Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
19
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 19 SO 172/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 02.07.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14.12.2010 wird in Höhe von 162,45 Euro aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Beklagte trägt die hälftigen außergerichtlichen Kosten des Klägers dem Grunde nach. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Anrechnung eines aus Abschlagszahlungen für Strom und Gas resultierenden Guthabens als Einkommen.
Der am 00.00.0000 geborene Kläger bezieht Altersruhegeld und erhält von der Beklagten aufstockende Leistungen nach dem 4. Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe (SGB XII). Mit Bescheid vom 24.06.2009 bewilligte sie ihm für die Zeit vom 01.07.2009 bis 30.06.2010 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung einschließlich Heizkosten in Höhe von 67,- Euro monatlich, die der Kläger an seinen Gasversorger weiterleitete. Der Kläger zahlte zudem monatlich aus der ihm gewährten Regelleistung einen Abschlagsbetrag in Höhe von 38,- Euro für Strom an den Stromversorger. Mit Bescheid vom 26.10.2009 stellte die Beklagte die Leistungen wegen einer Erhöhung des Altersruhegeldes neu fest. Unter dem 03.12.2009 erstellte der Strom- und Gasversorger seine Jahresrechnung und errechnete ein Guthaben des Klägers in Höhe von insgesamt 342,24 Euro (162,75 Euro für Strom sowie 179,49 Euro für Gas) und zahlte unter dem 15.12.2009 einen Betrag in Höhe von 342,24 Euro an den Kläger aus. Daraufhin änderte die Beklagte mit Bescheid vom 30.12.2009 den Bewilligungsbescheid vom 24.06.2009 ab und rechnete den Erstattungsbetrag ab 01.02.2010 als Einkommen auf die Leistungen des Klägers an. Der Kläger legte am 04.02.2010 Widerspruch ein. Zur Begründung führt er aus, da er seine Zahlungen für Strom aus der ihm gewährten Regelleistung bestritten habe, resultiere auch sein Guthaben hieraus. Es könne daher nicht als Einkommen berücksichtigt werden. Mit Bescheid vom 28.05.2010 hob die Beklagte den Bescheid vom 30.12.2009 vollständig auf. Mit weiterem Bescheid vom 02.07.2010 änderte sie die Bescheide vom 24.06.2009 und vom 26.10.2009 ab und rechnete das ausgezahlte Guthaben in Höhe von 342,24 Euro ab Dezember 2009 auf die Leistungen des Klägers an und forderte eine Überzahlung in Höhe von 342,24 Euro zurück. Der Kläger legte am 05.08.2010 Widerspruch ein und führte aus, bereits wegen des am 28.05.2010 erlassenen Abhilfebescheides sei eine Rückforderung nicht mehr möglich. Überdies könne ein aus der Regelleistung resultierendes Guthaben nicht als Einkommen angerechnet werden. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14.12.2010 zurück.
Hiergegen richtet sich die am 30.12.2010 erhobene Klage.
Der Kläger ist der Ansicht, die Vorschrift des § 22 Abs. 1 Satz 4, 2. Halbsatz SGB II a.F. sei analog anzuwenden, weshalb sich die Anrechnung des Guthabens verbiete.
Der Kläger beantragt, den Bescheid vom 02.07.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14.12.2010 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hält an ihrer bisherigen Auffassung fest.
Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhalts eine telefonische Auskunft des Gas- und Stromversorgers eingeholt, der mitgeteilt hat, der Kläger habe im der Rechnung vom 03.12.2009 zu Grunde liegenden Abrechnungszeitraum Abschlagszahlungen in Höhe von insgesamt 418,- Euro (38,- Euro x 11 Monate, im Monat August 2009 erfolgt aus technischen Gründen die Ablesung und damit keine Abschlagszahlung) für Strom geleistet.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Anfechtungsklage ist im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie insoweit rechtswidrig sind, als eine Anrechnung des aus den Abschlagszahlungen für Strom resultierenden Guthabens auf seine Leistungen erfolgt ist.
Grundlage für die teilweise Aufhebung der Bescheide vom 24.06.2009 und vom 26.10.2009 ist § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X).
Die formell-rechtlichen Anforderungen sind gewahrt. Der Umstand, dass die Beklagte den Kläger vor Erlass des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheides nicht ausdrücklich angehört hat, führt zu keiner Verletzung von § 24 Abs. 1 SGB X. Denn der Kläger hatte während des Widerspruchs- und Klageverfahrens ausreichend Gelegenheit, seine Sicht der Dinge vorzutragen, so dass dieser Mangel nach § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X geheilt worden ist.
Die materiellen Voraussetzungen der Rechtsgrundlage liegen nicht vor, soweit die Beklagte wegen des Guthabens, das aus Abschlagszahlungen für Strom resultiert (418,00 Euro gezahlt abzüglich Verbrauch für Strom laut Abrechnung vom 03.12.2009 in Höhe von 211,55 Euro = 162,45 Euro) die Bewilligungsbescheide vom 24.06. und 26.10.2009 abgeändert und diesen Betrag vom Kläger zurückgefordert hat.
Allerdings handelt es sich bei den Bewilligungsbescheiden vom 24.06. und 26.10.2009 um Dauerverwaltungsakte im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Dies gilt bereits deshalb, weil Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB XII in der Regel für einen Zeitraum von zwölf Kalendermonaten bewilligt werden (vgl. allgemein etwa LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 18.10.2006 – L 7 SO 3313/06 ER-B; ausführlich Merten, in: Hauck/Noftz, § 48 SGB X Rdnr. 15).
In den diesen Dauerverwaltungsakten zu Grunde liegenden tatsächlichen Verhältnissen ist jedoch – soweit das aus Abschlagszahlungen für Strom resultierende Guthaben betroffen ist – keine wesentliche Änderung eingetreten. Zwar stellt die Erstattung des Stromguthabens in Höhe von 142,45 Euro eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse dar. Diese ist jedoch nicht wesentlich im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. "Wesentlich" ist eine Änderung, die dazu führt, dass die Behörde den Verwaltungsakt unter den nunmehr gegebenen (objektiven) Verhältnissen nicht hätte erlassen dürfen, was anhand des materiellen Rechts zu beurteilen ist (siehe etwa BSG, Urteil vom 06.11.1985 – 10 RKg 3/84 = BSGE 59,111, 112; BSG, Urteil vom 21.10.1999 – B 11 AL 25/99 R = BSGE 85, 92, 95). Im vorliegenden Fall hätten die Bescheide vom 24.06. und vom 26.10.2009 auch dann erlassen werden dürfen (bzw. müssen), wenn die Erstattung des Stromguthabens an den Kläger zu diesem Zeitpunkt bekannt gewesen wäre. Denn die Erstattung hat materiell-rechtlich keinen Einfluss auf die Höhe des Leistungsanspruchs, weil es sich nicht um Einkommen im Sinne von § 82 Abs. 1 SGB XII handelt.
Entgegen der Auffassung des Klägers folgt dies jedoch nicht aus einer analogen Anwendung von § 22 Abs. 1 Satz 4, 2. Halbsatz SGB II a.F. Denn diese Vorschrift ist nicht auf Leistungen nach dem Zwölften Buch übertragbar. § 22 Abs. 1 Satz 4, 2. Halbsatz SGB II ist vor dem Hintergrund der früheren gespaltenen Trägerschaft im SGB II zu interpretieren. Kosten für Haushaltsstrom waren seit jeher in der Regelleistung enthalten, für deren Erbringung indessen nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II a.F. die Bundesagentur für Arbeit zuständig war. Wegen der materiellen Regelung in § 19 Satz 3 SGB II minderten Einkommen und Vermögen zunächst die Regelleistung und darüber hinaus die Leistungen der kommunalen Träger, zu denen auch die Kosten der Unterkunft gehörten (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II a.F.). Um nun zu verhindern, dass Erstattungen von Stromguthaben, also Leistungen der Bundesagentur für Arbeit die Aufwendungen der kommunalen Träger nach § 22 Abs. 1 Satz 4, 1. Halbsatz SGB II mindern, bedurfte es der Regelung des § 22 Abs. 1 Satz 4, 2. Halbsatz SGB II a.F. Der Aussagegehalt von § 22 Abs. 1 Satz 4, 2. Halbsatz SGB II a.F. erschöpft sich deshalb darin, dass aus Abschlägen für Strom resultierende Guthaben nicht die Aufwendungen für Kosten der Unterkunft mindern (ebenso die Begründung zu § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II a.F. im Änderungsentwurf des Ausschusses für Arbeit und Soziales für ein Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende, BT-Drs. 16/1696, S. 27). Die Vorschrift des § 22 Abs. 1 Satz 4, 2. Halbsatz SGB II a.F. ist damit auf das SGB II beschränkt, eine analoge Anwendung auf das SGB XII scheidet – da es hier gerade keine gespaltene Trägerschaft gibt – aus. Zur Anrechenbarkeit als Einkommen schlechthin trifft die Regelung indessen keine Aussage.
Dass ein aus Abschlagszahlungen für Strom resultierendes Guthaben nicht als Einkommen im Sinne von § 82 Abs. 1 SGB XII anzusehen ist, folgt für die Kammer indessen aus allgemeinen Überlegungen und insbesondere aus dem Grundkonzept pauschalierter Leistungssätze. Die im SGB II und auch im SGB XII anzutreffenden pauschalierten Regelsätze umfassen nach der Vorstellung des Gesetzgebers auch einen Betrag für Ansparungen, um auf zukünftig entstehende Bedarfe reagieren zu können (vgl. allgemein BSG, Urteil vom 01.06.2010 – B 4 AS 78/09 R = juris; Merten, in: BeckOK Sozialrecht, § 40 SGB II Rdnr. 1a unter Hinweis auf die Begründung zu § 29 SGB XII, BT-Drs 15/1514, S. 59). Von den Hilfeempfängern wird also erwartet, dass sie aus der ihnen gewährten Regelleistung einen Betrag "zur Seite legen". Tun sie dies und legen sie den angesparten Teil etwa verzinslich an, so könnten bei Rückgewähr nach Ende der Laufzeit allenfalls die erhaltenen Zinsen als Einkommen angerechnet werden. Wollte man demgegenüber auch den angesparten Teil als Einkommen anrechnen, würde dies sämtlichen Motivationen für eine Ansparung zuwiderlaufen und damit dem Gesetzeszweck widersprechen. Nichts anderes kann dann aber für den Fall gelten, dass ein Hilfeempfänger mehr an Abschlägen für Strom aus seiner Regelleistung bezahlt, als die Kosten für Strom letztendlich betragen. Denn er tut damit nichts anders, als für die Entstehung eines zukünftigen Bedarfs vorzubauen. Wollte man demgegenüber die Rückgewährung des Überschussbetrages als Einkommen anrechnen, würde der Anreiz, Bestandteile aus der Regelleistung anzusparen, um auf zukünftige Bedarfe reagieren zu können, zunichte gemacht. Überdies würden Hilfeempfänger, welche Erhöhungen von Stromkosten durch ordnungsgemäße Zahlungen von Abschlägen nachkommen, gegenüber solchen Hilfeempfängern "bestraft", welche ihre Abschlagszahlungen nicht zahlen und deshalb Schulden anhäufen.
Die gegenteilige Auffassung des 8. Senats des Bundessozialgerichts vom 19.05.2009 (B 8 SO 35/07 R = juris) überzeugt die Kammer nicht. Insbesondere setzt sie sich nicht mit dem o.g. Argument der pauschalierten Leistungen auseinander. Der Verweis des 8. Senats auf die zu einer Betriebskostenerstattung ergangene Entscheidung des 14. Senats vom 15.04.2008 (B 14/7b AS 58/06 R) verfängt nicht, weil Betriebskosten als Bestandteil der Kosten der Unterkunft gerade nicht pauschal, sondern in Höhe der tatsächlichen (angemessenen) Aufwendungen (§ 29 Abs. 1 Satz 1 SGB XII a.F. bzw. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II a.F.) erbracht werden. Das Gericht sieht sich in seiner Auffassung zudem durch die jüngste Entscheidung des 14. Senats des BSG vom 23.08.2011 (B 14 AS 186/10 R) bestätigt, die im Volltext derzeit noch nicht vorliegt. Darin hat der 14. Senat entschieden, dass "Einnahmen aus Einsparungen hinsichtlich der Regelbedarfe [ ] grundsätzlich über den jeweiligen Bezugszeitraum hinweg von der Berücksichtigung als Einkommen freizustellen [sind]" (zitiert nach Terminbericht Nr. 41/11). Hierbei verkennt die Kammer nicht, dass es im System des SGB XII und im System des SGB II im Detail Unterschiede geben mag. Angesichts des beiden Regimen immanenten Gedankens der Pauschalierung von Regelleistungen und der konzeptionellen Ähnlichkeit indessen ist nicht ersichtlich, dass diese Problematik im SGB II anders bewertet werden kann, als im SGB XII.
Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X liegen indessen vor, soweit die Beklagte die Erstattung des aus Abschlägen für Gas resultierenden Guthabens als Einkommen auf die Leistungen des Klägers angerechnet hat. Insoweit liegt eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen vor, die den Bescheiden vom 24.06. und 26.10.2009 zu Grunde lagen. Denn es handelt sich auf Einkommen nach § 82 Abs. 1 SGB XII, welches den Leistungsanspruch des Klägers mindert. Eine abweichende Betrachtung gegenüber dem Stromguthaben ist gerechtfertigt, weil die Kosten für Gas den Kosten der Unterkunft zuzurechnen sind, welche nicht pauschal, sondern in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht werden. Auch handelt es sich bei dem Guthaben, das aus Abschlägen für Gas resultiert, um Einkommen im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X, das die Beklagte zutreffend im Monat Dezember 2009 angerechnet hat (vgl. allgemein zur Anrechnung im Monat des Zuflusses BSG, Urteil vom 19.05.2009 – B 8 SO 35/07 R = juris). Soweit der Kläger ausführt, die Beklagte sei aus formalen Gründen gehindert, die Bescheide vom 24.06.2009 und vom 26.10.2009 abzuändern, vermag die Kammer sich dem nicht anzuschließen. Denn durch die Aufhebung des zunächst ergangenen Abänderungsbescheides vom 30.12.2009 hat sich die Beklagte nicht des Rechts begeben, einen erneuten – rechtmäßigen – Abänderungsbescheide zu erlassen, was sie in Gestalt des Bescheides vom 02.07.2010 auch getan hat.
Die einschlägigen Fristen zur Aufhebung von Verwaltungsakten (§ 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X i.V.m. § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X und § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X i.V.m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X) sind gewahrt.
Ist die Abänderung der Bescheide vom 24.06. und 26.10.2009 damit – soweit das aus Abschlagszahlungen für Gas resultierende Guthaben betroffen ist – zu Recht erfolgt, ergibt sich die Pflicht des Klägers zur Erstattung des überzahlten Betrages aus § 50 Abs. 1 SGB X.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen.
Die Kammer war bereits nach § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG gehalten, die Berufung zuzulassen, weil das Urteil von der Entscheidung des BSG vom 19.05.2009 (B 8 SO 35/07 R = juris) abweicht und auf dieser Abweichung beruht.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Anrechnung eines aus Abschlagszahlungen für Strom und Gas resultierenden Guthabens als Einkommen.
Der am 00.00.0000 geborene Kläger bezieht Altersruhegeld und erhält von der Beklagten aufstockende Leistungen nach dem 4. Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe (SGB XII). Mit Bescheid vom 24.06.2009 bewilligte sie ihm für die Zeit vom 01.07.2009 bis 30.06.2010 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung einschließlich Heizkosten in Höhe von 67,- Euro monatlich, die der Kläger an seinen Gasversorger weiterleitete. Der Kläger zahlte zudem monatlich aus der ihm gewährten Regelleistung einen Abschlagsbetrag in Höhe von 38,- Euro für Strom an den Stromversorger. Mit Bescheid vom 26.10.2009 stellte die Beklagte die Leistungen wegen einer Erhöhung des Altersruhegeldes neu fest. Unter dem 03.12.2009 erstellte der Strom- und Gasversorger seine Jahresrechnung und errechnete ein Guthaben des Klägers in Höhe von insgesamt 342,24 Euro (162,75 Euro für Strom sowie 179,49 Euro für Gas) und zahlte unter dem 15.12.2009 einen Betrag in Höhe von 342,24 Euro an den Kläger aus. Daraufhin änderte die Beklagte mit Bescheid vom 30.12.2009 den Bewilligungsbescheid vom 24.06.2009 ab und rechnete den Erstattungsbetrag ab 01.02.2010 als Einkommen auf die Leistungen des Klägers an. Der Kläger legte am 04.02.2010 Widerspruch ein. Zur Begründung führt er aus, da er seine Zahlungen für Strom aus der ihm gewährten Regelleistung bestritten habe, resultiere auch sein Guthaben hieraus. Es könne daher nicht als Einkommen berücksichtigt werden. Mit Bescheid vom 28.05.2010 hob die Beklagte den Bescheid vom 30.12.2009 vollständig auf. Mit weiterem Bescheid vom 02.07.2010 änderte sie die Bescheide vom 24.06.2009 und vom 26.10.2009 ab und rechnete das ausgezahlte Guthaben in Höhe von 342,24 Euro ab Dezember 2009 auf die Leistungen des Klägers an und forderte eine Überzahlung in Höhe von 342,24 Euro zurück. Der Kläger legte am 05.08.2010 Widerspruch ein und führte aus, bereits wegen des am 28.05.2010 erlassenen Abhilfebescheides sei eine Rückforderung nicht mehr möglich. Überdies könne ein aus der Regelleistung resultierendes Guthaben nicht als Einkommen angerechnet werden. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14.12.2010 zurück.
Hiergegen richtet sich die am 30.12.2010 erhobene Klage.
Der Kläger ist der Ansicht, die Vorschrift des § 22 Abs. 1 Satz 4, 2. Halbsatz SGB II a.F. sei analog anzuwenden, weshalb sich die Anrechnung des Guthabens verbiete.
Der Kläger beantragt, den Bescheid vom 02.07.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14.12.2010 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hält an ihrer bisherigen Auffassung fest.
Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhalts eine telefonische Auskunft des Gas- und Stromversorgers eingeholt, der mitgeteilt hat, der Kläger habe im der Rechnung vom 03.12.2009 zu Grunde liegenden Abrechnungszeitraum Abschlagszahlungen in Höhe von insgesamt 418,- Euro (38,- Euro x 11 Monate, im Monat August 2009 erfolgt aus technischen Gründen die Ablesung und damit keine Abschlagszahlung) für Strom geleistet.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Anfechtungsklage ist im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie insoweit rechtswidrig sind, als eine Anrechnung des aus den Abschlagszahlungen für Strom resultierenden Guthabens auf seine Leistungen erfolgt ist.
Grundlage für die teilweise Aufhebung der Bescheide vom 24.06.2009 und vom 26.10.2009 ist § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X).
Die formell-rechtlichen Anforderungen sind gewahrt. Der Umstand, dass die Beklagte den Kläger vor Erlass des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheides nicht ausdrücklich angehört hat, führt zu keiner Verletzung von § 24 Abs. 1 SGB X. Denn der Kläger hatte während des Widerspruchs- und Klageverfahrens ausreichend Gelegenheit, seine Sicht der Dinge vorzutragen, so dass dieser Mangel nach § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X geheilt worden ist.
Die materiellen Voraussetzungen der Rechtsgrundlage liegen nicht vor, soweit die Beklagte wegen des Guthabens, das aus Abschlagszahlungen für Strom resultiert (418,00 Euro gezahlt abzüglich Verbrauch für Strom laut Abrechnung vom 03.12.2009 in Höhe von 211,55 Euro = 162,45 Euro) die Bewilligungsbescheide vom 24.06. und 26.10.2009 abgeändert und diesen Betrag vom Kläger zurückgefordert hat.
Allerdings handelt es sich bei den Bewilligungsbescheiden vom 24.06. und 26.10.2009 um Dauerverwaltungsakte im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Dies gilt bereits deshalb, weil Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB XII in der Regel für einen Zeitraum von zwölf Kalendermonaten bewilligt werden (vgl. allgemein etwa LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 18.10.2006 – L 7 SO 3313/06 ER-B; ausführlich Merten, in: Hauck/Noftz, § 48 SGB X Rdnr. 15).
In den diesen Dauerverwaltungsakten zu Grunde liegenden tatsächlichen Verhältnissen ist jedoch – soweit das aus Abschlagszahlungen für Strom resultierende Guthaben betroffen ist – keine wesentliche Änderung eingetreten. Zwar stellt die Erstattung des Stromguthabens in Höhe von 142,45 Euro eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse dar. Diese ist jedoch nicht wesentlich im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. "Wesentlich" ist eine Änderung, die dazu führt, dass die Behörde den Verwaltungsakt unter den nunmehr gegebenen (objektiven) Verhältnissen nicht hätte erlassen dürfen, was anhand des materiellen Rechts zu beurteilen ist (siehe etwa BSG, Urteil vom 06.11.1985 – 10 RKg 3/84 = BSGE 59,111, 112; BSG, Urteil vom 21.10.1999 – B 11 AL 25/99 R = BSGE 85, 92, 95). Im vorliegenden Fall hätten die Bescheide vom 24.06. und vom 26.10.2009 auch dann erlassen werden dürfen (bzw. müssen), wenn die Erstattung des Stromguthabens an den Kläger zu diesem Zeitpunkt bekannt gewesen wäre. Denn die Erstattung hat materiell-rechtlich keinen Einfluss auf die Höhe des Leistungsanspruchs, weil es sich nicht um Einkommen im Sinne von § 82 Abs. 1 SGB XII handelt.
Entgegen der Auffassung des Klägers folgt dies jedoch nicht aus einer analogen Anwendung von § 22 Abs. 1 Satz 4, 2. Halbsatz SGB II a.F. Denn diese Vorschrift ist nicht auf Leistungen nach dem Zwölften Buch übertragbar. § 22 Abs. 1 Satz 4, 2. Halbsatz SGB II ist vor dem Hintergrund der früheren gespaltenen Trägerschaft im SGB II zu interpretieren. Kosten für Haushaltsstrom waren seit jeher in der Regelleistung enthalten, für deren Erbringung indessen nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II a.F. die Bundesagentur für Arbeit zuständig war. Wegen der materiellen Regelung in § 19 Satz 3 SGB II minderten Einkommen und Vermögen zunächst die Regelleistung und darüber hinaus die Leistungen der kommunalen Träger, zu denen auch die Kosten der Unterkunft gehörten (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II a.F.). Um nun zu verhindern, dass Erstattungen von Stromguthaben, also Leistungen der Bundesagentur für Arbeit die Aufwendungen der kommunalen Träger nach § 22 Abs. 1 Satz 4, 1. Halbsatz SGB II mindern, bedurfte es der Regelung des § 22 Abs. 1 Satz 4, 2. Halbsatz SGB II a.F. Der Aussagegehalt von § 22 Abs. 1 Satz 4, 2. Halbsatz SGB II a.F. erschöpft sich deshalb darin, dass aus Abschlägen für Strom resultierende Guthaben nicht die Aufwendungen für Kosten der Unterkunft mindern (ebenso die Begründung zu § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II a.F. im Änderungsentwurf des Ausschusses für Arbeit und Soziales für ein Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende, BT-Drs. 16/1696, S. 27). Die Vorschrift des § 22 Abs. 1 Satz 4, 2. Halbsatz SGB II a.F. ist damit auf das SGB II beschränkt, eine analoge Anwendung auf das SGB XII scheidet – da es hier gerade keine gespaltene Trägerschaft gibt – aus. Zur Anrechenbarkeit als Einkommen schlechthin trifft die Regelung indessen keine Aussage.
Dass ein aus Abschlagszahlungen für Strom resultierendes Guthaben nicht als Einkommen im Sinne von § 82 Abs. 1 SGB XII anzusehen ist, folgt für die Kammer indessen aus allgemeinen Überlegungen und insbesondere aus dem Grundkonzept pauschalierter Leistungssätze. Die im SGB II und auch im SGB XII anzutreffenden pauschalierten Regelsätze umfassen nach der Vorstellung des Gesetzgebers auch einen Betrag für Ansparungen, um auf zukünftig entstehende Bedarfe reagieren zu können (vgl. allgemein BSG, Urteil vom 01.06.2010 – B 4 AS 78/09 R = juris; Merten, in: BeckOK Sozialrecht, § 40 SGB II Rdnr. 1a unter Hinweis auf die Begründung zu § 29 SGB XII, BT-Drs 15/1514, S. 59). Von den Hilfeempfängern wird also erwartet, dass sie aus der ihnen gewährten Regelleistung einen Betrag "zur Seite legen". Tun sie dies und legen sie den angesparten Teil etwa verzinslich an, so könnten bei Rückgewähr nach Ende der Laufzeit allenfalls die erhaltenen Zinsen als Einkommen angerechnet werden. Wollte man demgegenüber auch den angesparten Teil als Einkommen anrechnen, würde dies sämtlichen Motivationen für eine Ansparung zuwiderlaufen und damit dem Gesetzeszweck widersprechen. Nichts anderes kann dann aber für den Fall gelten, dass ein Hilfeempfänger mehr an Abschlägen für Strom aus seiner Regelleistung bezahlt, als die Kosten für Strom letztendlich betragen. Denn er tut damit nichts anders, als für die Entstehung eines zukünftigen Bedarfs vorzubauen. Wollte man demgegenüber die Rückgewährung des Überschussbetrages als Einkommen anrechnen, würde der Anreiz, Bestandteile aus der Regelleistung anzusparen, um auf zukünftige Bedarfe reagieren zu können, zunichte gemacht. Überdies würden Hilfeempfänger, welche Erhöhungen von Stromkosten durch ordnungsgemäße Zahlungen von Abschlägen nachkommen, gegenüber solchen Hilfeempfängern "bestraft", welche ihre Abschlagszahlungen nicht zahlen und deshalb Schulden anhäufen.
Die gegenteilige Auffassung des 8. Senats des Bundessozialgerichts vom 19.05.2009 (B 8 SO 35/07 R = juris) überzeugt die Kammer nicht. Insbesondere setzt sie sich nicht mit dem o.g. Argument der pauschalierten Leistungen auseinander. Der Verweis des 8. Senats auf die zu einer Betriebskostenerstattung ergangene Entscheidung des 14. Senats vom 15.04.2008 (B 14/7b AS 58/06 R) verfängt nicht, weil Betriebskosten als Bestandteil der Kosten der Unterkunft gerade nicht pauschal, sondern in Höhe der tatsächlichen (angemessenen) Aufwendungen (§ 29 Abs. 1 Satz 1 SGB XII a.F. bzw. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II a.F.) erbracht werden. Das Gericht sieht sich in seiner Auffassung zudem durch die jüngste Entscheidung des 14. Senats des BSG vom 23.08.2011 (B 14 AS 186/10 R) bestätigt, die im Volltext derzeit noch nicht vorliegt. Darin hat der 14. Senat entschieden, dass "Einnahmen aus Einsparungen hinsichtlich der Regelbedarfe [ ] grundsätzlich über den jeweiligen Bezugszeitraum hinweg von der Berücksichtigung als Einkommen freizustellen [sind]" (zitiert nach Terminbericht Nr. 41/11). Hierbei verkennt die Kammer nicht, dass es im System des SGB XII und im System des SGB II im Detail Unterschiede geben mag. Angesichts des beiden Regimen immanenten Gedankens der Pauschalierung von Regelleistungen und der konzeptionellen Ähnlichkeit indessen ist nicht ersichtlich, dass diese Problematik im SGB II anders bewertet werden kann, als im SGB XII.
Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X liegen indessen vor, soweit die Beklagte die Erstattung des aus Abschlägen für Gas resultierenden Guthabens als Einkommen auf die Leistungen des Klägers angerechnet hat. Insoweit liegt eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen vor, die den Bescheiden vom 24.06. und 26.10.2009 zu Grunde lagen. Denn es handelt sich auf Einkommen nach § 82 Abs. 1 SGB XII, welches den Leistungsanspruch des Klägers mindert. Eine abweichende Betrachtung gegenüber dem Stromguthaben ist gerechtfertigt, weil die Kosten für Gas den Kosten der Unterkunft zuzurechnen sind, welche nicht pauschal, sondern in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht werden. Auch handelt es sich bei dem Guthaben, das aus Abschlägen für Gas resultiert, um Einkommen im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X, das die Beklagte zutreffend im Monat Dezember 2009 angerechnet hat (vgl. allgemein zur Anrechnung im Monat des Zuflusses BSG, Urteil vom 19.05.2009 – B 8 SO 35/07 R = juris). Soweit der Kläger ausführt, die Beklagte sei aus formalen Gründen gehindert, die Bescheide vom 24.06.2009 und vom 26.10.2009 abzuändern, vermag die Kammer sich dem nicht anzuschließen. Denn durch die Aufhebung des zunächst ergangenen Abänderungsbescheides vom 30.12.2009 hat sich die Beklagte nicht des Rechts begeben, einen erneuten – rechtmäßigen – Abänderungsbescheide zu erlassen, was sie in Gestalt des Bescheides vom 02.07.2010 auch getan hat.
Die einschlägigen Fristen zur Aufhebung von Verwaltungsakten (§ 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X i.V.m. § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X und § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X i.V.m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X) sind gewahrt.
Ist die Abänderung der Bescheide vom 24.06. und 26.10.2009 damit – soweit das aus Abschlagszahlungen für Gas resultierende Guthaben betroffen ist – zu Recht erfolgt, ergibt sich die Pflicht des Klägers zur Erstattung des überzahlten Betrages aus § 50 Abs. 1 SGB X.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen.
Die Kammer war bereits nach § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG gehalten, die Berufung zuzulassen, weil das Urteil von der Entscheidung des BSG vom 19.05.2009 (B 8 SO 35/07 R = juris) abweicht und auf dieser Abweichung beruht.
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