L 34 AS 9/11 NZB

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
34
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 38 AS 9585/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 34 AS 9/11 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. November 2010 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

Die gemäß § 145 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. November 2010 ist unbegründet. Denn weder ist die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts bereits kraft Gesetzes zulässig noch sind Zulassungsgründe nach § 144 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 SGG gegeben.

Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 EUR nicht übersteigt, es sei denn, dass die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft. Im erstinstanzlichen Verfahren haben die Beteiligten um die Leistungen für die Kosten der Unterkunft und der Heizung (KdUH) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 1. November 2006 bis zum 31. Dezember 2006 gestritten. Die Kläger haben Leistungen in Höhe der tatsächlichen Kosten von 555,76 EUR monatlich statt der ihnen bewilligten Leistungen in Höhe von 444,00 EUR monatlich, also insgesamt weitere 223,52 EUR (555,76 EUR - 444,00 EUR x 2) begehrt. Im Streit sind damit weder Leistungen für mehr als ein Jahr noch ist der erforderliche Wert des Beschwerdegegenstandes erreicht.

Die Berufung ist auch nicht nach § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen. Hiernach ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr. 2) oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr. 3).

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Grundsätzliche Bedeutung kommt einem Rechtsstreit nur zu, wenn von der Entscheidung der Rechtssache erwartet werden kann, dass sie zur Erhaltung und Sicherung der Rechtseinheit und zur Fortbildung des Rechts beitragen wird. Dies ist wiederum nur dann der Fall, wenn es in einem Rechtsstreit um eine klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage geht, deren Entscheidung über den Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt. Klärungsfähigkeit in diesem Sinne ist gegeben, wenn es auf die als grundsätzlich angesehene Rechtsfrage im konkreten Rechtsfall ankommt, wenn sie also für den zu entscheidenden Streitfall rechtserheblich ist. Nicht klärungsbedürftig ist die Rechtsfrage, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, weil sie sich beispielsweise unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder sie bereits höchstrichterlich geklärt ist (vgl. Kummer, Der Zugang zur Berufungsinstanz nach neuem Recht, NZS 1993, S. 337 ff. [341] m. w. Nachw.).

Die Voraussetzungen dieses Zulassungsgrundes sind hier nicht erfüllt. Nach Auffassung der Kläger hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, weil zu klären sei, "ob das von dem Sozialgericht Berlin in ständiger Rechtsprechung angewandte Konzept" zur Ermittlung der angemessenen KdUH im Sinne des SGB II den Vorgaben des Urteils des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19. Oktober 2010 – B 14 AS 50/10 R – entspricht.

Hierbei handelt es sich indes nicht um eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung. Die Kläger zitieren zutreffend die einschlägige Rechtsprechung des BSG zur Ermittlung der angemessenen KdUH im Land Berlin. Aufgrund dieser Rechtsprechung ist diese Rechtsfrage aber höchstrichterlich geklärt und damit nicht mehr klärungsbedürftig. Im Weiteren verkennen die Kläger aber die Vorgaben des BSG in diesem Urteil. Anders als die Kläger ausgeführt haben, hat das BSG entschieden, dass es in erster Linie Aufgabe der kommunalen Träger ist, zu prüfen, ob sich aus den Grundlagendaten des qualifizierten Mietspiegels oder anderen Quellen weitergehende Schlüsse grundsicherungsspezifischer Art ziehen lassen. Solche Rückschlüsse, die aus weitergehendem Material (das etwa auch der Träger der Grundsicherung aufgrund eigener Erhebungen einführen könnte) getroffen werden könnten, müssen, so das BSG, gerichtlich überprüfbar sein. Dies gelte erst recht dann, wenn die vom Grundsicherungsträger bei seiner Entscheidung herangezogenen Daten als Entscheidungsgrundlage ungeeignet seien, wie dies in Berlin mit den Ausführungsvorschriften zur Ermittlung angemessener Kosten der Wohnung gemäß § 22 SGB II (AV-Wohnen) der Fall sei.

Nur für den Fall, dass sich solche weitergehenden Schlüsse aus vorhandenem Datenmaterial nicht ziehen ließen, biete es sich an, so das BSG, einen gewichteten arithmetischen Mittelwert nach Verteilung der in der Grundgesamtheit abgebildeten Wohnungen in den jeweiligen Bauklassen zu bilden.

Abgesehen davon, dass der kommunale Träger entsprechende Daten bisher nicht vorgelegt hat und wohl auch nicht vorlegen wird, also an den Werten der AV-Wohnen im Kern festhält, das Sozialgericht also entsprechend den Vorgaben des BSG berechtigt war, quasi hilfsweise, die Angemessenheit der KdUH aufgrund gewichteter Mietspiegelwerte zu ermitteln, ist die Frage der inhaltlichen Richtigkeit des Urteils im Rahmen dieses Beschwerdeverfahrens unerheblich. Denn die – vermeintliche – Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung ist nicht Gegenstand einer Nichtzulassungsbeschwerde und kann daher mit der Nichtzulassungsbeschwerde nicht gerügt werden.

Die Berufung ist – anders als auch der Beklagte annimmt - auch nicht wegen einer Abweichung von der Rechtsprechung eines Obergerichts zuzulassen (Zulassungsgrund nach § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG). Dieser Zulassungsgrund setzt nach der Rechtsprechung des BSG voraus, dass einerseits ein abstrakter Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung und andererseits ein der Entscheidung eines Obergerichts zu entnehmender abstrakter Rechtssatz nicht übereinstimmen. Dabei muss das abweichende Gericht den mit der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht übereinstimmenden Rechtssatz seiner Entscheidung zugrunde gelegt, insoweit eine die Entscheidung tragende Rechtsansicht entwickelt und damit der obergerichtlichen Rechtsprechung im Grundsätzlichen widersprochen haben. Dagegen genügt nicht ein Rechtsirrtum im Einzelfall, also zum Beispiel eine fehlerhafte Subsumtion des Sachverhalts, eine unzutreffende Beurteilung oder das Übersehen einer Rechtsfrage (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 160 RdNr. 13 und 14 m. w. Nachw.).

Die Voraussetzungen dieses Zulassungsgrundes sind hier nicht erfüllt. Die Kläger rügen, dass das Sozialgericht ihnen entgegen der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 22. September 2009 – B 4 AS 18/09 R -) nicht zumindest die nach Auffassung des Gerichts angemessenen KdUH in Höhe von "480,80 EUR" monatlich zugesprochen, sondern die Klage insgesamt abgewiesen hat. Diese Rüge kann indes keinen Erfolg haben. Abgesehen davon, dass das Sozialgericht die einschlägige Rechtsprechung des BSG weder zitiert noch ausgehend von dieser Rechtsprechung einen anderen, hiervon abweichenden abstrakten Rechtssatz entwickelt hat, ist das Urteil des Sozialgerichts hinsichtlich der Höhe der angemessenen KdUH unbestimmt bzw. widersprüchlich. Denn auf Seite 4, 1. Absatz des Urteils heißt es, dass den Klägern "in den Monaten November und Dezember 2006 KdUH in Höhe von jeweils 438,21 EUR zustehen." Auf Seite 9, 3. Absatz des Urteils stellt das Gericht hingegen fest, dass "nach alledem die angemessenen Kosten der KdUH für einen 2-Personen-Haushalt bis 480,00 EUR betragen." Ob und welche dieser Feststellungen des Sozialgerichts zutreffend ist oder nicht, darf der Senat in diesem Verfahren nicht überprüfen. Denn die – vermeintliche – Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung ist, wie ausgeführt, nicht Gegenstand einer Nichtzulassungsbeschwerde und kann daher mit der Nichtzulassungsbeschwerde nicht gerügt werden.

Schließlich ist die Berufung auch nicht wegen eines Verfahrensmangels (Zulassungsgrund des § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG) zuzulassen. Ein Verfahrensmangel ist ein Verstoß gegen eine Rechtsvorschrift, die das sozialgerichtliche Verfahren regelt. Der geltend gemachte Mangel muss sich auf das Vorgehen des Gerichts auf dem Weg zum Urteil und nicht auf den sachlichen Inhalt des Urteils beziehen. Der Verfahrensmangel muss wesentlich sein, d. h., das angefochtene Urteil muss auf diesem Mangel beruhen können. Dies ist schon dann der Fall, wenn die Möglichkeit besteht, dass der Verfahrensmangel das Urteil beeinflusst hat, das Gericht also ohne diesen Verfahrensmangel zu einem für den Kläger günstigeren Urteil gekommen wäre (Leitherer, a. a. O., § 160 RdNr. 23). Dabei ist bei der Prüfung, ob ein Verfahrensmangel vorliegt, von der Rechtsauffassung des Gerichts auszugehen, dem der Verfahrensmangel unterstellt wird.

Der Kläger hat einen derartigen Verfahrensfehler weder geltend gemacht noch sind Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Verfahrensfehlers ersichtlich.

Aus den vorstehenden Gründen ist der Antrag auf Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts für das Beschwerdeverfahren nach § 73a Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung wegen fehlender hinreichender Erfolgsaussicht abzulehnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden. Nach § 145 Abs. 4 Satz 4 SGG wird das Urteil des Sozialgerichts mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Landessozialgericht rechtskräftig.
Rechtskraft
Aus
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