S 149 AS 4744/10

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
149
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 149 AS 4744/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid vom 16. Oktober 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Januar 2010 wird abgeändert und der Beklagte verurteilt, der Klägerin weitere Fahrtkosten in Höhe von 20,20 EUR zu erstatten. 2. Der Beklagte trägt 60 % der außergerichtlichen Kosten der Klägerin 3. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Erstattung weiterer Fahrtkosten für eine Weiterbildungsmaßnahme.

Die Klägerin bezieht Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) von dem Beklagten. Mit Bescheid vom 16. Oktober 2009 bewilligte der Beklagte der Klägerin die Übernahme von Kosten für eine berufliche Weiterbildungsmaßnahme vom 26. Oktober 2009 bis zum 24. November 2009, darunter Fahrtkosten in Höhe von 33,50 EUR. Mit Schreiben vom 28. Oktober 2009 legte die Kläger gegen den Bescheid Widerspruch hinsichtlich der Höhe der bewilligten Fahrtkosten ein. Zur Begründung führte sie an, dass die Maßnahme sich über zwei Monate erstrecke und sie daher zwei Berliner Sozialtickes zu je 33,50 EUR erwerben müsse. Mit Widerspruchsbescheid vom 15. Januar 2010 wies der Beklagte den Widerspruch zurück (W./09). Für Einzelheiten wird auf den Widerspruchsbescheid verwiesen.

Mit ihrer am 10. Februar 2010 beim Sozialgericht eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Anliegen weiter. Zur Begründung führt sie an, dass das Berliner Sozialticket jeweils für einen Kalendermonat gelte und sie daher zwei Sozialtickets habe erwerben müssen.

Ursprünglich hatte die Klägerin angekündigt, die Übernahme von weiteren Fahrtkosten in Höhe von 33,50 EUR zu beantragen. Nach Hinweis des Gerichts beantragt die Klägerin nunmehr,

den Bescheid vom 16. Oktober 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Januar 2010 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihr weitere Fahrtkosten in Höhe von 20,20 EUR zu erstatten

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist er auf den Widerspruchsbescheid und die Geschäftsanweisung der Bundesagentur für Arbeit zu der Förderung der beruflichen Weiterbildung, wonach im vorliegenden Fall nur 3/3 der Kosten einer Monatskarte zu erstatten seien.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Prozessakte und der Verwaltungsakte Bezug genommen. Er war Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe:

Die in Form einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 und Abs. 4 SGG) zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid vom 16. Oktober 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Januar 2010 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Übernahme weiterer Fahrtkosten in der tenorierten Höhe.

Der Anspruch auf Fahrtkostenerstattung ergibt sich aus § 16 Abs. 1 S. 2 SGB II iVm. § 81 des Dritten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB III). Danach kann der Träger der Grundsicherungs¬leistungen die im Sechsten Abschnitt des Vierten Kapitels des SGB III geregelten Leistungen, einschließlich Fahrkosten für Fahrten zwischen Wohnung und Bildungsstätte (Pendelfahrten) übernehmen. Ein solcher Fall liegt hier vor. Der Beklagte hat der Klägerin die Teilnahme an einer Maßnahme der beruflichen Weiterbildung genehmigt. Die Klägerin begab sich nach den vorliegenden Unterlagen auch an den einzelnen Maßnahmetagen jeweils von ihrer Wohnung zu der Bildungsstätte und zurück.

Der Anspruch der Klägerin auf Fahrtkostenerstattung ist dem Grunde nach zwischen den Beteiligten auch unstreitig. Gegenstand der Klage ist alleine die Höhe der zu erstattenden Fahrtkosten. Die Höhe des Fahrtkostenanspruchs der Klägerin ergibt sich aus § 81 Abs. 2 SGB III. Danach werden Fahrkosten in Höhe des Betrages zugrunde gelegt, der bei Benutzung eines regelmäßig verkehrenden öffentlichen Verkehrsmittels der niedrigsten Klasse des zweckmäßigsten öffentlichen Verkehrsmittels zu zahlen ist.

Bei der Bestimmung der Höhe der zu erstattenden Fahrtkosten hat der Beklagte auch keinen Ermessensspielraum. Der Beklagte hat im Rahmen des § 16 SGB II zwar ein Entschließungsermessen über das "Ob" der Förderung. Der Umfang der Förderung – auch der Fahrkostenerstattung – stellt jedoch eine gebundene Entscheidung dar (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 6. April 2011, Az. B 4 AS 117/10 R, juris Rz. 19).

Auf dieser Grundlage ergibt sich insgesamt ein Anspruch der Klägerin auf Erstattung eines Berliner Sozialtickets für den Maßnahmezeitraum 1. bis 24. November 2009 in Höhe von 33,50 EUR sowie von zwei 4-Fahrten-Karten im Tarifbereich AB zu je 8,00 EUR und zwei Einzelfahrscheinen im Tarifbereich AB zu je 2,10 EUR, d.h. insgesamt 20,20 EUR für den Maßnahmezeitraum 26. bis 31. Oktober 2009. Der Maßnahmezeitraum 26. bis 31. Oktober 2009 umfasste fünf Werktage, an denen die Klägerin jeweils zu der Bildungsstätte hin und wieder zurück fahren musste. Der Erwerb eines Sozialtickets für den im November liegenden Zeitraum sowie von Einzelfahrscheinen, bzw. 4-Fahrten-Karten für den im Oktober liegenden Zeitraum stellt die günstigste Variante bei Benutzung des öffentlichen Personennahverkehrs dar. Den auf das Sozialticket entfallenden Betrag in Höhe von 33,50 EUR hat der Beklagte bereits übernommen, so dass der weitere Anspruch der Klägerin noch die Übernahme der 20,20 EUR umfasst.

Dem steht auch die Geschäftsanweisung der Bundesagentur für Arbeit zu der Förderung der beruflichen Weiterbildung (Geschäftsanweisungen FbW/AEZ/§ 417, nachfolgende "Geschäftsanweisung") nicht entgegen. Danach soll sich im Rahmen des § 81 SGB III bei Pendelfahrten für Teile eines Monats und für Maßnahmen, deren Dauer keinen vollen Monat umfasst, die Kostenübernahme nach folgender Übersicht richten:

a) Monatskarte für einen Kalendermonat Kalendertage im Monat des Anteiliger Beginns Endes Monatsbetrag der Maßnahme 1. 2. 3. vom 1. bis 17. vom 15. bis 31. 3/3 vom 18. bis 25. vom 7. bis 14. 2/3 vom 26. bis 31. vom 1. bis 6. 1/3

b) Monatskarte für einen Zeitmonat Zahl der Maßnahmetage im Teilmonat Anteiliger Monatsbetrag 1. 2. 15 bis 31 3/3 07 bis 14 2/3 01 bis 06 1/3

c) Maßnahme umfasst keinen vollen Monat Zahl der Maßnahmetage Anteiliger Monatsbetrag 1. 2. 15 bis 30 3/3 07 bis 14 2/3 01 bis 06 1/3

Soweit sich aus der Geschäftsanweisung ergibt, dass tatsächlich entstehende Fahrtkosten nur zum Teil übernommen werden, ist dies für den Anspruch der Klägerin auf Fahrtkostenerstattung unbeachtlich. Die Geschäftsanweisung stellt eine bloße Verwaltungsvorschrift dar, die keine unmittelbare Rechtswirkung für die Betroffenen entfaltet. Maßgeblich für die Ermittlung der Höhe der zu erstattenden Fahrtkosten ist alleine die gesetzliche Regelung des § 81 Abs. 2 SGB III, ggf. iVm. § 81 Abs. 3 SGB III. Danach sind die Kosten eines regelmäßig verkehrenden öffentlichen Verkehrsmittels der niedrigsten Klasse zu erstatten, soweit nicht einer der anderen dort geregelten Fälle vorliegt.

Die gesetzliche Regelung sieht zwar eine Kostenbegrenzung insofern ausdrücklich vor, als jeweils nur die Kosten der niedrigsten Klasse erstattet werden. Darüber hinaus ergibt sich aus dem gesetzlichen Kontext, dass sämtliche tatsächlich zur Verfügung stehenden Vergünstigungsmöglichkeiten genutzt werden müssen. Fahrtkosten können nur insoweit erstattet werden, als sie tatsächlich notwendig waren. Es kann dahingestellt bleiben, ob sich dies bereits aus der Beschränkung auf die Kosten der niedrigsten Klasse ergibt. Jedenfalls kann insoweit § 3 Abs. 1 S. 1 des Bundesreisekostengesetzes (BRKG) entsprechend angewendet werden, wonach nur die notwendigen Reisekosten erstattet werden. Notwendig sind jedoch nur diejenigen Kosten, die unter Ausschöpfung sämtlicher tatsächlich im Einzelfall zur Verfügung stehender Vergünstigungsmöglichkeiten anfallen.

Darüber hinaus findet nach § 81 Abs. 2 SGB III im Rahmen der Nutzung regelmäßig verkehrender öffentlicher Verkehrsmittel keine Pauschalisierung der zu übernehmenden Kosten statt. Dagegen spricht nicht nur der Wortlaut der gesetzlichen Vorschrift, sondern auch die Änderungsgeschichte der Norm. Der heute geltende Wortlaut war bereits bis zum 31. Dezember 2003 geltendes Recht. Durch das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 (BGBl. I 2003, Nr. 65) wurde die Vorschrift mit Wirkung ab dem 1. Januar 2004 dahingehend geändert, dass Fahrtkosten auf Grundlage einer Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und Bildungsstätte erstattet wurden. Diese Änderung wurde mit Wirkung ab dem 1. Januar 2009 durch das Gesetz zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente vom 21. Dezember 2008 (BGBl. I 2008, Nr. 64) wieder rückgängig gemacht und der vorherige Wortlaut wieder hergestellt.

Insbesondere sieht § 81 Abs. 2 SGB III nicht vor, dass Fahrtkosten stets auf Grundlage anteiliger Beträge für eine Monatskarte übernommen werden. Notwendige Fahrtkosten sind diejenigen Kosten, die unter Nutzung sämtlicher verfügbarer Vergünstigungen tatsächlich entstehen. Soweit dies der Erwerb einer Monat- oder sonstigen Zeitkarte ist, ist diese in voller Höhe zu übernehmen. Soweit eine Monat- oder sonstige Zeitkarte teuer ist, als der Erwerb anderer Fahrscheine, sind nur diese anderen Fahrscheine zu übernehmen. Dem jeweils Anspruchsberechtigten muss es möglich sein, seine Fahrtkosten unter Nutzung der verfügbaren Vergünstigungen tatsächlich zu decken. Dies ist nach der Erstattungsregel auf Grundlage der Geschäftsanweisung nicht unbedingt der Fall. Soweit danach für Zeiträume unterhalt eines Monats jeweils nur ein Anteil der Kosten für eine Monatskarte übernommen wird, werden tatsächlich entstehenden Fahrtkosten damit nicht abgedeckt. Es ist regelmäßig gerade nicht möglich, Drittelmonatskarten zu erwerben. Der Anspruchsberechtigte müsste daher in einem solchen Fall entweder den restlichen Anteil der Monatskarte selbst finanzieren oder auf – wiederum regelmäßig teurere – sonstige Fahrtscheine zurückgreifen und diese zumindest zum Teil selbst finanzieren. Dies entspricht aber nicht dem Sinn der Fahrtkostenerstattung, die auf dem Grundsatz der vollen Übernahme der tatsächlich entstehenden notwendigen Kosten beruht.

Nach diesen Maßstäben würde die Klägerin durch eine Anwendung der Geschäftsanweisung gesetzeswidrig benachteiligt. Zwar müsste nach dem Verständnis der Kammer selbst auf Grundlage der Geschäftsanweisung im vorliegenden Fall ein höherer Betrag erstattet werden. Bei einer Maßnahme, die sich über zwei Kalendermonate erstreckt, aber jeweils innerhalb des Monats beginnt und endet, müsste nach Ansicht der Kammer die Variante a) der Geschäftsanweisung zur Anwendung kommen. Daraus würde sich im vorliegenden Fall eine Erstattung von 4/3 der Kosten einer Monatskarte ergeben. Dies entspräche einem Betrag von 44,67 EUR. Die tatsächlich notwendigen Fahrtkosten der Klägerin unter Nutzung der verfügbaren Vergünstigungen in Höhe von insgesamt 53,70 EUR (siehe oben) würden damit aber nicht gedeckt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Dabei ist dem anteiligen Obsiegen und Unterliegen sowie der Reduzierung des ursprünglich angekündigten Klageantrags angemessen Rechnung getragen worden.

Die aufgrund des weniger als 750,00 EUR betragenden Beschwerdewerts zulassungsbedürftige Berufung (§ 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG) ist zuzulassen. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Es ist bislang keine obergerichtliche Entscheidung über die Anwendung der Geschäftsanweisung in Fällen wie dem vorliegenden ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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