L 12 AS 2597/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 1 AS 763/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 2597/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Es besteht keine Anspruchsgrundlage im SGB II für die Übernahme der Gebühren für die Ausstellung eines neuen Personalausweises und Reisepasses sowie der Kosten für das Anfertigen der dazu erforderlichen biometrischen Fotos als Zuschuss.
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 8. Juni 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Übernahme der Kosten für die Fertigung eines Personalausweises und eines Reisepasses einschließlich der Kosten für biometrische Passbilder in Höhe von insgesamt 101,80 EUR.

Die 1958 geborene, alleinstehende Klägerin bezieht seit 01. Januar 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II von der Beklagten. Die Kosten für Unterkunft und Heizung werden gesondert durch den kommunalen Träger, den R.-N.-Kreis, erbracht. Im Bereich des R.-N.-Kreises bestand und besteht zwischen dem kommunalen Träger und der Bundesagentur für Arbeit keine Arbeitsgemeinschaft. Zuletzt bewilligte die Beklagte für die Zeit vom 01. November 2010 bis zum 30. April 2011 einen monatlichen Gesamtbetrag von 359,00 EUR (Regelleistung) und ab 01. Januar 2011 von 364,00 EUR (Bescheid vom 12. Oktober 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07. Dezember 2010 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 26. März 2011) sowie für den Bewilligungsabschnitt vom 01. Mai bis zum 31. Oktober 2011 in Höhe von 364,- EUR (Bescheid vom 30. März 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Mai 2011).

Der Personalausweis und der Reisepass der Klägerin waren jeweils bis zum 31. Mai 2011 gültig.

Am 01. Oktober 2010 beantragte die Klägerin die Übernahme der Kosten für die Fertigung eines neuen Personalausweises und eines neuen Reisepasses. Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 12. Oktober 2010 ab.

Am 21. Oktober 2010 wandte sich die Klägerin erneut hinsichtlich der Übernahme der Kosten für einen neuen Personalausweis und Reisepass an die Beklagte und brachte zum Ausdruck, dass es ihr um die Erstattung der Kosten für neue Dokumente nach Ablauf der Gültigkeitsdauer gehe (Schreiben vom 15.Oktober 2010). Daraufhin teilte ihr die Beklagte mit Schreiben vom 09. November 2010 mit, dass eine Übernahme der Kosten als Zuschuss nicht möglich sei, die Kosten für den Personalausweis unter Umständen als Darlehen übernommen werden könnten.

Den vor dem Sozialgericht Mannheim (SG) gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat das SG abgelehnt (Beschluss vom 22. Januar 2011, S 1 AS 37/11 ER). Die dagegen eingelegte Beschwerde hat der Senat durch Beschluss vom 28. März 2011 als unzulässig verworfen (L 12 AS 585/11 ER-B).

Die Stadt S. lehnte mit Bescheid vom 07. Februar 2011 eine Befreiung der Klägerin von den Gebühren für einen Reisepass und einen Personalausweis sowie die Übernahme der Kosten für biometrische Fotos ab.

Die Klägerin hat am 28. Februar 2011 Klage zum SG erhoben, mit der sie weiterhin die Kostenübernahme für einen neuen Personalausweis und einen Reisepass verlangt. Die Kosten für Personalausweis und Reisepass würden in der alten und neuen Regelsatzverordnung nicht aufgeführt. Der Gesetzgeber habe scheinbar vergessen, dass das Anfertigen von amtlichen Unterlagen mit Kosten verbunden sei. Daher habe die Arbeitsagentur die Kosten für den Personalausweis zu zahlen. Gleiches gelte für die Kosten des Reisepasses. Sie - die Klägerin - habe schon immer einen Reisepass besessen. Es stelle einen Eingriff in das Recht auf freie Entfaltung bzw. Freizügigkeit dar, wenn ihr die Arbeitsagentur auf dem Umweg der Verweigerung eines Reisepasses die freie Reisemöglichkeit untersagen würde. Auch Arbeitslose und Arbeitssuchende hätten einen Anspruch auf Urlaub. Wo der eventuelle Urlaubs- oder Aufenthaltsort liege, dürfe nicht von der Arbeitsagentur bestimmt werden. Es gebe auch keine kostenlosen Fotos und die Arbeitsagentur veranstalte auch keine kostenlosen Fotoshootings, damit die Klägerin biometrische Fotos für ihre Pässe erhalte.

Die Beklagte fasste die Klage als Widerspruch gegen ihr Schreiben vom 09. November 2010 auf und wies diesen durch Widerspruchsbescheid vom 21. März 2011 als unbegründet zurück.

Das SG hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 08. Juni 2011 abgewiesen und die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen zum Kauf biometrischer Fotos sowie zur Ausstellung eines neuen Personalausweises und eines neuen Reisepasses. Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB II erbringe die Agentur für Arbeit bei entsprechendem Nachweis den Bedarf als Sachleistung oder Geldleistung und gewähre dem Leistungsberechtigten ein entsprechendes Darlehen, wenn im Einzelfall ein vom Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf nicht gedeckt werden könne. Ausgehend hiervon komme die Bewilligung eines Darlehens in Höhe von 59,00 EUR zur Ausstellung eines Reisepasses bereits deshalb nicht in Betracht, weil es sich um keinen unabweisbaren Bedarf handle. Es sei nicht erforderlich, einen Reisepass zu besitzen. Niemand wolle den Aufenthaltsort der Klägerin bestimmen bzw. ihr verbieten, Urlaubsreisen in weit entfernt liegende Länder zu unternehmen. Es sei nicht Aufgabe des Steuerzahlers, Urlaube und damit zusammenhängende Nebenkosten (z.B. für die Ausstellung eines Reisepasses und eines Visums, für Impfungen, für Einreisegebühren etc.) zu finanzieren. Darüber hinaus habe die Beklagte auch die Kosten für biometrische Fotos sowie die Erstellung eines Personalausweises nicht zu übernehmen. Zwar handle es sich insoweit um einen unabweisbaren Bedarf im Sinne des § 24 Abs. 1 SGB II. Denn gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 Personalausweisgesetz sei man verpflichtet, einen Ausweis zu besitzen. Folgerichtig käme insoweit die Gewährung eines Darlehens, was von der Beklagten nicht in Abrede gestellt werde, in Betracht. Dass dieses gleichwohl nicht zur Auszahlung gelangen könne, liege ausschließlich am Verhalten der Klägerin, die die Bewilligung eines Darlehens strikt ablehne, was zur Folge habe, dass ihr dieses entgegen ihres unmissverständlich geäußerten Willens nicht aufgezwungen werden könne. Ansonsten seien keine gesetzlichen Anspruchsgrundlagen ersichtlich, auf die das Begehren der Klägerin gestützt werden könnten. Gemäß § 21 Abs. 6 SGB II könne ein Mehrbedarf nur dann anerkannt werden, soweit es sich um einen laufenden Bedarf handle, was vorliegend gerade nicht der Fall sei. Im Ergebnis bleibe festzuhalten, dass die Kosten für das Anfertigen von biometrischen Bildern und das Ausstellen eines Personalausweises von der Klägerin aus der Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts im Sinne des § 20 SGB II zu bestreiten seien. Dass ihr hierfür kein Geld gewährt würde, treffe im Übrigen nicht zu. Denn bei dem monatlich zur Auszahlung gelangenden Betrag in Höhe von 364,00 EUR seien unter der Abteilung 12 (andere Waren und Dienstleistungen) 26,50 EUR monatlich eingestellt. Aus dieser Position seien die von der Klägerin geltend gemachten Kosten zu finanzieren. Dass dies nicht möglich wäre, könne nicht unterstellt werden, da ein Personalausweis 10 Jahre Gültigkeit besitze und für dessen Ausstellung mithin monatliche Kosten in Höhe von 0,36 EUR anfielen. Zudem habe der Gesetzgeber mit der Zuteilung des monatlichen Budgets in Höhe von 364,00 EUR Freiräume für den einzelnen schaffen und die eigene Verantwortlichkeit stärken wollen, anstatt es notwendig zu machen, für jede Sonderausgabe einen Antrag stellen zu müssen. Die Klägerin habe deshalb ggf. über Umschichtungen des ihr zur Verfügung stehenden Geldbetrages für die anfallenden Personalausweiskosten aufzukommen. Dem könne nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, dass die maßgeblichen Passgesetze Vorschriften enthielten, wonach die Gebühren für das Ausstellen von Ausweisdokumenten erlassen werden könnten. Denn hierbei handle es sich um keine Anspruchsgrundlagen, die die Beklagte zur Übernahme der anfallenden Kosten verpflichten würden. Vielmehr ermöglichten es die Regelungen, dass die Behörden, die Pässe und Personalausweise ausstellen (hier die Stadt S.), Gebühren niederschlagen.

Gegen den ihr am 11. Juni 2011 zugestellten Gerichtsbescheid des SG richtet sich die am 14. Juni 2011 eingelegte Berufung. Ohne vorherige Kostenzusage könne die Klägerin keine neuen Bilder für Ausweise fertigen lassen und keine neuen Pässe bei der Gemeinde S. beantragen. Gemäß § 1 Personalausweisgesetz bestehe Ausweispflicht. Ab dem 01. November 2010 müsse man im Besitz der neuen Pässe mit biometrischen Passfotos sein. Gemäß § 1 Abs. 1 Passgesetz benötige der Bürger ab 01. November 2010 einen Reisepass mit biometrischen Daten. Nach dem Passgesetz seien die Kosten von Personalausweis und Reisepass zu erlassen. In Abteilung 12 (andere Waren und Dienstleistungen) seien 0,25 EUR für den neuen Personalausweis eingewertet. Der neue Personalausweis koste 28,80 EUR. In den Ausweis müssten biometrische Fotos, wofür sie vor Ort 14,00 EUR auf Kulanzbasis aufwenden müsse. Ein Reisepass koste 59,00 EUR, daraus ergeb sich ein Betrag von insgesamt 101,80 EUR, für den sie 34 Jahre sparen müsse. Das Prinzip der Umschichtung entfalle, weil der Gesetzgeber die lebensnotwendigen Güter zusammengestrichen und viele lebensnotwendige Güter und Dienstleistungen vergessen habe, um die Transferkosten zu senken. Das Verfahren sei gemäß Artikel 100 Grundgesetz auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen, da die neuen Regelsätze verfassungswidrig seien. Der Gesetzgeber könne dem Bürger nicht nur Pflichten auferlegen, ohne dass er sich Gedanken über die Kostentragung mache. Werde der Bürger mit einem ungültigen Ausweis angetroffen, habe er seit 01. Januar 2011 eine Geldbuße von 35,00 EUR zu entrichten und müsse sich zwangsweise vorläufig geltende Papiere ausstellen lassen. Sie - die Klägerin - habe immer einen Personalausweis und einen Reisepass besessen. Es stelle einen Eingriff in das Recht auf freie Entfaltung/Freizügigkeit dar, wenn ihr das SG die freie Fortbewegungs- und Reisemöglichkeit untersage. Das SG habe kein Recht, Erwerbslosen die Ausstellung von Ausweisen zu verweigern. Das SG habe kein Recht, den Urlaubsort bzw. Ort der Abwesenheit zu bestimmen. Es gebe keine europäische "Stallpflicht". Auch Erwerbslose und Arbeitssuchende hätten ein Recht auf Abwesenheit. Wo der eventuelle Urlaubs- oder Aufenthaltsort liege, dürfe nicht von der Arbeitsagentur bzw. dem Sozialgericht bestimmt werden.

Die Klägerin beantragt,

1. den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 08. Juni 2011 aufzuheben, 2. unter Aufhebung des Bescheids vom 09. November 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. März 2011 die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 101,80 EUR für die Gebühren zur Ausstellung eines neuen Personalausweises und eines neuen Reisepasses sowie für die Kosten biometrischer Fotos als Zuschuss zu gewähren, 3. die Rechtssache gemäß Art. 100 Grundgesetz auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht zwecks Normenkontrolle vorzulegen, da das Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz mit einem Ansparposten von 0,25 EUR für Ausweispapiere (Abteilung 12) gegen Art. 1 Abs. 1 und 2, Art. 2 Abs. 1, Art. 11, Art. 15, Art. 20, Art. 28 Abs. 1 und Art. 80 Abs. 1 Grundgesetz verstößt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verweist zur Begründung auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheids.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, jedoch unbegründet.

1. Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung ist statthaft (§ 143 SGG), nachdem das SG die Berufung für den Senat bindend zugelassen hat (vgl. § 144 Abs. 3 SGG).

2. Ein von Amts wegen zu berücksichtigender Verfahrensfehler, der einer Sachentscheidung entgegenstünde, liegt nicht vor. Selbst wenn der Kammervorsitzende des SG angesichts der von ihm angenommenen grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nicht mit Gerichtsbescheid nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG hätte entscheiden dürfen und hierdurch die Klägerin gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 SGG ihrem gesetzlichen Richter, nämlich der Kammer in voller Besetzung, entzogen hat, ist der Senat gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG II befugt, nicht aber verpflichtet, die Sache an das SG zurückzuverweisen (BSG, Urteil vom 30. August 2001 - B 4 RA 87/00 R -; Urteil vom 17. Juni 2008 - B 8/9b AY 1/07 R -). Das LSG entscheidet unter den Voraussetzungen des § 159 Abs. 1 SGG von Amts wegen nach Ermessen, ob es in der Sache selbst entscheidet oder zurückverweisen will, wobei zwischen den Interessen der Beteiligten an einer möglichst schnellen Sachentscheidung und dem Verlust einer Instanz abzuwägen ist (vgl. Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 9. Aufl. 2008, § 159 RdNr. 5). Die Zurückweisung der Sache an das SG soll die Ausnahme bleiben. Der Senat übt das ihm eingeräumte Ermessen dahingehend aus, dass er die Sache selbst entscheidet, da die Rechtssache entscheidungsreif ist, keine Ermittlungen mehr durchzuführen sind, die Klägerin nach Ablauf der Gültigkeitsdauer ihrer Ausweispapiere an einer schnellen Sachentscheidung interessiert ist und sie im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 21. Oktober 2011 vor dem Senat die Gelegenheit hatte, ihren Standpunkt in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu äußern.

3. In der Sache hat die Berufung der Klägerin keinen Erfolg.

a. Gegenstand des Berufungsverfahrens bildet der Bescheid vom 09. November 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. März 2011, mit dem die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Übernahme der Kosten für einen neuen Personalausweis und Reisepass nach Ablauf der Gültigkeitsdauer der alten Dokumente am 31. Mai 2011 sowie für die dafür erforderlichen biometrischen Fotos abgelehnt hat. Dabei handelt es sich um einen eigenständigen abtrennbaren Streitgegenstand, der isoliert und unabhängig von den übrigen Grundsicherungsleistungen geltend gemacht werden kann (vgl. beispielsweise BSG, Urteil vom 10. Mai 2011 - B 4 AS 11/10 R -). Nicht Gegenstand des Rechtsstreits gegen die Beklagte als SGB II-Träger ist dagegen - ausweislich des in der mündlichen Verhandlung am 21. Oktober 2011 vor dem Senat von der Klägerin gestellten Antrages - der Bescheid der Stadt S. vom 07. Februar 2011 hinsichtlich der Befreiung von den Gebühren für einen Personalausweis und Reisepass und der Kostenübernahme für biometrische Fotos.

b. Der Bescheid der Beklagten vom 09. November 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. März 2011 stellt sich als rechtmäßig dar und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Übernahme der Gebühren für die Ausstellung eines neuen Personalausweises und eines neuen Reisepasses sowie der Kosten für das Anfertigen der dazu erforderlichen biometrischen Fotos zu. Für dieses Begehren fehlt es an einer Anspruchsgrundlage. Eine abweichende Festsetzung des pauschalierten Regelbedarfs zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 20 SGB II durch die Gerichte ist grundsätzlich nicht möglich (vgl. beispielsweise BSG, Urteile vom 10. Mai 2011 - B 4 AS 11/10 R -; vom 28. Oktober 2009 - B 14 AS 44/08 R -; vom 19. August 2010 - B 14 AS 47/09 R -; vom 28. Oktober 2009 - B 14 AS 44/08 R -). Für die von der Klägerin begehrte Übernahme der Kosten für Personalausweis und Reisepass fehlt es im System der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II auch sonst an einer Anspruchsgrundlage. Personalausweis und Reisepass sowie die damit zusammenhängenden Aufwendungen für biometrische Fotos sind weder als Mehrbedarfe in § 21 SGB II gesondert normiert, noch als Sonderbedarfe nach § 24 Abs. 3 SGB II vorgesehen. Insbesondere liegen die Voraussetzungen des § 21 Abs. 6 SGB II nicht vor. Danach wird bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Hintergrund für die mit Wirkung zum 03. Juni 2010 gesetzlich normierte Härtefallregelung ist das Urteil des Bundesverfassungsgericht vom 09. Februar 2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09 und 1 BvL 4/09 -), in dem es monierte, dass im SGB II eine Regelung fehlte, die einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung eines zur Deckung eines menschenwürdigen Existenzminimums unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarf vorsieht. Voraussetzung für die Annahme eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 6 Satz 1 SGB II ist mithin das Bestehen eines laufenden, nicht nur einmaligen besonderen Bedarfs. Mit dem Verweis auf einen laufenden, nicht nur einmaligen Bedarf wird der Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II von dem Darlehen für unabweisbare Bedarfe nach § 24 Abs. 1 SGB II abgegrenzt. Insofern ist das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung davon ausgegangen, dass nur einmalig auftretende Bedarfsspitzen über die Darlehensregelung erfasst werden können. Ein laufender Bedarf wird dann angenommen, wenn der besondere Bedarf im Bewilligungsabschnitt nicht nur einmal, sondern bei prognostischer Betrachtung mehrfach auftritt (so bspw. Behrend in jurisPK - SGB II, § 21 RdNr. 81), wenn der Bedarf absehbar wiederholt in einem zeitlich vom Zeitpunkt der Beurteilung her abschätzbaren Zeitraum von ca. 1 - 2 Jahren auftritt (so z.B. Münder in LPK - SGB II, 4. Aufl. 2011, § 21 RdNr. 42). Auf einmalige Bedarfe ist die Härtefallregelung nicht anwendbar (Sauer in derselbe, SGB II, 1. Aufl. 2011, § 21 RdNr. 84). Vorliegend macht die Klägerin keinen laufenden, in einem überschaubaren Zeitraum wiederkehrenden Bedarf geltend, sondern einen einmaligen Bedarf anlässlich der Ausstellung eines Personalausweises und eines Reisepasses. Erst nach Ablauf der Gültigkeitsdauer der Dokumente, die 10 Jahre beträgt, ist mit einem neuen Bedarf zu rechnen.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf die Gewährung eines rückzahlungsfreien Darlehens. Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB II erbringt die Agentur für Arbeit bei entsprechendem Nachweis den Bedarf als Sachleistung oder Geldleistung und gewährt der oder dem Leistungsberechtigten ein entsprechendes Darlehen, wenn im Einzelfall ein vom Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf nicht gedeckt werden kann. Das Darlehen wird ab dem Monat, der auf die Auszahlung folgt, durch monatliche Aufrechnungen in Höhe von 10 % des maßgebenden Regelbedarfs getilgt (§ 42a Abs. 2 Satz 1 SGB II). Weitergehende Leistungen sind ausgeschlossen (§ 24 Abs. 1 Satz 3 SGB II). Für die Gewährung einer von vornherein rückzahlungsfreien Darlehensleistung fehlt es im SGB II an einer Rechtsgrundlage (vgl. beispielsweise BSG, Urteil vom 10. Mai 2011 - B 4 AS 11/10 R -). Das von der Beklagten angebotene Darlehen hat die Klägerin abgelehnt. Sie besteht auf eine Leistungsgewährung in Form eines Zuschusses und hat auch im vorliegenden Klage- und Berufungsverfahren kein Darlehen geltend gemacht.

Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht aus § 1 Abs. 6 Personalausweisgebührenverordnung vom 01. November 2010, wonach die Gebühr für die Ausstellung eines Personalausweises ermäßigt oder von ihrer Erhebung abgesehen werden kann, wenn die Person, die die Gebühr schuldet, bedürftig ist. Denn für die Entscheidung über die Gebührenermäßigung bzw. das Absehen von der Gebührenerhebung sind die Personalausweisbehörden zuständig (§ 7 Abs. 1 Personalausweisgesetz). In Baden-Württemberg sind die Ortspolizeibehörden oder die Verwaltungsgemeinschaften, welche die Aufgaben der Meldebehörden erledigen oder erfüllen, Personalausweisbehörden (§ 3 des Gesetzes zur Ausführung des Personalausweisgesetzes Baden-Württemberg), so dass die Beklagte nicht zu einer Entscheidung nach § 1 Abs. 6 Personalausgebührenverordnung berufen ist. Gleiches gilt für die Befreiung von der Gebühr für die Ausstellung eines Reisepasses (§§ 17 Passverordnung, 1 Passbehördenverordnung Baden-Württemberg). Dementsprechend hat die Klägerin zutreffend eine Entscheidung der Stadt S. herbeigeführt, die im vorliegenden sozialgerichtlichen Verfahren nicht zu überprüfen ist, sondern der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt (vgl. VG Freiburg, Beschluss vom 11. Januar 2011 - 4 K 2623/10 -).

Der Senat hat keine verfassungsrechtlichen Bedenken, dass die Gebühren für die Ausstellung eines Personalausweises und eines Reisepasses sowie die Kosten für die Anfertigung biometrischer Fotos nicht nach den Vorschriften des SGB II gesondert übernommen werden können, so dass kein Anlass für eine Vorlage gemäß Art. 100 Grundgesetz an das Bundesverfassungsgericht besteht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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