L 5 AS 1546/09

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 156 AS 9443/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 5 AS 1546/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Rückzahlungen aus Heiz- und Betriebskostenabrechnungen eines Vermieters mindern gemäß § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II a. F. auch die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung eines Leistungsempfängers, über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Solche Rückzahlungen fallen nicht in die Insolvenzmasse, da sie entsprechend § 54 Abs. 4 SGB I Pfändungsschutz genießen.

Die Regelung des § 22 Abs. 1 Satz 4 Halbsatz 2 SGB II a. F. findet keine Anwendung, wenn nicht mit gebotener Sicherheit festzustellen ist, in welchem Umfang die tatsächlich entstandenen Kosten der Wärmeversorgung einerseits auf die Heizung, andererseits auf die Warmwasserbereitung entfallen sind.
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. Juni 2009 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen eine Teilaufhebung der ihm bewilligten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II).

Der 1979 geborenen Kläger, der mit Beschluss des Amtsgerichts H vom 13. September 2004 (54 XVII H 127 NZ) wegen einer leichten Debilität mit Entwicklungsverzögerungen und der Gefahr des sozialen Abstiegs in den Bereichen der Vermögens-, Behörden- und Wohnungsangelegenheiten unter Betreuung gestellt wurde, bezieht seit dem 1. Januar 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Über sein Vermögen hat das Amtsgericht H mit Beschluss vom 10. Juli 2007 (38 IK 177/07) mit Wirkung ab diesem Tag das Insolvenzverfahren eröffnet und eine Rechtsanwältin als Treuhänderin bestellt.

Am 10. Dezember 2007 reichte der Kläger beim Beklagten die Betriebs- und Heizkostenabrechnung seines Vermieters vom 3. Dezember 2007 hinsichtlich des Jahres 2006 ein. Die Berechnung der Heiz- und Warmwasserkosten beruhte zu jeweils 50 Prozent auf dem Wohnflächenanteil und dem Verbrauch. Für den Kläger ergab sich ein Guthaben in Höhe von 34,41 EUR. Auf die Überweisung des Vermieters wurde der Betrag in Höhe von 34,41 EUR dem Konto des Klägers am 17. Januar 2008 gutgeschrieben. Ohne vorherige Anhörung hob der Beklagte mit Aufhebungsbescheid vom 17. Dezember 2007 die zuvor durch den Bescheid vom 26. März 2007 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 2. Juni 2007 erfolgte Bewilligung von Leistungen für Unterkunft und Heizung hinsichtlich der Zeit vom 1. Februar 2008 bis zum 29. Februar 2008 in Höhe von 34,41 EUR auf. Mit Änderungsbescheid vom 17. Dezember 2007, der ausdrücklich als Bestandteil des Aufhebungsbescheides bezeichnet wurde, kürzte der Beklagte die für den genannten Zeitraum bewilligten Leistungen für Unterkunft und Heizung von zuvor 233,47 EUR auf 199,06 EUR. Den gegen beide Bescheide am 30. Januar 2008 eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8. Februar 2008 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 14. März 2008 Klage erhoben. Das Sozialgericht hat der Klage mit Urteil vom 15. Juni 2009 stattgegeben und sowohl den Aufhebungsbescheid vom 17. Dezember 2007 als auch den Änderungsbescheid vom selben Tage in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Februar 2008 aufgehoben, ohne die Berufung zuzulassen. Der Beklagte hat gegen die ihm am 9. Juli 2009 zugestellte Entscheidung am 27. Juli 2009 Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Der Senat hat die Berufung mit Beschluss vom 27. August 2009 wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

Der Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. Juni 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Gerichtsakten und die Leistungsakten des Beklagten, die vorgelegen habe und Grundlage der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet. Das Sozialgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Der Aufhebungsbescheid und der Änderungsbescheid vom 17. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Februar 2008 sind rechtmäßig.

Das Fehlen der Anhörung ist für die formelle Rechtmäßigkeit unschädlich. Gemäß § 24 Abs. 2 Nr. 5 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) kann von der Anhörung abgesehen werden, wenn einkommensabhängige Leistungen den geänderten Verhältnissen angepasst werden sollen. Bei den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts handelt es sich um solche Leistungen.

Die Bescheide sind auch materiell rechtmäßig. Der Beklagte kann sie auf den als Rechtsgrundlage ausschließlich in Betracht kommenden § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Verbindung mit § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X stützen. Soweit danach in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben.

Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse, die zu einer Teilaufhebung hinsichtlich der Zeit vom 1. Februar 2008 bis zum 29. Februar 2008 führt, ist dadurch eingetreten, dass dem Konto des Klägers am 17. Januar 2008 der Betrag in Höhe von 34,41 EUR gutgeschrieben wurde. Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II in der seit dem 1. August 2006 geltenden Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006 (BGBl. I S. 1706, 1709 [a. F.]) mindern Rückzahlungen und Guthaben, die den Kosten für Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, die nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift entstehenden Aufwendungen für Unterkunft und Heizung; Rückzahlungen, die sich auf die Kosten für Haushaltsenergie beziehen, bleiben insoweit außer Betracht. Diese Regelung ist eingefügt worden, um bestehende Anrechnungsprobleme zu beseitigen. Zuvor wurden Rückzahlungen als Einkommen angerechnet. Das führte dazu, dass ein Versicherungspauschbetrag von der Rückzahlung abgesetzt werden musste. Außerdem kamen überzahlte Betriebskosten im Wesentlichen der Agentur für Arbeit zugute, obwohl diese zu über 70 Prozent von den Kommunen aufgebracht worden waren. Beides sollte mit der Neuregelung vermieden werden (BT-Drucksache 16/1696, S. 26).

Eine Rückzahlung im Sinne der Vorschrift ist mit der Kontogutschrift erfolgt. Soweit der Kläger einwendet, einer Berücksichtigung der Rückzahlung stehe entgegen, dass er seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 10. Juli 2007 einem Verfügungsverbot unterliege, dringt er damit nicht durch. Offen bleiben kann dabei die Frage, ob die Anrechnung nach § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II a. F. unabhängig von einem bestehenden Verfügungsverbot zu erfolgen hat (so Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22. September 2009, L 6 AS 11/09; Sozialgericht Berlin, Urteil vom 31. Oktober 2007, 125 AS 11847/07). Dafür spricht, dass bereits der Wortlaut der Regelung einer einschränkenden Auslegung entgegensteht. Die vom Kläger begehrte Nichtanrechnung der Rückzahlung wegen der Insolvenz wäre zudem mit dem Grundsatz, dass Zahlungen zur Schuldentilgung im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht berücksichtigt werden (Bundessozialgericht, Urteil vom 18. Februar 2010, B 14 AS 76/08 R; Urteil vom 19. September 2008, B 14/7b AS 10/07 R), nicht in Einklang zu bringen. Jedenfalls bedarf es keiner einschränkenden Auslegung des § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II a. F., da der Kläger hinsichtlich der Rückzahlung keinem Verfügungsverbot unterlag. Nach § 80 Abs. 1 der Insolvenzordnung (InsO) geht zwar das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf den Insolvenzverwalter über. Das hat gemäß § 81 Abs. 1 Satz 1 InsO zur Folge, dass Verfügungen des Schuldners über einen Gegenstand der Insolvenzmasse unwirksam sind. Die Rückzahlung gehörte jedoch nicht zur Insolvenzmasse. Nach § 35 Abs. 1 InsO erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse). Gemäß § 36 Abs. 1 InsO gehören Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, nicht zur Insolvenzmasse. Die §§ 850, 850a, 850c, 850e, 850f Abs. 1, §§ 850g bis 850i der Zivilprozessordnung (ZPO) gelten dabei entsprechend. Daneben gelten auch die sozialrechtlichen Pfändungsregelungen des § 54 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB I). Die Heiz- und Betriebskostenrückzahlung unterliegt nicht der Zwangsvollstreckung. Die genannten Vorschriften finden in der zum damaligen Zeitpunkt geltenden Fassung zwar keine unmittelbare Anwendung, da sie lediglich Sozialleistungen und Arbeitseinkommen erfassen. Der Pfändungsschutz ergibt sich jedoch aus einer entsprechenden Anwendung des § 54 Abs. 4 SGB I, da die Rückzahlung gemäß § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II a. F. wirtschaftlich an die Stelle der Leistungen für Unterkunft und Heizung tritt (Landgericht Berlin, Beschluss vom 29. September 2008, 86 T 497/08). Den Vorschriften des Pfändungsschutzes ist nach dem Willen des Gesetzgebers die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zugrunde zu legen, wonach aus der Garantie der Menschenwürde gemäß Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) in Verbindung mit dem Sozialstaatsgrundsatz aus Art. 20 Abs. 1 GG nicht nur die Verpflichtung des Staates folgt, dem Einzelnen notfalls auch die zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein benötigten Mittel zur Verfügung zu stellen, sondern auch das Gebot, dem Bürger das Einkommen bis zu diesem Betrag nicht zu entziehen (Beschluss vom 29. Mai 1990, 1 BvL 20/84, 1 BvL 26/84, 1 BvL 4/86, BVerfGE 82, 60, 85). Dieser für die Durchsetzung fiskalischer Interessen des Staates ausgesprochene Grundsatz gilt auch im Rahmen der Zwangsvollstreckung nach der Zivilprozessordnung, wobei zugleich auch die Belange des Gläubigers mit zu berücksichtigen sind. Denn auch für das Gläubiger-Schuldner-Verhältnis muss gelten, dass der Staat grundsätzlich nicht Zwangsmaßnahmen zur Verfügung stellen kann, um einem Einzelnen den Teil des Einkommens zu entziehen, der zur Sicherung des Existenzminimums erforderlich ist. Der Pfändungsschutz soll dem Eintritt der Hilfebedürftigkeit infolge der Pfändung entgegenwirken. Die Sozialhilfeträger sollen dauerhaft entlastet werden, der Steuerzahler soll nicht indirekt für private Verbindlichkeiten aufkommen müssen (BR-Drucksache 663/07, S. 16). Nach dieser Maßgabe ist die Heiz- und Betriebskostenrückzahlung pfändungsfrei, da sie gemäß § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II a. F. zur Deckung der zum Existenzminimum gehörenden Aufwendungen für Unterkunft und Heizung benötigt wird. Im Übrigen hat der Gesetzgeber mit der seit dem 1. Juli 2010 geltenden Neuregelung des § 850i Abs. 1 ZPO durch das Gesetz zur Reform des Kontopfändungsschutzes vom 7. Juli 2009 (BGBl. I S. 1707, 1708) ausdrücklich auch für "sonstige Einkünfte" die Möglichkeit des Pfändungsschutzes eröffnet.

Soweit § 22 Abs. 1 Satz 4 Halbsatz 2 SGB II bestimmt, dass Rückzahlungen, die sich auf die Kosten für Haushaltsenergie beziehen, bei der Minderung der Aufwendungen des Folgemonats außer Betracht bleiben, ändert das nichts am gefundenen Ergebnis. Wenn nicht mit der gebotenen Sicherheit festzustellen ist, in welchem Umfang die tatsächlich entstandenen Kosten der Wärmeversorgung einerseits auf die Heizung, andererseits auf die Warmwasseraufbereitung entfallen sind, ist ein Guthaben im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II a. F. nicht um etwaige für die Warmwasserbereitung geleistete Beträge zu bereinigen (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22. Juni 2011, L 28 AS 1198/09). Eine isolierte Erfassung der tatsächlichen Kosten der Warmwasserbereitung setzt entsprechende technische Einrichtungen voraus (Bundessozialgericht, Urteil vom 27. Februar 2008, B 14/11b AS 15/07 R; Urteil vom 19. Februar 2009, B 4 AS 98/08 R). Eine Abrechnung nach § 8 Abs. 1 der Heizkostenverordnung in der Neufassung vom 20. Januar 1989 (BGBl I S. 115, 117) genügt dagegen nicht den Anforderungen, da hiernach mindestens 50, jedoch höchstens 70 Prozent der Kosten der zentralen Warmwasserversorgungsanlage nach dem erfassten Verbrauch, die übrigen Kosten nach der Wohn- und Nutzfläche zu verteilen sind (Bundessozialgericht, Urteil vom 7. Juli 2011, B 14 AS 154/10 R). Um eine solche Heizkostenabrechnung handelt es sich jedoch im vorliegenden Fall.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Die Frage, ob Rückzahlungen aus Heiz- und Betriebskostenabrechnungen an einen Empfänger von Leistungen nach dem SGB II, über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, in die Insolvenzmasse fallen, ist höchstrichterlich bislang nicht geklärt.
Rechtskraft
Aus
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