenes Schreiben der Beklagten auch auf Nachfrage des Gerichts nicht vor. Der Wortlaut der Klageschrift ermöglicht auch unter Berücksichtigung der beigefügten Anlagen keine eindeutige Bestimmung des Verwaltungsakts, durch den sich die Klägerin beeinträchtigt fühlt und dessen nochmalige Überprüfung sie im Wege eines förmlichen Rechtsbehelfs anstrebt. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Klägerin mit Klageerhebung die Überprüfung des am 8.10.2010 beförderten Schreibens der Beklagten begehrt.
Die Klage wäre jedoch selbst dann unzulässig, wenn in der Klageschrift gleichwohl die Erhebung eines Widerspruchs gegen den am 8.10.2010 beförderten Bescheid der Beklagten gesehen werden will. Da das Vorverfahren, das den Erlass des Widerspruchsbescheides einschließt (§ 62 Halbsatz 2 SGB X i. V. m. § 8 Halbsatz 2 SGB X), bis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht durchgeführt worden ist und auch keine der in § 78 Abs. 1 Satz 2 SGG benannten Ausnahmekonstellationen vorliegt, in denen es einer solchen Nachprüfung nicht bedarf, ist die Klage als unzulässig abzuweisen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 4.3.2009 - 9 S 371/08 -, in: juris, Rn. 18). Dies entspricht dem Wortlaut des § 78 SGG und nimmt der Klägerin keinen Rechtsschutz, da sie nach Erlass des Widerspruchsbescheides erneut klagen kann. Außerdem trägt die Abweisung der Klage als unzulässig den drei Funktionen des Widerspruchsverfahrens - Selbstkontrolle der Verwaltung, erweiterte Rechtsschutzmöglichkeit für den Einzelnen durch Überprüfung von Recht- und Zweckmäßigkeit eines Verwaltungsakts, Entlastung der Gerichte - besser Rechnung.
Die gegenteilige Ansicht, wonach eine Klage ohne Durchführung des Widerspruchsverfahrens zwar unzulässig, das Verfahren aber bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides auszusetzen ist, überzeugt nicht. Jene Ansicht, die auf einem Urteil des Bundessozialgerichts vom 18.2.1964 (vgl. BSG, Urteil vom 18.2.1964 - 11/1 RA 90/61 -, in: juris, Rn. 21) gründet und mit Urteil vom 22.6.1966 (vgl. BSG, Urteil vom 22.6.1966 - 3 RK 64/62 -, in: juris, Rn. 21), 3.3.1999 (vgl. BSG, Urteil vom 3.3.1999 - B 6 KA 10/98 R -, in: juris, Rn. 28, 32) und 13.12.2000 (vgl. BSG, Urteil vom 13.12.2000 - B 6 KA 1/00 R -, in: juris, Rn. 25) bestätigt worden ist, führt zur Begründung pauschal lediglich die Prozessökonomie an. Weitere Begründungen liefert sie nicht.
Die höchstgerichtliche Rechtsprechung hat sich am Maßstab von Fällen gebildet, in denen - wie hier - innerhalb der laufenden Widerspruchsfrist lediglich Klage zum Sozialgericht erhoben worden ist, und hierzu zutreffend ausgeführt, dass in dieser Klageerhebung zugleich auch ein Widerspruch zu erblicken ist. Zu Unrecht wird diese Ansicht jedoch in einen nicht vorhandenen Sachzusammenhang mit dem Fortgang des gerichtlichen Verfahrens gestellt. Zwar liefe die Klägerin Gefahr, infolge Versäumung der Widerspruchsfrist ihrer Rechte verlustig zu gehen, wenn die Klage nicht zugleich auch als Widerspruch zu verstehen wäre. Es ist aber nicht ersichtlich, warum es "bei dieser Rechtslage auch aus prozessökonomischen Gründen geboten" sein soll, das gerichtliche Verfahren bis zu einer Entscheidung auszusetzen (vgl. BSG, Urteil vom 22.6.1966 - 3 RK 64/62 -, in: juris, Rn. 21. Das Urteil vom 18.2.1964 - 11/1 RA 90/61 -, in: juris, Rn. 21, verbindet diese beiden Erwägungen nur mit einem Semikolon). Die überkommene höchstgerichtliche Ansicht würdigt nicht hinreichend, dass das prozessuale Schicksal einer Klage, die mangels durchgeführten Vorverfahrens als unzulässig abgewiesen wird, keine Auswirkungen auf die Zulässigkeit und Begründetheit des Widerspruchs zeitigt, der zugleich mit der Klage erhoben worden ist. Da Widerspruch und Klage auch dann, wenn sie wie in den höchstgerichtlich entschiedenen Fällen in einem Schriftsatz gemeinsam erhoben werden, eigenständige Rechtsbehelfe darstellen, droht die Klägerin durch Abweisung der Klage als unzulässig keiner Rechte verlustig zu gehen, die sie nicht auch mit dem weiterhin zulässigen Widerspruch und ggf. einer anschließenden Gestaltungsklage geltend machen kann. Diese Rechtsverfolgung wird durch das Prozessurteil nicht berührt, weil nur die dadurch entschiedene Prozessfrage in materielle Rechtskraft erwächst (vgl. BGH, Urteil vom 12.12.1990 - VIII ZB 42/90 -, in: juris, Rn. 9 f.).
Der Auffassung des Bundessozialgerichts ist außerdem entgegenzuhalten, dass die Aussetzung des Verfahrens bis zum Erlass eines Widerspruchsbescheid weder aus materiell-rechtlichen noch aus kostenrechtlichen Gesichtspunkten prozessökonomisch ist.
Ein solches Vorgehen entspricht nicht dem Schutzzweck der Entlastung der Gerichte (Filterfunktion). Diese werden zu einem Zeitpunkt in den Rechtsstreit einbezogen, der der gesetzgeberischen Zielsetzung widerspricht. Wird die - unzulässige - Klage nicht abgewiesen, sondern das Verfahren ausgesetzt, verlängert sich die gerichtliche Verfahrensdauer um die Dauer des nachzuholenden Vorverfahrens, in dem auch noch Ermittlungen notwendig werden können. Wird dem Widerspruch stattgegeben, wurde das Gericht unnötigerweise mit einem Verfahren befasst (vgl. Binder, in: Lüdtke (Hrsg.), Sozialgerichtsgesetz, 3. Auflage 2009, § 78 Rn. 8). Die nach höchstrichterlicher Ansicht erforderliche Aussetzung des Verfahrens hat zudem das in Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) verortete Grundrecht auf wirksamen Rechtsschutz zu beachten. Im Interesse der Rechtssicherheit sind strittige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit zu klären (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.12.2010 - 1 BvR 404/10 -, in: juris, Rn. 11 m. w. N.; Beschluss vom 20.7.2000 - 1 BvR 352/00 - in: juris, Rn. 10; Beschluss vom 17.11.1999 - 1 BvR 1708/99 -, in: juris, Rn. 8; Beschluss vom 6.5.1997 - 1 BvR 711/96 -, in: juris, Rn. 34). Bei einer ablehnenden Widerspruchsentscheidung wird das Verfahren um die Zeit, die das Widerspruchsverfahren benötigt, verlängert, was angesichts der Entschädigungspflicht des Staates für überlange Verfahrensdauern gemäß Art. 6 Abs. 1, 41 Europäische Menschenrechts-konvention (EMRK) nicht prozessökonomisch ist (vgl. EGMR, Urteil vom 13.1.2011 - 397/04, 2322/07 -, in: juris, Rn. 55 - 57 und 65 m. w. N.). Die Aussetzung des Klageverfahrens ist auch nicht erforderlich, um effektiven Rechtsschutz zu gewähren. Weigert sich eine Behörde, einen Widerspruchsbescheid zu erlassen oder braucht sie zu lange, berechtigt § 88 SGG die Klägerin zur Erhebung einer Untätigkeitsklage. Im Falle der Eilbedürftigkeit kann einstweiliger Rechtsschutz gemäß § 86b SGG in Anspruch genommen werden, dessen Zulässigkeit kein abgeschlossenes Vorverfahren voraussetzt. Die höchstgerichtlich erwogene Verpflichtung der Behörde zur Widerspruchsentscheidung durch Zwischenurteil des Gerichts (§ 202 SGG i. V. m. § 303 Zivilprozessordnung (ZPO), vgl. BSG, Urteil vom 3.3.1999 - B 6 KA 10/98 R -, in: juris, Rn. 32) stellt hierzu keine effektivere Rechtsschutzmöglichkeit dar und gleicht die Nachteile mit Blick auf die Verfahrensdauer nicht aus. Vielmehr ist das Gericht infolge der Aussetzung des Verfahrens bis zur Widerspruchsentscheidung zusätzlich gehalten, von Amts wegen zu prüfen, ob das ausgesetzte Verfahren wieder aufzunehmen ist (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer (Hrsg.), Sozialgerichtsgesetz, 9. Auflage 2008, § 114a Rn. 10a).
Die Aussetzung von Verfahren, die - wie hier - für die Klägerin gerichtskostenfrei sind (§ 183 Satz 1 SGG), ist auch aus kostenrechtlicher Sicht nicht prozessökonomisch. Die vom Grundsicherungsträger zu entrichtende Pauschgebühr (§ 184 SGG) steht der Abweisung der Klage als unzulässig gleichfalls nicht entgegen, da diese Gebühr unabhängig davon entsteht, ob die Klägerin obsiegt oder unterliegt.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 Satz 1, 193 SGG.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Höhe der Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung.
Die 1970 geborene Klägerin ist dauerhaft voll erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Ihre Tochter J. lebt beim geschiedenen Ehemann der Klägerin in H., ihr Sohn K. wurde nach der Geburt von Dritten an Kindes statt angenommen, ihr Sohn P. ist in einer Pflegefamilie untergebracht. Seit Februar 2007 steht sie bei der Beklagten im Leistungsbezug nach dem vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII). Der monatliche Regelsatz wurde ihr in mehreren Raten ausgezahlt. Die Kosten für die Hotels in S., in denen die Klägerin jedenfalls seit Februar 2010 wieder wohnt, wurden von der Beklagten direkt an den Hotelbetreiber überwiesen.
Auf den Weiterbewilligungsantrag vom 7.6.2010 bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 9.6.2010 in der Fassung des Bescheides vom 15.9.2010 Grundsicherungsleistungen für die Zeit vom 1.7.2010 bis 30.6.2011 in Höhe von monatlich insgesamt 1.039,90 Euro. Dabei wurde geregelt, dass die Auszahlung des monatlichen Regelsatzes von 359 Euro in zwei Teilbeträgen von 259 Euro zum 1. des Monats und weiterer 100 Euro zum 15. des Monats durch Überweisung auf das Girokonto der Klägerin bei der P.-Bank erfolgt. Außerdem wurde festgelegt, dass die Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 138,40 Euro direkt an den Versicherer und die tatsächlichen Kosten der Unterkunft im Hotel in Höhe von 542,50 Euro direkt an den Hotelbetreiber gezahlt werden. Die Klägerin wurde sowohl mit Bescheid vom 9.6.2010 als auch mit Bescheid vom 15.9.2010 über ihr Recht belehrt, hiergegen innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe bei der Landeshauptstadt S. mit Sitz in S. schriftlich oder zur Niederschrift Widerspruch einlegen zu können. Davon machte die Klägerin keinen Gebrauch.
Mit Schreiben vom 6.10.2010 bat die Klägerin die Beklagte, "die Gesamtsumme [von] 364 Euro auf einmal in einem Monat auf mein Konto zu überweisen [und] nicht mehr auf zwei Raten." Mit undatiertem, am 8.10.2010 befördertem Schreiben, dem keine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt war, teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass für die Gewährung eines um fünf Euro auf 364 Euro erhöhten Regelsatzes keine Rechtsgrundlage bestehe.
Am 30.3.2011 hat die Klägerin vor dem erkennenden Gericht Klage erhoben und zugleich einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt, der mit Beschluss vom 15.4.2011 abgelehnt worden ist (Az.: S 20 SO 1923/11 ER). Sie beantragt die Gewährung höherer Leistungen, behauptet, alleinerziehend zu sein, und meint, dass deshalb ein Mehrbedarf anzuerkennen sei. Außerdem behauptet sie, Leistungen lediglich in Höhe von 259 Euro erhalten zu haben. Diese reichten nicht aus, um die im März und April anfallenden Ausgaben von 298 Euro zu decken. Insbesondere könne sie nicht zum Frauenarzt gehen, da sie dort noch 15 Euro bezahlen müsse. Des weiteren seien ihre Leistungen entgegen der Ankündigung der Beklagten nicht erhöht worden.
Mit Änderungsbescheid vom 4.4.2011 hat die Beklagte der Klägerin für die Zeit vom 1.1.2011 bis 30.4.2011 eine Nachzahlung von insgesamt 20 Euro und für die Zeit vom 1.5.2011 bis 30.6.2011 monatliche Leistungen in Höhe von 502,40 Euro bewilligt. Der dabei zugrundegelegte Regelbedarf von 364 Euro wird in zwei Raten zum 1. (264 Euro) und zum 15. des Monats (100 Euro) auf das Konto der Klägerin überwiesen, die Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 138,40 Euro werden weiterhin direkt an den Träger der Versicherung geleistet.
Die Klägerin beantragt (sinngemäß), den am 8.10.2010 beförderten Bescheid aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 9.6.2010 in der Fassung der Bescheide vom 15.9.2010 und 4.4.2011 zu verurteilen, der Klägerin Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt.
Mit Schreiben vom 14.4.2011 sind die Beteiligten über die Absicht des Gerichts, den Rechtsstreit nach Ablauf des 6.5.2011 durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, in Kenntnis gesetzt worden. Sie haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vortrags der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die für die Klägerin geführte Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage hat keinen Erfolg.
I.
Das Gericht kann den Rechtsstreit nach Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid entscheiden, da der Sachverhalt geklärt ist und die Sache weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht besondere Schwierigkeiten aufweist (§ 105 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichts¬gesetz (SGG)).
II.
Streitgegenstand ist die Aufhebung des am 8.10.2010 beförderten Bescheides und die Abänderung des Bescheids vom 9.6.2010 in der Fassung der Bescheide vom 15.9.2010 und 4.4.2010 (§ 96 SGG) hinsichtlich der Höhe der darin bewilligten Grundsicherungsleistungen. Das Schreiben der Klägerin vom 6.10.2010 ist als Überprüfungsantrag im Sinne des § 44 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) auszulegen. Der Wortlaut des Schreibens lässt mit hinreichender Deutlichkeit den Willen der Klägerin erkennen, dass die Beklagte der Klägerin einen monatlichen Regelsatz von 364 Euro bewilligen soll. Dies setzt notwendigerweise die Abänderung des Bescheides vom 9.6.2010 in der Fassung der Bescheide vom 15.9.2010 und 4.4.2011 und die rückwirkende Gewährung höherer Hilfen zum Lebensunterhalt voraus. Ein solcher Überprüfungsantrag ist auch vor Eintritt der Bestandskraft des Bescheides vom 15.9.2010 zulässig ("auch nachdem er unanfechtbar geworden ist"). Dass die Klägerin mit dem Schreiben vom 6.10.2010 Widerspruch gegen den Bescheid vom 15.9.2010 erheben wollte, ist dagegen nicht anzunehmen. Wenngleich der Rechtsbehelf nicht ausdrücklich als Widerspruch zu bezeichnen ist, um als solcher zu gelten, muss in dem Schriftstück doch zum Ausdruck kommen, dass sich die Klägerin durch einen Verwaltungsakt beeinträchtigt fühlt und gerade im Wege eines förmlichen Rechtsbehelfs eine Überprüfung durch die Verwaltung anstrebt (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer (Hrsg.), Sozialgerichtsgesetz, 9. Aufl. 2008, § 84 Rn. 2). Dies ist hier nicht der Fall. Das Schreiben der Klägerin vom 6.10.2010 enthält keinen Hinweis auf den Bescheid vom 15.9.2010 oder einen sonstigen Verwaltungsakt. Es ist nicht zu erkennen, dass die Klägerin gerade einen förmlichen Rechtsbehelf gegen eine bestimmte Verwaltungsentscheidung einlegen wollte. Demgegenüber ist das am 8.10.2010 beförderte Schreiben der Beklagten ist als Verwaltungsakt im Sinne des § 31 Satz 1 SGB X einzuordnen, mit dem die Änderung der Bescheide vom 9.6.2010 und 15.9.2010 hinsichtlich der Regelsatzhöhe abgelehnt wird. Da auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung gemäß § 38 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) i. V. m. § 17 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i. V. m. § 41 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ein Anspruch besteht, ist zur Verwirklichung dieses Klagebegehrens die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß §§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4, 56 SGG statthafte Klageart.
Eine weitergehende Fassung des Streitgegenstandes ist nicht angezeigt. Denn soweit die Klägerin in der Klageschrift über die Höhe der Grundsicherungsleistungen hinaus auch Art und Maß der Leistungserbringung (Auszahlung des monatlichen Regelsatzes in zwei Raten, keine Übersendung der Zusicherungen für die Übernahme der Hotelkosten an die Wohnanschrift der Klägerin) rügt, wäre die am 30.3.2011 anhängig gewordene Klage, über die hier zu entscheiden ist, wegen doppelter Rechtshängigkeit unzulässig (§ 202 SGG i. V. m. § 261 Abs. 3 Nr. 1 Zivilprozessordnung (ZPO), § 17 Abs. 1 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG)). Denn diesbezüglich hat die Klägerin bereits am 28.3.2011 eine unter dem Aktenzeichen S 20 SO 1877/11 geführte Klage erhoben.
III.
Die Klage ist unzulässig. Bis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung sind Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des am 8.10.2010 beförderten Bescheides in der Fassung des Bescheides vom 4.4.2011 (§ 96 SGG), mit dem die Bescheide vom 9.6.2010 und 15.9.2010 für die Zeit ab 1.1.2011 hinsichtlich der Höhe des Regelsatzes abgeändert, die Bewilligung höherer Leistungen (insbesondere für die Zeit bis zum 31.12.2010) jedoch abgelehnt worden ist, nicht in einem Vorverfahren nachgeprüft worden.
Die Durchführung des Vorverfahrens stellt jedoch gemäß §§ 78 Abs. 3, 1 Satz 1 SGG eine unverzichtbare Sachurteilsvoraussetzung dar (vgl. BSG, Urteil vom 25.4.2007 - B 12 AL 2/06 R -, in: juris, Rn. 20). Durchgeführt ist ein Vorverfahren erst dann, wenn im Anschluss an eine Nachprüfung der mit dem Widerspruch angefochtenen Verwaltungsentscheidung ein auf diese bezogener Widerspruchsbescheid ergangen ist (vgl. BSG, a. a. O., in: juris, Rn. 15). Hieran fehlt es. Auch in der am 30.3.2011 erhobenen Klage ist nicht zugleich die - innerhalb der hier laufenden Jahresfrist gemäß § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG zulässige - Einlegung eines Widerspruchs gegen den am 8.10.2010 beförderten Bescheid zu sehen. Denn die Klägerin nimmt hierauf mit keinem Wort Bezug und legte jenes Schreiben der Beklagten auch auf Nachfrage des Gerichts nicht vor. Der Wortlaut der Klageschrift ermöglicht auch unter Berücksichtigung der beigefügten Anlagen keine eindeutige Bestimmung des Verwaltungsakts, durch den sich die Klägerin beeinträchtigt fühlt und dessen nochmalige Überprüfung sie im Wege eines förmlichen Rechtsbehelfs anstrebt. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Klägerin mit Klageerhebung die Überprüfung des am 8.10.2010 beförderten Schreibens der Beklagten begehrt.
Die Klage wäre jedoch selbst dann unzulässig, wenn in der Klageschrift gleichwohl die Erhebung eines Widerspruchs gegen den am 8.10.2010 beförderten Bescheid der Beklagten gesehen werden will. Da das Vorverfahren, das den Erlass des Widerspruchsbescheides einschließt (§ 62 Halbsatz 2 SGB X i. V. m. § 8 Halbsatz 2 SGB X), bis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht durchgeführt worden ist und auch keine der in § 78 Abs. 1 Satz 2 SGG benannten Ausnahmekonstellationen vorliegt, in denen es einer solchen Nachprüfung nicht bedarf, ist die Klage als unzulässig abzuweisen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 4.3.2009 - 9 S 371/08 -, in: juris, Rn. 18). Dies entspricht dem Wortlaut des § 78 SGG und nimmt der Klägerin keinen Rechtsschutz, da sie nach Erlass des Widerspruchsbescheides erneut klagen kann. Außerdem trägt die Abweisung der Klage als unzulässig den drei Funktionen des Widerspruchsverfahrens - Selbstkontrolle der Verwaltung, erweiterte Rechtsschutzmöglichkeit für den Einzelnen durch Überprüfung von Recht- und Zweckmäßigkeit eines Verwaltungsakts, Entlastung der Gerichte - besser Rechnung.
Die gegenteilige Ansicht, wonach eine Klage ohne Durchführung des Widerspruchsverfahrens zwar unzulässig, das Verfahren aber bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides auszusetzen ist, überzeugt nicht. Jene Ansicht, die auf einem Urteil des Bundessozialgerichts vom 18.2.1964 (vgl. BSG, Urteil vom 18.2.1964 - 11/1 RA 90/61 -, in: juris, Rn. 21) gründet und mit Urteil vom 22.6.1966 (vgl. BSG, Urteil vom 22.6.1966 - 3 RK 64/62 -, in: juris, Rn. 21), 3.3.1999 (vgl. BSG, Urteil vom 3.3.1999 - B 6 KA 10/98 R -, in: juris, Rn. 28, 32) und 13.12.2000 (vgl. BSG, Urteil vom 13.12.2000 - B 6 KA 1/00 R -, in: juris, Rn. 25) bestätigt worden ist, führt zur Begründung pauschal lediglich die Prozessökonomie an. Weitere Begründungen liefert sie nicht.
Die höchstgerichtliche Rechtsprechung hat sich am Maßstab von Fällen gebildet, in denen - wie hier - innerhalb der laufenden Widerspruchsfrist lediglich Klage zum Sozialgericht erhoben worden ist, und hierzu zutreffend ausgeführt, dass in dieser Klageerhebung zugleich auch ein Widerspruch zu erblicken ist. Zu Unrecht wird diese Ansicht jedoch in einen nicht vorhandenen Sachzusammenhang mit dem Fortgang des gerichtlichen Verfahrens gestellt. Zwar liefe die Klägerin Gefahr, infolge Versäumung der Widerspruchsfrist ihrer Rechte verlustig zu gehen, wenn die Klage nicht zugleich auch als Widerspruch zu verstehen wäre. Es ist aber nicht ersichtlich, warum es "bei dieser Rechtslage auch aus prozessökonomischen Gründen geboten" sein soll, das gerichtliche Verfahren bis zu einer Entscheidung auszusetzen (vgl. BSG, Urteil vom 22.6.1966 - 3 RK 64/62 -, in: juris, Rn. 21. Das Urteil vom 18.2.1964 - 11/1 RA 90/61 -, in: juris, Rn. 21, verbindet diese beiden Erwägungen nur mit einem Semikolon). Die überkommene höchstgerichtliche Ansicht würdigt nicht hinreichend, dass das prozessuale Schicksal einer Klage, die mangels durchgeführten Vorverfahrens als unzulässig abgewiesen wird, keine Auswirkungen auf die Zulässigkeit und Begründetheit des Widerspruchs zeitigt, der zugleich mit der Klage erhoben worden ist. Da Widerspruch und Klage auch dann, wenn sie wie in den höchstgerichtlich entschiedenen Fällen in einem Schriftsatz gemeinsam erhoben werden, eigenständige Rechtsbehelfe darstellen, droht die Klägerin durch Abweisung der Klage als unzulässig keiner Rechte verlustig zu gehen, die sie nicht auch mit dem weiterhin zulässigen Widerspruch und ggf. einer anschließenden Gestaltungsklage geltend machen kann. Diese Rechtsverfolgung wird durch das Prozessurteil nicht berührt, weil nur die dadurch entschiedene Prozessfrage in materielle Rechtskraft erwächst (vgl. BGH, Urteil vom 12.12.1990 - VIII ZB 42/90 -, in: juris, Rn. 9 f.).
Der Auffassung des Bundessozialgerichts ist außerdem entgegenzuhalten, dass die Aussetzung des Verfahrens bis zum Erlass eines Widerspruchsbescheid weder aus materiell-rechtlichen noch aus kostenrechtlichen Gesichtspunkten prozessökonomisch ist.
Ein solches Vorgehen entspricht nicht dem Schutzzweck der Entlastung der Gerichte (Filterfunktion). Diese werden zu einem Zeitpunkt in den Rechtsstreit einbezogen, der der gesetzgeberischen Zielsetzung widerspricht. Wird die - unzulässige - Klage nicht abgewiesen, sondern das Verfahren ausgesetzt, verlängert sich die gerichtliche Verfahrensdauer um die Dauer des nachzuholenden Vorverfahrens, in dem auch noch Ermittlungen notwendig werden können. Wird dem Widerspruch stattgegeben, wurde das Gericht unnötigerweise mit einem Verfahren befasst (vgl. Binder, in: Lüdtke (Hrsg.), Sozialgerichtsgesetz, 3. Auflage 2009, § 78 Rn. 8). Die nach höchstrichterlicher Ansicht erforderliche Aussetzung des Verfahrens hat zudem das in Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) verortete Grundrecht auf wirksamen Rechtsschutz zu beachten. Im Interesse der Rechtssicherheit sind strittige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit zu klären (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.12.2010 - 1 BvR 404/10 -, in: juris, Rn. 11 m. w. N.; Beschluss vom 20.7.2000 - 1 BvR 352/00 - in: juris, Rn. 10; Beschluss vom 17.11.1999 - 1 BvR 1708/99 -, in: juris, Rn. 8; Beschluss vom 6.5.1997 - 1 BvR 711/96 -, in: juris, Rn. 34). Bei einer ablehnenden Widerspruchsentscheidung wird das Verfahren um die Zeit, die das Widerspruchsverfahren benötigt, verlängert, was angesichts der Entschädigungspflicht des Staates für überlange Verfahrensdauern gemäß Art. 6 Abs. 1, 41 Europäische Menschenrechts-konvention (EMRK) nicht prozessökonomisch ist (vgl. EGMR, Urteil vom 13.1.2011 - 397/04, 2322/07 -, in: juris, Rn. 55 - 57 und 65 m. w. N.). Die Aussetzung des Klageverfahrens ist auch nicht erforderlich, um effektiven Rechtsschutz zu gewähren. Weigert sich eine Behörde, einen Widerspruchsbescheid zu erlassen oder braucht sie zu lange, berechtigt § 88 SGG die Klägerin zur Erhebung einer Untätigkeitsklage. Im Falle der Eilbedürftigkeit kann einstweiliger Rechtsschutz gemäß § 86b SGG in Anspruch genommen werden, dessen Zulässigkeit kein abgeschlossenes Vorverfahren voraussetzt. Die höchstgerichtlich erwogene Verpflichtung der Behörde zur Widerspruchsentscheidung durch Zwischenurteil des Gerichts (§ 202 SGG i. V. m. § 303 Zivilprozessordnung (ZPO), vgl. BSG, Urteil vom 3.3.1999 - B 6 KA 10/98 R -, in: juris, Rn. 32) stellt hierzu keine effektivere Rechtsschutzmöglichkeit dar und gleicht die Nachteile mit Blick auf die Verfahrensdauer nicht aus. Vielmehr ist das Gericht infolge der Aussetzung des Verfahrens bis zur Widerspruchsentscheidung zusätzlich gehalten, von Amts wegen zu prüfen, ob das ausgesetzte Verfahren wieder aufzunehmen ist (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer (Hrsg.), Sozialgerichtsgesetz, 9. Auflage 2008, § 114a Rn. 10a).
Die Aussetzung von Verfahren, die - wie hier - für die Klägerin gerichtskostenfrei sind (§ 183 Satz 1 SGG), ist auch aus kostenrechtlicher Sicht nicht prozessökonomisch. Die vom Grundsicherungsträger zu entrichtende Pauschgebühr (§ 184 SGG) steht der Abweisung der Klage als unzulässig gleichfalls nicht entgegen, da diese Gebühr unabhängig davon entsteht, ob die Klägerin obsiegt oder unterliegt.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 Satz 1, 193 SGG.
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